Eine poetische Reise - außergewöhnlich, lebensbejahend und voller Gefühl!
LiebendeKoreanische Literatur ist momentan auch auf dem deutschen Buchmarkt schwer angesagt: ob Thriller wie „Der Plotter“ von Un-Su Kim oder die Studien menschlicher Abgründe aus der Feder von Han Kang - die ...
Koreanische Literatur ist momentan auch auf dem deutschen Buchmarkt schwer angesagt: ob Thriller wie „Der Plotter“ von Un-Su Kim oder die Studien menschlicher Abgründe aus der Feder von Han Kang - die originellen Ideen vor exotischen Schauplätzen haben ihren ganz eigenen Charme. Daher war es nur eine Frage der Zeit, dass auch die lyrischen Werke des Schriftstellers Jeong Ho-Seung ihren Weg nach Deutschland und damit in die Herzen der Poeten unserer Zeit finden. Ursprünglich 2008 in Südkorea erschienen, verkaufte sich dieses etwa 128 Seiten umfassende Büchlein dort über zwei Millionen Mal.
Worum geht’s?
Blauperlenauge hat alles, wovon ein Kupferfisch eigentlich träumen könnte: einen festen Platz am Dach des Unju-sa- Tempels, ein ruhiges Leben im Einklang mit den Tempelglöckchen und die Liebe zu seinem Gefährten namens Schwarzperlenauge. In letztere hat allerdings die Routine des Alltags Einzug gehalten, sodass sich Blauperlenauge allmählich fragt, ob Schwarzperlenauge ihn immer noch liebt. Gleichzeitig sehnt sich Blauperlenauge nach einem Leben außerhalb des Tempels, was für Schwarzperlenauge unvorstellbar ist. Als Blauperlenauge anstelle seiner Flossen eines Tages Flügel wachsen, beginnt er eine Reise, die ihn durch das ganze Land führt und zahlreichen Personen und Tieren begegnen lässt. Doch ist es wirklich das, was er will? Was ist der Sinn seines Lebens? Und was bedeutet es, wahrhaftig zu lieben?
Meine Meinung:
Während Schwarzperlenauge zweifelsfrei als männlicher Kupferfisch angesprochen wird, bleibt es offen, ob der Protagonist Blauperlenauge ein Männchen oder Weibchen ist. Und das geschieht meiner Meinung nach absichtlich, denn das Zusammenleben dieser beiden Figuren und die Entwicklung ihrer Liebesbeziehung beschränkt sich gewiss nicht nur auf die typischen Mann-Frau-Klischees. Es ist vielmehr eine Ode an die Liebe, die bereits die erste Phase ungezügelter Verliebtheit hinter sich gelassen hat und den nunmehr unverklärten Blick in die Zukunft richtet. Wie stellt man sich seine gemeinsame Zukunft vor? Was sind die eigenen Ziele, was erwartet der Partner von mir? Diese Fragen hat sich wohl jeder, der eine langjährige Beziehung führt, schon einmal gestellt. Während Blauperlenauge die Welt erkunden und das ruhige Leben des Tempels hinter sich lassen will, ist Schwarzperlenauge mit diesem Dasein vollends zufrieden. Unterschiedliche Erwartungshaltungen und das vermeintlich mangelnde Verständnis für die Bedürfnisse des Partners führen schließlich zur Trennung – ein realistisches Bild, das sich wohl tatsächlich in genau dieser Form jeden Tag irgendwo auf der Welt so abspielen dürfte. Auch wenn sich nicht jeder mit den eigentlich unbeweglichen, nicht lebendigen Kupferfischen als Protagonisten anfreunden kann, ist die Studie ihrer Beziehungsdynamik durchaus nachvollziehbar.
Abstrakt wird es erst, als Blauperlenauge eines Morgens Flügel erhält und nun, mehr Vogel als Fisch, endlich seine Reise abseits des geregelten Tempelalltags beginnt.Wie sich später herausstellt, ist es eine Reise, die ihn durch unterschiedliche Begegnungen zu sich selbst finden lässt. Insgesamt fallen die Auftritte der Nebenfiguren recht kurz aus, auf eine aufwändige Charakterisierung und Hintergrundinformationen wird angesichts der Kürze von nicht einmal 130 Seiten verzichtet. Wichtiger ist vielmehr, dass jede Nebenfigur eine weitere Lektion für Blauperlenauge bereithält. Allzu viel soll hier nicht verraten werden, aber eines steht fest; auch die Menschen und Tiere dieser Geschichte stellen sich die großen Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Bedeutung von Liebe im eigenen Alltag.
Der Kürze der einzelnen Episoden ist es wohl auch geschuldet, dass die Moral, die Blauperlenauge aus jeder Begegnung zieht, sehr knapp und manchmal wie aus einem Lehrbuch erzählt wirkt. Natürlich sind die Gesamtumstände immer noch, wie bei einer Fabel typisch, sehr vage gehalten, sodass sich der geneigte Leser immer noch in einzelnen Passagen wiedererkennen kann. Doch das Resümee am Ende jedes Abschnitts fällt meiner Meinung nach ungewöhnlich sachlich und bisweilen anspruchslos formuliert aus – „ohne Opfer keine Liebe“ (S. 48) , „lieben musst du jetzt, in diesem Augenblick“ (S. 66) oder „ohne Wunden gibt es keine Schönheit“ (S. 114). Gerade in Anbetracht des ansonsten doch recht abstrakten Konzepts wollten einige Lehrsätze kein stimmiges Gesamtbild ergeben. Hier wären weniger Pathos und euphorische Gefühlsbekundungen manchmal mehr gewesen. Schade, denn insgesamt hätte die Handlung deutlich mehr Potenzial gehabt und schon ca. 40 Seiten und einige Hintergrundinformationen mehr hätten dieses Störgefühl eines zu schnell herbeigeführten Endes beseitigen können.
Der Schreibstil fällt gerade für einen Kurzroman unerwartet poetisch aus und beweist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Feingefühl, wenn es um die Darstellung von Emotionen geht. Auch die Wahrnehmung der Umwelt wird wunderbar in diese Gefühlsebene einbezogen und bringt das exotische Lebensgefühl aus Fernost treffend zur Geltung. Wer sich darauf einlassen kann und vielleicht schon ein wenig Hintergrundwissen über die koreanische Kultur mitbringt, wird mit diesem Buch viel Freude haben. Für jemanden, der sich dafür jedoch gar nicht begeistern kann, können die vielen Ortsangaben vielleicht schnell zu viel werden. Ich gehörte definitiv zur ersten Lesergruppe und habe zumindest grob versucht, die „Reiseroute“ von Blauperlenauge nachzuvollziehen.
Schließlich muss ich auch die liebevollen Farbillustrationen von Gisela Goppel lobend erwähnen, die eigens für die deutsche Ausgabe angefertigt wurden. Die dargestellten Szenen wurden behutsam und meiner Meinung nach sehr treffend ausgewählt und unterstreichen ebenso die fernöstliche, exotische Szenerie.
Fazit:
Insgesamt ist „Liebende“ ein fabelhaftes Buch für Zwischendurch, das mit einer außergewöhnlichen Rahmenhandlung vor exotischer Kulisse und einem farbenfrohen Schreibstil aufwartet. An einigen Stellen stören kleinere Wiederholungen und die meiner Meinung nach zu sachlich geratene Moral das ansonsten recht stimmige Gesamtkonzept. Ich habe mich dennoch gut unterhalten gefühlt und bin, genau wie Blauperlenauge, über den Sinn des Lebens ins Grübeln gekommen. Eine faszinierende kleine Lektüre für den Sommer!