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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.08.2019

Wincroft

Niemalswelt
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Nun ist es schon ein Jahr her, dass ihr Freund Jim verschwand und zwei Tage später tot aufgefunden wurde. Beatrice hat seinen Tod noch immer nicht überwunden, aber sie will wissen, was in der Nacht wirklich ...

Nun ist es schon ein Jahr her, dass ihr Freund Jim verschwand und zwei Tage später tot aufgefunden wurde. Beatrice hat seinen Tod noch immer nicht überwunden, aber sie will wissen, was in der Nacht wirklich geschehen ist. Noch einmal will sie die Freunde von damals treffen, in Wincroft, wo sie so viel Zeit verbracht haben. Doch je näher das Ziel kommt, desto unsicherer wird Beatrice, ist Wissen wirklich essentiell? Mit den Freunden ist es nicht wie früher, Jim war ihr Zentrum und ihr Zusammenhalt. Ohne ihn sind sie nur eine Gruppe von jungen Leuten, die nach einer Party einen Unfall hatte.

Ein Unfall, mit dem der Wächter auf den Plan gerufen wird, der den jungen Leuten mitteilt, dass sie die selbe Zeit immer wieder erleben müssen, bis sie entschieden haben, wer überleben wird, denn nur einer kann überleben. Wie Beatrice im Buch selbst erwähnt, der Groundhog Day lässt grüßen. Und dieser Tag mutet Beatrice und ihren Freunden einiges zu. Auch wenn es Momente gibt, in denen sie ihre quasi Unsterblichkeit beinahe genießen, kommen die Fünf doch zu dem Schluss, dass sie zusammenwirken wollen, um der ewigen Wiederholung zu entfliehen. Nur so können sie es schaffen, aufzuklären, was vor Jims Tod geschehen ist.

Man fragt sich anfänglich schon, ob die Autorin einer bekannten Idee eine neue Facette abgewinnen kann. Zum Glück muss man nicht lange lesen, um von der Handlung des Buches gefangen genommen zu werden. Beatrice lernt ihre Freunde auf eine ganz neue Art kennen. Gemeinsam und auch getrennt durchlaufen sie Phasen, in denen ihr Aufenthalt in der Niemalswelt mehr oder weniger erträglich ist. Doch je mehr ihnen klar wird, dass sie letztlich nur zusammen stark sind, desto mehr können sie die Zeit vor Jims Tod rekonstruieren und ihre Empfindungen unter einander, seien sie positiv oder negativ, entschlüsseln. Es überrascht nicht, dass dabei einige Überraschungen ans Licht kommen. Hat man erstmal mit der Lektüre begonnen, findet man hier eines der seltenen Bücher, die einen eintauchen lassen in eine fremde Welt, die man erst wieder verlassen möchte, wenn das letzte Rätsel gelöst ist.


Veröffentlicht am 29.07.2019

Mummy

Ich, Eleanor Oliphant
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Gerade dreißig geworden lebt Eleanor Oliphant in Glasgow. Seit dem Studienabschluss arbeitet sie als Buchhalterin in der Agentur. Sie ist keine von den interessanten Kreativen, eher eine Büromaus. Aber ...

Gerade dreißig geworden lebt Eleanor Oliphant in Glasgow. Seit dem Studienabschluss arbeitet sie als Buchhalterin in der Agentur. Sie ist keine von den interessanten Kreativen, eher eine Büromaus. Aber sie lebt gut so, alles ist in Ordnung. Auch ihre kleine Wohnung ist völlig okay. Ihre Pflanze Polly, die sie schon seit vielen Jahren hegt und pflegt, ist eine gute Gesellschaft und mit den um-die-Ecke-gedacht Kreuzworträtseln vergeht die Zeit wie im Flug. Wochenenden sind eh überbewertet und zwischenmenschliche Kontakte auch. Als Eleanor jedoch einen jungen Musiker entdeckt, gerät ihre geordnete Welt in Aufruhr. Der neue It-Spezialist in der Agentur, Raymond, der ihren Computer reparieren muss, ist dagegen ein schlecht angezogener Langweiler.

Eleanor hatte eine Kindheit, über die sie lieber nicht redet. Ihr reichen die wöchentlichen Kontakte zu ihrer Mummy, die woanders ist. Überhaupt hat sie sich ihr Leben bestmöglich eingerichtet. Bestmöglich heißt allerdings auch eintönig. Arbeit von 9 bis 5, jeden Tag die gleichen Mahlzeiten, von der Kleidung mehrere Exemplare (eins wird getragen, eins in der Wäsche), am Wochenende Kreuworträtsel, Bücher und eine gewisse Menge Wodka, die beim Einschlafen helfen soll. Und am besten sagt man zu Eleanor ganz genau, was man meint, Interpretationen führen auf Minenfelder und die sind zu vermeiden. Da passen weder ein Sänger noch ein Raymond hinein.

Und doch auch eine Eleanor, die ihr Leben notwendigerweise durchgetaktet hat, kann sich verändern. Da gibt ein Sänger einen nicht so schlechten Grund, um mal zum Friseur oder zur Kosmetik zu gehen. Und Raymond ist einer, der sich durch Eleanors etwas gekräuselte Ausdrucksweise nicht abschrecken lässt, und sie einfach so behandelt als wären sie befreundet. Nach und nach öffnet sich Eleanor ein wenig und erfährt, dass es auf der Welt noch mehr gibt als sie sich bisher an Erfahrungen erlaubt hat. Und die Worte ihrer Mummy sind auch nicht immer der Weisheit letzter Schluss.

Bei „Ich, Eleanor Oliphant“ handelt es sich um ein wahrhaft lesenswertes Buch. Eleanor hat eine anrührende Persönlichkeit. Vielleicht kommt sie einem erst etwas speziell vor, doch je mehr man von ihrer Vergangenheit erahnt, desto mehr Verständnis und Mitgefühl kann man für sie aufbringen. Wobei die Andeutungen zur Vergangenheit die Handlung nicht zu sehr belasten. Eleanor und ihr Weg zu sich selbst stehen im Mittelpunkt und Eleanor hat es verdient, dass ihr das Interesse gilt. Man kann sich anders entwickeln, man kann anders sein und gerade deshalb liebenswert. Mit knapp über dreißig hat Eleanor Oliphant endlich ein Leben und eine Zukunft.

Veröffentlicht am 28.07.2019

Hollywood Babylon

Der blutrote Teppich. Hollywood 1922: Hardy Engels zweiter Fall
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Nach der Sache mit Fatty Arbuckle wollte Hardy Engel eigentlich nichts mehr von Hollywood wissen. Doch von etwas muss man leben und mit nur einem Auge ist es nicht leicht einen Job zu finden. Als der Regisseur ...

Nach der Sache mit Fatty Arbuckle wollte Hardy Engel eigentlich nichts mehr von Hollywood wissen. Doch von etwas muss man leben und mit nur einem Auge ist es nicht leicht einen Job zu finden. Als der Regisseur und Schauspieler William Desmond Taylor ihn um einen Gefallen bittet, übernimmt Hardy den Auftrag. Am Abend jedoch als er sich mit Taylor treffen will, liegt dieser tot in seinem Büro. Er sieht so friedlich aus und deshalb merkt Hardy erst als er dem Toten näher kommt, dass dieser eine Schusswunde hat. Und Hardy ist derjenige, der zuletzt mit Taylor Kontakt hatte. Die Polizei nimmt ihn gerne in den Kreis der Verdächtigen auf und Hardy sieht sich gezwungen, die wahren Hintergründe des Falls aufzudecken.

Auch in seinem zweiten Fall bekommt es Hardy Engel mit einem echten Fall der frühen Jahre in Hollywood zu tun, der bis heute nicht aufgeklärt ist und über den sich deshalb trefflich spekulieren lässt. Der wahre Mord bildet den Rahmen für Hardys zweite Ermittlung. Natürlich musste einiges dazu erfunden werden, ohne allzu sehr von den bekannten Tatsachen abzuweichen. Dies hat der Autor intelligent umgesetzt. Es ging hoch her im Hollywood der 1920er. Es wurde gearbeitet und gefeiert, jeder wollte ein Stück vom Kuchen abhaben. Wenn es um den Preis von ein paar Drogen war oder auch mal jemand zu Tode kam, bitte. Ansätze für seine Nachforschungen hat Hardy Engel genug.

Die gerade durch ihren Ansatz an einem wirklichen Todesfall spannende Geschichte wird durch den Leser Uve Teschner gekonnt umgesetzt. Er versteht es, den einzelnen Personen eine Stimme zu geben. Mit ihm folgt man Hardy Engel zunächst in die Abgründe seiner Seele, aus denen er langsam wieder emporsteigt, schließlich muss er einen Mord aufklären und noch einige andere Ungereimtheiten in Bezug auf das Leben William Desmond Taylors ins richtige Licht rücken. Und Hardy Engel hat noch mehr zu erzählen, wie sicher nicht schwer zu erraten ist. Man darf also gespannt sein, welche Begebenheiten aus dem alten Hollywood der Autor als nächstes ausgraben wird.

Veröffentlicht am 20.07.2019

Rechenkunst

Nullsummenspiel
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In Mathe war sie schon immer einfach gut. Diese Fähigkeit kann ich in ihrem Job als Wiederbeschafferin gut gebrauchen. Wenn es einmal brenzlig wird, berechnet sie einfach die Wahrscheinlichkeit oder eine ...

In Mathe war sie schon immer einfach gut. Diese Fähigkeit kann ich in ihrem Job als Wiederbeschafferin gut gebrauchen. Wenn es einmal brenzlig wird, berechnet sie einfach die Wahrscheinlichkeit oder eine Kurve und ist in aller Regel aus der Klemme befreit. Sie ist Cas Russell, sie findet Freundschaft überbewertet und sie vertraut nur Rio. Als sie gebeten wird die kleine Schwester Courtney Polk wiederzubeschaffen, hält sie das für einen leichten Auftrag. Überrascht muss Cas feststellen, dass dem nicht so ist und auch als sie Courtney in ihrer Obhut hat, geraten die beiden Frauen in eine Gefahrensituation nach der anderen.

Wenn man selbst der Vektor-Rechnung sofort nach der Schulzeit für immer abgeschworen hat, könnte man Cas gegenüber zunächst einige Vorbehalte haben. Denn zu Beginn metzelt sie mit ihren Berechnungen die Menschen, auch wenn sie nicht so besonders gut sind, schneller hin als man piep oder papp sagen kann. Doch wenn man sieht, mit welcher Sorgfalt und großem Mut sie auch Leben rettet, verzeiht man ihr doch das Meiste. Cas muss erstmal nicht nur auf Courtney aufpassen, sondern nebenbei auch Arthur das Leben retten. Sie ist also ganz schön beschäftigt und das, obwohl Rio gesagt hat, sie soll sich aus der Sache raushalten.

Man merkt diesem Roman schon an, dass es sich um den Beginn einer Reihe handelt, da doch etliche Andeutungen gemacht werden, die der weiteren Klärung bedürfen. Dennoch ist die Einführung von Cas Russell und ihren Freunden (sie hat ja eigentlich keine) gelungen. Zum Glück muss man kein Mathegenie sein, um der Handlung folgen zu können. Im Gegenteil Cas’ außergewöhnliche Fähigkeiten geben der Geschichte eine besondere Note. Cool wie sie sich aus Gefahren befreit und dabei auch das Wohlergehen ihrer Freund im Blick behält. Da ist es beinahe schon überraschend, dass sie bei dieser Wiederbeschaffung an einen Gegner geraten soll, der ihr überlegen zu sein scheint. Auf jeden Fall versteht Cas es, den Leser zu fesseln und mit ihrer urigen und ungewöhnlichen Art zu erfreuen. Man darf gespannt sein, was die geheimnisumwitterte junge Frau, noch wiederbeschaffen wird.

Veröffentlicht am 19.07.2019

Der arme Jules

Die Marie vom Hafen
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Der arme Jules hinterlässt fünf Kinder. Odile lebt schon nicht mehr daheim. Marie hat sich um die Jüngeren gekümmert. Und die drei Jüngsten werden noch auf der Trauerfeier unter den Verwandten verteilt. ...

Der arme Jules hinterlässt fünf Kinder. Odile lebt schon nicht mehr daheim. Marie hat sich um die Jüngeren gekümmert. Und die drei Jüngsten werden noch auf der Trauerfeier unter den Verwandten verteilt. Marie beginnt im örtlichen Café zu arbeiten. Der gut betuchte Freund ihrer Schwester macht ihr das Angebot, in einer seiner Firmen eine Stelle anzutreten. Marie jedoch will zu hause bleiben, am Hafen. Der schon über 30jährige Henri, eine solche Abfuhr nicht gewöhnt, beginnt immer wieder in Maries Nähe aufzutauchen. Marie trifft sich derweil erstmal lieber mit Marcel.

Im Atlantik Verlag werden die Romane und Geschichten von Georges Simenon neu aufgelegt. Dessen Maigret-Romane sind weithin bekannt. Doch das Oeuvre des Autors ist weitaus umfassender. Ein Beispiel der Vielfältigkeit Simenons bietet die Geschichte von Marie vom Hafen. Eine Geschichte, die eher traurig beginnt, muss die junge Frau nun auch noch ihren Vater beerdigen. Noch nicht volljährig besteht die Gefahr, dass andere über ihr weiteres Leben entscheiden, so wie bei ihren jüngeren Geschwistern. Marie sucht nach einem Ausweg. Dass Henri, der eigentlich mit ihrer Schwester zusammen ist, ihr nachstellt, ist ihr zunächst eher lästig. Ziemlich kühl lässt sie ihn abblitzen.

Bereits im Jahr 1938 erschien die Erstausgabe dieser Erzählung und wirkt doch auch in der heutigen Zeit nicht altmodisch. Wenn auch kühl, so ist Marie doch ausgesprochen pfiffig und fortschrittlich. Beim Lesen fragt man sich, in wie weit sie Pläne schmiedet. Dennoch gefällt sie mit ihren eigenen Kopf. Ihre Schwester Odile wirkt dagegen nachgiebig und weich. Henri scheint ein arroganter Schnösel zu sein, der es durchaus verdient hat, mal ausgebremst zu werden. Zwar ist die Geschichte schnell gelesen, aber keinesfalls schnell vergessen. Die Marie vom Hafen hat etwas, das sicher dazu einlädt, sie mehr als einmal zu genießen.