Im Vorfeld hatte ich schon einige Ankündigungen zum Buch gesehen und mich deshalb umso mehr gefreut, ein Rezensionsexemplar zu bekommen. Dafür danke an den Verlag.
Wie immer ist das hier natürlich mein rein subjektiver und persönlicher Leseeindruck.
Sexuell verfügbar ist eins der Bücher, die grade wie Pilze aus dem Boden schießen: autobiografisch und gesellschaftskritisch.
Dabei ist es normal, dass man sich als Leserin nicht immer mit allem identifizieren kann. Bei diesem Buch war das Gefühl für mich allerdings besonders stark, was wohl zum einen daran liegt, dass ich komplett andere Erfahrungen gemacht habe und zum anderen an meiner gänzlich gegensätzlichen Einstellung zu Themen wie Intimität und Sexualität. (Obwohl ich mir da bei den ganzen Widersprüchen gar nicht mehr so sicher bin, dazu später mehr)
Das ist gleich zu Beginn so. Dort geht es um die Kindheit und Jugendzeit der Autorin, ihre Erfahrungen mit Mobbing (die ich ganz furchtbar finde) und auch um Sex und was das für sie bedeutet.
Ich möchte diese Gefühle nicht schmälern und nehme sie natürlich als Leserin so an, allerdings habe ich doch erhebliche Probleme, mich da so reinzudenken.
Es scheint etwas Großes zu sein, mit viel Macht, Glück und Unglück behaftet. Ich bin dagegen keine Frau, die das so sehr zerdenkt und dem eine solche emotionale Bedeutung beimisst.
Erschreckend sind dabei aber natürlich bestimmte Statistiken und Zahlen. Eine überwältigende Mehrheit der Frauen bekommt beim Sex nicht regelmäßig einen Orgasmus und lässt sich zu Sachen verleiten, die sie eigentlich gar nicht so richtig machen will. Für mich undenkbar und doch weiß ich, dass es stimmt, weil ich in meinem Leben mit sehr vielen Frauen sehr oft über solche Themen gesprochen habe.
Ich kann gar nicht ausdrücken, wie frustrierend es ist, wenn einem die Freundin erzählt, dass sie mit ihrem Partner Dinge tut, die sie blöd findet, die ihr gar nichts bringen, halt ihm zu Liebe. Und er weiß das auch. Und ich kann nichts machen.
Dieses Gefühl der Ohnmacht und das man andere Frauen manchmal gerne schütteln würde, lese ich auch bei der Autorin raus und das ist etwas, das ich so gut verstehen kann.
Nach der Beschreibung des Gefühls, das Sex in der Autorin auslöst, war ich ein bisschen verwundert über die beschriebene spätere Promiskuität im Studium, für die sie auch (leider... ich hasse das so) verurteilt wurde.
Es erschien mir erstmal ziemlich paradox und wollte nicht so recht zusammenpassen, allerdings sind Menschen sehr komplexe und oft nicht "logisch" zu verstehende Wesen und deshalb habe ich das nochmal überdacht. Ich mag es, wenn Bücher mich dazu anregen.
Womit ich dagegen nicht ganz so gut klar kam, war die ganze "I'm not like the other girls" - Rhetorik, die sich so durch die Schilderungen zieht.
Die Autorin inszeniert sich als Loner Girl und Bücherwurm, trägt lieber Männerhemden und hält nicht wirklich viel Make-Up.
Die Anderen, das sind (bis auf wenige Ausnahmen) die "Schmink-Tussis" und "Rosa-Zopf-Mädchen" (bei einer Kindheit in den 80ern und 90ern ein bisschen merkwürdig, weil damals eigentlich gar kein wirklicher Trend, aber okay).
Die Anderen, das sind die Bösen, die Mobberinnen... and don't I know it. Allerdings von der anderen Seite.
Ich habe mich immer gern geschminkt, mochte meine gefärbten und gestylten Haare, schöne Kleidung etc. Ich hatte immer gute Freunde. Ich bin aber auch der absolute Bücherwurm (wie man an meinem Profil hier unschwer erkennt) liebe Videospiele (fiktive Welten allgemein), stehe auf Comics und Mangas und japanische Rockmusik. In der Schule war ich die, die morgens mit roten, aber kajalumrandeten Augen ankam, weil sie die halbe Nacht den neuen Harry Potter Band gelesen hatte. Ich war die, die sich aus Klarsichtfolie kleine Taschen auf ihre Schultasche genäht und dort Bilder ihres japanischen Lieblingskünstlers drapiert hatte.
Oh, das war Mobbingpotenzial.
Allerdings fand das niemand meiner Altersgenossen schlimm. Meine Hobbies waren für sie zwar nicht nachvollziehbar, aber trotzdem vollkommen normal und okay.
Ich weiß, da hatte ich vielleicht Glück. Die Ausgrenzung und das Gemeinsein kamen dann aber trotzdem. Ich fand nämlich niemals den ersehnten Anschluss bei den "nerdigeren" Leuten, mit denen ich mich so gerne ausgetauscht hätte. Von einer "Freundin", die damals im alternativen, leicht punkigen Stil gekleidet und die einzige mit ähnlichen Interessen war, wurde ich ständig sitzen gelassen, hintergangen und indirekt als "hohl" und "Modepüppchen" beleidigt.
Auf Conventions und Messen wurde ich doof angeguckt und Freundschaften schließen war so gut wie unmöglich. Weil ich in eine Schublade gesteckt wurde, die höchstens (aber auch das nur bedingt) optisch zu mir passte, mit meinem Innenleben aber nichts zutun hatte.
Ich will damit nur sagen, dass auch die "Schmink-Tussis" und "Rosa-Zopf-Mädchen" keine eindimensionalen Strichfiguren sind, sondern komplexe Menschen, mit Hobbies, Träumen, Ängsten und Problemen.
Ich kann mir problemlos Wimperntusche auftragen und dabei mit einem Kumpel darüber streiten, ob nun - grobes Beispiel -Harrowmont oder Bhelen der bessere Herrscher der Zwergenstadt Orzammar in Dragon Age: Origins ist. Oder ob man sich den Sturmmänteln oder lieber dem Kaiserreich in Skyrim anschließen sollte.
Ich kann mir zarte Kleidchen anziehen und blondiert sein, während ich eine neue Sprache lerne und mich weiter in die Astrophysik einlese.
Man muss sich nicht entscheiden. Das geht alles zusammen.
Im Buch werden Neid, Missgunst und auch Hass unter Frauen sehr explizit und ausschweifend angesprochen. Das finde ich erstmal richtig und ich musste bei einigen Dingen auch nicken.
Ich bin zwar immer noch nicht ganz sicher, ob das wirklich so ein spezifisches Frauending ist (obwohl man an einer Stelle im Buch in Großbuchstaben angebrüllt wird, dass das alles belegt und bewiesen ist - fragt sich halt wie), oder ob in unserer Gesellschaft das selbe Verhalten bei den Geschlechtern einfach nur unterschiedlich bewertet wird (ich habe jahrelang in der Gastro gejobbt und was ich da an Gesprächen und Lästereien in reinen Männergruppen mitgehört habe, hat mich stark zum Nachdenken gebracht... ist halt leider nur anekdotische Evidenz und sagt im Grunde nicht viel aus), aber sei's drum.
Es ist jedenfalls ein großes Thema, grade im Feminismus. Im Gegensatz zur Autorin finde ich allerdings nicht, dass es einfach so abgetan oder gar geleugnet wird.
Ganz im Gegenteil, ich habe noch nie so viel Selbstreflexion und Hinterfragen des eigenen Verhaltens wie innerhalb feministischer Gruppierungen erlebt. Das mag an meiner Bubble liegen, klar.
Dennoch vermisse ich genau diese Dinge im Buch, bei der Autorin selbst. Die Fehler anderer werden sehr intensiv behandelt und aufgezeigt. Die Bösen sind hier die anderen (Frauen). Und ich komme nicht umhin, mich zu fragen, ob sie denn selbst immer so einwandfrei, korrekt, nett und super fair zu eben diesen anderen Frauen in ihrem Leben war.
Oder ob es da nicht mindestens eine gibt, die ähnliches zu erzählen hätte. Halt von der anderen Seite.
Die Sache ist nämlich die: Meiner Erfahrung nach gibt es eine große Schnittmenge von Frauen, die sich sehr laut und sehr vehement darüber beschweren, dass Frauen so fies sind und man keine echte Freundschaft aufbauen kann und denen, die selber nicht grade gut zu Frauen sind.
Als ich eine Bekannte zum ersten mal traf, sagte sie mir, dass sie sich so freue, dass wir uns gut verstehen, denn normalerweise könne sie ja überhaupt nicht mit Frauen. "Weiber sind die schlimmsten, Gott, ich hasse Weiber."
Ich war irritiert und wütend, aber auch zu nett (oder angepasst), um etwas Deutliches dagegen zu sagen. Stattdessen antwortete ich ihr, dass ich sehr gut mit Frauen könne, sie gelegentlich sogar liebe. Mittlerweile habe ich einige Freundschaften dieser Person zerbrechen sehen und unschuldig war sie daran nie. Eher im Gegenteil.
Bevor es doch noch so rüberkommt: Ich will natürlich nicht leugnen, dass es die sogenannte Stutenbissigkeit gibt. Überhaupt nicht. Und ich glaube auch, dass es stimmt, dass Frauen andere Frauen als weniger vertrauenswürdig und eher manipulativ sehen, als Männer. Dieses Buch ist der beste Beweis.
Aber vielleicht lese ich es auch falsch. Immerhin behauptet die Autorin ja auch, anderen Frauen die Hand zu reichen.
Aber ich bin definitiv hellwach, wenn ich was von "Schmink-Tussis" und "Rosa-Zopf-Mädchen" und "Lästerschwestern" und "Intrigantinnen" und "Bitchiness" lese.
Es gibt dennoch viele eindringliche und interessante Passagen. Manchmal hatte ich beim lesen der persönlichen Erfahrungen regelrecht Bauchschmerzen, was gut ist, weil mich das Geschriebene total erreicht hat.
Außerdem werden Dinge beleuchtet, über die ich so noch nie nachgedacht hatte. Das beispielsweise der Fokus auf Falschbeschuldigungen, wenn es um Vergewaltigungen geht, Menschen (vor allem Frauen) dazu bringt, ihre eigene Erfahrung zu hinterfragen und sich nicht mehr sicher zu sein, ob sie das überhaupt wirklich so erlebt haben und richtig einschätzen, klingt leider plausibel.
Ebenso wie die Schilderungen des alltäglichen Sexismus, den ich kenne, den meine Freundinnen kennen, den so gut wie jede Frau auf dieser Welt kennt.
Sexuell verfügbar ist im Endeffekt ein Buch voller Widersprüche (und das wird zum Schluss sogar erwähnt).
Auf einer Seite ist die Autorin genervt von Frauen, die einen semi-kritischen Spruch über Brust-OPs bringen (weil sie nämlich selbst eine hatte), auf der anderen kritisiert sie wiederum selber Frauen, die sich einem Schönheitsideal zu sehr anpassen.
Dabei darf man dann nicht vergessen, dass auch sie gefärbte Haare hat und auf Mode steht aber halt "auf die gute Weise", die was mit Kunst und Ausdruck zutun hat. Na dann.
Auf einer Seite weiß sie, wie schlimm es ist, betrogen und belogen zu werden, auf der anderen beschreibt auch sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann (zwar nicht kritikfrei, aber eigentlich lese ich da nur wieder ganz viel Rechtfertigung raus).
Sie verzeiht sich, weil sie jung und naiv war, verlangt dann aber im nächsten Moment mit deutlichen Worten, dass Frauen aufhören müssen, Geliebte zu sein.
Auf einer Seite schreibt sie, dass Frauen harmoniebedürftiger sind, gerne deeskalieren und die Schuld bei zwischenmenschlichen Problemen bei sich selbst suchen, auf der anderen zeichnet sie das Bild der manipulativen, intriganten Schlange, die vor Bösartigkeiten nur so strotzt und Mittel und Wege kennt, andere zu zerstören.
Auf einer Seite berichtet sie von einem traumatischen Erlebnis mit Slut-Shaming unter Frauen, das wohl bis heute dazu führt, dass sie vorsichtig mit dem ist, was sie ausplaudert, wenn es um Sex und Liebschaften geht, auf der anderen wundert sie sich später, dass Mütter nicht offen über Sex und ihr Verlangen reden.
"Warum sagt denn niemand was?" heißt es da und ich denke mir, ja, vielleicht haben die ähnliches erlebt und möchten auch nicht verurteilt werden.
Auf einer Seite sollen Frauen zu ihrem Begehren stehen, auf der anderen wird die One-Night-Stand und Friends-with-Benefits Kultur kritisiert.
Auf einer Seite wird Solidarität unter Frauen verlangt, auf der anderen spöttisch auf die ehemaligen Klassenkameradinnen runtergeguckt, die zuerst heirateten, Kinder bekamen und ihre Karrieren auf Eis legten.
Es erscheint mir, offen gesagt, schwer überhaupt etwas zu finden, was man als Frau in den Augen der Autorin richtig machen kann.
In Rosales steckt eine Menge Frust und das ist okay. Ich teile ihn auch manchmal.
Ich muss mich beim Lesen eines solchen Buches nicht immer wohl fühlen, nein, ich verlange sogar mich ab und zu unwohl zu fühlen und zum Nachdenken gebracht zu werden. Das passiert hier gut.
Ich nehme das Geschriebene insgesamt als Bereicherung mit. Dennoch fehlt aber eben auch ganz viel. Vor allem Mut, eigene Fehler zu gestehen und weniger nachsichtig mit sich selbst zu sein, während man alle anderen gnadenlos abwatscht.