Nicht nur das wunderschöne Cover und der spannend klingende Klapptext konnten mich sofort überzeugen, diesen Dilogie-Auftakt zu bestellen sondern auch das Thema. Spätestens seit Rick Riordan liebe ich Geschichten über griechische Mythologie über alles und auch Kira Licht hat es meisterhaft geschafft, die vielseitige, spannende Grundlage auf neue Art in Szene zu setzen und in einer rasanten, humorvollen, spritzigen Geschichte zu verarbeiten.
“Pflanzen sprechen zu mir. Und was sagen sie dir? Prophezeien sie den Weltuntergang? […] Nein, die meisten beschweren sich über irgendwas. Der Rest will, dass ich sie gieße."
Schon die Gestaltung ist einfach traumhaft und bringt mich als absoluten Cover-Kritiker immer wieder zum Schwärmen. Nicht nur dass die Glanzoptik der goldenen Lichtpunkte einen wundervollen Kontrapunkt zu den marmorierten Schatten bieten und die ganze Gestaltung dynamisch machen - die starken Kontraste zwischen hellem, weichen Gold und dunklen, schwarzen Schatten passen auch wunderbar zum Thema. Der sanfte Anriss eines Mädchens mit blonden Haaren gibt nur eine zarte Idee von der Protagonistin Livia und nimmt nicht zu viel vorweg. Zusammen mit dem Titel, der durch einen gegensätzlichen Farbverlauf hervorgehoben wird und dem dunklen Lesebändchen wird das Buch zu einem Gesamtkunstwerk.
Erster Satz: "Wasser … bitte!"
Diese Bitte, mit der sich Livia ein paar Wochen nach ihrem Umzug von Seoul nach Paris auf offener Straße konfrontiert wird, scheint auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich zu sein. Doch anstatt von einem der Obdachlosen zu kommen, stammt diese Bitte von einem kleinen, halbvertrockneten Löwenzahn zu ihren Füßen. Eigentlich sind für Livia als Diplomatentochter regelmäßige Umzüge nichts besonderes, doch als sie sich dieses Mal mit der Stadt vertraut macht, fallen ihr immer mehr Dinge auf, die sie an ihrem Verstand zweifeln lassen. Nicht nur das sie seit kurzem auf einmal die Pflanzen in ihrer Umgebung hören und mit ihnen kommunizieren kann, sie wird auch ständig von düsteren Prophezeiungen überrumpelt und sieht Dinge, die eigentlich nicht da sein können. Als sie dann auch noch auf den mysteriösen Maél trifft, beginnt sie Paris endgültig mit anderen Augen zu sehen und entdeckt eine Welt, von deren Existenz sie niemals etwas geahnt hätte: eine Welt der Götter, Halbgötter, magischen Kreaturen und des Schicksals - und sie ist ein Teil davon...
"Jetzt, als der rosarote Nebel sich hob und das Sinne verwirrende Adrenalin in meinem Blut verpuffte, wurde mir eiskalt. Ich zog Maéls Strickjacke enger um meinen Körper. Es war das Gefühl einer dunklen Vorahnung, einer schwarzen Flut, die auf mich zurollte. Ich fröstelte. Eine Flut, die mich einholen würde, egal wie schnell ich davonlief."
Wir steigen relativ ruhig in das Leben der 16jährigen Livia ein, die versucht, sich in ihrem neuen Zuhause zurecht zu finden. Sie besucht die internationale Schule, findet neue Freunde und macht sich mit der Stadt vertraut. Insgesamt ist sie also vor allem mit den ganz normalen Teenager-Problemen konfrontiert - strenge Eltern, "die Neue" sein, selbstständig werden... Als sie sich jedoch die berühmt-berüchtigten Katakomben ansehen will, trifft sie den geheimnisvollen Maél, der sie auf eine geheime Sonderführung durch die abgesperrten Teile der Unterwelt mitnimmt und zudem sie sich sofort hingezogen fühlt. Die Chemie zwischen den beiden stimmt unzweifelhaft, doch je näher sie sich kommen, desto seltsamer benimmt er sich und geht immer wieder auf Abstand. Erst als sie ihn vor ein Ultimatum stellt, rückt er mit der Wahrheit über sich heraus, die Livias Welt auf den Kopf stellt. Er ein Sohn des Unterweltgottes Hades, der seit mehreren Tausend Jahren versucht, die vergoldeten Teile seiner Schwester Agada zu finden und sie wieder aufzuwecken. Um die letzten Teile zu finden braucht er dringend eine Nymphe, die das verfluchte Gold anfassen kann. Was für ein Zufall: Livia ist genau eine der wenigen verbliebenen Wiesennymphen, die ihm bei dieser Aufgabe helfen kann. Da stellt sich nur die Frage: Ist sie nur ein Mittel zum Zweck in seinem jahrtausendalten Plan oder ist da mehr zwischen ihnen? Um mehr über die neue, verborgene Welt und ihre Rolle und Aufgabe als Nymphe herauszufinden, beschließt sie, ihm bei seiner Suche zu helfen und taucht dabei tief in die Welt der Götter ein.
"Eine gewisse Dunkelheit ist nötig, um die Sterne sehen zu können. (…) Für mich war Maél die Dunkelheit, derjenige, neben dem ich einen Blick auf eine komplett neue Welt gewonnen hatte. Ohne den ich vermutlich niemals meine Nymphenkräfte erkannt und genutzt hätte. Ohne den ich niemals nach den Sternen gegriffen hätte."
Die Idee, dass die Götter aus Langeweile ihren Hauptsitz alle paar Jahrhunderte von einer Großstadt zur nächsten verlegen und zur Zeit alle in Paris wohnen, hat mir sehr gut gefallen da wir diese sowieso magische Stadt in einem ganz besonderen Licht dargestellt bekommen. Zusammen mit Livia und Maél besuchen wir die berühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt, schlendern durch die romantischen Parks und über die weitläufigen Plätze, sitzen in süßen Cafés und erkunden Museen, wir lernen jedoch auch die Katakomben näher kennen und machen Ausflüge in heruntergekommenere Distrikte der Stadt. So bekommen wir ein wundervoll facettenreiches Porträt der Stadt der Liebe, welches ein spannendes und funkelndes Setting für die Geschichte bildet.
"Die Unvernunft liegt mir im Blut. Das Risiko, das Wagnis und die Gefahr sind alte Freunde. Freunde, die mich zu sich rufen und locken - immerzu. Aber sie sind mein Untergang, und ich bin ein dummer Trottel, weil ich sie immer wieder zu mir einlade."
Dass wir nebenbei noch die Götter, Helden und Sagengestalten der griechischen Mythologie kennenlernen ist dabei natürlich auch ein nettes Plus. Wir treffen Götter wie den Strass-liebenden, immer gestressten Götterboten Hermes, welcher als Chef einer PR-Argentur neben seiner Aufgabe als Pate für verschiedene Halbgötter und als ewiger Streitschlichter zwischen den Göttern viel um die Ohren hat; lernen die wunderschöne aber tieftraurige Aphrodite in der Gestalt der Mode und Make-Up Designerin Adèle P. kennen, welche sich nach ihrer großen Liebe Adonis sehnt, der seit Jahren in der Unterwelt eingesperrt ist; erfahren mehr über den Gott der Schmiede, Hephaistos, welcher sich einen magischen Garten aus Metall geschmiedet hat, sich aber nach lebendigen Weggefährten sehnt und treffen natürlich der Gott der Unterwelt, Hades, höchst persönlich, welcher auf ambivalente Art und Weise den perfekten Antagonisten darstellt. Wichtige Sagengestalten wie Ödipus, Persephone und magische Wesen wie Höllenhunde, Satyrs, Syllektis-Riesenmotten und verzauberte Skelette dürfen natürlich auch nicht fehlen. So entsteigt dem romantischen Setting eine prickelnde Mischung aus Sagen der Antike und Urban Romantasy.
"Nein, ich darf nicht. Nein, mein Fluch bringt sie um. Aber sich liebe sie doch so sehr. Nein, ich liebe sie nicht, damit sie nicht stirbt. Absolut oskarverdächtige Geschichte, kleiner Rabe. Aber weißt du was?" Hades ließ die Hände sinken, sein Grinsen war diabolisch. "Für Monster gibt es kein Happy End. Und wir", er deutete auf sich und seine Söhne, "sind alle Monster."
Zum Leben erweckt wird diese wundersame Mischung aber erst durch Kira Lichts spritzigen, erfrischend humorvollen und lockeren Schreibstil. Sie zieht ihre Geschichte rasant auf und sorgt durch schlagfertige Dialoge, kreative Ideen, skurrile Begegnungen und leise Romantik dafür, dass es während der 544 Seiten niemals langweilig wird. Durch ihren einmaligen Humor, der mich ein wenig an Jennifer L. Armentrout in ihren besten Jahren erinnert hat, bringt sie immer wieder ein wenig Schwung in die Geschichte und hat mich ein ums andere Mal zum Lachen gebracht. Dabei scheint eine leise Ironie die Darstellung der mythologischen Welt zu durchziehen. So liegen die Eingänge des Tartaros in den Rutschen von McDonald´s Filialen, die drei Schicksalsgöttinnen tauchen als drei brummige Cateringsangestellte auf, Ödipus ist ein ungeschlagener Fernseh-Quiz-König und Hermes versucht sein Mündel zu verkuppelt während er mit seiner Handyarmada jongliert. Immer wenn ich sehe, dass eine bestimmte Mythologie der Ausgangspunkt einer Geschichte ist, mache ich mir Sorgen, dass sich die Geschichte zu sehr auf die historischen Vorlagen verlässt, andere Romane zu sehr nacheifert und dabei eine eigene Note vergisst. Das passiert der Autorin hier jedoch keineswegs und mit viel Einfallsreichtum und Kreativität wird ein ganz besonderes Lesegefühl hervorgerufen.
"Etwas mehr Optimismus, kleine Nymphe"
"Nenn mich nicht klein. Ich bin nicht klein."
"Stimmt." Er schob mich immer noch. "Du bist winzig."
Dass man zu Beginn recht langsam in die Geschichte einsteigt hat noch einen weiteren Vorteil: man hat genügend Zeit um die Protagonisten Livia und Maél kennenzulernen. Livia Estelle McKenzie ist eine wundervolle Protagonistin und mit ihrer selbstbewussten, schlagfertigen, zielstrebigen Art, ihrem skurrilen Kleidungsstil und ihrem kurvigen Körper definitiv nicht auswechselbar. Auch wenn es mir die meiste Zeit recht seltsam erschien, dass sie erst sechzehn Jahre alt sein sollte und sie sich manchmal etwas seltsam verhielt, ist sie mir sehr ans Herz gewachsen. Auch Maél, den ich schon im kostenlosen Prequel "Träume und Hoffnung" etwas kennenlernen durfte, mochte ich, auch wenn er mit seiner geheimnisvollen, düsteren Ausstrahlung definitiv dem Klischee eines typischen Book-Boyfriends entsprach. Gutaussehend, rätselhaft und Teil einer verborgenen, magischen Welt - das ist definitiv kein neues Konzept. Besser hätten mir beide definitiv gefallen, wenn Kira Licht auf die typischen YA-Klischees verzichtet hätte. Ich frage mich wirklich warum es immer notwendig ist, dass die Protagonistin teilweise zum naiven, verliebten Mädchen mutiert, während der männliche Love-Interest sich in seiner Bad-Boy Dunkelheit suhlt. Wer mir da definitiv über diese nervende Phase hinweggeholfen hat ist die kleine Evangéline. Die flauschige Riesenmotte bekommt von mir definitiv das Prädikat Buchhaustier des Jahres!
"Geht klar, Partner." (…) Partner. Was für ein blödes Wort. Ich lächelte knapp. Wir waren alles. Lügner, Verzweifelte, Verliebte, Eifersüchtige, Besitzergreifende und Zögernde. Nur Partner, eine reine Zweckgemeinschaft, waren wir garantiert nicht."
Am Ende folgt ein spannender Showdown, der einige Überraschungen und Wendungen bereit hält und in einem miesen Cliffhanger gipfelt. Damit ist natürlich klar, dass diese Geschichte noch lange nicht zu Ende erzählt wurde und noch viele spannende Leseabenteuer auf uns warten. Ich freue mich auf jeden Fall sehr auf den nächsten Teil!
"Pass auf dich auf, Livia. Wenn man zu lange in den Abgrund blickt, blickt der Abgrund irgendwann zurück."
Fazit:
Eine rasante, humorvolle, spritzige Geschichte mit vielseitigem Setting, schlagfertigen Dialogen, kreativen Ideen, skurrilen Begegnungen und leiser Romantik. Eine prickelnde Mischung aus Sagen der Antike und Urban Romantasy, welche zwar kurzzeitig ins Klischeehafte abrutscht, dennoch Lust auf mehr macht!