Wir schreiben das Jahr 2019 und “Gespräche” sind eigentlich aus der Mode gekommen - also die tiefgründigen, echten. Wir zeigen heute übers Internet, anhand von Fotos und Texten was uns bewegt - auf ein Gegenüber gehen wir kaum noch ein, allenfalls noch durch ein “Like” oder höchstens einen Kommentar. Aber der Beitrag muss uns schon sehr “triggern”, wie man heute sagt, im positiven oder negativen, um zu kommentieren.
Vor diesem Hintergrund mutet es dann doch ein wenig anachronistisch an, dass einer der literarischen Shootingstars dieses Jahres ausgerechnet “Gespräche mit Freunden” (OT: “Conversations with friends”) heißt. Wie herrlich altmodisch und so “Parisienne” mutet dann auch noch das deutsche Cover dieses Buches an - da sitzt tatsächlich eine Frau im Fenster, dem Betrachter mit dem Rücken zugewandt und sie macht etwas ganz Außergewöhnliches - sie telefoniert! Mit einem Festnetzapparat!
Im Buch selber finden die “Gespräche” tatsächlich als “richtige” Gespräche - manchmal sind es auch Selbstgespräche - der 4 Hauptfiguren (3 Frauen und 1 Mann) sowie einiger Nebenfiguren statt. Aber die modernen Kommunikationsmittel wie Chats übers Internet und Smartphones sowie Email-Nachrichten werden trotzdem fast gleichwertig verwendet.
Dass man dieses Buch so wie eine bekannte Schauspielerin, die deutlich über das Alter der Protagonistinnen hinaus ist, an einem Tag durchliest, kann ich nicht verstehen. Für mich zog sich die durchweg repetitive Handlung wie Kaugummi. Es passiert einfach sehr wenig und die Essenz der titelgebenden Gespräche sind pseudo-intellektuelle Gemeinplätze und Beobachtungen der Protagonistinnen über ihr Gefühlsleben und das der anderen, aber lange nicht auf dem Niveau von Marcel Proust oder James Joyce - das Buch spielt lediglich in Irland und auch mal für eine Weile in Frankreich, der jeweiligen Heimat dieser beiden großen Autoren.
Die Autorin will sich und ihrem Buch einen besonders intellektuellen Anstrich geben, aber es reicht nicht den Protagonisten Namen wie Slavoj Žižek, Jaques Lacan oder Gilles Deleuze in den Mund zu werfen oder ihre Ablehnung für Yeats kundzutun, um ein kluges und "intellektuelles" Buch zu schreiben.
Die 21-jährige Literaturstudentin und Schriftstellerin Frances als Ich-Erzählerin ist egozentrisch, sehr von sich überzeugt ("Dafür würden sich meine Biografen später nicht interessieren." S. 339) und nervig. Die ständigen Selbstverletzungen (ich drücke irgendwelche Gliedmaßen gegen Gegenstände oder wasche mich mit zu heißem Wasser um mich dann zu spüren, sie nennt es "sich ausleben") wirken aufgesetzt und postpubertär. Aber sie ist halt auch erst 21. Sie gibt sich betont cool und gefühllos, dabei ist sie eigentlich ein Häuflein Elend, das sich über ihre Gefühle definiert. Natürlich hatte sie keine schöne Kindheit, stammt aus einfachen Verhältnissen, ein Scheidungs- und Einzelkind: Selbstläufer!
Melissa, die 37-jährige Widersacherin von Frances und Ehefrau von Nick bleibt als Persönlichkeit ziemlich blass. Man fragt sich echt: wer lädt die junge Geliebte des eigenen Ehemannes zum Abendessen ein und plaudert dann mit ihr als wäre nichts gewesen?
Nick, der Hahn im Korb, ist ein supertoll aussehnder, in der Blüte seines Erfolgs und Lebens stehender Schauspieler. Auch er bleibt leider profillos, denn seine Schwäche für junge Lyrikerinnen scheint seine einzige besondere Eigenschaft neben seiner Schönheit zu sein.
Die einzige mit etwas Charakter und annähernd menschlich-sympathisch ist die lesbische Bobbi, die gut zu Frances ist und es immer war. Bedingungslose Liebe? Vielleicht. Sie ist links, kommt aber aus einem "reichen" Elternhaus des irischen Establishment.
Diese 4 Personen also befinden sich in unterschiedlich geprägten Beziehungen zueinander, die immer neu ausgelotet werden. Liebe spielt dabei eine gewisse Rolle.
Zum Formalen: Es ist ziemlich anstrengend ein Buch über "Gespräche" zu lesen, in dem die Dialoge nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet sind.
Alles in allem: viel Lärm um sehr, sehr wenig! Ich kann den Hype um dieses Buch leider nicht nachvollziehen.