Falsche Erwartungen
MelmothMelmoth ist ein höchst seltsames Buch. Ich wusste zum Schluss nicht mal mehr, in welche Kindle-Sammlung ich es packen sollte, weil einfach kein Genre so richtig passen wollte.
Einen großen Teil meiner ...
Melmoth ist ein höchst seltsames Buch. Ich wusste zum Schluss nicht mal mehr, in welche Kindle-Sammlung ich es packen sollte, weil einfach kein Genre so richtig passen wollte.
Einen großen Teil meiner eher schlechteren Bewertung schreibe ich mir selbst zu, denn ich hatte etwas ganz anderes erwartet. Pünktlich zum Herbst war mir nämlich nach einer Schauergeschichte mit paranormalen Einschlägen.
Bekommen habe ich allerdings eher eine Charakterstudie.
Die Geschichte beginnt mit Helen, die von ihrem Bekannten Karel eines Abends (und unter ziemlich merkwürdigen Umständen) die Memoiren eines verstorbenen Mannes in die Hand gedrückt bekommt.
Auf den handbeschriebenen Seiten begegnet ihr Melmoth, eine Frau, die dazu verdammt ist auf ewig auf Erden zu wandern und die Menschen zu beobachten. Helen fühlt sich unbehaglich und hat schon bald das Gefühl, verfolgt zu werden.
So weit klingt es ja erstmal spannend und grade die erste Hälfte hatte durchaus ein paar leicht schaurige Szenen - deren Stimmung allerdings durch den Schreibstil immer wieder ausgehebelt wurde.
Und der war generell mein größtes Problem an Melmoth:
Zum einen werden wir als Leserinnen immer wieder direkt angesprochen.
"Sehen Sie hin!"
"Wenn sie jetzt nach links gucken, können sie einen Schatten hinter Helen entdecken."
"Nun sind Sie überrascht, was?"
Das mag ein Stilmittel sein, gefällt mir persönlich aber einfach nicht. Mit solchen Sätzen kann man mich (eine eigentlich sehr leicht erschreck- und gruselbare Person) ruck zuck aus der Szene reißen... und schon ist die ganze schöne Unbehaglichkeit dahin.
Helen wird uns als erster Fixpunkt präsentiert, es geht aber noch um zig weitere Personen. Die lernen wir entweder direkt durch Helen oder in den ellenlangen Manuskripten, Briefen und Aufzeichnungen kennen, die sie liest.
Und hier wurde mir zu viel zusammengeschmissen.
Das aktuelle Prag, die Nazizeit, der Schlaganfall einer Frau, die daraufhin von ihrem Mann verlassen wird (übrigens einer der wenigen realistischen Aspekte der Story, es gibt erschreckende Zahlen dazu, wie häufig Frauen von ihren Männern bei Krankheit oder gar Pflegebedürftigkeit verlassen werden, während das umgekehrt höchst selten der Fall ist), prekäre Lebenssituationen in Mali etc.
Mit Melmoth hat das alles grade ab der zweiten Hälfte nur noch am Rande zu tun - und leider war mir dieses Potpourri an Lebensgeschichten auch noch zu langweilig.
Generell waren mir die Charaktere zu seltsam. Bestimmte Handlungen oder Gespräche konnte ich nicht nachvollziehen.
Ich meine, welche Frau nimmt eine Person, die sie grade auf der Straße kennengelernt hat, mit zu ihrer kranken und um Hilfe bittenden Freundin? Die es vielleicht nicht mal geschafft hat, sich richtig anzuziehen und so nicht gesehen werden möchte?
Aber hier in dieser Geschichte ist das alles kein Problem, denn die vollkommen Fremde ist nicht nur willkommen, sondern wird auch gleich als private Krankenschwester eingestellt.
Die Bindungen bzw. Freundschaften der Frauen haben mir ja eigentlich ganz gut gefallen, aber irgendwie waren alle immer so gemein zueinander. So viele unnötige Spitzen und Sprüche... Ehrlichkeit wird leider nur allzu oft als Entschuldigung für Unhöflichkeit vorgeschoben.
Gleich am Anfang werden wir übrigens mit Helens mysteriöser Vergangenheit gelockt. Sie verweigert sich selbst jeglichen Komfort und kasteit sich, weil sie irgendeine große Schuld auf sich geladen hat. Das wird so aufgebauscht, dass ich da sonst was erwartet habe und die Auflösung war dann... sagen wir mal "unterwältigend".
Das Ende war mir dann echt viel, viiiiieeeel zu weit hergeholt.
Und das sogar für mich, die ja eigentliche eine unrealistische Geistergeschichte erwartet hatte.
Echt schade, ich hatte mich auf das Buch gefreut.