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Veröffentlicht am 21.08.2019

Mein Miroloi muss ich mir selber singen

Miroloi
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Auf einer abgeschiedenen Insel lebt eine Dorfgemeinschaft nach ihren eigenen strengen Regeln, die der Ältestenrat basierend auf der heiligen Khorabel vorgibt. Frauen dürfen nicht lesen und schreiben lernen, ...

Auf einer abgeschiedenen Insel lebt eine Dorfgemeinschaft nach ihren eigenen strengen Regeln, die der Ältestenrat basierend auf der heiligen Khorabel vorgibt. Frauen dürfen nicht lesen und schreiben lernen, Männer dürfen nicht kochen und singen. Moderne Geräte gibt es nur wenige, denn der Rat entscheidet, welche vom Händler gebrachten Waren auf der Insel bleiben dürfen. Auch dass die junge Frau, die einst vom Bethaus-Vater gefunden wurde, keinen Namen haben darf, wurde von ihm bestimmt. Die Dorfgemeinschaft grenzt sie aus und lässt sie ihre Verachtung spüren, denn sie soll Unglück bringen. Doch ihre Neugier ist groß und sie beginnt heimlich, die Regeln zu brechen.

Der Roman ist aus der Sicht namenlosen Frau geschrieben, die beim Bethaus-Vater aufgewachsen ist. Ihre Tage sind angefüllt mit harter Arbeit: Felder müssen bestellt, Gärten gepflegt, Holz gesammelt, Gerichte gekocht und Kleider genäht werden. Sie gibt dem Leser zahlreiche Einblicke in das Dorfleben, das an die Amish People erinnert, denn jeglicher Fortschritt wird abgelehnt. Zudem besteht der Ältestenrat nur aus Männern und die Gesetze unterdrücken die Frauen auf verschiedenste Weise.

Die Dorfbewohner kennen kein anderes Leben, denn es ist nicht gestattet, die Insel zu verlassen. Die Erzählerin ist gefangen in einem Leben als Außenseiterin. Sie wird beschimpft, beschuldigt und immer wieder abgewiesen. Und es bleibt nicht immer bei Worten, das musste sie schon vor Jahren schmerzlich erfahren. In ihre Welt einzutauchen und sie zu begleiten tut weh und brachte mich als Leser ins Nachdenken über Recht und Ungerechtigkeit.

Die Frau gibt jedoch nicht auf, denn sie ist klug und neugierig und hat zum Glück einige wenige Menschen, die sie nicht abweisen. Der Bethaus-Vater als ihr Finder lässt sie bei sich wohnen, versucht sie zu schützen und teilt heimlich verbotenes Wissen mit ihr. Das gleiche gilt für Mariah, die für den Bethaus-Vater kocht. Offene Gespräche mit ihnen sind immer wieder kleine Hoffnungs-Inseln im Alltag der Protagonistin.

Das Dorfleben wird ausführlich beschrieben. Für mich hätten einige Parts straffer erzählt sein können, da ich mir das Leben in solch einer Gemeinschaft bald gut vorstellen konnte. Was sich hingegen schleichend ändert ist das Leben der Erzählerin. Neues Wissen und eine überraschende Begegnung lassen sie immer stärker die Regeln hinterfragen. Sie lehnt sich still und immer umfassender auf, während Ereignisse im Dorf die Situation weiter verschärfen. Wie lange kann das noch gut gehen?

„Mein Miroloi muss ich mir selber singen“, das sind die Worte der Protagonistin. Denn sie will nicht auf ihren Tod warten, nach dem die Hinterbliebenen üblicherweise das Leben des Verstorbenen besingen. Und wer sollte das dann schon für eine Namenlose tun? Deshalb legt sie in Form dieses Romans ein Miroloi für sich selbst vor. Ihre Sprache ist einfach und gleichzeitig sehr poetisch und berührend. Das steht in Kontrast zu den beklemmenden Ereignissen im Dorf. Ich bangte mit der Erzählerin und meine Wut wuchs immer weiter, denn was passiert ist nicht fair und lässt sich trotzdem nicht aufhalten. Ein wichtiger Roman über Ausgrenzung, Feindseligkeiten und Unterdrückung ebenso wie Mitgefühl, Zusammenhalt und Auflehnung.

Veröffentlicht am 04.08.2019

Die Geschichte einer Außenseiterin, weit draußen im Marschland

Der Gesang der Flusskrebse
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North Carolina, 1969: Im Marschland lebt Kya Clark allein in einem abseits gebauten Haus. Als sie sechs war, hat ihre Mutter ihren gewalttätigen Ehemann und die Kinder ohne ein Wort verlassen, kurz darauf ...

North Carolina, 1969: Im Marschland lebt Kya Clark allein in einem abseits gebauten Haus. Als sie sechs war, hat ihre Mutter ihren gewalttätigen Ehemann und die Kinder ohne ein Wort verlassen, kurz darauf folgten alle vier Geschwister. Zurück blieb nur Kya, die von ihrem Vater gerade genug Geld für die allernötigsten Lebensmittel erhielt, während er den Rest in Alkohol investierte. Inzwischen ist die Mittzwanzigerin seit vielen Jahren auf sich selbst gestellt. Die Flora und Fauna des Marschlandes kennt sie besser als jeder andere. Als Chase Andrews, der beste Quarterback der Stadt, tot am Fuß des Feuerwachturm gefunden wird, tappt die Polizei zunächst im Dunkeln. Ist er allein vom Turm gefallen oder wurde er gestoßen? Bald bringt jemand das Marschmädchen ins Spiel, das häufiger mit Chase gesehen wurde. Ist nicht gerade die Abwesenheit jeglicher Spuren ein Beweis dafür, dass sie den Mord verübt hat?!

Das Cover zeigt ein Mädchen im einem Boot, das durch eine weitläufige Landschaft fährt und der dabei nur die Vögel Gesellschaft leisten. So sieht das Leben von Kya Clark aus, auf die man als Leser zum ersten Mal trifft, als ihre Mutter gerade die Familie verlässt. Einfühlsam wird beschrieben, wie Kya sich durch ihren Weggang fühlt. Auch ihre älteren Geschwister halten es nicht länger zu Hause aus, sie alle suchen anderswo ihr Glück, wo sie nicht vom Vater geschlagen werden.

Zurück bleibt eine Siebenjährige, die sich und ihren Vater mit einem verschwindend geringen Geldbetrag versorgen soll. Schließlich steht ihr nicht einmal der mehr zur Verfügung. Doch vor der Vorstellung, irgendwo anders untergebracht zu werden, graut es ihr. Sie ist entschlossen, um ihre Unabhängigkeit zu kämpfen. Hilfe erhält sie nur von wenigen Menschen. Zum einen von Jumper, einem Schwarzen, der ihr Muscheln gegen Benzin und Lebensmittel abkauft. Zum anderen von Tate, einem ehemaligen Freund ihres Bruders, der selbst oft im Marschland unterwegs ist und der von Kyas Wesen fasziniert ist.

Ich wurde mitgenommen in die 1950er und 1960er Jahre, in denen ich Kya aufwachsen sah. Es war interessant, ihre Entwicklung zu verfolgen. Sie ist eine soziale Außenseiterin, die nie irgendwo dazugehört hat und stark davon geprägt wurde, immer wieder verlassen zu werden. Ich konnte gut verstehen, dass sie hin- und hergerissen ist, ob sie Tate wirklich vertrauen kann. Hat er dabei Hintergedanken oder ist er wirklich nur freundlich? Gleichzeitig zeichnet sie ihre Klugheit und Naturverbundenheit aus. Sie lässt sich in ihren Entscheidungen von ihrem Instinkt und dem leiten, was die Natur ihr zeigt, denn gesellschaftliche Normen sind ihr fremd. Ihre Beobachtungen sind dabei überaus treffend, denn sie ist alles andere als auf den Kopf gefallen. Die Beschreibungen von Kyas Streunen durch das Marschland werden intensiv und sehr atmosphärisch beschrieben, sodass ich tief in die Geschichte eintauchen konnte.

Die Kapitel rund um Kyas Erwachsenwerden wechseln sich ab mit solchen aus dem Jahr 1969, in denen es um den Tod von Chase Andrews geht. Zwei Polizisten nehmen hier die Ermittlungen auf, wobei nichts eindeutig darauf hindeutet, dass es sich wirklich um Mord handelt. Bald werden Stimmen laut, die Kya für verdächtig halten. Das es das Marschmädchen war, an dessen Tür zu klopfen früher als Mutprobe galt und mit der Chase eine Zeit lang etwas hatte, erscheint vielen plausibel.

Während mir der Coming of Age-Part des Romans sehr gut gefallen hat, zogen sich die Ereignisse rund um den Tod von Chase Andrews für mich zunehmend in die Länge. Sie dominieren vor allem das letzte Drittel des Buches mit einem ausführlichen Ausflug ins amerikanische Rechtssystem. Das Ende konnte mich überraschen, lässt mich aber mit einigen Fragezeichen zurück.

Insgesamt überzeugt „Der Gesang der Flusskrebse“ mit einer besonderen Protagonistin, die als Außenseiterin um Unabhängigkeit, Sicherheit und Erfüllung kämpft. Kya ist eins mit der Natur des Marschlandes, das durch die gelungenen Beschreibungen der Autorin greifbar wird. Ein gelungener Entwicklungsroman, den ich gerne weiterempfehle!

Veröffentlicht am 26.07.2019

Ein gelungener griechischer Familienroman

Makarionissi oder Die Insel der Seligen
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In „Makarionissi“ nahm mich die Autorin Vea Kaiser mit in das kleine griechische Bergdorf Varitsi, dessen glorreiche Zeiten als wichtiger Punkt an der Handelsstraße von Griechenland nach Albanien in den ...

In „Makarionissi“ nahm mich die Autorin Vea Kaiser mit in das kleine griechische Bergdorf Varitsi, dessen glorreiche Zeiten als wichtiger Punkt an der Handelsstraße von Griechenland nach Albanien in den 1950er Jahren bereits vorbei sind. Für den kleinen Lefti, dem einzigen männlichen Nachkommen der Familie von Yiayia Maria Kouzis, gibt es im Dorf keine geeignete Verlobte. Deshalb wird gleich nach der Geburt seiner Cousine Eleni beschlossen, dass er diese heiraten wird. Als Kinder sind die beiden befreundet, entwickeln sich danach aber in ganz unterschiedliche Richtungen. Die rebellische Eleni schließt sich linken Gruppen an und will die Hochzeit nicht, während der feinsinnige Lefti sich ganz aus der Politik heraushalten will. Doch alles kommt anders als gedacht, als die Junta 1967 die Macht übernimmt.

Ich habe mich den Protagonisten Eleni und Lefti beim Lesen schnell verbunden gefühlt und an ihrer Seite den Alltag in ihrem kleinen griechischen Dorf erlebt. Ich fand die Einblicke in ihre große griechische Familie unterhaltsam. Die Machtposition der Großmutter, die die beiden unbedingt verheiraten will, stimmte mich aber auch nachdenklich. Die Machtübernahme der Junta hat vor allem für die politisch in linken Spektrum aktive Eleni schwerwiegende Konsequenzen. Sie und Lefti gehen schließlich gemeinsam nach Deutschland, doch ihr Verhältnis ist schwierig und beide suchen noch immer nach ihrem Platz in der Welt. Gern habe ich die Charaktere durch Höhen und Tiefen begleitet, welche die Autorin mit großem sprachlichen Geschick beschreibt. Zum Ende hin liegt der Fokus immer stärker auf der nachfolgenden Generation und die Entwicklungen waren für meinen Geschmack schon zu spektakulär für diese Geschichte, ich wäre lieber noch einmal nach Varitsi zurückgekehrt. Insgesamt ist „Makarionissi“ eine gelungene Familiengeschichte, in deren Zentrum die beiden Griechen Eleni und Lefti stehen, die sich lieben sollen und nicht wollen und ihren eigenen Weg zum persönlichen Glück finden müssen.

Veröffentlicht am 13.07.2019

Eine Reise in die Vergangenheit und nach England, Australien und Chile

Die Tochter des Blütensammlers
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Bei Renovierungsarbeiten im Haus ihrer verstorbenen Großmutter in Sydney entdeckt Anna eine geheimnisvolle Metallkassette. In dieser findet sie ein Skizzenbuch mit botanischen Illustrationen, Samen und ...

Bei Renovierungsarbeiten im Haus ihrer verstorbenen Großmutter in Sydney entdeckt Anna eine geheimnisvolle Metallkassette. In dieser findet sie ein Skizzenbuch mit botanischen Illustrationen, Samen und ein Tagebuch - datiert aufs Ende des 19. Jahrhunderts! Als Gärtnerin will Anna dem Geheimnis unbedingt auf die Spur kommen. Die ursprünglich Besitzerin scheint aus England zu kommen, wo auch die Experten fürs Thema sitzen - doch Anna hat Australien noch nie verlassen.

Zwischen diesen Kapiteln reist der Leser ins Jahr 1886 nach Cornwall, wo Elizabeth von ihrem Vater, einem bekannten Blütensammler, vor seinem Tod einen Auftrag erhält: Sie soll an seiner statt die geplante Reise nach Chile antreten und dort eine sagenumwobene Pflanze finden. Die Zeit drängt, denn sein größter Konkurrent will ihm zuvorkommen. Schon bald tritt sie gemeinsam mit ihrem Dienstmädchen Daisy die Überfahrt an.

Die Geschichte startet ruhig und gibt dem Leser Zeit, die beiden Protagonistinnen kennenzulernen. Anna führt ein zurückgezogenes Leben, seit vor sechs Jahren etwas passiert ist, über das sie nicht gern redet. Elizabeth hingegen steckt voller Tatendrang. Ich war neugierig darauf, was sie in Chile findet wird, einem Land, das damals noch als höchst exotisch galt. Etwas enttäuscht hat mich, dass die Suche nach der Pflanze recht schnell abgehandelt wird. Dafür rückt eine Liebesgeschichte in den Vordergrund. In der Gegenwart bricht Anna aus ihrem Trott der letzten Jahre aus, um der Spur der Kassette zu folgen. Die Protagonistinnen fand ich beide sympathisch und sie entwickeln sich im Laufe der Geschichte weiter. Es gibt viele schöne Momente und insbesondere die Liebe kommt nicht zu kurz. Zum Ende hin gibt es rund um die Lüftung der Geheimnisse aber auch einige traurige Enthüllungen.

„Die Tochter des Blütensammlers“ von Kayte Nunn ist ein Familien- und Liebesroman, bei dem einige Geheimnisse gelüftet werden wollen. Die beiden Zeitebenen wurden gelungen miteinander verwoben und nehmen den Leser mit auf eine Reise nach England, Australien und Chile.

Veröffentlicht am 07.07.2019

Nach den Novemberpogromen ist für die jüdische Familie Meyer nichts wie zuvor

Zeit aus Glas
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Im November 1938 hat die jüdische Familie Meyer in Krefeld die Pogromnacht unverletzt überstanden, während viele andere verletzt, verhaftet oder gar getötet wurden. Doch ihr Haus wurde von den Nationalsozialisten ...

Im November 1938 hat die jüdische Familie Meyer in Krefeld die Pogromnacht unverletzt überstanden, während viele andere verletzt, verhaftet oder gar getötet wurden. Doch ihr Haus wurde von den Nationalsozialisten völlig verwüstet und jetzt müssen sie die Schäden selbst schnellstmöglich beheben. Ruth und ihre Schwester Ilse konnten vorübergehend bei den Aretz’, Freunden der Familie, unterkommen. Sie helfen ihrem Vater bei den Aufräumarbeiten, während ihre Mutter Symptome eines Nervenzusammenbruchs zeigt. Die Familie hat Ausreisegenehmigungen für die USA erhalten, doch aufgrund der begrenzten Aufnahmequoten müssen sie noch rund drei Jahre warten. Kann man diese Zeit in einem Land überstehen, in dem die Repressalien immer schlimmer werden und ein Krieg zunehmend wahrscheinlich wird?

Der erste Teil der Seidenstadt-Saga endete mit den Novemberpogromen des Jahres 1938. Die Familie Meyer hat ihr Haus rechtzeitig verlassen und konnte so eine Begegnung mit den Nationalsozialisten vermeiden. Der zweite Teil beschäftigt sich intensiv mit den Tagen danach. Man packt an und beginnt, Schäden zu beseitigen. Doch nichts fühlt sich mehr so an wie zuvor.

Einfühlsam und eindrücklich schildert die Autorin die Gefühle von Ruth beim Anblick der Verwüstung. Die Siebzehnjährige will stark sein, vor allem für ihre kleine Schwester. Doch Angst, Verzweiflung und Ungewissheit nehmen stetig zu. Ihre Mutter Martha geht es psychisch immer schlechter und die Familie versucht, ihr schrittweise das ganze Ausmaß der Katastrophe zu erklären.

Als die Trilogie angekündigt wurde war das zweite Buch mit dem Hinweis versehen, dass es um Ruths Ausreise geht. Im Klappentext wird das jetzt nur ganz am Ende erwähnt. Hier wurde scheinbar noch einmal umgeplant. Die ersten 350 von insgesamt 470 Seiten spielen in den Wochen nach den Pogromen. So intensiv und wichtig gegen das Vergessen diese Schilderungen sind, für mich wiederholte sich der Gesprächsinhalt zu oft: Eine Ausreise in die USA ist erst in drei Jahren möglich, das einst von Mutter Martha schön eingerichtete Haus ist verloren, man wagt den gefährlichen Schmuggel von Wertgegenständen außer Landes und Ruth hadert mit der Frage, ob sie das Land im ersten Schritt allein verlassen soll.

Mit einem Sprung in den April 1939 kommen schließlich viele Dinge in Bewegung und konnten mich so packen, dass ich diesen letzten Teil des Buches in einem Rutsch gelesen habe. Hier gab es viele spannende und hoffnungsvoll stimmende Momente sowie überraschende Hilfsbereitschaft (fast) Fremder. Dennoch bleibt die Gesamtlage höchst angespannt und ich werde den dritten und letzten Teil auf jeden Fall lesen, um zu erfahren, was aus Ruth und ihrer Familie geworden ist. Auch wenn dieser zweite Teil Längen hatte ist die Reihe für mich eine lesenswerte Auseinandersetzung mit dem Schicksal einer jüdischen Familie aus Krefeld zur Zeit des Nationalsozialismus, die auf wahren Begebenheiten beruht.