Es fiel mir selten so schwer, ein Buch zu bewerten. »Seine Narben« stürzt mich in einen ganz schönen Zwiespalt: Möchte ich das Buch auf ernsthafter oder auf lockerer Basis bewerten? Je nachdem würde das Buch von mir 2 oder 4,5 Sterne bekommen. Letztendlich reißt es die Tatsache raus, dass es schließlich zu Unterhaltungszwecken geschrieben wurde und ich mich – von einigen Kritikpunkten abgesehen – schon sehr gut unterhalten gefühlt habe. Die Kritikpunkte werde ich aber natürlich trotzdem nicht unterschlagen.
Ich war schon in der Leseprobe etwas skeptisch, denn man wird von den problematischen Stellen dieses Buches bereits zu Beginn angesprungen: Sämtliche weibliche Figuren werden sexualisiert und als oberflächliche, zum Teil auch hohle Nüsse dargestellt, die nur darauf aus sind, einen reichen Mann zu heiraten. Es beginnt schon damit, dass Ciara-Sophie (diese Doppelnamen tauchen immer wieder auf – das kann eigentlich nur Satire sein) am Anfang auf Stans wirklich schlecht gespielte schüchterne Masche reinfällt und aus wirklich lächerlichen Gründen mit ihm ins Bett hüpfen will. Und das geht dann so weiter. Mit Vanessa, Nora-Mireille, Leonora… Ich musste das ignorieren, damit ich die Geschichte doch noch genießen kann. Über diese überzogene Darstellung konnte ich nicht wirklich lachen, sie hat mich eher abgeschreckt.
Der zweite Kritikpunkt war der ruppige Ton, in dem die Figuren sprechen. Die vielen Beleidigungen, die misogynen Tendenzen und die schockierende Wortwahl der 10-jährigen Schwester von Matt haben mich schon ziemlich gestört. Das Mädel ist 10 Jahre alt und fragt ihren Bruder, ob heiße Btches auf seiner Schule sind. Für die anderen (ganz schön heftigen) Beleidigungen, die sie vom Stapel lässt, wird sie von ihrem Bruder nur halbherzig getadelt, ehe er sie sogar selbst (in ihrer Gegenwart!) in den Mund nimmt. Das waren echt ein paar Klopper, die die Autorin da gebracht hat.
Trotzdem habe ich dem Buch eine Chance gegeben, weil ich aufgrund der guten Bewertungen neugierig war. Ich habe meinen Kopf, der ständig die genannten Punkte kritisieren wollte, ausgeschaltet und mich berieseln lassen – und von da an hat mir das Buch wirklich gut gefallen.
Das lag vor allem an Matt, der schon direkt dadurch gepunktet hat, dass er sich von Stans eingebildeter Schnöselmentalität nicht einschüchtern lässt. Es hat mir gefallen, dass er ihm Kontra gibt und seine hinterhältigen Spielchen durchschaut, gleichzeitig mochte ich aber auch seine unsichere und neugierige Seite. In seinen schüchternen Momenten war er einfach süß.
Stan dagegen ist schwerer ins Herz zu schließen. Am Anfang ist er echt heftig drauf: viel zu sehr von sich überzeugt, oberflächlich, vielleicht sogar ein bisschen einfältig. Mir hat es gar nicht gefallen, wie er über seine Mitschülerinnen gedacht hat (auch wenn sein Bild von ihnen vielleicht sogar gerechtfertigt ist, so wie die alle dargestellt werden), und sein boshaftes Verhalten gegenüber Matt hat es mir auch schwer gemacht, ihn zu mögen. Aber dieser Hassliebe-Aspekt war zumindest reizvoll und spannend. Wäre Stan bis zum Ende so geblieben (nicht, dass ich das erwartet hätte), dann wäre das Buch wirklich für mich durchgefallen. Aber natürlich macht er eine Wandlung durch. Er stellt sein Denken um, ist viel netter zu Leuten, die er vorher im besten Fall ignoriert hätte, und gegenüber Matt wird er sowieso liebevoller. Gegen Ende konnte er mir auch das eine oder andere Schmunzeln entlocken.
Die Liebesgeschichte selbst ist … kompliziert. Sie können sich einerseits nicht ausstehen (Stan hat ja bei ihren Annäherungen sowieso fiese Hintergedanken), beleidigen sich immer wieder und werfen sich finstere Blicke zu. Andererseits fühlen sie sich auch zueinander hingezogen, nähern sich einander an und führen irgendwann auch intensive tiefgründige Gespräche, die auch eine emotionale Nähe zwischen ihnen aufbauen. Die Entwicklung vom Körperlichen zum Emotionalen fand ich authentisch, es ging mir weder zu schnell noch zu langsam und es war wirklich süß, mitzuverfolgen. In Bezug darauf ist mein einziger Kritikpunkt, dass die beiden nicht auf Verhütung achten, ja, nicht einmal darüber sprechen. Dezent fahrlässig, würde ich sagen.
Wenn man jeden Auftritt der weiblichen Figuren ausblendet und sich nicht an dem ruppigen Ton der Figuren stört, dann hat »Seine Narben« schon eine gewisse Sogwirkung, gespickt mit Grinsen, Herzklopfen, erotischem Knistern und einigen süßen Momenten. Vielleicht ist es für mich sogar ein Reread, bei dem ich ein paar Szenen einfach überspringen werde.
Fazit*
Bei diesem Buch musste ich den Kopf abschalten, um Matt und Stans Geschichte zu genießen, denn die satirisch angehauchte Darstellung der Frauen (inklusive Slut Shaming) trifft echt nicht meinen Humor. Es ist sogar abschreckend. Die Liebesgeschichte selbst nach Hassliebe-Manier wusste mich aber zu überzeugen, deshalb sind es für mich vorsichtige 4 Sterne.