Nach „Die Teerose“ ist „Die Winterrose“ der zweite Teil von Jennifer Donnellys Rosentrilogie. Eigentlich ist der Roman keine direkte Fortsetzung, weil die Geschichten in sich abgeschlossen sind. Trotzdem rate ich, zuerst den ersten Teil zu lesen – denn es wird doch recht viel Bezug zu Figuren aus „Die Teerose“ genommen und auch die Hintergründe der männlichen Hauptfigur kann man so wohl besser verstehen. „Die Teerose“ habe ich vor circa drei Jahren gelesen und war damals sehr begeistert von dem Buch. Meine Erwartungen an „Die Winterrose“ waren also sehr hoch. Ich kann schon mal sagen: die Geschichte war in der Summe ganz unterhaltsam und spannend, an seinen Vorgänger kommt der Roman aber bei weitem nicht heran. Da gab es dann doch einfach zu viele Schwächen.
Wieder einmal entführt Donnelly ihre Leser nach London um 1900 und wieder einmal steht eine starke Frau im Mittelpunkt der Handlung: India Selwyn-Jones, eine junge Adelige, hat seit ihrer Kindheit einen Traum: Sie möchte als Ärztin arbeiten und somit vor allem den Leuten in den Londoner Arbeitervierteln helfen. Obwohl von ihr vielmehr erwartet wird, dass sie heiratet und ihrem Mann Erben schenkt, setzt sie sich durch und beginnt gleich nach ihrem Studium bei einem Arzt in Whitechapel zu arbeiten, einem der ärmsten Viertel in London. Dort erkennt sie bald, dass Wunsch und Realität oft sehr weit auseinanderliegen. Und sie lernt dort auch den gefürchteten Gangsterboss Sid Malone kennen – und natürlich lieben. So nimmt das Drama seinen Lauf, denn India ist eigentlich mit Freddie Lytton, einem aufstrebenden Abgeordneten, verlobt, der seit langem Sid Malone das Handwerk legen will und generell recht verschlagen ist.
Donnelly schreibt sehr fesselnd und bildlich. Vor allem das Leben und die Probleme der Menschen in den Londoner Armenviertelen beschreibt sie sehr plastisch und lebendig. Auch über die medizinische Versorgung zu jener Zeit erfährt man zu Beginn des Romans einiges. Mit India und Sid hat die Autorin auch zwei sehr tolle und liebenswürdige Protagonisten geschaffen, mit denen man einfach gerne mit bangt. Ab der zweiten Hälfte entwickelt sich die Geschichte aber dann in eine Richtung, die mir nicht mehr so gefallen hat. Ja natürlich, die Geschichte lebt von Dramatik, Intrigen und Spannung, aber ab der zweiten Romanhälfte übertreibt es Donnelly damit einfach. Indias Leben scheint einfach nur noch eine Dauertragödie zu sein, dazu kommt noch eine Reihe von unglaubwürdigen Zufällen. Das war mir alles einfach zu konstruiert und etwas zu over the top. Etwas unnötig fand ich dann noch den Handlungsstrang um Seamus und Willa. Den hat Donnelly wohl eingebaut, weil es im dritten Teil „Die Wildrose“ um die beiden geht. Dieser Handlungsstrang hat den Roman aber nur künstlich in die Länge gezogen. Das Ende hingegen ist zwar leicht kitschig, hat mich dann aber doch wieder sehr berührt.
Fazit: „Die Winterrose“ ist ein unterhaltsamer, spannender Roman mit viel Dramatik und Kitsch. An seinen Vorgänger kommt er leider nicht heran. Während „Die Teerose“ noch mehr historischer Roman war, bewegt sich „Die Winterrose“ schon sehr stark in Richtung Soap Opera. Den dritten Teil der Trilogie werde ich wohl nicht mehr lesen.