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Veröffentlicht am 08.09.2019

Wunderbar geschriebene Geschichte mit vielen interessanten Informationen über Porzellanherstellung

Ein neues Blau
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"Was eigentlich ist Porzellan? Jeder hat es, jeder kennt es. Aus dem eigenen Haushalt, den Museen oder Geschäften. Aber woher kommt es?"

Genau diese Frage hat mich neugierig gemacht, als ich "Ein neues ...

"Was eigentlich ist Porzellan? Jeder hat es, jeder kennt es. Aus dem eigenen Haushalt, den Museen oder Geschäften. Aber woher kommt es?"

Genau diese Frage hat mich neugierig gemacht, als ich "Ein neues Blau" von Tom Saller entdeckt habe. Die Geschichte schien Eindrücke aus der Arbeit mit Porzellan zu geben und damit die Thematik des Nationalsozialismus um einen neuen, interessanten Aspekt zu ergänzen. Zudem schätze ich Romane, bei denen zwei Handlungsstränge miteinander verwoben werden und eine junge Person aus dem reichen Erfahrungsschatz einer älteren lernen und daran wachsen kann.

Die erste Erwartung wurde vollkommen erfüllt. Auch wenn der Nationalsozialismus nicht detailliert aufgegriffen wird, erhält man umso mehr Einblicke in die Welt der Porzellanherstellung und - malerei. Neben den Details, die sich flüssig in die Erzählung einreihen, gibt es auch immer wieder Einschübe mit Zitaten aus anderen Werken über Porzellanherstellung. Ich konnte einiges neues Wissen aufnehmen und habe mich dennoch gut unterhalten gefühlt. Tom Saller ist es gelungen meinen Horizont auf angenehme, leicht aufzunehmende Weise zu erweitern. Auch einige Aspekte des jüdischen Glaubens und der jüdischen Traditionen waren mir noch nicht bekannt und haben mich sehr interessiert. Ganz besonders war eine Passage, in der versucht wurde, zu ergründen, warum jüdische Menschen bereits seit Jahrhunderten verfolgt und ausgegrenzt werden. Diese Frage kam verstärkt durch einen anderen Roman mit dem Thema Nationalsozialismus bei mir auf und der hier vorgebrachte Erklärungsansatz war sehr interessant und hat mich nachdenklich gestimmt.
Auch über die Welt des Tees habe ich noch das ein oder andere neue Wissen erworben. Ein Buch voller interessanter Hintergründe, die sich angenehm in die Geschichte einfügen.

Die zweite Erwartung eines gegenseitigen Von- und Miteinander Lernens über Generationen hinweg, ist für mein Empfinden etwas zu kurz gekommen. Ein großer Anteil des Romans wird Lili und ihrem Leben vor ihrer Hochzeit gewidmet. Lili ist eine interessante junge Frau, die eine besondere Kindheit leben durfte und sich nun mutig aufmacht, um neue Erfahrungen zu machen. Es fällt leicht eine Sympathie für Lili und auch für die Menschen, die sie auf ihrem Weg begleiten, zu entwickeln. Zudem liest sich ihr Heranwachsen sehr angenehm und interessant. Mir war jedoch zum einen das Ende zu abrupt. Nach Lilis Hochzeit wird ihr Leben nur noch sehr lückenhaft erzählt. Mir war das etwas zu übergangslos und ich hätte mir noch etwas mehr Hintergründe gewünscht.
Zum anderen wird auch Anja für meinen Geschmack etwas zu wenig Raum gegeben. Ich hatte mir erhofft, dass es mehrere tiefgründige Dialoge zwischen Lili und Anja geben würde. Diese Hoffnung wurde nicht ganz erfüllt. Was mir aber sehr gut gefällt, ist der veränderte Schreibstil, wenn Anja aus ihrer Perspektive erzählt. Dieser ist dann moderner, jünger und passt daher gut zu einem jungen Mädchen, das ihren Platz nicht mehr findet. Auch ihre positive Entwicklung, ihr beginnendes Erwachsenwerden, ist in dem Buch sehr schön herausgearbeitet.

Einen schönen, stimmigen Rahmen für die ganze Geschichte bieten Prolog und Epilog. Das hat mir außerordentlich gut gefallen, nehmen sie doch direkt aufeinander Bezug und stimmen daher gut auf die Geschichte ein und bieten dann einen harmonischen Ausklang.

"Ein neues Blau" von Tom Saller ist ein Roman, der vor dem Hintergrund einer wunderbar geschriebenen Geschichte viele interessante Informationen über Porzellanherstellung, Judentum und Tee bietet. Ein Werk, das gleichermaßen bildet und unterhält. Empfehlen kann ich es allen Lesern gut geschriebener Romane, die Freude daran haben ihr Wissen über die genannten Bereiche zu erweitern.


Am Rande möchte ich auch gern noch erwähnen, dass die Ullstein-Buchverlage ihre gebundenen Bücher nicht mehr in Plastikfolie einpacken, sondern diese lediglich mit einer kleinen Banderole versehen, die das Aufblättern verhindert. Diesen Ansatz, um Plastikmüll zu vermeiden, habe ich sehr positiv und deshalb erwähnenswert empfunden.

Veröffentlicht am 01.09.2019

Wiederentdecktes Werk, das noch immer aktuell ist

Ein anderer Takt
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"Ein anderer Takt" ist eine Übersetzung und Neuveröffentlichung des bereits 1962 unter dem Titel "A Different Drummer" von William Melvin Kelley erschienenen Romans. Ich habe diesen Roman dennoch als sehr ...

"Ein anderer Takt" ist eine Übersetzung und Neuveröffentlichung des bereits 1962 unter dem Titel "A Different Drummer" von William Melvin Kelley erschienenen Romans. Ich habe diesen Roman dennoch als sehr interessant und aktuell auch für die heutige modernere Zeit empfunden.

In einem sehr ausführlichen Vorwort wird zum einen erklärt, wie es zu dieser Neuveröffentlichung kam, zum anderen wird das Leben und das Werk des Autors gewürdigt. Als Nachwort wurde der Tochter des Autors ebenfalls Platz eingeräumt, um über ihren Vater zu sprechen. Beide Abhandlungen gefallen mir außerordentlich gut. Gerade weil "Ein anderer Takt" schon vor vielen Jahren erschienen ist und im Leben von William Melvin Kelley seit diesem Debüt-Roman vieles passiert ist und weitere Werke hinzugekommen sind, ist es schön darüber einen ergänzenden Überblick zu erhalten.

Gleich zu Beginn des Buches findet sich ein sehr schönes, tiefgründiges Zitat von Henry David Thoreau, an welches der Titel angelehnt ist und das eine gute Einstimmung im den Roman bietet. Der Einstieg erfordert einen offenen, vorurteilsfreien Leser, der bereit ist sich an den früheren Sprachgebrauch zu gewöhnen und sich durch eine doch sehr abenteuerliche Geschichte zu kämpfen, die Mister Harper seinem Publikum vor dem Lebensmittelgeschäft erzählt. Ab da habe ich den Roman jedoch mit wachsender Begeisterung gelesen. Der Schreibstil ist insgesamt sehr flüssig und chronologisch. Geschrieben wird aus Sicht der 'Weißen, wie sie über Schwarze denken' . Es ist eine Perspektive, die nicht so häufig verwendet wird und deshalb einige interessante Denkanstöße liefert.

Vor dem Hintergrund der Massenabwanderung der farbigen Bevölkerung aus den Südstaaten in den Norden wird in den einzelnen Kapiteln, die meist einen Namen als Überschrift tragen, erzählt, wie die jeweilige Beziehung zu Tucker Caliban, dem Auslöser für die Bewegung, war und welche Erfahrungen miteinander gemacht wurden. Manche Passagen waren amüsant, andere tragisch, andere sehr emotional. Erschreckend ist, welche Überlegenheit einige nur aufgrund ihrer Hautfarbe empfinden, wie sie andere Menschen herabsetzen, als minderwertig abstempeln und sie als bloßes Eigentum sehen. Etwas was auch heute leider noch in Teilen wiederzufinden ist und deshalb nichts an seiner Aktualität verloren hat.
Einige der Dialoge im dem Roman waren besonders tiefgehend, schon fast mitreißend und haben einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen.

"Ein anderer Takt" von William Melvin Kelley ist ein interessantes zeitgenössisches Werk, das den Horizont erweitert und dessen Wiederentdeckung sich gelohnt hat. Es erfordert jedoch einen offenen, voruteilsfreien Leser, da die Ausdrucksweise zu paralysieren vermag.

Veröffentlicht am 10.08.2019

Urig, sarkastisch und mit interessanten Hintergründen zum Buchhandel

Tagebuch eines Buchhändlers
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"Tagebuch eines Buchhändlers" ist ein autobiographischer Roman, in dem der Autor Shaun Bythell für den Zeitraum eines Jahres Einblick in sein Leben als Inhaber einer antiquarischen Buchhandlung gewährt. ...

"Tagebuch eines Buchhändlers" ist ein autobiographischer Roman, in dem der Autor Shaun Bythell für den Zeitraum eines Jahres Einblick in sein Leben als Inhaber einer antiquarischen Buchhandlung gewährt.

Das Buch ist, wie der Titel schon verrät, in Form eines Tagebuchs geschrieben. Vor den Einträgen der einzelnen Monate befindet sich immer ein Auszug von George Orwell aus seinen "Erinnerungen an eine Buchhandlung" von 1936. Dieser wird dann von dem Autor aus Sicht eines modernen Buchhändlers beurteilt. Das gefällt mir gut.

Die beschriebenen Veränderungen im Buchhandel mit fortschreitender Modernisierung und der weiten Verbreitung und Nutzung des Internets sind sehr interessant. Ich habe noch einiges über den Buchhandel, insbesondere mit antiquarischen Werken, gelernt.

Gut gefällt mir auch, dass einige Bilder aus dem Laden The Bookshop abgedruckt sind. Das Cover zeigt ebenfalls den Laden und Shaun Bythell. Das macht es schön anschaulich und man kann sich gut vorstellen, wo die Handlung spielt. Das finde ich bei autobiographischen Romanen sehr angebracht und wichtig.

Der Schreibstil ist teilweise sehr bissig und sarkastisch. Es liest sich sehr unterhaltsam und witzig. Die Beschreibung der Kunden ist sehr tief sinnig und teilweise urkomisch.
Einige der Kunden rühren auch und lassen hoffen, dass es wirklich noch Freunde von kleinen, sehr persönlichen Buchhandlungen gibt. Shaun Bythell erklärt, dass er den Eindruck hat, dass eine "Buchhandlung auf die meisten Leute vorrangig entspannend wirkt. Sie [sei] ein friedlicher, ruhiger Ort, wo man den gnadenlosen Zwängen und den digitalen Anforderungen des modernen Lebens entkommen [könne]." Diese Beobachtung kann ich nur bestätigen.

Was mir nicht so gut gefallen hat, war zum Einen die teilweise Zusammenhanglosigkeit der Passagen. Aber dies rührt daher, dass es sich um Tagebuch-Einträge handelt und war nach dem ersten Einlesen nicht mehr ganz so anstrengend. Zum Anderen, hat mir die Beschreibung von Nicky, der Angestellten von Shaun Bythell, nicht gefallen. Ich fand es nicht gut, dass ihre schrullige und etwas abgehobene Art mit ihrem Glauben in Verbindung gebracht wurde. Nicht alle gläubigen Menschen sind auch automatisch schrullig. Das mag etwas sein, was in ihrer Persönlichkeit liegt und vermittelt deshalb ein völlig falsches Bild. Zudem wird sie als etwas ungepflegt, eigensinnig und unehrlich beschrieben. Das sind alles Attribute, die sich mit ihrem Glauben in keiner Weise vereinbaren lassen.

Für Leser, die gerne sarkastische und humorvolle Romane lesen, ist dieses Buch gut geeignet. Auch für alle Büchernarren kann ich es empfehlen, weil man eine ganze Menge über Bücher lernen kann und viele interessante Romane beschrieben werden.

Veröffentlicht am 24.07.2019

Ungewöhnlicher Schreibstil, aber dranbleiben lohnt sich!

Die Lichtsammlerin
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"Die Lichtsammlerin" ist ein anspruchsvolles Buch, das den Leser fordert und Geduld und Aufmerksamkeit voraussetzt.

Wie bereits von der Autorin angekündigt, handelt es sich um die Geschichte von drei ...

"Die Lichtsammlerin" ist ein anspruchsvolles Buch, das den Leser fordert und Geduld und Aufmerksamkeit voraussetzt.

Wie bereits von der Autorin angekündigt, handelt es sich um die Geschichte von drei Frauen - Großmutter, Mutter und Enkelin.
Alle drei Frauen - Rosa, Erika und Mary - werden vorgestellt und allmählich ihre Persönlichkeiten und prägenden Lebenserfahrungen enthüllt. Dabei steht hauptsächlich Mary im Fokus, die ihre Geschichte zum Teil selbst als Ich-Erzählerin oder in abgedruckten E-Mails an ihre beiden Söhne erzählt. Einiges von Mary und auch die Erlebnisse von Rosa und Erika werden in indirekter Rede erzählt. Dieser Wechsel der Erzählform passt gut zu der fehlenden Chronologie und unterstreicht die verschiedenen Handlungszeitpunkte.

Dadurch, dass die Geschichte nicht chronologisch erzählt ist und zudem viele Geschehnisse nur kurz angerissen werden, um dann im weiteren Verlauf ausführlicher erklärt zu werden, dauert es etwas sich in die Geschichte einzufinden. Es ist keine Lektüre, die sich mal eben locker lesen lässt. Stattdessen ist ein aufmerksamer Leser gefragt, der gut kombiniert und Geduld mitbringt. Das Buch selbst drückt es sehr gut aus: 'Immer diese versetzten Zeitebenen, durch die wir [...] getrieben wurden. [...] Vergangenheiten vermischten sich mit [...] Gegenwart.'

Eine Besonderheit des Buches ist zudem, dass die Zeit des Nationalsozialismus und die Auswirkung auf die Generation der jungen Erwachsenen, die danach ihr Leben und ihre Familien aufbauen, auf eine Art geschildert wird, wie es selten der Fall ist. "Die Lichtsammlerin" liest sich, als ob man Teil der Familie ist. Genau auf diese ungeordnete Art erfährt man auch in seiner eigenen Familie nur nach und nach in einzelnen Geschichten und Anekdoten von den Erlebnissen der Eltern und Großeltern. Allmählich ergibt sich dann ein Bild der wichtigsten Stationen ihres Lebens, wobei einige Erlebnisse und Beweggründe für immer ungesagt bleiben.

Wichtig ist noch zu sagen, dass der Titel des Buches im Verlauf der Geschichte erklärt wird. Der Leser lernt "Die Lichtsammlerin" kennen und erfährt, dass sie darauf geachtet hat, 'dass das Licht nicht verlöscht. Sie hat [...] allen gezeigt, was man im Kleinen verändern kann, wenn man mutig ist.' Eine tolle Botschaft, die Mut macht.

Für Leser, die gerne ein Handlung haben, die in ordentlicher zeitlicher Abfolge erzählt wird, ist dieses Buch eine echte Herausforderung. Leser, die jedoch gewillt sind, sich auf ein Buch einzulassen, das nicht ganz dem gewöhnlichen Schreibstil folgt und mit wunderbaren Lebenserkenntnissen der Frauen aus drei Generationen Punkten kann, ist "Die Lichtsammlerin" genau richtig.

Veröffentlicht am 01.05.2022

Kleine Flucht aus dem Alltag

Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach
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"Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach" von Julia Mattera ist ein sehr unaufgeregtes, leises Buch. Es liest sich schön, hüllt zart in die Geschichte ein.

Hauptperson ist Robert Walch. "Robert ist ...

"Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach" von Julia Mattera ist ein sehr unaufgeregtes, leises Buch. Es liest sich schön, hüllt zart in die Geschichte ein.

Hauptperson ist Robert Walch. "Robert ist am liebsten zu Hause, nur da fühlt er sich wohl. Sein Alltag ist so präzise geregelt wie ein Schweizer Uhrwerk. Jede seiner Handlungen folgt einem festgelegten Muster."

Da er dadurch jedoch Gelegenheiten verpasst, etwas Schönes und Besonderes zu erleben, bemüht sich seine Schwester Elsa ihn aus seiner Komfortzone herauszuholen. Den gemeinsam geerbten Bauerhof hat sie zu einer Pension umgestaltet, in der Hoffnung Robert so für neue Menschen zu begeistern. Als Elsa schon langsam den Mut verliert, taucht in der Pension ein ganz besonderer Gast auf: die rothaarige, laute und selbstsichere Maggie. Obwohl nahezu das komplette Gegenteil von Robert, übt sie doch eine gewisse Anziehungskraft auf ihn aus. Und so ändert sich für den 52-Jährigen innerhalb eines Monats sein Leben erheblich. Und genau dies hat mich etwas gestört, es ging mir zu schnell. Die Ängste und Gewohnheiten so schnell ablegen zu können, nur weil ein bestimmter Mensch auftaucht: nicht sehr realistisch. Andererseits ein schöner Traum davon, dass es für jeden diesen einen Menschen gibt, der das Leben leichter macht.

Insgesamt ein süßer Roman, der daran erinnert, sich an den kleinen Dinge des Alltags zu erfreuen, ohne sich um Konventionen der übrigen Welt zu scheren, der zum Träumen einlädt und ruhige, entspannte Stunden beschert.

Mir hat "Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach" von Julia Mattera gefallen, ehrlicherweise werde ich den Roman jedoch nicht so lange in Erinnerung behalten.