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Veröffentlicht am 30.11.2016

Ein Adventskalender zum Lesen

Wie lange noch bis Weihnachten?
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Da ich mit meiner Tochter ein Buch nach dem anderen verschlinge, stand für mich dieses Jahr fest: Wir brauchen ein Buch welches gleichzeitig ein Adventskalender ist und somit jeden Tag eine kleine Geschichte ...

Da ich mit meiner Tochter ein Buch nach dem anderen verschlinge, stand für mich dieses Jahr fest: Wir brauchen ein Buch welches gleichzeitig ein Adventskalender ist und somit jeden Tag eine kleine Geschichte bereit hält. Auf dem Blog Kinderbuchlesen.de haben ich dann eine schöne Auswahl entdeckt. Die Geschichte von Niko, der geheimnisvolle Post durch einen Hund überbracht bekommt, hat mich gleich interessiert. In 24 Kapiteln werden hier verschiedenen Bräuche aus den unterschiedlichsten Ländern vorgestellt, aber auch Geschichten über Weihnachten sind zu finden.

Niko ist ein wissensdurstiger Junge. Er kann es kaum erwarten, dass endlich Heiligabend ist. Und weil er nicht verstehen kann, wieso die Vorbereitungen für das große Fest so viel Zeit in Anspruch nehmen, versucht er kurzerhand an einem Tag einfach selbst all das zu machen, was sonst seine Eltern im Laufe der Adventszeit erledigen. Doch schnell merkt er, dass das gar nicht so leicht ist. Und schon am nächsten Tag bekommt er einen geheimnisvollen Brief von einem kleinen Hund überbracht. Es folgen weitere Briefe in denen der Schreiber Niko einige Bräuche aus anderen Ländern und Kulturen näher bringt. Und Niko muss zwischendurch auch selbst tätig werden, um den Sinn des Weihnachtsfestes besser verstehen zu können. Auch Bekannte von Niko werden involviert, so besucht Niko bei Freunden Weihnachtsfeste und erfährt beispielsweise, wie die Griechen und die Niederländer ihre Adventszeit verbringen. Warum stellt man einen Weihnachtsbaum auf? Wieso sieht ein Christstollen so aus, wie er aussieht? Warum schneidet man mitten im Winter Kirschbaumzweige ab oder legt Sämlinge in eine Schale mit Erde?

Die schönen Illustrationen im Buch harmonieren wunderbar mit dem Text. Die verschiedenen Weihnachtsbräuche werden in einem angenehmen Textvolumen verständlich gemacht und durch gezielte Illustrationen untermalt. Manche Erzählungen wurde auf zwei Tage gestreckt, was mir persönlich nicht verständlich ist. Da hätte ich mir lieber noch eins, zwei weitere Bräuche gewünscht oder ein wenig mehr Hintergrundwissen zum Weihnachtsfest. Die Bibelzitate am Ende eines jeden Kapitels hätten für meinen Geschmack nicht sein müssen. Oftmals erschienen sie mir nicht gerade passend oder für Kinder im Alter von 6+, für welche dieses Buch gedacht ist, nicht gerade verständlich. Alles in allem ist der Text aber flüssig und leicht verständlich beschrieben.

"Wie lange noch bis Weihnachten" ist ein gelungenes Buch mit kurzen Geschichten, um den Kinder die Wartezeit bis Weihnachten zu versüßen. Ich kann es nur empfehlen, auch wenn hier und da etwas mehr schöner gewesen wäre. Für das Alter (ab 6 Jahren) ist es aber sicherlich passend, die ein oder andere Geschichte auf zwei Tage zu strecken. Nicht jedes Kind ist solch eine Leseratte wie meine Tochter. Ich werde es mit ihr ab Donnerstag lesen und bin schon ganz gespannt, wie es ihr gefallen wird.

Veröffentlicht am 22.11.2016

Julie Engelmann, wie man sie kennt: einfühlsam und poetisch…

Jetzt, Baby
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„Ich bin nur ein kleines Korn,
mich wird keiner fallen hören.
Doch fallen wir alle simultan,
wird der Lärm die Ruhe stören.“ (Seite 88)

Julia Engelmann ist wohl den meisten Menschen durch ihren Poetry-Slam ...

„Ich bin nur ein kleines Korn,
mich wird keiner fallen hören.
Doch fallen wir alle simultan,
wird der Lärm die Ruhe stören.“ (Seite 88)

Julia Engelmann ist wohl den meisten Menschen durch ihren Poetry-Slam an der Bielefelder Universität bekannt. Damals hat sie mich mit ihren Texten gleich gefangen genommen. So war es klar, dass ich mir ihr aktuelles Buch auch gleich zu Gemüte fügen musste. Und gleich verliebte ich mich in die reduzierten aber auch aussagekräftigen Illustrationen. Die Texte sind wieder einfühlsam verfasst, wobei das dritte Werk der Reihe es schwer hat, gehen ihr Debüt anzutreten.

Julia Engelmann ist gebürtige Bremerin und 1992 geboren. Das Video vom Bielefelder Hörsaal-Slam wurde im Netz milionenfach gesehen und verbreitete sich in einem wahnsinnig schnellen Tempo. Bereits drei Werke sind seit 2014 von ihr veröffentlicht worden: "Eines Tages, Baby" (2014), "Wir können alles sein, Baby" (2015) und "Jetzt, Baby" (2016). Julia Engelmann schreibt poetische Texte mit einer jugendlichen Frische.

"Ihr wolltet meine Fantasie,
und wir fiel das Träumen schwer.
Und jetzt wollt ihr meine Wahrheit,
das erschreckt mich noch viel mehr." (Seite 27)

"Jetzt, Baby" behandelt die Tücken des Erwachsenwerdens. Die Ängste, die einem die Zukunft machen kann. Und so verschafft Julia Engelmann sich mit ihrer Leisen Stimme auch in diesem Werk wieder Gehör. Werte, Wertschätzung und das Miteinander sind zentrale Themen, die die Autorin nach wie vor behandelt Ihre Texte regen zum Denken an. So setzt Julia Engelmann sich mit ihrem eigenen Ich auseinander, schildern ihre Selbstzweifel. Ihr Poetry-Slam Text „One Day“, welcher in ihrem ersten Buch veröffentlicht wurde macht es Julia Engelmann wirklich schwer, sich dem anzuschließen, oder es gar zu toppen. Aber in dem vorliegenden Werk gibt es, neben für mich eher unspektakulären Texten, auch einige schöne Schätze, wie zum Beispiel „Erwachsensein feat. Quarterlife-Crisis“ und „Luna“, zwei Texte, die mich berührt haben.

Julia Engelmann hat in einer wirklich kurzen Zeit drei Werke veröffentlicht. Vielleicht war das etwas zu viel des Guten. Wo sich im ersten Buch noch ein Juwel an das andere reiht, gibt es in ihrem neusten Werk zwar noch einige gute Texte, aber viele von ihnen haben mich nicht wirklich erreicht. Ich hatte den Eindruck, dass ein paar Reime fehlten, und ihr „jugendlicher Flow“ vielleicht etwas auf der Strecke geblieben ist. Alles in allem ist es aber wieder ein schönes Buch, welches mich zum Nachdenken angeregt hat und den Leser in eine andere Sphäre versetzt.

"Bleib du bei dir selber,
dann passieren die besten Sachen. […]
Das hier ist kein Ende,
es geht gerade erst richtig los." (Seite 115)

Veröffentlicht am 05.11.2016

Wie ein ominöser Wohltäter das Leben eines Suchtkranken wieder auf Kurs bringt.

Geschenkt
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Daniel Glattauer habe ich durch seine E-Mail-Romane kennen gelernt. Mit Gut gegen Nordwind und Alle sieben Wellen hatte er bei mir direkt ins Schwarze getroffen. Als ich dann den Klappentext von Geschenkt ...

Daniel Glattauer habe ich durch seine E-Mail-Romane kennen gelernt. Mit Gut gegen Nordwind und Alle sieben Wellen hatte er bei mir direkt ins Schwarze getroffen. Als ich dann den Klappentext von Geschenkt gelesen habe, bin ich direkt neugierig gewesen und ich muss sagen, ich wurde nicht enttäuscht. Ein Vater, der sein Leben bereits aufgegeben hatte, bekommt durch seinen neu entdeckten Sohn wieder Antrieb und nimmt volle Fahrt auf.

Daniel Glattauer, geboren 1960 in Wien, ist Autor und Journalist. Bei der Tageszeitung Der Standard hatte er eine Kolumne, durch welche er bekannt wurde. Neben den bereits erwähnten Titel hat er noch weitere Werke verfasst, darunter Darum, Ewig Dein, Die Wunderübung und Theo. Einige seiner Werke sind auch in andere Sprachen übersetzt und als Hörspiele oder Theaterstücke adaptiert worden.

Geschenkt ist eine Vater-Sohn Geschichte. Der Hauptprotagonist Gerold Plassek ist Journalist einer Gratiszeitung und hat sein Leben nicht mehr im Griff. Sein Tagesablauf wird vom Alkohol bestimmt. Noch ist er nicht ganz abgestürzt, denn er kommt seiner ungeliebten Arbeit weiterhin nach. Eines Tages erfährt er, dass er neben seiner Tochter Florentina, die bei ihrer Mutter samt neuem Ehegatten lebt, auch noch einen Sohn aus einer alten gescheiterten Beziehung hat. Da dessen Mutter beruflich für einige Zeit im Ausland ist, fällt es Gerold zu, die Nachtmittagsbetreuung des 14-jährigen zu übernehmen. Als nach einer von ihm geschriebenen Kurzmitteilung in der Gratiszeitung bei einem Obdachlosenheim eine anonyme Spende eingeht, verändert sich Gerolds Leben drastisch. Auf einmal ist er erfolgreich und sein Sohn, der nicht weiß, dass Gerold sein Vater ist, beginnt zu ihm auf zu sehen. Die beiden beginnen, gemeinsam für neue Berichte zu Recherchieren und erarbeiten sich auch zusammen die Berichte, welche inzwischen in einer renommierteren Zeitung erscheinen. Sie lernen sich näher kennen und Gerold beginnt langsam, etwas an seinem Leben zu ändern. So bringt jeder weitere Bericht, den Gerold mit seinem Sohn Manuel schreibt, ihn wieder ein Stück mehr zurück in ein lebenswertes Leben. Zunächst will Gerold nur seinem Sohn gefallen, doch nach und nach findet er wieder Spaß an seiner Arbeit und sein Ehrgeiz entbrennt von Neuem.

Glattauer gelingt es, die Person des Gerold Plassek gekonnt in Szene zu setzen. Seine innere Gefühlswelt und die vielen Konflikte, die er immer wieder mit sich aus macht, werden nachvollziehbar. Der Konsum des Alkohols machte Gerold schlapp und antriebslos, sodass er sich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich gehen ließ. Gerold ist kein Mensch, der Karriere machen will oder große Ziele im Leben hat. Er braucht stets Anreize, um tätig zu werden. Sei es durch seine Kinder Florentina und Manuel oder seiner neuen Liebe Rebecca. Er will gebraucht werden, weil er nur dann einen Sinn in seiner Existenz und seinem Leben sieht. Obwohl ein Mensch, der sich so gehen lässt wie Gerold, eigentlich abstoßend sein müsste, empfindet man als Leser eine gewisse Sympathie. Man fühlt mit ihm und erlebt, wie vielschichtig sein Inneres doch ist.

„es verursachte einen Schmerz, der länger anhalten sollte als mein Kater.“ (Seite 88)
Natürlich bringt der Roman auch noch eine gewisse Spannung mit sich. Denn als Leser möchte man schon erfahren, wer der ominöse Wohltäter ist, der immer wieder große Summen Geld spendet und immer sind Gerolds Sozialberichte der Auslöser. Die Presse wird dabei auch kritisiert, denn aus einer zunächst guten Sache wird schnell Skandalhascherei, weil natürlich von Schwarzgeld und kriminellen Machenschaften die Rede ist. Gleichzeitig stellt Glattauer auch die Frage, ob es überhaupt wichtig ist, zu erfahren, wer der Wohltäter ist. So sagte Gerolds Mutter folgende wirklich bedenkenswerte Sätze:

„Ich will aber auch nicht wissen, wer der Spender oder die Spenderin ist. […] Weil es doch viel schöner für uns alle ist [wenn der Spender im verborgenen bleibt] […] Dann kann es jeder sein. (Seite 205)
Erwähnenswert ist auch der Sprachstil in Glattauers Werk. Während man die Geschichte flüssig lesen kann, transportiert der Text aber auch das journalistische Können des Gerold Plassek durch seine Art zu sprechen. Obwohl er sich eigentlich nichts zutraut, so hat er immer die passenden Worte parat, wenn er einmal in Bedrängnis gerät. So stellt er sich zwar auch verbal oft in einem schlechten Licht dar, jedoch versucht er dadurch wohl einfach nur, sich selbst nicht zu hoch zu setzen.

„Irgendwie machte ich mir ernsthafte Sorgen über mich, weil ich plötzlich mittags offenbar keine drei Biere mehr vertrug.“ (Seite 275)
Geschenkt ist erfrischend tiefgängig. Mit Selbstironie und Sarkasmus versehen, steht Gerold Plassek zwar im Mittelpunkt der Erzählung, jedoch geht es hier nicht nur um Alkoholismus, sondern auch um Dinge des täglichen Lebens, die uns alle betreffen. So wird der Leser auch zum Nachdenken angeregt.

Veröffentlicht am 28.09.2016

Ein perfektes Spiel der Irreführungen

Beim Leben meiner Tochter
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Beim Leben meiner Tochter ist ein spannungsgeladener und rasanter Kriminalroman. Er handelt von der Flucht eines Vaters mit seiner Tochter vor der Polizei. Die Verfolgungsjagd auf Seiten der Polizei kommt ...

Beim Leben meiner Tochter ist ein spannungsgeladener und rasanter Kriminalroman. Er handelt von der Flucht eines Vaters mit seiner Tochter vor der Polizei. Die Verfolgungsjagd auf Seiten der Polizei kommt dabei auch nicht zu kurz. Und immer steht die Frage im Mittelpunkt: Ist Martial Bellion wirklich der Mörder seiner eigenen Frau Liane?

Michel Bussi (geboren 1965) lebt und arbeitet in Frankreich. Er ist Autor, Politologe und Geograph. Michel Bussis Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und er gilt als internationaler Bestsellerautor. Weitere beim Aufbau Verlag erschienen Romane sind Das Mädchen mit den blauen Augen (2014) und Die Frau mit dem roten Schal (2015).

Im Mittelpunkt der Erzählung steht die Flucht eines Vaters mit seiner Tochter, da dieser verdächtigt wird, seine Frau während des gemeinsamen Urlaubs ermordet zu haben. Martial Bellion, der Vater, lässt seine Tochter Sopha zu Beginn des Buches kurz am Pool alleine, um nach seine Frau Liane zu sehen. Als er auf dem Hotelzimmer ankommt, ist sie dort nicht zu finden, jedoch sind überall Blutspuren zu sehen. Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf und schnell wird Martial zum Hauptverdächtigten. Er schnappt sich seine Tochter und begibt sich auf die Flucht.

Der Leser wird sofort in die Geschichte gezogen und bleibt lange Zeit im Dunkeln, ob Martial schuldig ist oder nicht. Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven in der dritten Person erzählt. Nur bei Sopha macht Bussi eine Ausnahme, sie beschreibt in der ersten Person ihre Erlebnisse und Gedanken. Auch sie ist hin und her gerissen zwischen Vertrauen und Misstrauen zum Vater. Fest steht, Martial hat eine schlimme Vergangenheit, die nach und nach zum Vorschein kommt. Er ist eine undurchsichtige Person mit ganz verschieden ausfallenden Gefühlsregungen. Er ist ein Meister der Täuschungen und Irreführungen, der der Polizei immer wieder entwischt aber sie dennoch scheinbar gekonnt hinter sich her lockt.
Michel Bussis Landschaftsbeschreibungen der Insel La Réunion runden das Bild der Erzählung ab und versetzen den Leser mitten hinein auf diese besondere Insel. Die Erzählung erscheint real und nicht gekünstelt.
Durch den direkten Einstieg in das Verbrechen wird die Spannung gleich zu Beginn schnell aufgebaut. Man ist von Anfang an mitten im Geschehen. Rückblicke und Hintergrunddetails führen den Leser zum Teil in die Irre, sorgen aber für eine schlüssige Geschichte.
Jeder Protagonist, welcher während des Verlaufs der Geschichte unter Verdacht steht, hat sein Geheimnis, welches er versucht zu hüten. In Martials Fall sorgt dies dafür, dass er noch stärker unter Verdacht gerät. Der Leser kommt bis zum Schluss aus dem Rätseln nicht heraus.

Michel Bussis Schreibstil ist gut verständlich, aber meines Erachtens eher durchschnittlich. Er schafft es mit seiner Liebe zum Detail ein rundes Bild zu erschaffen. Die Rolle des befreundeten Paares ist mir allerdings nicht wirklich klar geworden. Sie spielten keine große Rolle für die Geschichte und wurden auch nicht großartig zum Kreise der Verdächtigten gezählt, waren somit eher überflüssig. Das war aber auch das einzig Überflüssige. Vor allem der Charakter des Ermittlers Christos ist sehr gut gezeichnet und ich habe ihn schnell ins Herz geschlossen.

Alles in allem handelt es sich bei diesem Roman um einen gelungenen Krimi. Michel Bussi gelingt es eine bis zum Schluss spannende Geschichte zu erzählen, die den Leser gefangen nimmt und miträtseln lässt.

Veröffentlicht am 21.09.2016

Ein Appell an die Menschlichkeit

Sklavin
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Wer glaubt, Sklaverei in Europa gibt es heute nicht mehr, der sollte Mende Nazers Buch Sklavin zur Hand nehmen und sich eines Besseren belehren lassen.

Der Roman Sklavin ist eine chronologisch aufgebaute ...

Wer glaubt, Sklaverei in Europa gibt es heute nicht mehr, der sollte Mende Nazers Buch Sklavin zur Hand nehmen und sich eines Besseren belehren lassen.

Der Roman Sklavin ist eine chronologisch aufgebaute Autobiographie der aus den Nuba-Bergen des Sudans stammenden Autorin. Wer Interesse an afrikanischer Kultur und Tradition hat, dem sei dieses Buch empfohlen. Schon mit Waris Diries Bestseller Wüstenblume wurde auf bestehende Probleme in Afrika aufmerksam ge-macht. Sie selbst wird auf dem Buchrücken dieses Taschenbuchs zitiert: "Mit ihrer Geschichte hat Mende die Qualen unserer afrikanischen Schwestern sichtbar gemacht. Ich bete und hoffe das Beste für Mende!" Waris Dirie beschäftigt sich in ihren Werken allerdings zumeist mit ritueller Genitalverstümmelung und Polygamie. Das Thema der Beschneidung von Frauen wird in Sklavin zwar auch beschrieben, aber es steht eher am Rande der Erzählung. Der Missbrauch von Sklaven wird allerdings schonungslos veranschaulicht. Zusätzlich setzt sich Mende Nazer aber auch mit Missständen der westlichen Kultur auseinander. Wie kann ein Mensch Jahre lang mitten in London als Sklavin gefangen gehalten werden?

Mende Nazer (geb. um 1980) beschreibt ihr eigenes Schicksal. Als 12-jährige erlebt sie, wie arabische Milizen ihren Stamm überfallen, die Häuser des Dorfes niederbrennen, die Männer ermorden, Frauen und Kinder schänden und entführen. Sklavenhändler verkaufen Mende an eine wohlhabende arabische Familie, die sie quält und misshandelt. Dort, in der Hauptstadt Khartum, muss sie ein menschenunwürdiges Leben führen, als Sklavin die häuslichen Arbeiten verrichten und auf die Kinder aufpassen. Man nennt sie nicht bei ihrem Namen, sondern ruft sie lediglich "Yebit", was so viel heißt wie "Mädchen, das es nicht wert ist, einen Namen zu tragen". Viele Jahre verbringt Mende Nazer in Gefangenschaft und wird sogar nach London an die Schwester ihrer Herrin verliehen, deren Mann bei der Botschaft als Diplomat arbeitet und vom Verbot der Sklaverei in der westlichen Welt informiert ist. Dort muss sie weiterhin in Einsamkeit leben, darf das Haus aber ab und an für kurze Zeit verlassen, um Besorgungen zu erledigen. Zum ersten Mal nach vielen Jahren in der Sklaverei kann sie auf einen Markt gehen. 2000 findet sie schließlich einen Nuba, dieser und der Journalist Damien Lewis (späterer Co-Autor ihres Buches) verhelfen ihr zur Flucht.

Wer jetzt meint, damit hätte die Geschichte schon ein gutes Ende genommen, der irrt. Mende Nazer stellt einen Antrag auf Asyl, der allerdings nach zwei Jahren abgelehnt wird, da die britischen Behörden der Meinung sind, ein Sklave werde nicht politisch verfolgt und habe daher kein Anrecht auf Asyl. Sie sei eine illegale Einwandererin. Die Abschiebung stand ihr bevor. Diese Vorkommnisse bewegen Mende Nazer 2002 dazu, ihren Roman zu schreiben, der zunächst nur in Deutschland erschien und somit von den britischen Behörden nicht wahrgenommen wurde. Durch den Protest von Medien und Lesern, sowie der Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen, wird die Abschiebung abgewendet und die Autorin als Flüchtling anerkannt. 2006 bekam sie die britische Staatsbürgerschaft.

Die hier rezensierte Taschenbuchausgabe von 2006 enthält nach Damien Lewis Epilog über seine Sicht von Mende Nazers Fall und einem angefügten Fernsehinterview der beiden noch ein Nachwort des Selben. In diesem Nachwort beschreibt er die Arbeit an diesem Buch. Auch von Mende Nazer wurde ein Nachwort hinzugefügt, in dem sie über ihren Streit um Asyl, sowieso die Zeit nach ihrer Flucht berichtet.

Das Buch ist eher umgangssprachlich verfasst, die Sprache ist sehr einfach gehalten, was sicherlich auch mit Mende Nazers mangelnder Kenntnis der englischen Sprache zusammen hängt. Aus diesem Grund nahm sie auch die Unterstützung des Journalisten Damien Lewis an, der ihr half dieses Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Das Buch lässt sich somit leicht und schnell lesen und ist auf jeden Fall als Lektüre für zwischendurch geeignet. Der Beginn des Werkes, also die Erzählung über Mende Nazers Kindheit, fällt leider etwas lang und somit zäh aus, worüber man aber durch die später geschilderte Handlung hinwegsehen kann. Die subjektive Sichtweise, in der dieses Buch verfasst ist, soll die breite Öffentlichkeit ansprechen und informieren. Es handelt sich hierbei also um einen Appell an die Menschlichkeit. Mende Nazers Buch ist sehr bewegend und lebt durch die Beschreibung ihrer schockierenden Erfahrungen, keineswegs aber wegen eines wirkungsvollen Schreibstils. Dieser sorgt eher dafür, dass das Werk authentisch und aufrichtig wirkt. Waris Diries Werk ist literarisch gesehen also dem Mende Nazers um einiges voraus. Doch wer gefallen an ihren Büchern hatte, der sollte Sklavin auch zur Hand nehmen, da in diesem Buch einen neuer Aspekt afrikanischer Probleme dargestellt wird und hier ist Europa zunächst nicht die Lösung aller Probleme.