Manchmal, wenn man Dinge einfach betrachtet, wenn man einfach still dasitzt und die Welt existieren lässt - dann, ich schwöre es, bleibt die Zeit manchmal für einen winzigen Augenblick stehen und die Welt hält in ihrer Drehung inne. Nur einen Augenblick lang. Und wenn es irgendeine Möglichkeit gäbe, in diesem Augenblick zu leben, würde man ewig leben.
--
INHALT:
Die junge Lena lebt in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der die Liebe als Krankheit identifiziert wurde und deren Heilung für das Land daher oberste Priorität hat. Kurz nach dem 18. Geburtstag erhalten alle Bürger einen Eingriff, der sie für das Gefühl unempfänglich macht. Auf diesen Eingriff fiebert Lena schon lange hin und in wenigen Wochen wird es so weit sein. Doch dann begegnet sie Alex - zum ersten Mal spricht sie bewusst mit einem Vertreter des anderen Geschlechts und trotz ihrer Angst muss sie sich eingestehen, dass er ihr gefällt. Sie scheint krank zu werden. Aber kann etwas, das sich so gut anfühlt, denn schlecht sein?
MEINE MEINUNG:
SCHREIBSTIL
Lauren Oliver hat einen sehr einnehmenden, angenehmen Stil, das hat sie schon in ihrem Debüt unter Beweis gestellt. Ihre Dialoge sind glaubwürdig und regen zum Nachdenken an, die Beschreibungen von Lenas Angst vor einer Ansteckung sind manchmal klar und nüchtern, manchmal poetisch und bedrückend. Wo sie jedoch auf Gefühle intensiv eingeht, fehlt der Rest, insbesondere Umgebung und dystopisches System werden einem kaum näher gebracht.
CHARAKTERE
Lena ist über weite Strecken eine überaus passive Protagonistin. Obwohl sie als Kind die Liebe einer Mutter erfahren durfte - etwas, das es seit dem Heilmittel nicht mehr gibt -, klammert sie sich verzweifelt an das System und fürchtet sich schon davor, überhaupt in eine andere Richtung zu denken. Sie sträubt sich intensiv gegen Regelverstöße und macht ihrer besten Freundin Hana, die sich ausprobieren will, immer wieder Vorwürfe. Da wirkt es sehr inkonsistent, dass sie bereits nach der zweiten Begegnung mit Alex alles über den Haufen wirft und mehr oder weniger ihren Charakter endet, regelrecht rebellisch wird. Es braucht also mal wieder einen Mann, damit die Frau über sich hinaus wächst. Na sowas! Alex ist durchaus ein netter Kerl: Einfühlsam und gefühlvoll weicht er vom Klischee des Bad Boys ab. Herzklopfen löst er aber keines aus.
STORY
Die Idee, dass die Liebe in der Zukunft als Krankheit und Wurzel allen Übels angesehen wird, folglich also geheilt werden muss, ist durchaus originell und interessant. Sie erfordert aber auch plausible Erklärungen, und an denen hakt es hier besonders. Dass die Menschen bei Einführung des Eingriffes in Scharen zu den Krankenhäuser geströmt sind, muss doch einen Auslöser haben - der nie genannt wird. Kein großes weltbewegendes Ereignis oder schreckliches Geschehnis, das auf das Gefühl zurückzuführen ist. Nur die Aussage: Die Liebe ist eine Krankheit. Ende, mehr Erklärungen gibt es nicht. Menschen werden getötet oder inhaftiert, wenn sie sich weigern oder fliehen, was keinerlei Sinn ergibt, wo die Krankheit doch gar nicht ansteckend ist - genauso benehmen sich jedoch alle. Die Bibel wurde umgeschrieben und der neuen Wahrheit angepasst und jeder glaubt dieser neuen Geschichte - wie lange muss die Veränderung dann her sein? Der Weltentwurf ist löchrig und voller Ungereimtheiten, weshalb er einfach nicht überzeugen kann.
UMSETZUNG
Besonders problematisch finde ich aber, dass nur angerissen wird, was für Konsequenzen eine so lieblose Erziehung haben muss, wie sie die Kinder hier erfahren. Durch Lenas junge Nichten, die sich beide nicht ihres Alters entsprechend verhalten - die eine zynisch und grausam, die andere stumm -, wird deutlich, dass so ein Leben Folgen hat. Trotzdem geht dieser Aspekt in dem großen Freiheitsgedanken unter. Selbstbestimmung ist wichtig, ja, aber sie ist hier die einzige treibende Kraft. Nicht einmal denkt Lena an ihre Nichten und was dieses Leben für sie bedeuten muss oder daran, die kleine Grace davor zu beschützen. Letztendlich ist das Ganze doch wieder nur die Suche nach der wahren Liebe, keinesfalls eine Gesellschaftskritik. Das ist schade, denn so bleibt das Ganze immer nur an der Oberfläche.
FAZIT:
Lauren Oliver ist eine überaus beliebte Autorin, aber mein Fall sind ihre Bücher wohl nicht. Nach ihrem Debüt hat mir der Auftakt ihrer Dystopien-Trilogie sogar noch weniger gefallen. "Delirium" ist mir nicht durchdacht und plausibel genug, es kommt über weite Teile keine Spannung und kein Verständnis für die Figuren auf, und auch Tiefe lässt es vermissen. Diese Reihe werde ich nicht weiterverfolgen. Knappe 2 Punkte.