Friedrich Ani, All die unbewohnten Zimmer, Suhrkamp 2019, ISBN 978-3-518-42850-4
Als ich das neue Buch von Friedrich Ani vor einigen Wochen in Händen hielt und auf der Umschlagseite las, dass Ani in diesem fast 500 Seiten umfassenden Werk alle seine bisherigen Ermittlerfiguren zusammenkommen lässt um mit ihren jeweiligen Methoden und ihrer jeweiligen unverwechselbaren Persönlichkeit zwei voneinander unabhängige Fälle zu lösen, da habe ich mich insbesondere auf den ehemaligen Mönch Polonius Fischer gefreut. Die beiden vor weit über zehn Jahren erschienenen Romane Anis über diesen stillen und ungewöhnlichen Kommissar sind nach meiner Meinung nach wie vor mit die besten, die Ani je geschrieben hat.
Zunächst nimmt Polonius Fischer die vor acht Jahren in die Provinz strafversetzte Fariza Nasri wieder in sein Dezernat K 111 auf. Sofort wird sie in einen Fall verwickelt, der ihr alles abverlangt und ihre Integrität auf eine harte Probe stellt. Ob es ihr gelingen wird, sie zu bewahren, lässt Ani bis kurz vor dem Ende offen.
Neben Polonius Fischer, der kurz vor seiner Pensionierung steht, tauchen auch der alte Jakob Franck und der schon in der Versenkung verschwunden geglaubte Tabor Süden wieder auf und beteiligen sich mit ihren je eigenen Ermittlungsmethoden an der Aufklärung zweier Mordfälle, die allen zusammen zunächst große Rätsel aufgeben.
Doch Ani lässt seinen Figuren Zeit. Scheinbar zufällig und am Ende dann doch ganz nachvollziehbar lässt er Personen und Handlungsstränge ineinandergreifen. Nicht nur die Ermittler, sondern auch etliche andere Personen aus vielen älteren Romanen Anis tauchen wieder auf. Immer wieder fügt Ani Erinnerungen und Rückblenden in die laufende Handlung ein, lässt sich Zeit mit der ausführlichen Beschreibung ihrer Lebensumstände und alle der unbewohnten Zimmer, die ihr Leben charakterisieren.
Alle vier Ermittler schickt Ani auf eine sorgfältige Spurensuche, lässt sie Umwege gehen und Seitenwege beschreiten. Vielleicht noch mehr als in früheren Büchern widmet er sich der ausführlichen Beschreibung der Kleinigkeiten im Leben dieser meist unsichtbaren Menschen, die sich schon lange dem normalen Alltag entzogen haben. Ani hat einen Blick und eine sensible ehrliche Sprache und schenkt ihnen allen jene Beachtung, die sie selbst nicht zu verdienen glauben.
Ani lebt und arbeitet in München, wo alle seine Romane spielen. Er schaut politisch und gesellschaftlich auf die dunklen Seiten der Stadt, er nähert sich den Menschen, die keiner mehr wahrnimmt und die sich schon lange selbst aufgegeben haben.
Auch seine Ermittler bewegen sich schon lange immer am Abgrund ihrer persönlichen Existenz. Doch gerade deshalb, weil sie immer selbst kurz vor dem eigenen Verschwinden stehen, haben sie einen unverwechselbaren Blick entwickelt, der Menschen ganz tief in die Seele blickt.
Ani selbst hat einen wachen Blick für die gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die er auch in seinen neuen Roman eingewoben hat.
Und wieder habe mich am Ende einer spannenden, unterhaltsamen und dennoch nachdenklichen Lektüre gefragt, ob nun endgültig Schluss ist mit Polonius Fischer, der nach über vierzehnjähriger Pause wieder aufgetaucht ist, mit Tabor Süden, der sein eigenes endgültiges Verschwinden aus dieser Welt zu genießen scheint, mit Jakob Franck, der in seiner „Gedankenfühligkeit“ die Toten liebt und sie achtet und mit Fariza Nasri, Jakob Francks „Lieblingssyrerin“, deren Versetzung er vor acht Jahren nicht verhindern konnte.
Mit seiner Tiefe und seinem immerwährenden Versuch, die Abgründe menschlichen Lebens und gesellschaftlicher Realität zu beschreiben, ohne in platte Formeln abzugleiten, hat sich Ani immer wieder als einer der besten zeitgenössischen Krimischriftsteller gezeigt und ist dafür auch mehrfach ausgezeichnet worden.
Wer Ani liest, muss viel aushalten können an Aporie, Sinnlosigkeit und Hoffnung, er muss sich konfrontieren mit Glauben und Zweifel, Philosophie und Theologie und darf sich aber auch an Menschen freuen, die versuchen gerne und froh zu leben und ihrem Leben einen kleinen, bescheidenen Sinn zu geben