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Veröffentlicht am 22.08.2019

Verbrechen, die nie gesühnt wurden

Die Nickel Boys
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Tallahassee (Südflorida) Anfang der 1960er-Jahre: Der 16-jährige Elwood Curtis lebt bei seiner Großmutter in einem schwarzen Ghetto, nachdem seine Eltern abgehauen sind. Der farbige Jugendliche ist ein ...

Tallahassee (Südflorida) Anfang der 1960er-Jahre: Der 16-jährige Elwood Curtis lebt bei seiner Großmutter in einem schwarzen Ghetto, nachdem seine Eltern abgehauen sind. Der farbige Jugendliche ist ein glühender Fan von Martin Luther King und träumt davon, aufs College zu gehen. Er legt viel Fleiß an den Tag, um dieses Ziel zu erreichen. Tatsächlich erhält er die Möglichkeit, seinen Traum zu verwirklichen. Doch dann kommt alles ganz anders. Wegen eines Missverständnisses, ausgelöst durch seine Hautfarbe, wird Elwood zum Opfer eines Justizirrtums und landet in der Besserungsanstalt „Nickel Academy“. Dort muss er Tag für Tag Willkür und unvorstellbare Brutalität über sich ergehen lassen.

„Die Nickel Boys“ von Colson Whitehead ist ein Roman, der die Themen Rassismus und Gewalt in den Vordergrund stellt.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus drei Teilen und insgesamt 16 Kapiteln. Vorangestellt ist ein Prolog. Zudem gibt es einen Epilog. Erzählt wird vorwiegend, aber nicht nur aus der Sicht von Elwood. Immer wieder gibt es Zeitsprünge, die mir jedoch keine Probleme bereitet haben.

Der Schreibstil ist unaufgeregt, recht nüchtern und ein wenig distanziert, aber dennoch intensiv und einfühlsam. Allerdings wirkt die deutsche Übersetzung stellenweise holprig und hat leider einige idiomatische Schwächen. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir dennoch leicht.

Mit Elwood steht ein junger Protagonist im Mittelpunkt, der mit seiner ehrlichen, vielleicht schon etwas naiven Art meine Sympathie gewinnen konnte. Seine Entwicklung wird authentisch und nachvollziehbar geschildert.

Obwohl die Handlung insgesamt recht spannungsarm ist und erst gegen Ende mit einer Wendung so richtig überrascht, kommt beim Lesen keine Langeweile auf. Das liegt nicht nur an der eher geringen Seitenzahl, sondern vor allem am Inhalt.

Die Themen im Roman haben es in sich und machen betroffen. Es geht um Rassismus, Hass und Diskriminierung, um Missbrauch, Unterdrückung, Willkür und andere Formen von Gewalt. Dadurch ist die Geschichte keine leichte Kost. Sie regt nachdrücklich zum Nachdenken an und wühlt auf. Zwar spielt der Roman in der Vergangenheit, doch lassen sich auch Bezüge zum Geschehen der heutigen Zeit erkennen, was der Lektüre Aktualität verleiht.

Gut gefallen hat mir, dass der Roman – trotz des fiktiven Charakters Elwood – auf wahren Begebenheiten beruht. Tatsächlich gab es in Florida eine solche Besserungsanstalt, allerdings mit dem Namen „Dozier School for Boys“. Das ist im Nachwort zu erfahren, das die fundierte Recherche des Autors belegt. Durch die literarische Verarbeitung wird die Aufmerksamkeit auf diese grauenvolle Episode der Vergangenheit gelenkt, was ich wichtig finde.

Das sehr reduziert gestaltete Cover passt gut zum Inhalt. Gut gefällt mir auch, dass man sich am prägnanten amerikanischen Originaltitel („The Nickel Boys“) orientiert hat.

Mein Fazit:
„Die Nickel Boys“ von Colson Whitehead ist ein aufrüttelnder, tiefgründiger Roman über ein dunkles Kapitel der amerikanischen Geschichte. Besonders aufgrund seiner Thematik kann ich das Buch empfehlen.

Veröffentlicht am 16.08.2019

Gedanken über die Liebe

Das Girlfriend-Experiment
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Schon seit einem Jahr leidet Mary Parson unter chronischen Schmerzen. Einige Ärzte und sonstige Heiler hat die junge Frau aus New York schon aufgesucht. Doch niemand konnte ihr helfen, bis sie auf Ed trifft. ...

Schon seit einem Jahr leidet Mary Parson unter chronischen Schmerzen. Einige Ärzte und sonstige Heiler hat die junge Frau aus New York schon aufgesucht. Doch niemand konnte ihr helfen, bis sie auf Ed trifft. Eine Freundin hatte ihr empfohlen, es mit der New-Age-Therapie PAKing zu versuchen. Und tatsächlich: Dieses „Feng Shui für den energetischen Körper“ schlägt bei Mary an. Aber die Sache hat einen Haken: Jeder der Sitzungen mit Ed kostet mehr als 200 Dollar, und es werden einige davon benötigt. Dabei hat sie doch ohnehin schon Schulden. Neben dem Job im Reisebüro braucht Mary also eine weitere Einnahmequelle. Ein Aushang in einem Reformhaus verspricht eine sehr gut bezahlte „einkommensschaffende Erfahrung“. Mary bewirbt sich und wird Teil des „Girlfriend-Experiments“. Dahinter steckt der Filmstar Kurt Sky, der herausfinden will, wie man die ideale Beziehung führt. Zu diesem Zweck beschäftigt er mehrere Frauen für unterschiedlichen Funktionen. Mary wird als emotionale Freundin eingestellt…

„Das Girlfriend-Experiment“ ist ein Roman von Catherine Lacey.

Meine Meinung:
Der Roman beginnt mit einem kurzen Prolog und besteht aus drei Teilen. Der erste ist in elf Kapitel, der zweite in 21 Kapitel und der dritte in sieben Kapitel untergliedert. Teil 1 und 3 werden in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Mary erzählt, in Teil 2 übernimmt ein allwissender Erzähler. Dieser Aufbau funktioniert ganz gut.

Dass es die Autorin versteht, mit Sprache umzugehen, wird an vielen Stellen deutlich. Mehrere Sätze sind so gelungen formuliert, dass man sie gleich mehrfach lesen will. Der Einstieg in die Geschichte ist jedoch ein wenig holprig, denn die Handlung nimmt nur langsam Fahrt auf. Vor allem zu Beginn hat mich der Roman auch ziemlich verwirrt, nach den ersten 50 Seiten jedoch zog er mich dann in seinen Bann.

Im Vordergrund der Geschichte steht Mary, ein reizvoller Charakter mit einer interessanten Vita. Ein Manko des Romans ist es jedoch, dass mir die Protagonistin leider überhaupt nicht sympathisch ist, was es schwierig macht, mit ihr zu fühlen. Darüber hinaus erscheint sie – wie einige andere Figuren – recht überzeichnet und damit ein wenig realitätsfern.

Das dargestellte Szenario, das mich ein wenig an eine Dystopie erinnert, bildet allerdings eine perfekte Grundlage für das gedankliche Experiment, auf das uns die Autorin mitnimmt. Es regt an, über verschiedene Fragen nachzudenken: Was ist die Liebe? Woran erkennt man sie? Lässt sich Verliebtheit konservieren? Dabei liefert das Buch nicht nur Denkimpulse, sondern bietet auch Raum für Gesellschaftskritik. In diesen beiden Punkten liegen die wohl größten Stärken des Romans, der durch seine feministische Komponente zudem sehr aktuelle Bezüge herstellt. Gut gefallen hat mir auch die psychologische Tiefe. Dennoch: Die Geschichte wirkt auf mich ziemlich merkwürdig, skurril und überspitzt, was den sonst positiven Gesamteindruck ein wenig eintrübt.

Das Cover empfinde ich als optisch ansprechend und treffend gewählt, obwohl es sich von der amerikanischen Version unterscheidet. Der deutsche Titel weicht ebenfalls stark vom Original („The Answers“) ab, passt aber sehr gut zum Inhalt.

Mein Fazit:
„Das Girlfriend-Experiment“ ist ein ungewöhnlicher Roman von Catherine Lacey, der sicherlich polarisieren wird. Die Geschichte konnte mich – trotz mehrerer Schwächen – faszinieren. Sie verstört und irritiert, entwickelt aber auch einen Sog, den ich nicht ganz ergründen kann. Empfehlenswert für alle, die sich einmal gerne aus der Komfortzone wagen möchten.

Veröffentlicht am 05.08.2019

Zwei Meter

Drei Schritte zu dir
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Stella Grant hat gerne alles unter Kontrolle, obwohl ihre Krankheit ihr das fast unmöglich macht. Seit ihrem sechsten Lebensjahr hat sie viel Zeit in Krankenhäusern verbracht, denn sie leidet an Mukoviszidose. ...

Stella Grant hat gerne alles unter Kontrolle, obwohl ihre Krankheit ihr das fast unmöglich macht. Seit ihrem sechsten Lebensjahr hat sie viel Zeit in Krankenhäusern verbracht, denn sie leidet an Mukoviszidose. Sie hält sich streng an ihren Therapieplan und hofft auf eine Spenderlunge. Wegen eines Infekts ist sie gerade wieder in der Klinik, wo sie den etwa gleichaltrigen Will Newman (17) trifft. Auch er ist schwer an Muko erkrankt, hat aber sonst nicht viel mit Stella gemeinsam, denn er nimmt es mit seiner Therapie nicht so genau. Trotzdem fühlen sich beide nach kurzer Zeit zueinander hingezogen. Und exakt das wird zum Problem, denn Patienten mit der Lungenkrankheit müssen etwa drei Meter Abstand zueinander halten. Weil er sich mit resistenten Bakterien infiziert hat, ist Will sogar eine besonders große Gefahr für Stella. Wie sollen die beiden mehrere Schritte Abstand wahren, wenn sie sich berühren wollen?

„Drei Schritte zu dir“ von Rachael Lippincott ist der Roman, der auf dem Drehbuch des gleichnamigen Films basiert.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 31 Kapitel mit einer angenehmen Länge. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge abwechselnd in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Stella und Will. Die Übergänge sind fließend, sodass keine Wiederholungen oder Lücken entstehen. Dieser Aufbau funktioniert sehr gut.

Der Schreibstil ist gut verständlich, aber sehr einfach. An vielen Stellen wird deutlich, dass die Drehbuchstruktur den Roman geprägt hat. So gibt es beispielsweise nur wenige detailreiche Beschreibungen. Dennoch lässt sich die Handlung gut nachvollziehen. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir leicht.

Im Mittelpunkt des Romans stehen Stella und Will, zwei Protagonisten, die ich zwar grundsätzlich sympathisch finde, aber vor allem in den ersten Kapiteln zu unreif für ihr Alter empfunden habe. Allerdings machen die beiden eine Entwicklung durch. Die meisten Personen wirken recht authentisch. An einigen Stellen bleiben die Charaktere jedoch ein wenig zu blass, was sicherlich dem Erzählstil geschuldet ist.

Obwohl die Geschichte nur allmählich Fahrt aufnimmt und erst im letzten Drittel so richtig Spannung aufkommt, konnte mich die Handlung gut unterhalten. Meine Erwartung, mehr über die Krankheit und das Leben mit Mukoviszidose zu erfahren, wurde absolut erfüllt. Die Stärke des Romans liegt darin, auf dieses Lungenleiden aufmerksam zu machen und darüber aufzuklären, was ich sehr begrüßenswert finde. Die Verbindung von Liebes- und Krankheitsgeschichte kann schnell ins Kitschige abrutschen. Das ist bei diesem Roman eher nicht der Fall. Allerdings konnte mich das Buch nicht so sehr berühren wie erhofft.

Ich habe die Geschichte als ungekürzte Lesung gehört. Dabei liest Dirk Petrick die Will-Kapitel und Maximiliane Häcke die Stella-Passagen. Die zwei Sprecher machen dabei einen guten Job.

Das optisch ansprechende Cover passt sehr gut, denn es greift eine im Buch erwähnte Zeichnung auf. Beim deutschen Titel wurde sich am amerikanischen Original („Five Feet Apart“) orientiert.

Mein Fazit:
Auch wenn mich die Geschichte nicht in allen Punkten überzeugt hat, ist „Drei Schritte zu dir“ von Rachael Lippincott ein unterhaltsamer und thematisch interessanter Roman. Die Filmversion werde ich mir bei Gelegenheit sicherlich auch noch anschauen.

Veröffentlicht am 31.07.2019

Ein Leben in einem Lügenkonstrukt

Die junge Frau und die Nacht
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Auf das Drängen seines besten Freundes Maxime Biancardini kehrt der erfolgreiche Schriftsteller Thomas Degalais wegen einer Jubiläumsfeier ihrer alten Schule aus den USA in seine französische Heimatstadt ...

Auf das Drängen seines besten Freundes Maxime Biancardini kehrt der erfolgreiche Schriftsteller Thomas Degalais wegen einer Jubiläumsfeier ihrer alten Schule aus den USA in seine französische Heimatstadt Antibes an der Côte d’Azur zurück – an den Ort, an dem vor 25 Jahren Vinca Rockwell, seine große Liebe, spurlos verschwand. Damals beging Thomas mit Maximes Hilfe aus Liebe und Verzweiflung ein grausames Verbrechen. Nun droht die Vergangenheit die beiden einzuholen, denn jemand ist hinter ihr Geheimnis gekommen und will Rache. Um sich und ihre Familien zu schützen, müssen Thomas und Maxime herausfinden, warum Vinca mit 19 Jahren im Dezember 1992 das Internatsgelände von Saint-Exupéry verließ. Doch je näher sie der Wahrheit kommen, desto größer wird die Gefahr…

„Die junge Frau und die Nacht" ist ein Roman von Guillaume Musso.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus fünf Teilen, die in 18 Kapitel untergliedert sind, die mit Zitaten eingeleitet werden. Das Buch endet mit einem Epilog beziehungsweise mehreren Epilogen. Vorangestellt ist eine Art Prolog. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven, vorwiegend aus der Sicht von Thomas in der Ich-Perspektive. Es gibt immer wieder Rückblenden, denn die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen. Der Aufbau wirkt durchdacht.

Der Schreibstil ist angenehm und anschaulich. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir aufgrund einiger Perspektivwechsel und Zeitsprünge nicht so leicht. Auch die Einführung vieler Personen auf wenigen Seiten macht den Anfang verwirrend. Später habe ich mich allerdings gut in der Geschichte zurechtgefunden.

Die Protagonisten sind reizvoll angelegt und werden als vielschichtige, psychologisch gut ausgearbeitete Charaktere präsentiert. Dadurch erscheinen die Personen durchaus authentisch. Ein Manko des Romans ist es jedoch, dass ich mich mit keiner der Persönlichkeiten identifizieren kann und es keine Sympathieträger gibt.

Inhaltlich kommt der Roman wie ein Psychothriller daher. Die Atmosphäre ist düster. Es geht um Rache, dunkle Geheimnisse, menschliche Dramen und Verbrechen. Zwar spielt auch die Liebe eine nicht unwichtige Rolle. Dennoch ist für meinen Geschmack die Krimi-Komponente zu stark ausgeprägt.

Trotz der mehr als 400 Seiten bleibt die Geschichte weitgehend kurzweilig. Mit mehreren Wendungen gelingt es dem Autor, das Rätsel um das Verschwinden von Vinca und den eingangs geschilderten Mord aufrechtzuerhalten. Immer wieder kann der Leser eigene Theorien aufstellen. Bis zum Schluss ist die Spannung hoch. Allerdings wirken die Enthüllungen gegen Ende auf mich ein wenig zu stark konstruiert.

Interessant sind die Ausführungen, die Musso an seinen Roman anfügt. Zu lesen sind dort „Über das Privileg des Romanautors“ und „Das Wahre vom Falschen unterscheiden“. So erfährt der Leser zum Schluss, welcher Teil des Romans auf tatsächlichen Begebenheiten und was auf reiner Fiktion beruht.

Ein weiterer Pluspunkt ist die Karte, die eine Orientierung über das St. Exupéry College gibt. Auch das Quellenverzeichnis und die Fußnoten gehören zum Zusatzmaterial.

Das düstere Cover passt gut zum Inhalt des Romans, weicht jedoch erheblich von der französischen Ausgabe ab. Der deutsche Titel wurde dagegen vom Original („La jeune fille et la nuit“) übernommen.

Mein Fazit:
Nachdem ich zuvor einige Lobeshymnen auf Guillaume Musso gehört und mit entsprechend hohen Erwartungen die Lektüre begonnen hatte, hat mich sein neuer Roman „Die junge Frau und die Nacht" wegen kleinerer Schwächen ein wenig enttäuscht. Dennoch beweist der Autor sein schriftstellerisches Können und bereitet fesselnde Lesestunden, sodass ich den Vorgängerromanen von Musso sicherlich auch noch eine Chance geben werde.

Veröffentlicht am 22.07.2019

Geheimnisse, die man (nicht) vergessen will

Die verborgenen Stimmen der Bücher
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Emmett Farmer führt ein bescheidenes, aber recht zufriedenes Leben. Der junge Mann arbeitet – wie seine Schwester Alta – auf dem Bauernhof seiner Eltern Robert und Hilda, als die Familie einen Brief ...

Emmett Farmer führt ein bescheidenes, aber recht zufriedenes Leben. Der junge Mann arbeitet – wie seine Schwester Alta – auf dem Bauernhof seiner Eltern Robert und Hilda, als die Familie einen Brief erhält. Emmett soll bei der alten Buchbinderin Seredith in die Lehre gehen. Seine Eltern sind zunächst entsetzt, da sie schlecht über Bücher denken. Doch sie schicken ihn schließlich doch zu der Frau – auch weil sie glauben, dass er nach einer schweren Krankheit seine Aufgaben auf dem Hof nicht mehr erfüllen kann. Zwar erfährt er bei ihr zunächst nur wenig über das Handwerk und darf auch nicht in das Gewölbe mit den kostbaren Büchern. Dennoch schließt Emmett seine Meisterin nach einer Weile in sein Herz. Doch je länger er bei der alten Frau ist, desto mehr wird ihm bewusst, dass etwas ganz Besonderes hinter dem Buchbinden steckt. Und allmählich wächst in ihm zudem die Erkenntnis, dass er selbst Teil eines Geheimnisses ist, das er eigentlich vergessen sollte…

„Die verborgenen Stimmen der Bücher“ ist das Romandebüt von Bridget Collins.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus drei Teilen und insgesamt 28 Kapiteln. Erzählt wird zuerst in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Emmett. Im dritten Teil bleibt es bei der Ich-Perspektive, aber die Sichtweise ändert sich. Der Aufbau ist durchdacht und funktioniert gut.

Der Schreibstil des Romans ist ungewöhnlich und hat mir sehr gefallen. Er ist detailreich und voll von intensiven Beschreibungen und Sprachbildern. Dennoch wird das Lesen beziehungsweise Zuhören nicht anstrengend. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir leicht, obgleich der Roman in den ersten Kapiteln recht mysteriös daherkommt und nur langsam an Fahrt aufnimmt. Die Geschichte spielt in einer fantasievollen, aber rückständigen Welt, wobei sich die Autorin für das Worldbuilding jedoch nicht viel Zeit nimmt.

Im Vordergrund stehen Emmett und eine andere Person, auf die ich nicht weiter eingehen werde, um nicht zu viel vorwegzunehmen. Die zwei Hauptcharaktere waren mir nicht gänzlich unsympathisch, dennoch wurden ich mit beiden nicht so richtig warm, da ich eine Person (Emmett) oft als zu naiv, die andere als arrogant empfunden habe. Ihre Gedanken- und Gefühlswelt wird sehr gut deutlich. Mit deren Verhaltensweisen und Reaktionen war ich jedoch nicht immer einverstanden. Einige der Nebenfiguren, allen voran Emmetts Schwester Alta und die Buchbinderin, waren mir sympathischer, andere hingegen wirken ein wenig eindimensional, weil sie als durchweg böse dargestellt werden. Alles in allem wird dem Leser jedoch ein breites und reizvolles Personenspektrum präsentiert.

Inhaltlich steckt in dem Roman sehr viel. Die kreative Idee des Buchbindens und der Magie, die damit verbunden ist, hat eine Menge Charme. Leider werden die Hintergründe und Details dazu nicht so vertieft, wie ich es mir gewünscht hätte. So wird bis zum Ende nicht ganz deutlich, wie genau das Ganze funktioniert. Zudem nimmt diese Idee nicht sehr viel Raum ein, wodurch der Roman einen Teil seines Potenzials nicht nutzt. Stattdessen fokussiert die Handlung nach dem ersten Drittel sehr auf eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Ich fand sie zwar sehr interessant, aber sie hätte durchaus kürzer abgehandelt werden können. So wird die Geschichte zum Teil etwas langatmig.

Positiv anzumerken sind die vielen Wendungen und Einfälle, mit denen der Roman überraschen kann. Sie sorgen dafür, dass immer wieder Spannung aufkommt. Ein Pluspunkt ist für mich auch, dass in der Geschichte moralische Fragen aufgeworfen werden.

Ich habe die Geschichte als ungekürzte Lesung gehört. Sprecher Frank Stieren hat seinen Job dabei sehr gut gemacht.

Das Cover gefällt mir sehr gut, auch wenn sich der inhaltliche Bezug nicht sofort erschließt. Der deutsche Titel weicht vom englischsprachigen Original („The Binding“) deutlich ab und ist nach meiner Ansicht etwas irreführend, da es nicht um Stimmen geht.

Mein Fazit:
„Die verborgenen Stimmen der Bücher“ von Bridget Collins ist ein Roman, der sein Fantasy-Potenzial leider nicht ausschöpft. Doch trotz kleinerer Schwächen hat mich die Geschichte aufgrund ihrer Ungewöhnlichkeit gut unterhalten.