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Veröffentlicht am 15.09.2016

Spannend und dystopisch - alles andere als ein Prinzessinnen-Buch!

Das Juwel - Die Gabe
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Violet Lasting ist im Sumpf aufgewachsen, dem ärmsten Stadtteil der Einzigen Stadt. Doch sie hat eine besondere Gabe: Sie kann Farbe und Form von Dingen verändern und sie zum Wachsen bringen. Seit dies ...

Violet Lasting ist im Sumpf aufgewachsen, dem ärmsten Stadtteil der Einzigen Stadt. Doch sie hat eine besondere Gabe: Sie kann Farbe und Form von Dingen verändern und sie zum Wachsen bringen. Seit dies vier Jahre zuvor festgestellt wurde lebt sie in der Verwahranstalt Southgate, in der sie zum Surrogat ausgebildet wird. Doch nun ist der Tag gekommen, in dem sie in den Stadtteil des Adels gebracht wird, dem Juwel. Hier wird sie an die meistbietende Adelige versteigert, um als Leihmutter ihr Kind auszutragen. Violet findet sich in einer Welt voller Luxus wieder, die ihre kühnsten Vorstellungen übertrifft. Doch als Surrogat ist sie stärker gefangen als je zuvor und wird behandelt wie ein willenloses Ausstellungstück und Mittel zum Zweck. Dennoch ist Violets Wille noch nicht gebrochen…

Das Cover des Buches ist in meinen Augen ein echter Hingucker. Ein Mädchen, vermutlich Violet, sitzt dort in einem wunderschönen Kleid, auf dem Perlen glitzern, die man sogar ertasten kann. Doch sie sieht nachdenklich, fast traurig aus, ganz so wie jemand, der sich in der Welt des Luxus nicht wohl fühlen kann. Warum das wohl so ist? Neugierig wagte ich mich zwischen die Seiten und hinein in die Einzige Stadt.

Der Einstieg ist mir leicht gefallen. Man lernt Violet an ihrem letzten Tag in der Verwahranstalt kennen, am nächsten Tag ist sie nur noch eine Nummer, die versteigert wird. Violet weiß nicht so recht, was sie von all dem halten soll, weiß aber, dass sie keine Wahl hat. Schnell fühlte ich mich ihr vertraut. An ihrer Seite lernte ich die Welt außerhalb der Verwahranstalt kennen, denn nach vier Jahren darf sie vor ihrer Versteigerung noch ein letztes Mal ihre Familie im Sumpf besuchen. Mit jeder Seite verstand ich besser, welche Last ihre Gabe für Violet bedeutet. Ihre Fähigkeiten machen sie nicht nur zu einer Gefangenen mit einem unbekannten Schicksal, nein, sie kann die Gabe nicht einmal einsetzen, ohne Schmerzen zu erleiden.

Bald beginnt die Reise ins Juwel zur Auktion und man findet sich in einer Welt voller Luxus wieder. Doch vieles ist hier nur Fassade, denn Lügen und Intrigen sind an der Tagesordnung. Desto mehr ich über das Leben und Schicksal der Surrogate im Juwel erfuhr, umso schockierter war ich. Das kann doch nicht der Ernst der Adeligen sein…?! Die Ereignisse stießen mich ab, doch gleichzeitig übte das Leben in Juwel eine Faszination auf mich aus, sodass ich die Geschichte nur schwer aus der Hand legen konnte. Ich bangte gemeinsam mit Violet und fand mit ihr Freunde an ungeahnten Orten. Doch sie muss sich entscheiden, was ihr am wichtigsten ist: Freiheit, Freundschaft oder Liebe? Und welches Wagnis ist sie bereit, dafür einzugehen?

Amy Ewing hat mit der Einzigen Stadt eine übersichtliche, gut durchdachte dystopische Welt geschaffen. Die Charaktere sind allesamt recht einfach gestrickt können schnell durchschaut werden. Violets Love Interest ist dafür äußerst charmant, sodass man ihn einfach ein bisschen anhimmeln muss. Die Spannung baut sich über das Buch langsam auf. Nachdem es immer wieder zu dramatischen Momenten kam steht am Ende alles auf dem Spiel. Ein gemeiner Cliffhanger lässt mich nun ungeduldig auf den zweiten Teil warten – wie wird es in der Einzigen Stadt weitergehen?

„Das Juwel“ ist alles andere als eine Prinzessinnen-Geschichte. Die Autorin hat eine dystopische Welt geschaffen, in der Mädchen aus ärmsten Verhältnissen mit besonderen Gaben als Leihmütter für den Adel herhalten müssen. Das Buch lässt den Leser in eine Welt voller Luxus und Prunk eintauchen, hinter dessen Fassade Intrigen und Grausamkeit lauern. Auch wenn vieles vorhersehbar ist, hat mich die ungewöhnliche Idee mit all ihren Konsequenzen fesseln können. Von mir gibt es sehr gute vier Sterne und eine Einladung an Euch, gemeinsam mit Violet ins Juwel zu reisen!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Für Peter geht es raus auf's Land

Fingerhut-Sommer
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Nach den verhängnisvollen Ereignissen am Skygarden Tower musste Constable und Zauberlehrling Peter Grant eine schier unendliche Folge an Befragungen über sich ergehen lassen. Ein neuer Fall lässt ihn London ...

Nach den verhängnisvollen Ereignissen am Skygarden Tower musste Constable und Zauberlehrling Peter Grant eine schier unendliche Folge an Befragungen über sich ergehen lassen. Ein neuer Fall lässt ihn London nun für eine Weile den Rücken kehren: In Nord-Herefordshire werden zwei Mädchen vermisst. Die ersten Indizien deuten darauf hin, dass sie sich am späten Abend aus ihren Betten geschlichen und kurz darauf ihre Handys verloren haben, die defekt aufgefunden wurden. Nightingale schickt Peter raus aufs Land, um zu prüfen, ob es sich um eine Entführung mit magischem Hintergrund handelt. Dort begegnet er ländlichen Vorurteilen, einem in die Jahre gekommen Zauberer und lernt wieder so manches über die große, gefährliche und verrückte Welt der Magie…

Nach dem spannenden und offenen Abschluss von „Der böse Ort“ habe ich auf das Erscheinen des inzwischen fünften Buches der Peter Grant-Reihe regelrecht hingefiebert. Wie wird es nun für Peter weitergehen? Auf den ersten Seiten erwartete mich hier leider eine kleine Enttäuschung, denn die Aufarbeitung der Ereignisse wird nur kurz und am Rande erwähnt. Dann wird Peter auf der Basis eines vagen Verdachts von Nightingale, dass das Verschwinden der beiden Mädchen irgendetwas mit Magie zu tun hat, gleich aufs Land geschickt.

Zu Beginn wirkt Peters Auftrag wie eine reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Peter, um ihn von seinen schmerzhaften, frischen Erinnerungen abzulenken. Dass Peter der Abstand von London gut tut merkt man spätestens, als er proaktiv anbietet, tiefer in den Fall einzusteigen und bei der Ermittlung mitzumischen. Was folgt, ist der erste Fall für Peter Grant, in dem der Leser London nicht wiedersehen soll.

Die Handlung mal raus aus der Großstadt und auf’s Land zu verlegen bringt sicherlich frischen Wind in die Reihe. In meinen Augen hatte das sowohl vor- als auch Nachteile.

Pro: Der Leser lernt viele neue Charaktere kennen, so mancher davon ein klischeehafter und dadurch unfreiwillig unterhaltsamer Landbewohner. Besonders gefallen hat mir Dominic, der im Dorf einfach jeden kennt, sehr locker drauf ist und so manche skurrile Bekanntschaft pflegt. Auch für Beverley hat Peter endlich ausgiebig Zeit, worüber ich mich richtig gefreut habe. Und auch die Kategorie „magische Wesen, von denen du bislang keine Ahnung hattest“ kriegt vor der neuen Kulisse ordentlich Zuwachs. Hier hat der Autor seiner Kreativität wieder freien Lauf gelassen und überzeugt mit bislang unbekannten Wesen und Ereignissen, die mich bestens unterhalten konnten.

Contra: Zum Vorgänger sagte ich noch, dass es durchaus eine Herausforderung ist, einen Überblick über die vielen Handlungsstränge zu behalten. Doch das habe ich in dieser Reihe inzwischen zu schätzen gelernt, sodass mir aufgrund der Abwesenheit der zahlreichen Nebenhandlungen jetzt etwas fehlte. Nightingale hält sich stark im Hintergrund, ebenso wie eine ganze Reihe der anderen liebgewonnenen Nebencharaktere. Besonders schade fand ich, dass die Ereignisse rund um den Gesichtslosen diesmal kaum erwähnt und nicht vorangetrieben wurden. Stattdessen kommen alle Freunde von Wald und Wiesen hier voll auf ihre Kosten – für meinen Geschmack stapft Peter allerdings ein bisschen zu häufig durch die Landschaft.

Nach einem kreativ-verrückten Finale weist das Buch ein für die Reihe untypischerweise in sich abgeschlossenes Ende auf, was ich sehr gut fand. Ich hoffe, dass in Band 6 die bändeübergreifende Handlung wieder stärker vorangebracht wird. Ein neuer, magisch-abgedrehter Fall darf natürlich auch nicht fehlen. Das ist bei dieser Reihe ja die Hauptsache.

In „Fingerhut-Sommer“ geht es für Peter Grant raus aus London und auf’s Land. Hier beteiligt er sich an den Ermittlungen rund um zwei vermisste Mädchen, bei deren Verschwinden eine magische Ursache nicht auszuschließen ist. Ich fand es erfrischend, Peter in einem ganz neuen Umfeld ermitteln zu sehen, aber sehr schade, dass so mancher Handlungsstrang dafür auf Eis gelegt wurde. Der Autor bleibt seinem kreativen Stil treu, sodass ich im Hinblick auf abstrusen Sch*** wieder voll auf meine Kosten kam. Für Peter in der Pampa gibt es daher von mir vier Sterne.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein Blick hinter die Kulissen der Salpêtrière

Runa
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Paris, 1884: Jori ist aus der Schweiz nach Paris an die Salpêtrière gekommen, um vom berühmten Neurologen Jean-Martin Charcot zu lernen und seine Doktorarbeit zu schreiben. Davon erhofft er sich, seine ...

Paris, 1884: Jori ist aus der Schweiz nach Paris an die Salpêtrière gekommen, um vom berühmten Neurologen Jean-Martin Charcot zu lernen und seine Doktorarbeit zu schreiben. Davon erhofft er sich, seine psychisch erkrankte Jugendliebe Pauline zu retten. Wie jede Woche besucht Jori Charcots gut gefüllte Hypnosevorstellungen, als eine junge Patientin nicht auf Charcots Hypnoseversuche reagiert. Als Charcot laut überlegt, an ihr die neueste Theorie eines Dr. Burckhardt auszuprobieren, die krankhaften Stellen aus dem Hirn zu schneiden, meldet sich Jori für diesen gewagten Versuch. Bald werden Wetten auf sein Gelingen abgeschlossen, und er gerät zunehmend unter Druck: Hat die Idee Aussicht auf Erfolg? Wer wird ihn unterstützen? Und welches Geheimnis verbirgt das junge, apathische Mädchen namens Runa? Gleichzeitig tauchen überall in der Stadt kryptische Nachrichten auf. Stehen sie in einem Zusammenhang mit den Ereignissen an der Salpêtrière?

Als ich zum ersten Mal den Klappentext von „Runa“ gelesen habe, löste dieser bei mir Faszination aus. Ich interessiere mich sehr Medizingeschichte und die Anfänge der Behandlung psychisch Kranker, gleichzeitig wurde mir eine mysteriöse Geschichte voller Spannung versprochen. Hierzu passen auch die dunklen Farben des Covers und das auf dem Kopf stehende Mädchen. Die Bedeutung der Tropfen erschließt sich hingegen erst während des Lesens.

Nach einem rätselhaften Prolog aus der Ich-Perspektive eines unbekannten Erzählers lernt der Leser auf den ersten Seiten den Protagonisten Jori und seine Arbeit kennen. Er begegnet ihm zum ersten Mal, als er eine „Irre“ abholt, die von ihrem Vater mehrere Monate lang in einen Verschlag gesperrt wurde. Hier und auch wenig später in der Salpêtrière begreift man, wie gering die Aussichten auf Heilung zu jener Zeit sind. Zwar versteht der Neurologe Charcot es, die Patientinnen der Menge wie Puppen vorzuführen und ihnen seinen Willen aufzuzwingen, doch von einer nachhaltigen Heilung psychischer Erkrankungen ist man noch weit entfernt.

Immer wieder musste ich schaudern, während die Autorin Einblicke in das Leben der Patientinnen der Salpêtrière gibt. Hier wurde ich als Leserin Zeugin von so manchem fragwürdigen, teils grausamen und teils herzlosen Vorgehen. Aus heutiger Sicht wirken die Versuche jener Zeit geradezu niederschmetternd. Joris Beschluss, Runa einen Teil des Hirns wegzuschneiden, ist schließlich die Spitze des Grauens. Gleichzeitig wurde mir Jori als Mensch so nahe gebracht, dass ich seine Motivation nachvollziehen konnte. Er erhofft sich schließlich, dass ihm damit ein großer medizinischer Durchbruch und die Heilung des kleinen Mädchens gelingt.

Während Jori zweifelt, hofft und versucht, Zugang zu Runa zu finden, erzählt ein zweiter Handlungsstrang von dem selbsternannten Verbrecher und Ex-Polizisten Lequoc. Aus reiner Neugier möchte er die Umstände eines Mordes klären und kommt damit auf die Spur mysteriöser Nachrichten. An Lequocs Seite lernt man das alltägliche Pariser Leben zu jener Zeit besser kennen. Er ist ein ungewöhnlicher und geheimnisvoller Charakter, bei dem ich nie das Gefühl hatte, ihn wirklich durchschaut zu haben. Die Verbindungen dieses Handlungsstrangs zu dem von Jori wurden schließlich mit jedem Buchabschnitt klarer.

Die Geschichte enthält viele interessante Schilderungen über den Stand der Medizin, die Zustände in der Salpêtrière und das Leben in Paris im Jahr 1884. Man spürt, dass die Autorin ausführlich recherchiert hat, um trotz fiktiver Geschichte möglichst nah an der Realität zu bleiben. In dieser Hinsicht hat mich das Buch begeistern können, auch wenn viele Schilderungen noch schauriger waren, als ich erwartet hätte. Das Buch ist ganz sicher keine leichte Kost! Etwas schade fand ich es, dass die Handlung nur langsam voranschreitet. Es werden viele Seiten mit den Überlegungen, Abwägungen und Erinnerungen der Charaktere gefüllt. Diese lernt man dadurch noch besser kennen, drosselte aber das Tempo. Erst im letzten Buchabschnitt fährt die Autorin schwere Spannungsgeschütze auf, die für dramatische Szenen und einen starken Showdown sorgten.

„Runa“ erzählt die fiktive Geschichte eines ambitionierten Medizinstudenten, der sich als erster an einem psychochirurgischen Eingriff versuchen will. Durch seine Augen blickt man hinter die Kulissen der Salpêtrière blickt und entdeckt lauter fragwürdige, aus heutiger Sicht schaurige Methoden und stets auf den eigenen Vorteil bedachte Ärzte. Gleichzeitig folgt ein Ex-Polizist der Spur mysteriöser Zeiten quer durch Paris. Vera Buck hat spannende Fakten der Medizingeschichte mit einer Handlung verknüpft, die man in der Kategorie Mysterythriller einordnen könnte. Ihr interessiert euch für die Anfänge der Psychochirurgie und seid in Stimmung für ein düsteres Buch? Dann ist „Runa“ definitiv das Richtige für euch!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein Spiel, das zum Verhängnis wird

Kinder des Winters
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Moskau im Juni 1945: Mit einer Siegesparade feiert Stalin das Ende des Krieges. Kurz danach treffen sich einige Kinder einflussreicher russischer Familien, die gemeinsam auf die beste Schule in Moskau ...

Moskau im Juni 1945: Mit einer Siegesparade feiert Stalin das Ende des Krieges. Kurz danach treffen sich einige Kinder einflussreicher russischer Familien, die gemeinsam auf die beste Schule in Moskau gehen. Sie möchten ein geheimnisvolles Spiel spielen. Doch plötzlich erklingen Schüsse, und zwei der Kinder liegen tot am Boden. Stalin erteilt die Anweisung, die Ermittlungen ohne Bevorzugung durchzuführen. Diese nehmen bald größere Ausmaße an, als die Kinder hätten ahnen können. Der Vorfall sowie einige wohl behütete Geheimnisse sollen für die Moskauer Elitefamilien bald zur Gefahr werden. Werden sie in den Abgrund stürzen oder können sie dies noch rechtzeitig abwenden?

Als ich das Buch zum ersten Mal in den Händen hielt, fiel es mir schwer einzuschätzen, was mich in diesem Buch erwartet. Im Nachhinein muss ich sagen, dass die romantische Winterkulisse des Covers für mich nicht wirklich zum Inhalt passen. Zum einen spielt das Buch größtenteils im Hochsommer. Lediglich die Pappelpollen, welche die beiden Toten wie Schnee bedecken, haben entfernt etwas mit Winter zu tun. Zum anderen sind die „Kinder“ fast alle 18 Jahre alt und stehen kurz vor dem Schulabschluss. Die Zielgruppe des Romans, der von Intrigen, politischem Kräftemessen und den Auswirkungen auf das private Leben der Moskauer Elite erzählt, sind in meinen Augen ganz klar Erwachsene.

Das Buch beginnt mit einem Prolog, in dem die Siegesparade sowie die anschließenden Schüsse aus der Sicht von Serafima, Tochter eines Drehbuchautors und einer Schauspielerin, geschildert werden. Über die Hintergründe erfährt man als Leser aber noch nichts. Stattdessen springt die Handlung einige Wochen in die Vergangenheit und erzählt von Andreis erstem Schultag auf der renommierten Schule 801. Er stammt im Gegensatz zu den anderen Kindern nicht aus einer renommierten Familie, sondern hat eine befleckte Vergangenheit und durfte gerade erst mit seiner Mutter nach Moskau zurückkehren. Mit seinen Augen lernt man die anderen Schüler und ihre Familien besser kennen und erfährt, was es mit dem geheimnisvollen Spiel auf sich hat. Auch seine Erzählung endet wieder bei den Schüssen, und schnell merkt man, dass der Autor noch immer entscheidende Puzzlestücke zur Frage vorenthält, wie es dazu kommen konnte.

Im Weiteren Buchverlauf wechseln die Perspektiven immer wieder und man erfährt Stück für Stück mehr über die Hintergründe des Vorfalls. Zusätzlich taucht man immer tiefer in die Schicksale der einzelnen Familien ein. Dem Autor ist es gelungen, mir das politische Minenfeld aufzuzeigen, in dem die fiktiven Minister und Kommandeure rund um Stalin agieren und mich die Anspannung fühlen zu lassen, die das politische Geschehen auf das Privatleben der Familien hat. Weite Teile des Buches spielen in den Verhörräumen der Lubjanka, dem zentralen Gefängnis Moskaus. Hier bekommen die Charaktere die Grausamkeit und Willkür der ermittelnden Organe zu spüren und müssen erfahren, wie ihnen Worte in den Mund gelegt werden und sie erpresst werden. Durch den fiktiven Fall des Romans konnte ich mir gut vorstellen, wie es dort damals wirklich zugegangen ist.

Aufgrund von politischen Entwicklungen, Machtstreben und geheimer Liebe wird die Situation für die Familien zunehmend brisanter. In der Folge geraten die Schüsse zunehmend in den Hintergrund und der Autor zeigt dem Leser die größeren Zusammenhänge. Immer mehr Fragen werden beantwortet, doch dass der Autor vieles bewusst erst sehr spät aufdeckt führte bei mir stellenweise mehr zu Verwirrung als zu Verstehen. Zudem fehlten mir entscheidende Perspektiven von Charakteren, deren Motivation ich gerne besser verstanden hätte. Den Abschluss des Buches, in dem noch einmal viel aufgedeckt wird, fand ich schließlich gelungen.

„Kinder des Winters“ erzählt von einem geheimnisvollen Spiel, das Töchtern und Söhnen der Elite Moskaus zum Verhängnis wird. Als zwei von ihnen durch Schüsse sterben, geraten die Kinder und ihre Familien in eine zunehmend bedrohliche Situation. Anhand dieser fiktiven Geschichte vermittelt der Autor dem Leser einen Einblick in das Leben in Moskau unter Stalin. Ich empfehle das Buch gerne an historisch interessierte Erwachsene weiter.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein ehemaliger Sklave auf dem Weg zur Macht

Red Rising
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Darrow lebt als Pionier auf dem Mars. Als Roter schuftet er in den Minen, um kostbares Helium-3 zu fördern, das für das Terraforming genutzt wird. Wenn dieses eines Tages abgeschlossen ist, werden auch ...

Darrow lebt als Pionier auf dem Mars. Als Roter schuftet er in den Minen, um kostbares Helium-3 zu fördern, das für das Terraforming genutzt wird. Wenn dieses eines Tages abgeschlossen ist, werden auch Menschen anderer Farben auf dem Mars leben können. Darrow hat die Oberfläche noch nie gesehen und besitzt nur das Allernötigste, um zu überleben. Als seine Frau Eo für den Traum von „mehr“ stirbt, will auch er nicht weiterleben. Doch eine Rebellengruppe rettet ihn vom Galgen und zeigt ihm, dass sein gesamtes Leben eine Lüge war. Als angebliches Mitglied der Oberschickt soll er nun die Reihen der herrschenden Goldenden infiltrieren, um aus einer mächtigen Position für die Freiheit der Roten zu kämpfen. Im Institut der Goldenen erwarten ihn harte Prüfungen sowie neue Feinde und Freunde. Wird sich Darrow behaupten können?

Auf den ersten 100 Seiten des Buches lernt man Darrows Leben als Roter in den Minen des Mars kennen. Schon bei den ersten Beschreibungen seiner Arbeitsbedingungen graute es mir. Er und sein Clan müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften. Nur wenn sie genug Helium-3 fördern, erhalten sie von ihren Aufsehern, den Grauen, ausreichend Nahrung. Diese Art zu leben hat mich erschreckt und ich hoffte, dass es bald Veränderungen zugunsten der Roten geben wird. Bald begann man zu spüren, dass so mancher Roter sich nicht mit diesem Leben abfinden will. Ein Betrug und eine Entdeckung bringen die Dinge ins Rollen und sorgten dafür, dass Darrows Leben sich völlig verändert.

Darrow ist ein zäher und sturer Typ, der sich ein Ziel setzt und dann alles daran setzt, es zu erfüllen – koste es, was es wolle. Oft benimmt er sich dabei geradezu leichtsinnig. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft sein Leben auf Messers Schneide stand und er dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen ist. Das gesamte Buch ist aus seiner Perspektive geschrieben, weshalb ich seine Entscheidungen nachvollziehen konnte. Gleichzeitig war ich nicht immer mit dem Weg einverstanden, für den er sich entschieden hat.

Nachdem Darrow die Minen verlassen hat, beginnt für ihn ein gänzlich neues Leben, das die ersten 100 Seiten wie einen bösen Traum erscheinen lässt. Doch auch sein neues Leben als Mitglied der Oberschicht ist keineswegs einfach. Um eine machtvolle Position zu erlangen, muss er eine Ausbildung im Institut durchlaufen. Dieses erweist sich als echte Schlangengrube. Der Rest des Buches erzählt ausschließlich davon, wie er sich bei den Prüfungen des Institutes schlägt.

Im Institut geht es grausam und brutal zu, denn im Kampf um Macht und eine gute Ausgangsposition für die Zukunft lassen seine Konkurrenten keine Gnade walten. Schnell findet man sich mitten in einem künstlich geschaffenen Krieg wieder. Ausgerenkte Finger, Vergewaltigungen, abgeschnittene Ohren, Stichwunden und andere Verletzungen aller Art sind dabei an der Tagesordnung und werden detailreich beschrieben. Für zarte Gemüter ist diese Geschichte definitiv nichts.

Ich fand es ziemlich erstaunlich, wie aus dem Roten Darrow in so kurzer Zeit eine Person werden konnte, die allen anderen mühelos überlegen ist. Ich fand es unrealistisch, dass Darrows mehr als gewagte Pläne immer dank einer großen Portion Glück aufgehen, er dann aber mehrfach in ähnlich gestellte Fallen tappt. Zudem hätte ich mir noch mehr Handlung gewünscht, die sich nicht um Kriegsstrategie dreht. Die Zeit am Institut zog sich vor allem im Mittelteil zunehmend in die Länge, doch auf einen Schauplatzwechsel wartet man in diesem Trilogieauftakt vergeblich. Zum Ende hin kommt ordentlich Bewegung in die lange festgefahrene Situation und es wurde noch einmal richtig spannend. Schließlich trifft Darrow eine wichtige Entscheidung. Über deren Konsequenzen wird der Leser mehr in der Fortsetzung „Im Haus der Feinde“ erfahren, die ich auf jeden Fall lesen möchte.

„Red Rising“ ist eine actiongeladene Dystopie, in der ein ehemaliger Skalve die Reihen der Oberschicht infiltriert. Doch um eine machtvolle Position zu erlangen, muss er eine Ausbildung durchlaufen, die in diesem Trilogieauftakt im Vordergrund steht. Für meinen Geschmack kamen bei einer Menge Action die Handlung und Hintergründe zu kurz. Doch die Frage, wie sich Darrow in diesem künstlich geschaffenen Krieg schlagen wird, hat mich fesseln können. Wenn ihr Dystopien mögt, in denen es kämpferisch so richtig zur Sache geht, dann solltet ihr „Red Rising“ nicht verpassen!