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Veröffentlicht am 09.08.2021

Bewährungen für die jungen Reiter

Bille und Zottel Bd. 03 - Mit einem Pferd durch dick und dünn
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Vor zwei Wochen war Billes dreizehnter Geburtstag, mit dem der Vorgänger dieses dritten Buchs der Reihe abgeschlossen hat und zu dem Zottel endlich ihr eigenes Pony wurde. An diesem Dezembertag findet ...

Vor zwei Wochen war Billes dreizehnter Geburtstag, mit dem der Vorgänger dieses dritten Buchs der Reihe abgeschlossen hat und zu dem Zottel endlich ihr eigenes Pony wurde. An diesem Dezembertag findet der Umzug statt in Onkels Pauls umgebautes Junggesellenhaus, und alle helfen mit. Die große Schwester Inge wird mit ihrem Verlobten in das alte Haus ziehen. Bille erhält inzwischen Reitunterricht bei Herrn Tiedjen nicht mehr allein, sondern mit allen Henrich-Kindern, dabei muss Florian lernen, was passiert, wenn man sich nicht richtig um sein Pferd kümmert, Billes Mutter Olga heiratet den Bauunternehmer Ossowsky – also Onkel Paul – und Zottel darf die Hochzeitskutsche ziehen.

Die Geschichte ist wieder sehr kurzweilig, von einer mit Zahnpasta verzierten Hochzeitstorte, über gutes Taschengeld bei Schneeverwehungen für die jungen Reiter, bis hin zu einer Entführung von Zottel und der Geburt des Fohlens Sindbad, bei der Bille dabei ist und der später ihr Flaschenkind wird.
Doch es wird auch dramatisch: Bei der Schneeschmelze bricht die Schleuse bei Ostendorf, Häuser müssen evakuiert werden. Die fünf Reiter und Karlchen retten ein 12jähriges Mädchen und ihre beiden kleinen Geschwister vor den Fluten samt Schweinen, Kühen, Schafen, Hühnern und Hund. Danach helfen sie beim Wiederaufbau, bis sie realisieren, wie schlim alle Kleinkinder des Ortes getroffen sind: Der Kindergarten ist unbrauchbar geworden. Dafür wollen sie Spenden sammeln. Doch auch Streiche kommen nicht zu kurz, als die ungeliebten „Schröder-Kinder“ zu Besuch kommen, die drei Kinder einer Jugendfreundin von Frau Henrich. Mit einem „Florian-Henrich-Geburtsritt“ als Wettbewerb sollen die drei verzogenen Angeber auf Normalmaß zurechtgestutzt werden, und auch Zottels Paradestück aus Zirkuszeiten, die „Schöne blaue Donau“ darf nicht fehlen.

Wieder lustig und unterhaltsam, es war mir nur der Trupp um Bille dieses Mal irgendwie „zu gut“, mit diesem „wir sind Reiter, also sind wir nicht so dumme Weicheier“-Modus. Aber nur ein ganz klein wenig…es fehlte ein wenig dieses unverkrampft-freche der Vorbände?!
4 ½ Sterne.

Auch hier wieder eine Anmerkung, wie beim Vorband, zum Zeitgeist: Bille nennt den Jugendfreund der Mutter "Onkel Paul". Auch, als der ihre verwitwete Mutter heiratet. Gefällt mir - er wird nicht ihr neuer "Vati", er war schließlich schon vorher ein väterlicher Freund. Das zogen Autoren in anderen Büchern aus den 70ern und erst recht davor noch ganz anders durch, ohne Rücksicht auf Verluste.

zu den Protagonisten der Vor-Bände kommen dazu:
ein junger Feuerwehrhauptmann
einige Männer vom THW
die zwölfjährige Lieselotte
ihr kleiner Bruder Jan

Bauer Clausen
Ursel, eine Schulkameradin
Musiklehrer Schaper

Frau Schröder, eine Schulfreundin von Charlotte Henrich, der Mutter der drei Henrich-Söhne
Herr Schröder, ihr Mann
Brigitte, 15, Tochter der Schröders
Bernhard, 14, Sohn
Jochen, 13, ebenfalls
Wodrich, der Stallbursche der Schröder-Pferde

Hanibal, brauner Wallach
Yvette, Hannoveraner Apfelschimmelstute
Mambo, Holsteiner

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Veröffentlicht am 01.05.2020

Wenn der Ermittler selbst dem Verbrechen nahe steht

Die Fährte des Wolfes
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Stockholm 2014. "Die Körper liegen in unnatürlichen Stellungen, die Hosen heruntergezogen, das Geschlecht zerschossen, und die Luft ist schwer von Kot, Blut und Urin." Vier asiatische Frauen wurden ermordet, ...

Stockholm 2014. "Die Körper liegen in unnatürlichen Stellungen, die Hosen heruntergezogen, das Geschlecht zerschossen, und die Luft ist schwer von Kot, Blut und Urin." Vier asiatische Frauen wurden ermordet, gemeldet von einem einem anonymen Anrufer. Die Sondereinheit der Polizei um den 27jährigen Kriminalinspektor Zack Herry ermittelt, landet im Milieu thailändischer Massagestudios, die als Tarnung für mehr dienen, dann weiter im Bereich von Biker- und Bandkriminalität, Menschenhandel, Erpressung, Zwangsprostitution, Rassismus. Doch welche der Spuren führt zum Täter? Da scheinen Biker und eine türkische Gang zu konkurrieren, dort werden menschenverachtende Parolen in einem nationalistischen Forum geäußert. Als eine Frau mit zerfetzten Beinen vor einem Krankenhaus buchstäblich abgeworfen wird, ist klar, dass hier jemand zu bestialischen Taten in der Lage ist, im wahrsten Sinne des Wortes. Und zusätzlich droht sein Drogenkonsum, den er bisher strikt in die Freizeit schieben konnte, Zack zu entgleiten.

Warnung: harter Tobak. Gewalt, auch sexueller Art, auch Gewalt gegenüber Minderjährigen - und das trifft es nur im Ansatz.

Zacks Mutter, selbst Polizistin, wurde als nur 30jährige in einem Tunnel erstochen, während sie an ihrem ersten Fall als Mordermittlerin arbeitete - ein Chirurg war umgekommen, weil sich angeblich ein Schlauch an einem Gasherd gelöst hatte. Beide Fälle wurden nie aufgeklärt und zerstörten Zacks Kindheit, als seinem chronisch kranken Vater nach dem Tod der Ehefrau der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Durch den Umzug in eine schlechtere Gegend lernte Zack seinen bis heute besten Freund kennen, Abdula Kahn, aufgrund eines Fehlers der Behörden bis heute als Abdulah Khan geführt. Vom Tod seiner Mutter kamen die Albträume, von Abdula die Drogen dagegen.

Ich bin zwar sehr übersättigt mit "gebrochenen Ermittlern", aber dieser rote Faden eines Falles hinter und neben den Fällen durch wohl mehrere Bände gefällt mir; dieses ist Band 1 der Reihe, ich werde das also noch weiter probieren, der nächste Band ist schon vorgemerkt (Edit: ach ja. Ich dachte doch, Teile zu kennen: Band zwei hatte ich schon vor einiger Zeit gelesen). Zack lebt in einer sehr seltsamen Zwischenwelt, der Job ist ihm wichtig, er scheint ein loyaler Kollege zu sein und kümmert sich rührend um die 11jährige Tochter seiner depressiven Nachbarin - Ester erinnert ihn spürbar an sich selbst. Gleichzeitig tanzt er die Nächte auch unter der Woche in illegalen Clubs durch, kokst, nimmt Amphetamine, lebt in einer Beziehung mit einem reichen Töchterchen, das in seltsamer Weise damit zu spielen scheint, es auf die besonders harte Tour zu mögen. Generell würde die Hälfte des Teams um Zack für Dienstaufsichtsbehörden interessant sein - aber ich mochte diesen Trupp irgendwie.

Dazwischen gibt es immer wieder einen Kniff, den ich nur aus TV-Serien kannte: Da wird zu einer bestimmten Zeit reihum in die Leben der Personen „gezoomt“, also zum Beispiel zu dem, was die gerade abends tun. Irgendwie cooles Konzept.

Gefiel mir. 4 ½ Sterne.

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Veröffentlicht am 24.07.2019

"Das Wagnis eingehen oder nicht...dieses ewige Dilemma."

Rotkehlchen
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Der norwegische Polizist Harry Hole tut das Falsche aus den richtigen Gründen und wird weggelobt, um die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren. Da sein neuer Job aus einer Beförderung mit mehr Gehalt ...

Der norwegische Polizist Harry Hole tut das Falsche aus den richtigen Gründen und wird weggelobt, um die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren. Da sein neuer Job aus einer Beförderung mit mehr Gehalt und mehr Langeweile besteht, verbeisst er sich in eine Meldung, dass in einer ländlichen Gegend Schüsse gehört und Patronenhülsen gefunden wurden. Bei der Waffe handelt es sich um eine Märklin – das beliebteste Werkzeug für Attentate. Bald stochert Harry herum in einem Fall, der weit in die Vergangenheit Norwegens zurückreicht, in die Zeit der deutschen Besatzung, in der es zwar Widerstandsgruppen wie den Milorg gab, aber auch viele vom Nationalsozialismus begeisterte Norweger. Daher oder einfach zur Verteidigung der Heimat ("lieber Hitler als Stalin") meldeten sich viele Norweger freiwillig für Hitlers Armee. Die Jagd, auf die sich Hole begibt, ist hochspannend und gefährlich.
https://de.wikipedia.org/wiki/Milorg
https://de.wikipedia.org/wiki/Ausl%C3%A4ndischeFreiwilligeder_Waffen-SS#Norwegen
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/terje-emberland-ueber-die-norwegische-legion-14300344.html

"[Er] schrieb, dass der Neonazismus, der in ganz Europa während des wirtschaftlichen Aufschwungs der neunziger Jahre zurückgedrängt worden war, jetzt erneut mit frischer Kraft aufblühe. Ein Kennzeichen dieser neuen Welle sei, dass sie stärker ideologisch fundiert sei. Während es bei dem Neonazismus in den achtziger Jahren vor allem um Mut und Gruppenzugehörigkeit gegangen sei, mit uniformähnlicher Kleidung, rasierten Köpfen und archaischen Schlagworten wie "Sieg Heil", sei die neue Welle stärker organisiert. Sie habe einen finanzkräftigen Background und basiere nicht so sehr auf einzelnen vermögenden Anführern oder Sponsoren. Außerdem sei die neue Bewegung nicht bloß eine Reaktion auf bestimmte Phänomene der Gesellschaft, wie die Arbeitslosigkeit oder die Einwanderung ... . Es gehe ihr vielmehr auch darum, eine Alternative zur Sozialdemokratie aufzuzeigen. Das Stichwort sei Aufrüstung: moralisch, militärisch und rassenmäßig. Der Niedergang des Christentums wure als Beispiel für den moralischen Verfall angeführt, neben der Ausbreitung des HI-Virus und dem steigenden Drogenmissbrauch. Und auch das Feindbild sei teilweise neu: Die EU-Vorkämpfer, die die nationalen Grenzen und die Grenzen der Rassen durchbrächen, die NATO, die den russischen und slawischen Untermenschen die Hand biete, und der neue asiatische Kapitaladel, der die Rolle der Juden als Bankiers der Welt übernommen habe." Teil III Urias

So klar ließ das Autor Jo Nesbø eine seiner Figuren schreiben. Das Buch ist von 2000 (deutsche Übersetzuung 2003), und wenn man sich Deutschland 2019 ansieht, damals schon erschreckend deutlich in der Aussage, vor der mir viele heute den Kopf in den Sand zu stecken scheinen.

Harry Hole ist eine schwierige Person, Alkoholiker, meistens trocken, genial, aber nicht sehr talentiert im Umgang mit Menschen. Harry ist gut. So sieht er im Wald die Bäume, als er wegen der Patronenhülsen ermittelt:
"Nein, ich meine, ob ihr die vier Stümpfe dort hinten überprüft habt."
"Und warum sollten wir gerade die angucken?" ...
"Weil Märklin das größte Jagdgewehr der Welt produziert hat. Ein Gewehr von fünfzehn Kilo Gewicht lädt nicht gerade zum Schießen im Stehen ein. Man sollte also davon ausgehen, dass er sich hier auf dem Stein abgestützt hat. Das Märklin-Gewehr wirft die Hülsen auf der rechten Seite aus. Wenn die Hülsen also auf dieser Seite des Steins lagen, hat er in die Richtung geschossen, aus der wir gekommen sind. Es wäre also nicht erstaunlich, wenn er irgendein Zielobjekt auf den Stümpfen dort platziert hätte, nicht wahr?"

Nesbø lässt das Heute mit Harry Hole in den Jahren 1999 und 2000 wechseln mit der Perspektive eines alten Mannes, der eine Waffe kauft und sich zurückerinnert an die Kriegsjahre an der Ostfront und in Wien, ebenso aber mit verschiedenen anderen Protagonisten. Die Wechsel erfolgen dabei besonders im fortgeschrittenen Teil des Buch oft rasant:
"Noch einmal sah er auf seine Uhr. Wo, zum Teufel, blieb er?
Bernt Brandhaug drehte das Glas in seiner Hand und sah erneut auf seine Uhr.
Wo, zum Teufel, blieb sie?"
... der Wechsel kommt hier vor Bernt Branthaug. Das erfordert Konzentration, peitscht aber auch die Spannung hoch.

Dazu kommen die persönlichen Verwicklungen, zum einen ist Harry tief betroffen wegen Ellen, zum anderen trifft ihn Amors Pfeil höchst unerwartet. "Er hatte Lust, sie zu fragen, wohin sie musste, wo sie arbeitete, ob ihr der Job gefiel, was sie sonst noch mochte, ob sie einen Lebensgefährten hatte, ob sie sich vorstellen könne, mit ihm auf ein Konzert zu gehen, auch wenn es nicht Raga wäre." Nach einer Stunde neben einer Frau, von der er nicht einmal den Namen weiß…

Insgesamt fand ich das ganze ein rundes Paket, ich habe dazu etwas Norwegen und den Zweiten Weltkrieg gelernt, da ich vorher nur über die Besatzung wusste, nicht jedoch über die Freiwilligen. Ich höre zufällig parallel ein Buch mit dem gleichen Setting, Norwegen, heute, damals, Widerstand und Nationalisten, und bin gespannt auf den Vergleich (Gard Sveen). Die Romanze von Hole war mir nicht zu dominant, die einzelnen Stränge wurden für mich zufriedenstellend aufgelöst, etwas mit dem Gefühl von „das gab es ja EIGENTLICH ausreichend Andeutungen“… Ich halte das gut für eine Leserunde geeignet, weil viele Punkte aufgeworfen werden, die sich für eine Diskussion eignen, zu Schuld, Verantwortung, Verpflichtungen aus Liebe. Darüber hinaus gibt es Stränge, über die der Leser besser Bescheid weiß, als die überlebenden Protagonisten, und die zum Teil unaufgeklärt bleiben – auch das wirft Fragen auf (der „Prinz“, Rakel, Brandhaug). Einzig die etwas übereinandergeschachtelte psychologische Komponente bezüglich des Täters und seiner Motivation, das war mir etwas zu dick, wenn auch in sich logisch durchgezogen. 4 ½ Sterne.

Veröffentlicht am 10.06.2019

Hercule Poirot kriecht in den Kaninchenbau

Der Ball spielende Hund
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O: Numb Witness, 1937, Juli; in den USA im selben Jahr als "Poirot Loses a Client". Der 21. Kriminalroman von Agatha Christie ist der 14. mit Poirot. Er wird ab dem 5. Kapitel erkennbar von Hastings erzählt, ...

O: Numb Witness, 1937, Juli; in den USA im selben Jahr als "Poirot Loses a Client". Der 21. Kriminalroman von Agatha Christie ist der 14. mit Poirot. Er wird ab dem 5. Kapitel erkennbar von Hastings erzählt, was nach diesem Buch nur noch ein Mal passiert, in "Vorhang" / "Curtain", dem letzten Poirot.
In deutscher Erstübersetzung durch Anna Schober erschien das Buch 1938 im Talverlag, vergleiche Wikipedia; mein Exemplar ist von Scherz 1983 - ohne Angabe zum Übersetzer, wohl weiterhin von der ursprünglichen Übersetzerin. Seit 2015 existiert eine Neuübersetzung durch Christa Schuenke mit einem durch neue Rechtschreibung nach meiner Meinung verhunztem Titel "Der Ball spielende Hund" bei Atlantik (es besteht meiner Meinung nach zu Recht ein Unterschied in der Schreibweise beispielsweise bei "schönreden" - etwas schönreden, was es nicht ist - und "schön reden" - er kann schön reden).

Ich bin sonst kein großer Freund erster Sätze, hier muss es sein: "Emily Arundell starb am 1. Mai." S. 5, und weiter: "Sie war in jeder Hinsicht ein Kind ihres Zeitalter, dessen Vorzüge und Fehler sie teilte. Sie war selbstherrlich und oft anmaßend, aber auch ungemein warmherzig; sie hatte eine scharfe Zunge, aber ihr Wirken war voll Güte; hinter ihrer äußerlichen Sentimentalität verbarg sich großer Scharfsinn. Sie wechselte ziemlich häufig ihre Gesellschafterinnen und behandelte sie schroff, aber nicht knickerig. Und sie besaß einen lebhaft entwickelten Familiensinn."

Als ebendiese Miss Arundell einen seltsamen Unfall hat, kommen der älteren Dame Zweifel. Und so schrieb sie aus ihrem Heim "Haus Immergrün" in Basing, Berkshire, einen Brief an ihren Anwalt, um ihr Testament zu ändern - und einen an Hercule Poirot. Doch als Poirot den Brief erhält, ist seine Auftraggeberin bereits tot. Ihr Arzt bescheinigt einen natürlichen Tod aufgrund eines langjährigen Leberleidens.

Wieder einmal schreibt Agatha Christie hier ein Kammerspiel, bietet sich für den Mordversuch doch nur ein Mitglied oder Gast des Hauses an. Und überhaupt, sollte man ermitteln bei einem reinen Mord versuch? Doch Poirot hat natürlich eine andere Meinung als Hastings.

Mich hat dieser eher kurze Roman blendend unterhalten - ich hatte das Buch vor über zwanzig Jahren zuletzt gelesen und tatsächlich die Auflösung vergessen. Mein Mitraten hatte mich völlig auf die falsche Spur geführt, auch wenn ich einen Hinweis korrekt interpretiert hatte. Herrlich! Auch gefällt mir, dass Poirot hier nicht so abstoßend herablassend gegenüber Hastings ist. Die weiter unten erwähnte Plotlücke war mir nicht selbst aufgefallen.

Zur Übersicht:

Hercule Poirot, der belgische Detektiv
Emily Arundell, das Opfer
Theresa Arundell, eine Nichte des Opfers - heute würde man sie als "Society Lady" oder gar "It-Girl" bezeichnen
Dr. Rex Donaldson, Theresas Verlobter, Arzt
Charles Arundell, ein Neffe des Opfers, Theresas Bruder
Bella Tanios, eine Nichte des Opfers - Cousine von Charles und Theresa
Dr. Jacob (in der deutschen Übersetzung Basil) Tanios, Bellas griechischer Ehemann und Arzt
Wilhelmina "Minnie" Lawson, die Gesellschafterin des Opfers
Captain Hastings, Poirots Gefährte
Geschwister Tripp (in einer deutschen Übersetzung auch Kipp), zwei Amateurspiritistinnen
Caroline Peabody, eine zweite alte Dame
Dr. Grainger


Referenzen:
S. 68/Kapitel 11: Poirot's Reisen in Syrien und Irak - das referenziert zu "Mord in Mesopotamien" und "Mord im Orientexpress"/"Der rote Kimono"

Die Geschichte basiert auf einer Kurzgeschichte, die als verschollen galt (siehe englischsprachige Wikipedia): "The Incident of the Dog's Ball" wurde 2004, also nach Christie's Tod, von deren Tochter auf dem Dachboden gefunden und veröffentlicht in John Curran : Agatha Christie's Secret Notebooks: Fifty Years Of Mysteries

Zeitgeist:
S. 9 "Denn Bella hatte einen Ausländer geheiratet, mehr noch - einen Griechen! Nach Miss Arundells voreingenommenenen Anschauungen war ein Grieche fast so unmöglich wie ein Neger oder Eskimo."

hm. Wikipedia kann ich entnehmen, dass "Basil Tanios" aus der deutschen Fassung im Original ein "Jacob Tanios" ist?! Antisemitismus oder der Versuch genau des Gegenteils bei der ersten Übersetzung?

Hm. Die Originalversion hat laut englischsprachiger Wikipedia wohl Kapitelüberschriften - dabei wurde Kapitel 18 von "A Nigger in the Woodpile" später geändert in "A Cuckoo in the Nest"

Übrigens war so mit zwölf, dreizehn es für mich nicht wenig verlockend, später so eine "alte Jungfer" zu werden wie Miss Arundell oder Miss Marple, auf jeden Fall mit Gesellschafterin, Hund und Putzfrau. Dieses Buch hier stellt das wirklich verlockend dar (okay, abgesehen davon, ermordet zu werden)

Trivia:
was in keiner Wikipedia erwähnt wird: ich sehe hier Referenzen zu Arthur Conan Doyle, durchaus nicht untypisch für Christie, schon in der Person des Hastings (Watson). Auch in "Der Hund von Baskerville" ist ein Hund, der nicht bellt, ausschlaggebend für die Aufnahme von Ermittlungen, richtig?

Wikipedia: "Christie widmete diesen Roman ihrem Foxterrier Peter, der auch auf dem Cover der englischen Originalausgabe abgebildet ist. Der Hund starb ein Jahr nach Veröffentlichung des Romans mit 14 Jahren. Auch der Roman "Der blaue Express" enthält eine Widmung an ihn. " Wer bitte erdreistet sich, bei den deutschen Übersetzungen diese Widmungen praktisch komplett zu unterschlagen?

Die englischsprachige Wikipedia verrät, dass es Ausgaben gibt, bei denen der Sohn der Tanios nicht durchgängig Edward heißt (Kapitel 2, 6 und 17), sondern teils John (Ende Kapitel 16, Anfang Kapitel 17) - das wurde in die deutsche Übersetzung nicht übernommen, wie von mir gerade nachgeprüft

Ähnliches gilt für Bellas Mädchennamen auch nur für die englischsprachige Version - sie heißt zu Beginn in Kapitel 1 "Bella Winter", dann in Kapitel 10 "Bella Biggs" - in der deutschen Version wird Biggs durchgängig genutzt
(ich benötige also auch hier die Originalversion)

Plotlücke: wer kann nachts mit Hammer, Nägeln und Lack in der Nähe eines Schlafzimmers arbeiten?

Veröffentlicht am 12.05.2019

Vergangenheit

Blind
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Schritt eins: App laden (gratis, keine In-App-Käufe): https://www.bemyeyes.com/language/german
Be My Eyes, dort registrieren als Sehender oder Blinder/Sehbehinderter. Wer blind oder sehbehindert ist, startet ...

Schritt eins: App laden (gratis, keine In-App-Käufe): https://www.bemyeyes.com/language/german
Be My Eyes, dort registrieren als Sehender oder Blinder/Sehbehinderter. Wer blind oder sehbehindert ist, startet die App und fragt zum Beispiel, ob das vor einem zueinander passende Socken sind, was auf dem Klingelschild steht oder wohin die Tablette gekullert ist. Wer sieht, bekommt als Teil einer von der App getroffenen zufälligen Auswahl verfügbarer Helfer eine Anfrage zugewiesen, hat eventuell gerade Zeit, meldet sich zuerst und beantwortet die Frage mit Hilfe der Kamera des Gegenübers.
In meiner Familie gibt es eine Augenkrankheit, durch die man irreparabel Schaden am Sehnerv nimmt. Noch ist nicht eindeutig, ob ich später betroffen sein werde.

Schritt zwei: Buch kaufen

So macht das hier auch Nathaniel, als elfjähriger nach einer Familientragödie erblindet, und erfährt von Carole, welches das blau karierte Hemd ist. Doch plötzlich hört er noch etwas anderes, ein Kreischen, ein Rumpeln, ein schleifendes Geräusch. Die Verbindung bricht ab. Nathaniel weiß, dass etwas nicht stimmt, doch niemand glaubt ihm. Verzweifelt wendet er sich an die TV-Reporterin Milla Nova; gemeinsam kommen sie tatsächlich weiter. Doch etwas stimmt nicht…

Dieser als Krimi deklarierte Roman ist mindestens vom Tempo her eher ein Thriller, kein Whodunnit. Ich habe die Seiten in einem Tag verschlungen, bin den verschiedenen Wendungen und neuen Informationen nachgehechelt wie Blindenhündin Alisha, habe gegenüber meinem Umfeld mit mangelnder Auskunftsbereitschaft geglänzt wie Millas Freund, der Polizist Sandro („geht gerade nicht, ist spannend“). Mir gefielen die Charakterzeichnungen, besonders Nathaniel und Veronika, der Handlungsort Bern, die Sprache: „Nathaniel hatte sich nichts anmerken lassen. Hatte seine Emotionen zu einem Knäuel zusammengeknetet und hinuntergewürgt, wie er es immer tut, wie das alle machen in dieser Familie, die nicht die seine ist.“ S. 58

Was mir nicht gefiel: ich ahnte, dass da bald Stränge zusammengeführt werden (ohne zu spoilern geht das nicht genauer) – kurz vor Ende war das dann auf den letzten 40, 45 Seiten recht klar. Das ist jetzt bei reiner Handlung (der Rest ist Widmung) bis Seite 443 nicht arg tragisch und wird zu gewissen Teilen ausgeglichen durch die „Action“, die stattdessen spielt, war mir aber im Gegensatz zum sonst richtig starken Buch ein etwas zu glatter Schluss (mit Entschuldigung an Millas und Alishas Waden). Mein Fehler ist vermutlich, nach Andreas Pflügers „Endgültig“ mit dessen blinder Protagonistin ein paar sehr sehr große Fußstapfen im Hinterkopf gehabt zu haben. Der Vergleich ist gemein für Autorin Christine Brand und wird beiden Büchern nicht gerecht.

Vor die Inselfrage gestellt, würde ich zwar immer noch Andreas Pflügers Werk mitnehmen – aber auf eine Schmuggeloption für Christine Brand hoffen…
4 ½ Sterne (der Vergleich zu Pflüger mit 6 - leider hypothetischen - Sternen)