Der Krimi beginnt bei Minus 27 Grad, die Öde aus der Sicht der Bohlenwege auf Amrum auf dem Cover geben die undurchsichtige, nebulöse Stimmung wieder. Die völlig erschrockene Möwe mit dem weit aufgerissenen Schnabel im Vordergrund zeigt mir,dass hier schier Unglaubliches geschehen ist und lässt erahnen, dass das erst der Anfang von ebenso außergewöhnlichen Ereignissen ist.
Elke Derling und ihr Mann erleben in ihrer Sorge und Verzweiflung um die vermisste Tochter Anja eine erschütternde Überraschung, als die Tageszeitung hereingeholt wird: Anja steht vor der Haustür, als wolle sie die Klingel betätigen.Erfroren in einem Eisklotz! - Ein genialer Auftakt, der den Leser urplötzlich in das Geschehen hineinkatapultiert.
Nina Ohlandt hat diese Geschichte subtil und leise bereits im Buch "Sturmläuten" vorbereitet. Sie ist aber auch ohne vorherige Lektüre dieses Buches schlüssig nachvollziehbar.
Das Kripo - Team aus Flensburg ist von der skurrilen Tötungsweise und der speziellen Drapierung und Inszenierung der Leiche trotz jahrelanger Routine fast ebenso schockiert wie die Eltern. Insbesondere Hauptkommissar John Benthien, Oberkommissar Tommy Fitzen und die Oberkommissarin Lilly Velasco zeigen in ihrer speziellen Figurenkonstellation, dass dieser und die weiteren Morde mehr als ihren gesamten Einsatz fordern werden.
Die weitaus überdurchschnittliche Intelligenz des Täters und seine messerscharfe Voraussicht werden zu einem Gegner, der das Kripoteam zu einem Kampf herausfordert, bei dem der Sieger über 400 Seiten durch immer neue Wendungen und spannende Überraschungen nicht erahnt werden kann.
Geschickt legt Nina Ohlandt irreführende, aber auch zunächst ohne erkennbaren Zusammenhang Indizien und Spuren aus, sodass der Leser atemlos wie einem Regisseur in einem Film folgt und die Entwicklung des Geschehens durch kurzfristiges Weglegen des Buches auf keinen Fall unterbrechen möchte bzw. kann !
Durch die anschaulichen Beschreibungen der Handlungsorte an der Nordsee, speziell auf der Insel Amrum, identifiziert sich der Leser mit den Stimmungen, die sich widerspiegeln: Z.B. Eiseskälte, Einsamkeit und Nebel am Meer als Vorbereitung auf das nächste Ereignis, das sich in einem scheinbar noch intelligenterem Mord manifestiert. Die Möglichkeiten und Kompetenzendes Kripoteams scheinen zeitweise am Ende zu sein, aber das ist ein Trugschluss: Das Team wächst an den Schwierigkeiten der bizarren Mordfälle, das Potenzial steigert sich durch spezielle Beziegungsgeflechte und dem unglaublichen Ehrgeiz, der durch die Geschehnisse immer wieder angestachelt wird.
Eingeblendet werden Tagebuchaufzeichnungen eines anonymen Schreibers, die die Spannung steigern und den Leser mit Herzklopfen mitfiebern lassen. Die dabei entstehende Biografie lässt Böses ahnen. Bis zum Schluss scheint das Rätsel unlösbar.
Die geschickte Erzähltechnik von Nina Ohlandt hat zumindest mich bis zum Ende des Buches in Atem gehalten. Außerdem bleiben die Handlungsstränge logisch, sehr ausgefallen und überdurchschnittlich phantasiereich. - Der Sprachstil ist auf die Handlung abgestimmt, sodass der Leser sich unausweichlich mit den Gefühlen der Protagonisten identifiziert.
Der Nordsee - Krimi "Eisige Flut" von Nina Ohlandt ist als ausgereifte, überdurchschnittliche Leistung einer Autorin zu bezeichnen, die es schafft, den Leser in eine Welt zu führen, die völlig aus dem Ruder gelaufen zu sein scheint...
Deshalb kann ich hier nur meine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen!