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Veröffentlicht am 03.09.2019

Bleibt viel zu sehr an der Oberfläche, erzählt zu sprunghaft

Kastanienjahre
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Ich muß gestehen, daß ich erleichtert bin, dieses Buch hinter mich gebracht zu haben. Auf den letzten 100 Seiten habe ich viel nur noch überflogen, weil ich mich leider ziemlich gelangweilt habe.

Der ...

Ich muß gestehen, daß ich erleichtert bin, dieses Buch hinter mich gebracht zu haben. Auf den letzten 100 Seiten habe ich viel nur noch überflogen, weil ich mich leider ziemlich gelangweilt habe.

Der Klappentext ist eigentlich vielversprechend - die Geschichte des Dorfes Peleroich von der Gründung der DDR bis zur Nachwendezeit, dazu "eine fatale Dreieicksbeziehung voller Geheimnisse" (was sich als ziemlich übertriebene Beschreibung herausstellt). Ich lese sehr gerne über das Leben in der ehemaligen DDR, stelle oft fest, wie viel es darüber noch zu erfahren gibt und war sehr interessiert daran, wie diese Dorfgemeinschaft von Peleroich durch jene Jahrzehnte gekommen ist.

Während der Anfang des Buches uns noch eine liebevolle Einführung des Hauptcharakters Elise gibt und wir auch Peleroich im Jahre 1950 neugierigmachend kennenlernen, war ich schon direkt danach ziemlich enttäuscht. In kurzen Kapiteln fliegen wir durch die Jahre. Kaum haben wir die Schulkinder Karl und Christa 1950 kennengelernt, ist es auch schon 1960 und man ist mitten in ihrem Familienleben, nachdem sie in vorherigen kurzen Kapiteln sich rasch verliebt und geheiratet haben. Alles wird nur kurz angerissen, wir lernen die Charaktere nicht richtig kennen, erleben keine Entwicklungen mit. Das sehr interessante Thema der LPG-Gründungen und des Druckes auf die unabhängigen Bauern kommt auf. Darauf war ich gespannt, freute mich schon, etwas dazu zu lesen. Ein paar Seiten später war es in wenigen Sätzen abgehandelt und kam nicht mehr auf.

Und genau so geht es weiter. Während Naturbeschreibungen, Kindergeburtstage, banale Alltagsunterhaltungen in fast ermüdender Ausführlichkeit geschildert werden, finden die wichtigen Ereignisse nur am Rande statt. Die Charaktere bleiben größtenteils Namen für mich, weil wir keine Gelegenheit haben, sie kennenzulernen. Vorne im Buch ist eine Namensliste, die ich auch oft benötigt habe. Ich habe historische Romane mit an die tausend Seiten gelesen, mit 50-60 Charakteren, und brauchte die Namenslisten dort nie, weil die Charaktere so gut eingeführt worden waren, daß ich sie gleich zuordnen konnte. Hier, bei einer Handvoll Dorfbewohner, blieben sie mir größtenteils fremd. Während die Zubereitung von Bratkartoffeln detailliert besprochen wird, finden Unterhaltungen über die Unterdrückungen des DDR-Regimes, das durchaus gewichtige Trauma eines Grenzsoldaten (dazu hätte ich viel, viel mehr lesen wollen), rasch statt, vieles wird uns nur als Rückblick kurz geschildert. Es kam mir vor, als ob ich in einem Zug sitze und nur ab und zu einen raschen Blick in ein Zimmer erhasche - Momentaufnahmen, immer zu schnell, immer zu kurz. Irgendwann im Buch kam es Elise "vor, als wäre sie nicht dabei gewesen, als hätte sie etwas Wichtiges verpasst." So fühlte ich mich das ganze Buch hindurch. Fragen und Themen werden angerissen, bleiben aber, genau wie Charaktere, an der Oberfläche.

Die DDR-Themen kommen vor, sind gut ausgewählt, interessant, aber es hätte so unglaublich viel mehr daraus gemacht werden können. Ich habe in anderen Büchern wesentlich mehr über das Leben in der DDR erfahren. Nach knapp 300 Seiten sind 30 Jahre DDR-Geschichte abgehandelt, rasch, oberflächlich, garniert mit vielen Banalitäten des dörflichen Alltagslebens. Oft werden mehrere Jahre übersprungen und wir bekommen nur einen kurzen Überblick, was geschehen ist. Immer wieder werde ich so aus der Handlung herausgerissen. Um das "große Geheimnis", das Elise nach zwanzig Jahren zurück ins Dorf führt, wird mehr Drumherum veranstaltet, als notwendig gewesen wäre.

Der rote Faden des Dorfes war an sich gut gewählt, wenn es mal um die DDR geht, sind die Einzelheiten gut und glaubhaft dargebracht. Der Schreibstil ist durchschnittlich, liest sich recht leicht. Bei einer (für meinen Geschmack) besseren Gewichtung der Themen und Schwerpunkte hätte ich dieses Buch genossen, aber so war ich leider enttäuscht. Ich habe noch "Kranichland" der Autorin hier liegen und hoffe, daß es besser sein wird.

Veröffentlicht am 22.08.2019

Manifest überlagert Information

Das Leben im Mittelalter
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Robert Fossier möchte in diesem Buch darüber informieren, wie die einfachen Menschen im Mittelalter gelebt haben, unterteilt dies in verschiedene Bereiche, wie "Stadien des Lebens", "Die Natur", "Verhältnis ...

Robert Fossier möchte in diesem Buch darüber informieren, wie die einfachen Menschen im Mittelalter gelebt haben, unterteilt dies in verschiedene Bereiche, wie "Stadien des Lebens", "Die Natur", "Verhältnis zu Tieren", "Gruppen", "Wissen" und "Die Seele". Wie man den Überschriften schon entnehmen kann, wird es manchmal ziemlich philosophisch. Wirklich informativ fand ich eigentlich nur die erste Hälfte, aber das ist Geschmackssache.

Prinzipiell sind die Blicke in das Alltagsleben durchaus interessant, es gibt hier viele Informationen, teils detailliert, teils eher von Allgemeinplätzen geprägt. Es findet sich hier nichts, was sich in anderen Büchern zum Thema nicht auch findet. Das liest sich teilweise unterhaltsam, oft aber ist wenig Information in sehr viele Worte verpackt.

Enervierend fand ich zwei Dinge, die auch zusammenhängen. Der Autor läßt keine Gelegenheit aus, uns seine eigene - sehr schwarz-weiß geprägte - Meinung aufzudrängen. Wenn er jemand verurteilen kann, dann läßt er die Gelegenheit nicht aus und ausgesprochen gerne nennt er andere ignorant. Sein Misanthropismus scheint ständig durch und erschien sogar mir als bekennender Misanthropin übertrieben. ("Hören wir also auf, uns mit Entzücken selbst zu betrachten, wie wir es, die Frauen mehr als die Männer, seit Jahrtausenden tun. Gestehen wir vielmehr ein, dass der Mensch eine hässliche und schwache Kreatur ist." - Dem folgt eine ausführliche Auflistung über unsere abstoßenden Zehen, Ohren und wasweißichnoch. Ich erinnere: Das Buch heißt "Das Leben im Mittelalter", nicht "Der Mensch ist eine traurige Maschine".)

Die Einleitungen zu den einzelnen Themen beinhalten stets einen Blick in die heutige Welt, der nur ansatzweise zum Vergleich mit dem Mittelalter genutzt wird, dem Autor wohl eher die Gelegenheit geben soll, sich über die schlechte Welt auszulassen. Die Einleitung über das Leben in Gruppen (nochmal: es handelt sich hier um ein Buch über das Mittelalter) lamentiert eine Seite lang so: "Vor allem aber in den sogenannten entwickelten Regionen wie den unseren, grüßt man sich nicht mehr auf der Straße und hält niemandem mehr die Tür auf. (...) Dabei verbindet sich der eigene Untertanengeist oft mit der Verleumdung des anderen, ganz zu schweigen von der notwendigerweise seltsamen Verbindung zwischen dem Befolgen aller neuen Trends und einem unbändigen Individualismus, wofür heute Fernsehen und Handy die wohl bezeichnendsten Beispiele sind. Die wütende Verteidigung des eigenen Territoriums..." usw. usf.

Es nervt irgendwann, wenn man eigentlich etwas über das Mittelalter lernen möchte und sich ständig durch das persönliche Manifest des Autors arbeiten muß.

Und so findet sich hier Informatives durchaus, aber ich habe es in anderen Büchern auch gefunden und das auf angenehmere und weniger selbstgefällige Weise. Knappe 3 Sterne für den reinen Informationsgehalt.

Veröffentlicht am 14.08.2019

Beginnt brillant, wird aber zweiten Hälfte banal

Ein Vermächtnis
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Sybille Bedford gewährt uns hier einen stark von ihrem eigenen Familienhintergrund geprägten Blick in zwei deutsche Familien zwischen 1870 und 1914.

Zunächst lernen wir die jüdisch-großbürgerliche Familie ...

Sybille Bedford gewährt uns hier einen stark von ihrem eigenen Familienhintergrund geprägten Blick in zwei deutsche Familien zwischen 1870 und 1914.

Zunächst lernen wir die jüdisch-großbürgerliche Familie Merz in Berlin kennen. In einer herrschaftlichen Villa wohnt das alte Ehepaar Merz recht fern von der richtigen Welt. Wir lernen die Familie Merz durch detaillierte, mit trockenem Humor verfaßte Beschreibungen ihrer Villa, ihres Lebensstils und ihrer Familienbeziehungen kennen. Ein Großteil des Romans besteht aus Dialogen, die uns recht schmucklos präsentiert werden, manchmal nur durch die Dialogzeilen, manchmal durch ein recht einfaches "sagte x", "sagte y", "sagte x". Die Dialoge zu Beginn sind einfach wundervoll, fassen das Wesen der Charaktere ausgezeichnet zusammen, sind in ihrer Knappheit unglaublich komisch.

Die zweite Familie sind die Lanadeligen von Felden aus Baden. Eine Familie mit jahrhundertealter Geschichte, dem Alten verhaftet, der neue Welt gegenüber mißtrauisch. Es wird französisch parliert und mit diesem neuen Deutschland kann man so gar nichts anfangen, mit den Preußen sowieso nicht. Auch hier wieder bemerkenswerte Lebensfremdheit. Man sitzt auf seinem Gut und ignoriert weitgehend, was da so alles draußen vor sich geht. Auch das wird ausgezeichnet beschrieben, trotz knapper Beschreibungen sind die Charaktere fabrig, lebenssecht. Hier wechselt die Tragik des Geschehens (ein Sohn der Familie wird durch die grausamen Praktiken einer Kadettenanstalt fürs Leben gebrochen) mit der Situationskomik, die sich durch die ganz eigene Art dieser Landadelswelt ergibt. Etwas anstrengend fand ich die vielen Sätze auf Französisch und die Tatsache, daß die Charaktere manchmal bei der deutschen Version des Namens genannt werden, manchmal bei der französischen (zB Julius/Jules).

Jules ist derjenige, der durch eine Heirat die beiden Familien Merz und von Felden verbindet. Hier war ich ebenfalls amüsiert durch die auf beiden Seiten bestehenden religiösen Sorgen & Vorurteile, die sich aus einer katholisch-jüdischen Verbindung ergeben. Man taucht wirklich ein in diese Welt des Großbürgertums und Landadels, die erste Hälfte des Buches ist ein großartiges Sittenbild. Julius ist ganz hervorragend im Geldausgeben und auch hier ist das Selbstverständnis jener Welt herrlich charakterisiert, weil es sich einfach von selbst versteht, daß er nicht arbeiten wird, sondern durch ausgesprochen großzügige Zuwendungen der Familien seinen ganz dem Genuß gewidmeten Lebensunterhalt bestreitet.

Nachdem die erste Hälfte des Buches also durch den herrlich pointierten Stil und das Eintauchen in diese Welt erfreut, wurde es in der zweiten Hälfte für mich langweilig. Julius' zweite Ehe mit einer ebenfalls völlig sinnlos dahinlebenden Frau wird hauptsächlich durch Dialogfetzen beschrieben, die - wie das Leben der beiden - ausgesprochen inhaltsleer sind. Das ist sicher Absicht, langweilt aber in dieser Häufung. Wir bekommen unerklärte Häppchen hingeworfen und sehen lesenderweise reichen Leuten beim Sich-Langweilen zu. Die wird zum Handlungsinhalt und das reicht einfach irgendwann nicht mehr aus. Für mich hat sich die Autorin ab der Mitte des Buches zu sehr in der Banalität verloren, das Pointierte verschwand, das Rührende auch. Diese zweite Hälfte war schlichtweg zäh und kein Vergnügen mehr.

Veröffentlicht am 04.08.2019

Traumhafte erste Hälfte, enttäuschende zweite Hälfte

Villa Europa
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Villa Europa hat mich angezogen, weil hier die Geschichte einer norwegischen Familie über mehrere Generationen ("von der Belle Époque bis zum Fall der Berliner Mauer") erzählt wird. Gerade der Blick auf ...

Villa Europa hat mich angezogen, weil hier die Geschichte einer norwegischen Familie über mehrere Generationen ("von der Belle Époque bis zum Fall der Berliner Mauer") erzählt wird. Gerade der Blick auf Norwegen hat mich gereizt, weil ich von der dortigen Geschichte sehr wenig weiß.

Die erste Hälfte des Buches ist ganz wundervoll, hat mich durch die herrliche Sprache, den eigenen Stil gefesselt. Es gibt keine überflüssigen Passagen, der Erzählstil ist konzentriert, zeigt manchmal schön trockenen Humor ("Nicht viel später begann auch Onkel Eilif zu sterben. Er starb nicht so schnell und gekonnt wie Onkel Georg, aber er fing zumindest damit an."). Wir lernen einen angenehm überschaubaren Kreis an (teils skurrilen) Charakteren kennen, das Haus "Villa Europa" tritt fast als eigener Charakter dazu. Hier sind die einzelnen Zimmer nach europäischen Ländern benannt und entsprechend eingerichtet, was im Laufe der Geschichte zu gelungenen kleinen Anspielungen auf die politische Situation führt. Warum das Haus so eingerichtet ist, wird im ersten Kapitel erzählt, aber natürlich gibt es einen Hintergrund. Einige der Räume wurden mir irgendwann so vertraut, daß ich sie vor mir sah.

Gerade die ersten beiden Kapitel sind von Charakteren und Handlung her so ungewöhnlich, daß sie ihren ganz eigenen Zauber ausüben. Während ich manche Gedanken und Aktionen der Charaktere nicht nachempfinden konnte, waren sie doch so interessant, daß ich gerne weiterlas und mich daran erfreute, wie sich Haus, Hauseinwohner und Weltgeschichte ineinander verflochten. Die Weltgeschichte spielt zu Beginn eher eine Nebenrolle, fließt ab und an in Andeutungen ein. Erst ab den Jahren um den Zweiten Weltkrieg herum bestimmt sie Erzählung und Handlung stärker. Hier gibt es ausgesprochen interessante Informationen über Norwegen in dieser Zeit.

Gedankenwelt und Handlungen der Charaktere werden weiterhin gut dargelegt, differenziert geschildert, eine Fülle lesenswerter Themen gab es zu entdecken.

Leider fiel der Zauber des Buches mit der zweiten Hälfte abrupt und unwiderbringlich weg. Während die in der Weltgeschichte so interessanten 60 Jahre zwischen Belle Époque und Nachkriegszeit mit ihren Umwälzungen und Änderungen in der wunderbaren ersten Hälfte des Buches recht rasch behandelt werden (oft hätte ich mir hier mehr Ausführlichkeit gewünscht), ist die zweite Hälfte des Buches den etwa 25 Jahren zwischen Mitte der 60er und 1989 gewidmet. Und das wird leider ziemlich langweilig (wobei ich zugebe, daß mich diese Epoche per se nicht sonderlich interessiert). Die herrliche Sprache, die Konzentration aufs Wesentliche weicht quälend detailfreudigen Dialogen, bei denen man sich oft wie auf einer linken Studentenparty fühlt, so ausgiebig und klischeehaft wird doziert. Die Charaktere haben wenig mehr zu tun, als um sich selbst zu kreisen und sich selbst zu finden. Die psychologische Finesse der ersten Buchhälfte, die spannenden historischen Ereignisse weichen Beziehungsgezacker, politischen Vorträgen und sehr vielen Belanglosigkeiten. Ich hatte teilweise das Gefühl, zwei verschiedene Bücher in einem zu haben. Auch das vorher so präsente originelle Haus, die immerhin namensgebende Villa Europa, tritt in den Hintergrund und das ganze herrliche Geflecht des ersten Teils wird aufgeweicht, dazu noch durch viel zu viele neue, kaum eindrückliche, Charaktere zerfasert.

So sehr ich die erste Hälfte innerlich bejubelte, so sehr ärgerte ich mich über die zweite Hälfte.

Veröffentlicht am 06.07.2019

Die Umsetzung dieses interessanten Themas war leider nicht mein Geschmack

Die Luftvergolderin
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In "Die Luftvergolderin" widmet sich Jeannine Meighörner einer wenig bekannten historischen Persönlichkeit, nämlich Anna von Ungarn, die im 16. Jahrhundert ein ungewöhnliches und interessantes Leben führte. ...

In "Die Luftvergolderin" widmet sich Jeannine Meighörner einer wenig bekannten historischen Persönlichkeit, nämlich Anna von Ungarn, die im 16. Jahrhundert ein ungewöhnliches und interessantes Leben führte. Es ist eine gute Idee, die Biographie dieser Frau zu erzählen, denn erzählenswert ist sie, und ich kann vorab sagen, daß ich durch das Buch viel über Anna von Ungarn gelernt habe.

Die Autorin wählt den Weg, das auf auf dem Titel gezeigte Brautportrait Annas in die Geschichte einzubinden, gewissermaßen als roten Faden für das Buch zu nehmen. Das ist ein origineller Ansatz und von der Idee her gut, geht aber leider doch sehr auf Kosten des eigentlichen Themas. Es wurde mir leider fast durchweg zu viel auf Nebenschauplätzen verweilt. Die ersten hundert Seiten führten uns in die Hintergründe von Annas Situation als junge Frau ein - sie wurde fast noch als Kind mit Kaiser Maximilian von Österreich vermählt, der hier als Stellvertreter für seine Enkel agierte, die zu dem Zeitpunkt noch zu jung waren, um Anna selbst zu heiraten (ja, zwei Enkel, wer nun Anna letztlich tatsächlich heiratet, ist zu dem Zeitpunkt noch nicht raus). Nach Maximilians Tod sitzt Anna erst mal herum und wartet darauf, daß einer dieser Enkel sie heiratet. Dies ist der Zeitpunkt der Entstehung des erwähnten Bildes und ihre Sitzungen mit dem Maler Hans Maler bilden in jenen ersten 100 Seiten eine Art Rahmenhandlung. Es werden immer einzelne Sätze aus verschiedenen Dialogen und Sitzungen der beiden herausgenommen, was auf mich ziemlich ungeordnet wirkt und auch zu mehreren Wiederholungen führt. So findet keine Unterhaltung statt, sondern man liest eben immer nur herausgerissene Sätze, die dann von ausführlichen erklärenden Absätzen unterbrochen werden. In diesen Absätzen erinnern sich sowohl Hans Maler wie auch Anna selbst an das bereits Geschehene. So erfahren wir über Annas Kindheit und Herkunft, über die kurzen Jahre der Ehe mit Maximilian und können uns Stück für Stück - passend zum roten Faden - ein geistiges Bild malen. Das ist an sich keine schlechte Methode und gerade Annas Erinnerungen und die persönlichen Einblicke in Maximilians Persönlichkeit, sind interessant. Leider aber gibt es auch sehr detailverliebte historische Informationen, die für die Geschichte oft gar keine Relevanz haben. Nun liebe ich Geschichte, lese sehr gerne darüber, aber es muß schon im Zusammenhang stehen und wenn die historischen Ausführungen die Handlungen ständig und lange unterbrechen, dann macht sogar mir das Lesen über Geschichte keinen Spaß mehr. Die Sprunghaftigkeit, die langen Einschübe ohne Relevanz für die Geschichte, die Wiederholungen...all das machte es schwierig und unerfreulich, sich durch diesen ersten Teil zu arbeiten. Fünfzig Seiten dieses ersten Teils sind dann einer ausführlichen Beschreibung der Kindheit und Jugend Hans Malers gewidmet, inklusive fast handbuchartiger Erklärungen zur Farbherstellung. An der Stelle habe ich den Klappentext noch mal konsultiert, weil es hier einfach so weit vom Thema entfernt war, daß ich dachte, ich hätte im Klappentext etwas übersehen. Nach diesen ersten 100 Seiten haben wir über Anna ziemlich wenig und über Hans Maler viel zu viel erfahren. Ich war an dieser Stelle kurz davor, das Buch abzubrechen und ohne Leserunde hätte ich das auch getan.

Der Mittelteil ist dann wesentlich erfreulicher und da hat sich das Weiterlesen doch gelohnt. Es geht hier endlich wirklich um Anna und ihre Ehe zu dem Maximiliansenkel Ferdinand. Hier wird der sich vorher fast wie ein Sachbuch lesende Roman auch etwas mehr zu Roman, mit Szenen, die sich vom rein Beschreibenden wegbewegen und Emotionen zeigen. Leider sind diese Szenen auch immer wieder mit langen Einschüben voller Hintergrundinformationen unterbrochen. Insgesamt las sich das gesamte Buch über weite Strecken eher wie ein Sachbuch, nicht wie ein Roman. Der Schreibstil an sich ist sehr gut, man merkt, die Autorin kann mit Sprache umgehen, schreibt auf gehobenem Niveau und es war erfreulich zu lesen. Nur hätte sie sich vielleicht entscheiden sollen, ob sie nun einen Roman oder ein Sachbuch schreiben möchte, denn so ist es doch eine etwas unbefriedigende Mischung aus beidem geworden. Einige der Romanszenen sind richtig herrlich, gerade Annas Sterbeszene bewegt zutiefst und ist literarisch ein Vergnügen. Von solchen Szenen hätte ich mir viel mehr gewünscht und bei einem solchen Umgang mit Sprache hätte das hier ein absolutes 5-Sterne-Buch sein können. Anna und auch ihr Mann Ferdinand nehmen Kontur an, die Beziehung zwischen ihnen ist facettenreich und lebendig geschildert, die Szenen mit ihnen beiden zusammen sind die besten des Buches. Sehr berührend, farbig, die historischen Namen werden zu Menschen.

Weniger gut gelungen ist weiterhin die Vermittlung der Hintergrundinformationen. Die langen sachbuchartigen Einschübe habe ich bereits erwähnt, wobei mir diese noch lieber waren, als das häufig verwendete Dialog-Infodumping. Die Autorin greift hier vorwiegend auf Dialoge zwischen Anna und ihrer Kinderfrau Jeanne zurück - diese Dialoge (eigentlich eher Monologe Annas, unterbrochen von einzelnen Ausrufen Jeannes) dienen ausschließlich dazu, uns geschichtliche Details zu berichten und wirken unecht, weil niemand solche Dialoge führen würde. Besonders deutlich wird es, wenn auch noch erwähnt wird, daß Jeanne das, was Anna ihr erzählt, schon weiß oder unzählige Male gehört hat. Ich fühle mich als Leser dann immer nicht ernst genommen, wenn dieses Dialog-Infodumping angewendet wird. Hinzu kommt, daß einige dieser in den Dialogen beschriebenen Dinge wundervoll farbige Romanszenen abgegeben hätten anstatt so lieblos heruntererzählt zu werden.

Im letzten Teil des Buches springt die Autorin dann überraschend in die späten 1930er und berichtet uns in ziemlicher Detailfreude von einem Jungen aus einer Familie, der das Brautportrait nun gehört. Damit greift sie zwar ein wichtiges Thema auf, nämlich das der Beutekunst, aber abgesehen davon, daß einem die starke Verbindung des Jungen zu dem Gemälde nicht nachvollziehbar erscheint, daß vierzig Seiten lang viel Belangloses berichtet wird, das nichts mit dem Gemälde und Anna von Ungarn zu tun hat, paßt dieser Teil meines Erachtens nicht ins Buch. Da wäre vielleicht ein sachliches Nachwort sinnvoller gewesen, denn so wundert man sich, warum man minutiös über die Tagesabläufe eines Jungen, das Berufsfeld und den Werdegang einer Kaltmamsell und anderes liest. Insgesamt sind von den knapp über 300 Seiten ungefähr 100 Seiten Nebenhandlungen gewidmet, die mit Anna von Ungarn letztlich nichts zu tun haben. Wen das nicht stört, der kann mit diesem Buch durchaus glücklich werden, denn der Schreibstil an sich, die vielen historischen Informationen und die gute Recherche sind erfreulich. Ich war aber leider doch etwas enttäuscht.