Noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges steigt der Leser in das intellektuelle und künstlerische Leben von Paris, genau genommen dem Rive Gauche, ein. Begleitet werden namenhafte Literaten und Künstler, zwischen 1900 und 1930 geboren, beim „Abhängen“ in Cafés und Bars, bei ihren diversen Liebeleien, aber auch beim disziplinierten Schreiben von Essays und Romanen, sowie beim Meinungsdiskurs und der Entwicklung neuer politischer Ideen. Mache, wie Jacques Jaujard, der Direktor des Louvre während des Zweiten Weltkrieges, werden dabei nur kurzzeitig betrachtet, bedeutende Größen, wie Jean Paul Sartre, Albert Camus, Pablo Picasso und allen voran Simone de Beauvoir wird durchgehend Aufmerksamkeit geschenkt.
Zu Beginn liest sich dieses sehr schön, in den französischen Nationalfarben, gestaltete Sachbuch eher wie ein Roman. Ich bin tief in das Pariser Lebensgefühl eingetaucht. Wenn auch einen marginal kleinen, aber sehr passenden Einblick gewährt das Schwarzweißfoto des Covers. Dennoch ist das Leben während des Weltkrieges und in der Nachkriegszeit nicht nur Eitel Sonnenschein, sondern auch gekennzeichnet durch Entbehrungen, Hunger und Kälte, sowie durch politische Emanzipation der Intellektuellen als dritte Kraft neben den Gaullisten und den Kommunisten. Da Agnès Poirier sehr detailliert auf die magischen Jahre von Paris eingeht, entstehen in der zweiten Buchhälfte Längen, die kleinteiligeres Lesen provozieren. Der Lesefluss wird somit etwas ausgebremst.
Dennoch bin ich begeistert von der Offenheit der Protagonisten, von dem Ausleben ihrer Sexualität, ihrer damit einhergehenden Beziehungsflexibilität und der Fortschrittlichkeit ihrer Gedankenwelt. Ihre Erkenntnisse belegt Agnès Poirier mit zahlreichen Zitaten, wodurch das Sachbuch sehr glaubwürdig und perfekt recherchiert erscheint. Besonders gut gefallen hat mir aus „Frauen und Mythen“ von Simone de Beauvoir: „Die Frau ist ‚zugleich Eva und die Jungfrau Maria. Sie ist Idol und Dienerin, Quelle des Lebens und Macht der Finsternis; sie ist das elementare Schweigen der Wahrheit und ist Arglist, Geschwätz und Lüge; sie ist Heilerin und Hexe, sie ist die Beute des Mannes und sein Verderben, sie ist alles, was er nicht ist und was er haben will, seine Negation und sein Seinsgrund.‘“ (S. 352). Simone de Beauvoir hat mich auch insgesamt am meisten beeindruckt.
„An den Ufern der Seine“ hat mir trotz kleiner Schwächen im Sinne des Leseflusses sehr gut gefallen. Gern empfehle ich dieses Sachbuch weiter.