Auf dieses Buch bin ich vor allem wegen des wundervollen Covers aufmerksam geworden und nach einem prüfenden Blick auf den Klapptext sofort angefragt. Meine hohen Erwartungen konnte dieser Auftaktband einer Trilogie nicht ganz erfüllen, dennoch erwartet uns hier eine originelle, mitreißende Dystopie, die in eine postapokalyptische Welt mitnimmt und Lust auf mehr macht.
"Lasst Eve frei.
Lasst die Wahrheit frei."
Besonders auffällig am Cover ist das goldene Eve-Logo, das ebenfalls auf dem dunkelblauen Buchdeckel prangt wenn man den Umschlag entfernt. Das geschwungene "e", umrahmt vom Zeichen der Weiblichkeit, dem Venussymbol" passt wunderbar als Hauptsymbol der Geschichte die mit Eve als letzte Frau einen feministischen Touch hat. Die dunkelblaue, mit goldenen Lichtpartikeln versetzte Sphäre um die schlanke Silhouette in Jeansoverall und Boots, die gut zu meiner Vorstellung von Eve passt, wirkt gleichzeitig futuristisch und düster, womit die klinisch-stilisierte Umgebung in der Eve lebt gut wiedergegeben wird. Etwas seltsam fand ich an der Gestaltung nur die sehr dünnen Seiten, durch die die 67 Kapitel sich in der Hand anfühlen wie 20.
Erster Satz: "Eigentlich fiel es am ersten Tag keinem auf."
So beginn der Prolog der Dystopie, die auf den ersten Blick an "Der Report der Magd" von Margaret Atwood erinnert, auf den zweiten Blick jedoch mit vielen originellen, eigenen Ideen aufwarten kann. Wir lernen die 16jährige Eve kennen, die als einziges Mädchen in 50 Jahren geboren wurde und auf deren Schultern nun das Schicksal der ganzen Menschheit liegt. Recht langsam und zaghaft leben wir uns mit ihr in ihrer Wohnkuppel an der Spitze eines riesigen Turms ein, der bis in die Wolken ragt und Eve weit weg von der überfluteten, verseuchten Erdoberfläche voller wütender Männer aufwachsen ließ, bis sie alt genug ist, die Menschheit zu retten. Eigentlich hat sie alles was sie braucht - viele Mütter, die ihre Familien verlassen haben, nur um sich um sie zu kümmern, eine beste Freundin namens Holly, Sport, Unterricht, ein Garten, ein Ausblick in die Wolken, Obst zum Frühstück und absolute Sicherheit. Doch als sie den ersten von drei Kandidaten trifft, von denen einer ihr Partner werden soll, geht alles schief und alles, was sie über ihr Leben gewusst hat, beginnt zu wanken...
"Es war geschehen.
Entgegen aller Erwartungen hatte sie überlebt.
Das erste Mädchen seit 50 Jahren.
Sie wurde Eve genannt.
Sie verkörpert die Wiedergeburt der Menschheit
Sie war die Antwort auf all die Gebete
Nur die zählte - sie war ihre letzte Hoffnung.
Eve war zur Retterin der Menschheit bestimmt.
Ich bin Eve."
Eves Rolle als letzte Frau der Welt, die für den Fortbestand der Art zur Gebärmaschine werden soll ist keine unbedingt neue Idee. Auch ihre vollkommene Isolation an der Spitze ihres Turms kommt einem bekannt vor. Doch wieder macht´s hier die Mischung. Dass ein bisschen "The Handmaid’s Tale", ein bisschen Rapunzel, ein bisschen Teenie-Lovestory im Rahmen einer Post-Apokalyptische-Dystopie so gut funktioniert hätte ich nicht gedacht - doch die Facetten der Handlung greifen wunderbar ineinander und machen eine spannende, vielseitige Geschichte daraus! Dabei merkt man auch gar nicht, dass hier zwei Autoren am Werk waren. Die Geschichte des Ehepaares Fletcher liest sich absolut flüssig und ohne jede Brüche, was ich so noch nie bei einer Geschichte erlebt habe, die aus der Kooperation mehrerer Autoren entstanden ist. Großes Lob!
Durch die zwei Perspektiven von Bram und Eve bekommen wir Einblick in Eves stilistische, perfekte Welt, in der sich alles nur um sie und ihre zukünftigen Kinder dreht und erkennen gleichzeitig, dass ihre gesamte Realität auf einer einzigen Lüge beruht. Denn die wahre Welt, die sie retten soll besteht nicht aus den computergesteuerten Sonnenuntergängen und paradiesischen Gärten, die Eve täglich zu sehen bekommt sondern aus Gewalt, Rebellion und Verfall am Boden des Turms im überfluteten Central, das Brams Heimat war, bevor er von der AFM als Pilot angeheuert wurde. Er steuert jedoch kein Flugzeug, wie sein Titel es vielleicht annehmen lässt. Er ist einer von drei Piloten, die regelmäßig im Studio in die Rolle von Eves bester Freundin Holly schlüpfen und auf dem schmalen Grat zwischen Einfluss und Manipulation tanzen, um sie dazu zubringen, nicht aus ihrer Rolle als Retterin der Welt auszufallen. Und das ist nur eins von tausend Geheimnissen, die sich außerhalb der perfekten Kuppel verbergen, eins der etlichen Dinge, die Eve nicht über ihr Leben weiß, eine der traurigen Wahrheiten, die man bislang für sie geschönt hat. Doch wer ist besser im Geheimnisse entdecken als ein neugieriges Teenager-Mädchen, das noch nichts von der Welt gesehen hat...?
"Was Eve wohl von all dem halten würde, wenn sie es sehen könnte? Wie muss das für sie sein, wo sie das alles noch gar nicht kennt, jetzt dort oben in der Kuppel unter dem vollkommenen Sternenhimmel? Schon bald wird sie einer von tausend vorprogrammierten Sonnenaufgängen wecken, und wie wird über einen duftig weißen Wolkenteppich hinausblicken. Sie wird weiter glauben, dass die Welt friedlich und wundervoll ist; ihr Glaube an die Menschheit, die sie erretten soll, wird für einen weiteren Tag am Leben erhalten werden."
Dass Eve und Holly bald eine innige Freundschaft aufbauen ist natürlich klar, da sie die einzige Kontaktperson ist, die einer Gleichaltrigen am nächsten kommt. Und auch wenn Eve durchaus bewusst ist, dass Holly nicht echt sein kann, hat sie keine Vorstellung, wer wirklich hinter dem Hologramm steckt, bis sie schließlich etwas sieht, was sie nicht hätte sehen sollen und in den braunen Augen eines athletischen jungen Mannes ihre Holly erkennt. Ab dort wird alles anders und die Vertrautheit zwischen ihnen wandelt sich in eine zarte Anziehungskraft. Blöd nur, dass jeder Schritt und jedes Gespräch der beiden überwacht und analysiert wird und Bram als Holly an ein Script gebunden ist. So kommt es, das sich die leichte Lovestory im Hintergrund relativ schnell entwickelt, über einen subtilen Grad aber nicht hinauskommt. Die Idee mit Holly als Alias der Jungen und die damit aufkommenden Probleme und seltsame Situationen hat mir wirklich gut gefallen und so würde ich die Beziehung zwischen Bram und Eve trotz dass sie relativ oberflächlich bleibt und vorhersehbar war durchaus als innovativ und originell bezeichnen.
"Mein Körper steht unter Schock. Ebenso mein Verstand. Aber vor allem mein Herz. Nie zuvor habe ich es so heftig schlagen gefühlt. Und das mit einem ganz bestimmten Ziel. Für jemanden.
Eve."
Auch Eve und Bram bleiben noch ein wenig blass, auch wenn wir relativ viel über sie erfahren. Eve verhielt sich meiner Meinung nach oft sehr widersprüchlich - wie Teenager das für Gewöhnlich tun -, insgesamt hat mir aber ihre Neugierde, ihre Stärke und ihr Wunsch nach Unabhängigkeit gut gefallen. Auch Bram ist definitiv sehr sympathisch, es fehlte ihm meiner Meinung nach aber genau wie Eve deutlich an Profil, sodass er sich für mich nicht unbedingt von anderen Protagonisten aus ähnlichen Romanen abgrenzte. Besonders ans Herz gewachsen sind mir zwei der Mütter, die besonders herzlich mit Eve umgehen und deren Stärke der Geschichte zusätzlich zur Grundidee einen definitiv feministischen Touch verleihen.
"Du wirst geliebt. Und Du gehörst nur Dir. Nicht mir, nicht ihnen.
Vergiss das nie.
In Liebe, deine Mama"
So entwickelt sich die Geschichte rasant, gefühlvoll und mitreißend und offenbart immer wieder neue, interessante Denkweise und schockierende Geheimnisse, die dem Leser bislang verborgen geblieben waren. Auch wenn immer wieder Überraschungen auf uns zukommen ist die Storyline ein wenig vorhersehbar und als geübter Leser kann man das Ende schon nach wenigen Kapiteln voraussehen. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Geschichte nach dem etwas gemächlichen Beginn zum Pageturner wird. Wirklichkeit und Schein, Wahrheit und Lüge, Draußen und Drinnen, Tod und Leben, Weiblich und Männlich - das sind nur einige von vielen Gegensätzen, die durch Bram und Eve wunderbar in den Vordergrund gestellt werden und den Leser auf Trab halten. Ergänzt wird die Geschichte außerdem durch Brams Erinnerungen an seine Kindheit und Auszüge aus der Briefesammlung von Eves Mutter, die sie an ihr ungeborenes Mädchen geschrieben hat. Etwas schade ist nur, dass wir erst im letzten Drittel durch Bram etwas von der Welt am Boden erfahren und so das postapokalyptische Setting ein wenig blass bleibt. Wir konzentrieren uns also vor allem auf Eve, ihre sich entwickelnde Beziehung zu Bram und ihren langsamen Erkenntnisgewinn und sparen uns die komplexe Außenwelt für die folgenden Teile auf. Für ein Einführungsband einer Trilogie ist das in Ordnung, dennoch hat mich die Richtung der Handlung ein wenig enttäuscht - weil sie so typisch dem Dystopie-Schema folgte.
"Das soll der Anfang unserer Zukunft sein? Das Fundament aus dem die Menschheit neu erstehen soll?" Ich spüre wie mich meine Pilotenkollegen anstarren und meine Bedenken gegen das neue Vorgehen offensichtlich nicht teilen.
"Jede Zukunft ist besser als keine", antwortet mein Vater und blickt mir fest in die Augen.
"Ist das so?", antworte ich."
Das Ende kommt dann mit einem bösen Cliffhanger daher und lässt noch einige Fragen offen, die uns hoffentlich in den zwei angekündigten Folgebänden beantwortet werden. Allgemein setzte ich viel Hoffnung in die weiteren Teile, da die Geschichte noch lange nicht ihr volles Potential ausgenutzt hat. Als Auftaktband einer Trilogie (leider mit den üblichen Schwächen) hat "Eve of Man" aber definitiv seine Aufgabe erfüllt: ich habe Lust auf mehr und warte nun gespannt auf Band 2!
Fazit:
Eine originelle, mitreißende Dystopie, die in eine postapokalyptische Welt mitnimmt und Lust auf mehr macht. Leider leidet die Geschichte ein wenig unter den Schwächen eines Trilogieauftaktes, nichtsdestotrotz konnte mich die Mischung aus "The Handmaid’s Tale", "Rapunzel", Teenie-Lovestory und Weltuntergang mitreißen!