Gnadenlos eindringlich
Vor vielen Jahren habe ich Robert Altmans mehrfach preisgekrönten Film „Short Cuts“ gesehen, und bin seither ein Fan von Episodenerzählungen, sowohl filmisch als auch literarisch. Aber nur sehr selten ...
Vor vielen Jahren habe ich Robert Altmans mehrfach preisgekrönten Film „Short Cuts“ gesehen, und bin seither ein Fan von Episodenerzählungen, sowohl filmisch als auch literarisch. Aber nur sehr selten findet man einen Episodenroman, der so gut durchkomponiert ist wie „Wonder Valley“, in dem nach und nach jedes Steinchen an seinen Platz fällt und dem Leser schlussendlich ein Mosaik von unglaublicher Tiefe bietet.
Stadt der Engel, 2010. Ein Mann joggt in der morgendlichen Rushhour die Freeways entlang. Nackt, im Schlepptau Polizeiautos und einen Hubschrauber. Ein Anwalt auf dem Weg zur Arbeit steigt aus seinem Auto und läuft ihm hinterher. Ein anderer ist auf dem Weg Richtung Pazifik, seine Mutter auf der Rückbank, und schwitzt in dem geklauten Fahrzeug Blut und Wasser.
Alle unterwegs, alle auf der Flucht, alle auf der Suche. Pochoda switcht zwischen 2010 und 2006 hin und her, arbeitet mit dem Blick zurück, um die Handlungen ihrer Protagonisten in der Gegenwart zu erklären. Sie richtet ihren Fokus auf die Einzelschicksale, zeichnet so aber auch ein schonungsloses Bild der amerikanischen Gesellschaft. Es ist der Blick fürs Detail, der diesen Roman auszeichnet, ganz gleich, ob es um die Personen, ihre Geschichte oder ihre Lebensumstände geht. In der Vergangenheit und der Gegenwart. Das ist behutsam, aber dennoch eindringlich, oft gnadenlos, aber immer präzise. Der verlassene Trailerpark und die Aussteigerfarm in der Mojave Wüste, das Elendsviertel Skid Row und der Glamour in den Vororten von Los Angeles. Ren, Tony, Britt, Blake, und Sam, James. Fünf verschiedene Schicksale, die sich berühren, auseinanderdriften, wieder zusammenkommen, untrennbar miteinander verbunden sind. Alle auf der Flucht. Alle voller Sehnsucht. Alle auf der Suche nach dem einen Ort, an dem sie sein sollten, weil sie dort nicht hingehören, wo sie gerade sind.
„Wonder Valley“ ist außergewöhnlich, ein „diamond in the rough“ der zahllosen Neuerscheinungen, die den Buchmarkt überschwemmen. Unbedingt lesen!