Der Lebensbaum
Das MarillenmädchenBereits seit ihrer Kindheit lebt die alte Elisabetta Shapiro in einem alten Haus in Wien, wo im Garten ein Marillenbaum steht, den ihr Vater gepflanzt hat und von dessen Früchten ihre Mutter Marmelade ...
Bereits seit ihrer Kindheit lebt die alte Elisabetta Shapiro in einem alten Haus in Wien, wo im Garten ein Marillenbaum steht, den ihr Vater gepflanzt hat und von dessen Früchten ihre Mutter Marmelade machte, die auch heute noch eine Versuchung ist, da Elisabetta die Tradition des Marmeladekochens übernommen hat. Die Marmelade weckt Erinnerungen in Elisabetta und umhüllt sie wie eine warme Decke. Während des 2. Weltkrieges blieb nur sie von ihrer jüdischen Familie übrig und konnte der Deportation nach Dachau entkommen. Um nicht ganz in ihrer Einsamkeit und in Gedanken an die Vergangenheit zu versinken, vermietet Elisabetta Zimmer. Als eine junge deutsche Tänzerin namens Pola bei ihr einzieht, begegnet ihr Elisabetta aufgrund ihrer eigenen Familiengeschichte zuerst mit Ablehnung. Doch mit zaghaften Schritten lernen sich die beiden unterschiedlichen Frauen kennenlernen und schon bald zeigen sich mehr Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, als sie gedacht hätten.
Beate Teresa Hanika hat mit ihrem Buch „Das Marillenmädchen“ einen wunderschönen, gefühlvollen Roman vorgelegt, dem der Zauber der Vergangenheit und der Gegenwart innewohnt und diese auf wunderbare Weise miteinander verbindet. Der Schreibstil ist poetisch, teilweise melancholisch und anrührend, die Autorin bedient sich einer bildgewaltigen Sprache, die vor dem inneren Auge des Lesers einen Film ablaufen lässt. Die Geschichte ist in zwei Handlungsstränge unterteilt, der eine erzählt von Elisabetta und ihren Erinnerungen, der andere schildert das Leben von Pola. Sehr geschickt versteht es die Autorin, beide Stränge miteinander zu verflechten und dem Leser mit behutsamer Hand die ganze Trauer und die schmerzhaften Erinnerungen zu vermitteln. Stück für Stück entblättert Beate Teresa Hanika die ganze Geschichte und wirbt um Vergebung und einen Neuanfang ohne Altlasten.
Die Charaktere sind sehr liebevoll ausgearbeitet und wirken aufgrund ihrer Eigenheiten sehr authentisch und lebensecht. Elisabetta hat in ihrem Leben schon so viel durchgemacht und einmal zu oft Abschied nehmen müssen, so dass sie nun eher zurückgezogen lebt und etwas schrullig und unnahbar wirkt. Sie lebt in ihrer Vergangenheit, hält leise Zwiegespräche mit ihren Schwestern. Elisabetta hält ihre Familie und ihre Lieben in Gedanken am Leben und zehrt davon, um nicht von ihrer Einsamkeit verschlungen zu werden. Die junge Pola stammt aus München und war mit Elisabettas Enkelin Rahel eng befreundet, verdankt ihr sogar zum Teil ihre Ballettkarriere. Pola ist ebenfalls eher zurückhaltend, trägt sie doch eine Schuld mit sich herum, deren Offenbarung sie fürchtet. Auch die Protagonisten, die die Vergangenheit Elisabettas füllen sowie in Polas Leben eine Rolle spielen, sind sehr intensiv ausgearbeitet und unterstützen diese doch so bittersüße und melancholische Stimmung des Romans.
„Das Marillenmädchen“ ist ein sehr gelungenes Buch über ein einsames Leben in der Vergangenheit, dem Aufarbeiten von schlimmen Erfahrungen und dem Vorausschauen auf ein glücklicheres Leben. Es geht um Verzeihen und das Handausstrecken, um die Seele zu erleichtern und endlich Frieden zu finden. Alle, die sich vor anspruchsvollen Büchern nicht scheuen, werden hier auf wunderbare Weise unterhalten und einiges mit in den eigenen Alltag nehmen. Ein Roman, den man nicht so schnell vergisst. Absolute Leseempfehlung.