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Veröffentlicht am 27.08.2019

Wie Phönix aus der Asche...

Messer (Ein Harry-Hole-Krimi 12)
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…steigt Harry Hole diesmal nicht empor. Wer dachte, dass Harry Hole sämtliche Talsohlen der menschlichen Existenz bereits durchschritten hätte, sieht sich getäuscht. Ihm geht es dreckig, richtig schlecht. ...

…steigt Harry Hole diesmal nicht empor. Wer dachte, dass Harry Hole sämtliche Talsohlen der menschlichen Existenz bereits durchschritten hätte, sieht sich getäuscht. Ihm geht es dreckig, richtig schlecht. Nix mehr mit harmonischem Privatleben, dafür volle Kanne Selbstzerstörung.

Wieder einmal der Griff zur Flasche. Sein Privatleben liegt in Trümmern, Rakel hat ihn vor die Tür gesetzt, seinen Dozentenjob hat er verloren. Nur gut, dass Katrine Bratt, mittlerweile seine Chefin, ihn zurückgenommen und ein Auge auf ihn hat, ihm etwas zu tun gibt. Denn seine Fähigkeiten als grandioser Ermittler hat er noch nicht verloren.

Ein Killer hinterlässt eine blutige Spur und Harry nimmt Witterung auf. Die Morde ähneln denen eines Täters, den er aus der Vergangenheit kennt, den er verhaftet hat. Aber wenn er glaubt, dass sich mit dessen Überführung wieder alles zum Guten wendet, sitzt er einem Irrtum auf. Denn es kommt für ihn viel schlimmer, als er es sich jemals hätte vorstellen können…

Mit „Messer“ sind wir mittlerweile beim zwölften Band der Reihe, und obwohl es einige Muster gibt, die wir bereits, wie auch zahlreiche Personen, aus den Vorgängern kennen, hat Jo Nesbø doch noch den einen oder anderen Pfeil im Köcher, mit dem er seine Leser überrascht. Der Plot mit den beiden parallel verlaufenden Handlungssträngen ist gelungen, sorgt für Tempo, bringt Abwechslung und hält das Interesse hoch. Und dennoch gibt es auch Längen, besonders dann, wenn Hole über das Leben philosophiert, im Selbstmitleid badet. Bereits zur Genüge bekannt aus den Anfangsbänden der Reihe. Hier wäre weniger mehr gewesen, hätte der Qualität dieses Krimis nicht geschadet. Aber das ist meckern auf hohem Niveau. Ganz besonders dann, wenn man sich anschaut, was die skandinavischen Krimis, die seit geraumer Zeit die Buchhandlungen und Bestseller-Listen fluten, im Vergleich zu bieten haben. Von daher…volle Punktzahl!

Veröffentlicht am 13.08.2019

Launische Gedanken über die Buchbranche

Tagebuch eines Buchhändlers
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Shaun Bythell ist der Besitzer des „The Bookshop“, einer großen Second-Hand-Buchhandlung/Antiquariats an der Küste von Galloway in Wigtown, Schottland und in „Tagebuch eines Buchhändlers“ lässt er die ...

Shaun Bythell ist der Besitzer des „The Bookshop“, einer großen Second-Hand-Buchhandlung/Antiquariats an der Küste von Galloway in Wigtown, Schottland und in „Tagebuch eines Buchhändlers“ lässt er die Leser über einen Zeitraum von einem Jahr an seinem Leben teilhaben. Dass Buchhandlungen, die nicht unter dem Dach einer großen Kette ihre Geschäfte betreiben, permanent ums Überleben kämpfen müssen, wissen mittlerweile die meisten Leser. So auch Bythell, der wenig mit dem freundlichen, warmherzigen und verständnisvollen Bücherwurm zu tun hat, den man sich hinter dem Tresen eines solchen Ladens vorstellt. Und doch gibt es Situationen, in denen genau diese Eigenschaften durchblitzen. Als beispielsweise ein Kunde beim Stöbern den Namen seines Vaters auf dem Vorsatzblatt findet, überlässt ihm Bythell das Buch umsonst.

Doch meist wirkt er ziemlich mürrisch und desillusioniert. Kein Wunder, wenn man sich seine Kunden anschaut. Die einen wühlen sich stundenlang durch die Regale, versuchen dann den Preis des Buches herunterzuhandeln, und wenn das nicht funktioniert, schauen sie, ob sie das Exemplar online billiger bekommen, die anderen verlassen den Laden ohne Einkauf, nachdem sie vorher den Buchhändler ewig in ein Gespräch verwickelt haben. Offenbar braucht es schon eine gewisse Passion, um nicht aufzugeben, denn bei der Beschreibung des frustrierenden Umsatzes habe ich mich immer wieder gefragt, wie „The Bookshop“ überleben kann. Vielleicht sind ja unter den antiquarischen Büchern, die er im Rahmen von Haushaltsauflösungen kauft, einzelne Gemmen, die er gewinnbringend veräußern kann.

Und doch denke ich, dass Bythell das mag, was er tut. Er liebt seine Buchhandlung und seine Heimat. Das kann man seinen Beschreibungen entnehmen, wenn er für Ankäufe über Land fährt. Und er ist auch nicht immer übellaunig. Es gibt auch zahlreiche Textpassagen, die von trockenem Humor geprägt sind, man denke nur an die schrulligen Assistentin, die die Bücher regelmäßig falsch einsortiert, oder die Erschiessung des ebook-Readers. Sehr unterhaltsam und entbehrt nicht einer gewissen Komik.

Aber das “Tagebuch eines Buchhändlers” ist mehr als “Bridget Jones Diary” (der Vergleich kam mir in den Sinn, als ich die tägliche Bilanz gesehen habe). Es ist gleichermaßen eine David-gegen-Goliath Geschichte, eine Abrechnung und ein Aufruf gleichermaßen, der Unterstützung der inhabergeführten Buchhandlungen und der unabhängigen Verlage fordert.

Shaun Bythell mag nicht uneingeschränkt glücklich mit seinem Leben als Buchhändler sein, aber er hat all das, was sein Leben ausmacht. Er ist zufrieden.

Veröffentlicht am 12.08.2019

Vielschichtiges Südstaaten-Drama

Verratenes Land
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Wie bereits in der Natchez-Trilogie nimmt uns Greg Iles in „Verratenes Land“ mit in den amerikanischen Süden, nach Mississippi, und erzählt eine spannende Geschichte von Vergangenheit und Gegenwart, von ...

Wie bereits in der Natchez-Trilogie nimmt uns Greg Iles in „Verratenes Land“ mit in den amerikanischen Süden, nach Mississippi, und erzählt eine spannende Geschichte von Vergangenheit und Gegenwart, von Gier und Korruption, von Verantwortung und Verrat. Und von Schuld und Trauer.

Marshall McEwan ist heimgekehrt, weil sein Vater im Sterben liegt und er seine Mutter unterstützen möchte. Vor annähernd 30 Jahren hat er Bienville verlassen, eine Karriere als Journalist gemacht, den Pulitzerpreis bekommen. Die Rückkehr war nicht leicht für ihn, hatte er doch in jungen Jahren große Schwierigkeiten mit seinem trunksüchtigen Vater. Er ist am Boden zerstört, als er von Buck Ferris‘ Tod erfährt, hat sich dieser sich doch in seiner Jugend um ihn gekümmert, quasi als Ersatzvater.

Buck Ferris war Archäologe und vermutete auf dem zukünftigen Standort der geplanten Papierfabrik in Bienville eine alte Indianersiedlung, weshalb er dort unerlaubterweise bei Nacht und Dunkel gegraben hat. Und offenbar hatte ihn jemand beobachtet, der mit aller Macht verhindern wollte, dass er seine Erkenntnis den Entscheidungsträgern mitteilen und damit das Großprojekt stoppen könnte. Aber ist es wirklich der Bienville Poker Club, der bei Ferris‘ Tod die Finger im Spiel hat, wie seine Frau vermutet?

Iles‘ beschreibt die erdrückende Südstaaten-Atmosphäre sehr eindrücklich und zieht damit den Leser sofort in seinen Bann. Die Landschaft und die Historie, die Überheblichkeit der High Society, die Klüngeleien. All das gepaart mit der Heimkehr des verlorenen Sohnes, der sich noch immer die Schuld am Tod seines älteren Bruders gibt und wieder nach seinem Platz in der Stadt suchen muss, die ums Überleben kämpft.

Und wie in der Natchez-Trilogie schafft es der Autor auch in „Verratenes Land“ mitreißend und spannend das Beste und das Schlechteste aufzuzeigen, das der amerikanische Süden zu bieten hat. Grandios!

Veröffentlicht am 05.08.2019

Innenwelt und Außenwelt

Die Hütte des Schäfers
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Jaxie Clackton ist auf der Flucht. Dabei ist er kein Krimineller, sondern nur ein ängstlicher 15jähriger Junge. Sein Vater liegt tot in der Einfahrt unter seinem Auto. Der Wagenheber hat sich gelöst und ...

Jaxie Clackton ist auf der Flucht. Dabei ist er kein Krimineller, sondern nur ein ängstlicher 15jähriger Junge. Sein Vater liegt tot in der Einfahrt unter seinem Auto. Der Wagenheber hat sich gelöst und jetzt ist er tot, der Vater. Obwohl, diese Bezeichnung verdient er eigentlich nicht. Er ist ein Säufer und Schläger, kein liebender Vater. Als Jaxies inzwischen an Krebs verstorbene Mutter noch lebte, hat er diese regelmäßig verprügelt. Inzwischen muss der Junge die Schläge einstecken. Mehr als einmal hat er dem Vater den Tod gewünscht, aber als er ihn da liegen sieht, befürchtet er nur, dass man ihn verantwortlich machen könnte. Flucht scheint der einzige Ausweg. Und er zieht los, Richtung Salzwüste im Norden. Allein auf sich gestellt, ist jeder Tag eine Herausforderung, ein Kampf ums Überleben in unwirtlicher Landschaft. Bis er auf eine kleine Hütte stößt, bewohnt von dem alten Priester Fintan, der dort Zuflucht und Vergessen gesucht hat. Obwohl anfangs voller Misstrauen, bleibt er.

Wintons Beschreibungen von Außenwelt und Innenwelt beeindrucken. Roh und abweisend. Die Menschen und die Umgebung. Die Landschaft Australiens, die Gewalt und Zerstörung von Menschenhand erfahren musste. Wie auch der Junge und der Priester, die sich beide ebenfalls mit ihrer Geschichte und ihren Verletzungen auseinandersetzen müssen. Die sich annähern, zögerlich zuerst, und damit einen Heilungsprozess einleiten. Auf der Suche nach Erlösung. Außenseiter, beide zerbrechlich. Mit mehr Fragen als Antworten. Eine Geschichte, die den Leser über das Ende hinaus beschäftigt.

Veröffentlicht am 30.07.2019

Ein Roman, der unter die Haut geht

Wenn Engel brennen
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„Wenn Engel brennen“ ist bereits der sechste Roman von Tawni O’Dell (geboren und aufgewachsen in Pennsylvania), aber der erste, der dank des Argument/Ariadne Verlags in deutscher Übersetzung vorliegt. ...

„Wenn Engel brennen“ ist bereits der sechste Roman von Tawni O’Dell (geboren und aufgewachsen in Pennsylvania), aber der erste, der dank des Argument/Ariadne Verlags in deutscher Übersetzung vorliegt. Bleibt zu hoffen, dass die anderen folgen werden, denn für mich ist er ein Highlight meines Lesejahres. O’Dell ist in Pennsylvania geboren und aufgewachsen und verortet auch ihre Romane dort.

Immer wieder brennen in der Bergbauregion Pennsylvanias die Kohleflöze. Das bekannteste Beispiel ist der Kohlebrand von Centralia, der seit 1962 nicht nur die Stadt sondern auch die Region unbewohnbar gemacht hat. Ähnliches ist auch Campell’s Run widerfahren, einem fiktiven Städtchen am Fuße der Appalachen. Die Feuer schwelen unterirdisch weiter, die Natur ist verwüstet, der Ort fast menschenleer. Doch dann wird in einer Minengrube eine Leiche gefunden, der Schädel eingeschlagen, mit Benzin übergossen und verbrannt. Ein Fall für Dove Carnahan, erste Polizeichefin von Buchanan und seit zehn Jahren im Amt, die gemeinsam mit State Trooper Nolan in diesem Fall ermittelt und im Zuge dessen sich auch mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen muss. Zwei Familien, zwei Geschichten. Menschen, die nicht nur Opfer sondern auch Täter sind.

Das Brandopfer ist Camio Truly, die aus einer Familie kommt, die jedem Lehrbuch als gelungenes Beispiel für Dysfunktionalität dienen könnte und mit der man sich besser nicht anlegen sollte. An der Spitze die Matriarchin Miranda, die mich sehr an Mags Bennett aus „Justified“ (TV-Serie nach Motiven von Elmore Leonards „Raylan“) erinnert hat. Keinen Widerspruch duldend, regiert sie ihre Redneck-Familie mit harter Hand. Und wehe dem, der ausscheren will. Da fügt man sich doch lieber und bleibt auf Kurs, wenn man nicht wie Camio enden will.

Das hört sich nach einem Kriminalroman an, ist aber weit mehr als das. O’Dell ist hier eine präzise Milieustudie gelungen. Über toxische Familienverhältnisse, über Menschen, von der Politik vergessen, nachdem ihre Lebensgrundlage zerstört wurde. Sie punktet mit sympathischen Charakteren, die sich nicht immer an die Vorschriften halten. Mit trockenem Humor. Mit einer Protagonistin, die sich des Alltagssexismus bewusst ist und diesen souverän händelt.

Ein Roman, der unter die Haut geht. Lest ihn, ihr werdet es nicht bereuen.