Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.08.2019

Absolut schräg

Letzte Rettung: Paris
0

Ähnlich einem Sittenspiel aus vergangenen Zeiten beginnt diese Mutter-Sohn-Story, die als skurril zu bezeichnen eine Untertreibung wäre! Wobei der Autor Patrick de Witt tatsächlich weder Epochen ...

Ähnlich einem Sittenspiel aus vergangenen Zeiten beginnt diese Mutter-Sohn-Story, die als skurril zu bezeichnen eine Untertreibung wäre! Wobei der Autor Patrick de Witt tatsächlich weder Epochen noch Jahreszahlen nennt, wodurch man als Leser lediglich Vermutungen anstellen kann. Jedenfalls spielt sie nicht im Hier und Jetzt, denn außer Telefonen spielt die Kommunikationstechnologie keine Rolle und die Protagonisten reisen per Schiff - eine Zeitspanne zwischen beiden Weltkriegen oder auch nach dem Zweiten Weltkrieg erscheint mir denkbar.

Frances und Malcolm Price leben vom mehr als üppigen Erbe des Ehemannes bzw. Vaters in Saus und Braus, bis dieses komplett aufgebraucht ist. Der Start in ein neues, auf gewisse Weise nicht minder dekadentes Leben in Paris steht an. Die ganze Story um die Schiffsreise des bankrotten Gespanns nach Frankreich und des dortigen Lebens im Kreise alter und neuer Bekannter - die ebenfalls alle einen gehörigen Knall haben, jeder auf seine Art - ist vollkommen absurd, in ihrer Absurdität jedoch durchaus schlüssig. Auch die Begleitung durch einen Kater namens "Kleiner Frank", laut Frances die Reinkarnation ihres längst verstorbenen Gatten ist stimmig und gewinnt innerhalb der Handlung zentrale Bedeutung. Auf recht unvorhersehbare Art und Weise, versteht sich - wie eben alles in diesem Werk unvorhersehbar und auch nicht unbedingt im klassischen Sinne logisch bzw. sofort einleuchtend ist. Doch dem Autor gelingt es, alles übersichtlich zu halten. Auch wenn am Ende so einiges offen bleibt. Gewissermaßen sogar das Wesentliche. Aber selbst das fügt sich stimmig ins Gesamtkonzept.

Eine richtig schräge, aber in sich ausgesprochen stimmige Geschichte, die einerseits fast etwas Märchenhaftes hat, andererseits wieder - auch wenn von einem Amerikaner verfasst - nur so vor britischem Humor strotzt. Ja, die Protagonisten Frances und ihr Sohn Malcolm sind völlig von der Rolle in einer Art, wie man es von den britischen Exzentrikern kennt. In diesen hat - so scheint es - der kanadische Autor Patrick de Witt seine Meister für das vorliegende Werk gefunden.

Ein unterhaltsames, stilistisch ausgefeiltes Werk, das gewissermaßen eine Karikatur seiner selbst ist. Obwohl viele Fragestellungen für den Leser offen bleiben - zumindest ging es mir so - gibt es einen klaren Schluss, der morbider nicht sein könnte. Etwas für Liebhaber von Werken wie Isabel Bogdans "Der Pfau". Wenn es hier auch noch um Einiges extremer zugeht - in vielerlei Hinsicht.

Ein kleiner, amüsanter Roman, der mit seiner Leichtigkeit, ja Unbekümmertheit in gewissen durchaus prekären Situationen fasziniert und ein passendes Geschenk für viele Gelegenheiten ist, wobei man den Adressaten schon gut kennen sollte. Es sollte jemand sein, der für Späße der gehobenen und zugleich extremen Art, aber auch für Extravaganzen und vor allem für Überraschungen zu haben ist. Denn eines ist dies sicher nicht - ein Buch für Jedermann!

Veröffentlicht am 29.07.2019

Otto und sein Hofstaat

Otto
0

Otto ist ein Mann mit Geschichte. Und einer mit mehreren Vergangenheiten in verschiedenen Ländern. Mit unterschiedlichen Sprachen. Otto ist auch ein Despot - jedenfalls ziemlich oft. Und ein ...

Otto ist ein Mann mit Geschichte. Und einer mit mehreren Vergangenheiten in verschiedenen Ländern. Mit unterschiedlichen Sprachen. Otto ist auch ein Despot - jedenfalls ziemlich oft. Und ein Patriarch - eigentlich immer. Er wird von seinen Töchtern gleichermaßen geliebt und gehasst.

Vor allem Timna, seine Ältere und diejenige, aus deren Perspektive der Leser die Handlung erlebt, ist vollkommen auf ihn fixiert. Auch wenn er sie wahnsinnig nervt, springt sie immer, wenn er ruft. Zumindest fast immer. Dafür beleidigt er sie viel seltener als ihre jüngere Schwester Babi - immerhin ist sie seine Lieblingstochter. Auch, wenn auch Babi oft zugegen ist - zusammen bilden die Töchter sozusagen Ottos Hofstaat.

Otto ist weit gekommen in seinem Leben von Siebenbürgen in Rumänien nach Polen, dann ins gelobte Land - am Ende seines Lebens ist er in München gelandet. Denn Otto ist schwer krank und verbringt mindestens genauso viel Zeit im Krankenhaus wie in seinem kleinen Reihenhaus in einem Vorort von München. Otto ist Jude, er hat viel gelitten, viel erlebt und viel überstanden, letzteres verlangt er auch von seinen Mitmenschen, insbesondere den Töchtern. Er nutzt sie heftigst aus, sie haben stets bei Fuß zu sein, wenn er ruft - warum sind sie immer noch bereit dazu?

Ein kurzer, jedoch durchaus heftiger Familienroman, in dem sich die Protagonisten nicht nur einmal nahezu zerfleischen. Und in der Mitte - quasi als Dreh- und Angelpunkt - steckt Otto. Ich habe ihn nicht lieben gelernt im Handlungsverlauf, nein, eher habe ich gemeinsam mit Timna gelitten. Aber auch genossen, denn die Autorin hat eine faszinierende Art zu schreiben. Ich habe also während der Lektüre von und mit seinen Töchtern gelernt, mit Otto zu leben.

Man kann getrost sagen, dass Dana von Suffrin bereits in ihrem Debütroman stilistisch ihren eigenen Weg geht. Einen Weg voller Sarkasmus und schwarzem Humor, gelegentlich blitzt auch mal ein Strahl liebevolle Ironie hervor. So ist ein Roman entstanden, der gleichermaßen fordert und fasziniert-

Veröffentlicht am 26.07.2019

Das Dorf Ivy Hill im frühen 19. Jahrhundert

Die Braut von Ivy Green
0

Dies ist der letzte Teil einer Trilogie um das englische Dorf Ivy Hill in den 1820er Jahren: Hier leben die Freundinnen Mercy, Jane und Rachel. Während Rachel über ihrem Stand geheiratet hat und nun sozusagen ...

Dies ist der letzte Teil einer Trilogie um das englische Dorf Ivy Hill in den 1820er Jahren: Hier leben die Freundinnen Mercy, Jane und Rachel. Während Rachel über ihrem Stand geheiratet hat und nun sozusagen zur Haute Volée gehört, ist Jane Besitzerin eines Gasthofs und verwitwet. Mercy war jahrelang erfolgreich mit der Leitung einer Schule in ihrem ehemaligen Elternhaus, doch nun muss sie diese aufgeben: ihr Bruder hat geheiratet und möchte hier mit seiner Familie leben.

Und dieses "Männer zuerst" steht in der damaligen Zeit leider völlig außer Frage: Frauen sind sozusagen rechtlos und komplett auf ihre männliche Verwandtschaft angewiesen, außer sie haben Besitz geerbt.

Meist ist es jedenfalls so: Mercy bspw., die so lange selbständig tätig war, nimmt nun eine Stelle als Gouvernante an. Sie hat es mehr als gut getroffen, dennoch ist dies für sie ein gesellschaftlicher Abstieg. Aber es ergeben sich weitere zukunftsweisende Veränderungen und zwar nicht nur bei ihr, sondern auch bei den anderen Hauptfiguren und auch bei weiteren Akteuren.

Sehr angenehm ist die stets leicht mitschwingende christliche Komponente, die sich sehr gut in den sozialhistorischen Kontext des Romans einfügt - die Frauen und auch ihr Umfeld sind sich bewusst, dass sie gesegnet waren bzw. sind und dass vor Gott alle gleich sind. So erlaubt sich die Autorin Julie Klassen, den Leser mit der ein oder anderen gesellschaftskritischen Kapriole zu überraschen: sowohl Menschen, die aus beruflichen Gründen am Rande der Gesellschaft stehen, als auch solche, die sich aufgrund ihrer Herkunft dort befinden, spielen wieder und wieder eine Rolle. Es ist keine ideale Welt, sondern eine sehr realistische und man erkennt beim Lesen, dass die Autorin sehr gut recherchiert hat. Es wird verdeutlicht, dass bereits damals zu erkennen war (für die, die bereit dafür waren), dass vor Gott alle gleich sind und dass man dies auch in die breite Gesellschaft tragen kann und soll.

Als dritter Band einer Reihe sollte dieser tatsächlich nicht separat, sondern in der Folge gelesen werden, denn es geht um Entwicklungen in Ivy Hill über mehrere Jahre hinweg und es wäre schade, hier etwas zu verpassen. Ein kluger und eindringlicher Roman, wenn man als Leser bereit ist, die Botschaften der Autorin zu empfangen!

Veröffentlicht am 19.07.2019

Ende und Anfang mit Knall

Die Tage mit Bumerang
0

Ein harmonischer Tag in der Sonne endet mit einem Knall - und zwar einem richtig üblem. Einem, an dem Freundschaften zerbrechen können. Den hat Annu beim Autofahren verursacht. Und ihren besten Freunden ...

Ein harmonischer Tag in der Sonne endet mit einem Knall - und zwar einem richtig üblem. Einem, an dem Freundschaften zerbrechen können. Den hat Annu beim Autofahren verursacht. Und ihren besten Freunden Birte und Lars viel Kummer beschert - wird ihre Freundschaft trotzdem halten.

Sie wird auf jeden Fall hart auf die Probe gestellt, da sie alle in einem 87-Seelen-Dorf leben, das nun um drei davon ärmer wird - aufgrund des Unfalls. Und Annu hat ihre Bezugspersonen verloren. Die anderen Dörfler strafen sie, die Unfallverursacherin, ab, sie mobben sie förmlich. Doch aus heiterem Himmel ergeben sich für sie neue Kontakte - sowohl menschlicher als auch tierischer Art

Ein mitreißend geschriebenes, spannendes Buch, das ich nicht nur aufgrund seiner Kürze quasi in einem Zug durchgelesen habe. Ein winziges Dorf im Aufruhr, die von den Dörflern geächtete Annu in einer Art innerem Umbruch - ein Buch, das Widersprüche weckt, überlegen lässt, wie man selbst in dieser Situation handeln würde. Ein Buch über Freundschaft und deren Grenzen - das war es für mich.

Einiges ging ein bisschen schnell und dadurch für mich schwer begreifbar vonstatten, doch insgesamt passte es. Nicht immer fiel es mir leicht, die Protagonistin Annu als Sympathieträgerin zu sehen - doch andererseits empfand ich es als bereichernd, in ihr eine Romanheldin mit Biß, mit Ecken und Kanten und ja, auch mit Widersprüchen zu erleben. Aber ihre Autorin Nina Sahm meint es gut mit ihr - sie verpasst ihr - zwar nicht durchgehend, aber doch wieder und wieder - ein ungeheuer sympathisches Umfeld, angefangen mit ihrem atmosphärisch geschilderten Elternhaus über ihre langjährigen Freunde bis hin zu Zufallsbekanntschaften. Auch wenn all dieses Umfeld wieder und wieder auf die Probe gestellt wird. Ein kurzer Roman, in den man nichtsdestotrotz eintauchen, von dem man sich einfangen lassen kann - ein Genuss, den ich jedem Freund erfrischender neuer deutscher Literatur von Herzen empfehle!

Veröffentlicht am 08.07.2019

Wenn man vom Leben überholt wird

Die Dinge, die wir aus Liebe tun
0

Ein jeder hat sicher schon die Situation erlebt, dass das Leben ihm ein Schnippchen schlägt: man kann so gut planen und vorbereiten, wie man will, dennoch kommt alles anders als gedacht. Und irgendwann, ...

Ein jeder hat sicher schon die Situation erlebt, dass das Leben ihm ein Schnippchen schlägt: man kann so gut planen und vorbereiten, wie man will, dennoch kommt alles anders als gedacht. Und irgendwann, tja, da sieht man sich um und erkennt, dass man vom Leben selbst überholt wurde.

So ergeht es Angie Malone, die mit Conan ihre große Liebe geheiratet hat und auf eine langjährige Ehe zurückblickt. Eine Ehe, die leider trotz aller Versuche kinderlos geblieben ist. Angies ganzes Denken und Tun konzentriert sich auf diesen Kinderwunsch, bis sie auf einmal erkennen muss, dass zwischen ihr und Conan nichts geblieben ist.

Sie kehrt Seattle den Rücken und kehrt in ihre Heimat, eine Kleinstadt am Pazifik, zurück, wo ihre Mutter mit den beiden jüngeren Schwestern versucht, das italienische Familienrestaurant über die Runden zu bringen, das kurz vor der Pleite steht. Die Familie überredet sie, mit einzusteigen und bald lernt sie die junge Lauren - klug, ehrgeizig, aber ohne familiären Rückhalt - kennen.

Angie und Lauren finden einander sozusagen und schöpfen wieder Kraft - bis Lauren gewissermaßen aus der Bahn geworfen wird.

Kann sie gerettet werden bzw. sich selbst retten? Und wird Angie stark genug sein, sich noch ein weiteres Mal dem Leben zu stellen?

Ein warmherziger, mitreißender, stellenweise ein bisschen zu detailverliebter Roman über die Irrungen und Wirrungen, in die man im Laufe seines Lebens hineingerät. Nur dadurch, dass man es lebt. Also, das Leben als solches. Dies ist ein neu aufgelegtes Frühwerk der Autorin Kristin Hannah, das bereits eine Ahnung von ihrer gewaltigen Erzählkraft vermittelt. Leser, die Romane in der Art von Barbara Wood mögen, werden sicher Gefallen daran finden.