REZENSION – „Maigret, Telefon für Sie.“ Gleich der erste Satz in dem kürzlich im Kampa-Verlag veröffentlichten Roman „Lacroix und die Toten vom Pont Neuf“, dem Krimidebüt eines geheimnisvollen, unter dem Pseudonym Alex Lépic schreibenden deutschen Schriftstellers (39), zeigt uns, womit wir es zu tun haben: Der augenzwinkernde Krimi ist eine Verbeugung vor Georges Simenon (1903-1989) und dessen Figur Kommissar Maigret. Held des aktuellen Romans ist Commissaire Lacroix, der „beste Kommissar von Paris“, doch in seinen altmodischen Marotten und seinem Äußeren dem literarischen Vorgänger zum Verwechseln ähnlich. Kein Wunder also, dass die Lehrerin einer Schulklasse vor dem ebenfalls im Kommissariat untergebrachten Polizeimuseum im fünften Arrondissement am linken Seineufer diesen Kommissar in Hut und Mantel und Pfeife im Mund anstarrt, als er mit seinem Mitarbeiter Paganelli das Gebäude verlässt. Paganelli, schlagfertig wie so oft, nutzt ihr Staunen: „Schauen Sie ruhig hin, das ist er. Direkt aus dem Museum: unser Commissaire Maigret. Wir müssen ihn uns kurz für eine Ermittlung ausleihen. Aber keine Sorge, wir bringen das wichtigste Exponat nachher wieder zurück.“ Jetzt wissen wir es: Lacroix ist der neue Maigret!
Gerade aus dem Urlaub zurück, wird Lacroix vom Vorgesetzten mit der Aufklärung eines Mordfalles beauftragt: „Ein toter Clochard. Und um das Klischee vollständig zu bedienen: Er liegt unter dem Pont Neuf.“ Autor Alex Lépic scheut sich also nicht, selbst von Klischees zu sprechen, von denen er in seinem Roman reichlich Gebrauch macht. Doch was in anderen Romanen stört, nimmt man hier in Erinnerung an die Maigret-Klassiker gern an. Es gibt sogar gleich drei Tote in drei Nächten, alle ermordet unter den Brücken der Seine. Schnell erinnert sich die Pariser Öffentlichkeit an eine vergleichbare Mordserie vor 30 Jahren. Lacroix versucht nun wie sein „Vorbild“ mit Intuition und Menschenkenntnis die Mordfälle aufzuklären, was ihm binnen weniger Tage natürlich gelingt.
Fast scheint es, als arbeite Lacroix nur selten im Kommissariat. Ständig begleiten wir ihn, wenn nicht direkt im Außeneinsatz, bei seinen Spaziergängen in der Altstadt auf den Boulevards, am Ufer der Seine oder bei seinen regelmäßigen Abstechern in Brasserien und Cafés, vor allem in sein Stammbistro „Chai de l’Abbaye“. Hier trifft sich Lacroix nicht nur täglich mit Freunden oder sogar zum Gespräch mit Zeugen. Hier nimmt er auch wichtige Anrufe entgegen oder telefoniert selbst. Denn Lacroix verabscheut Handys und die modernen Technologien. Kollegen, sogar sein Vorgesetzter und seine Ehefrau kennen seinen Tagesrhythmus und rufen, wenn sie ihm Wichtiges mitzuteilen haben, kurzerhand im „Chai“ an, weshalb sich dessen Wirtin Yvonne nicht selten und nur scheinbar widerwillig wie seine Sekretärin fühlt. Doch sie hilft ihm gern, ist sie doch seine Vertraute, akzeptiert seine schrulligen Gewohnheiten, weiß genau, wann Lacroix etwas zu essen wünscht oder seine Ruhe braucht, um über den aktuellen Fall zu grübeln.
Mit „Lacroix und die Toten vom Pont Neuf“ ist dem Kampa-Verlag ein lesenswerter Überraschungscoup gelungen, der nahtlos an jene Maigret-Klassiker anschließt, die vom Verlag gerade in neuer Übersetzung herausgegeben werden. Wir dürfen deshalb schon auf „Lacroix und der Bäcker von Saint-Germain“ gespannt sein, den zweiten Band der Lacroix-Reihe, der für März angekündigt ist.