Mehr offene als beantwortete Fragen
Die Zeit der vergessenen Kinder"An einem Morgen im November 1976, kurz nach meinem elften Geburtstag, nahm meine Mutter mich zu einem Ausflug mit in den Wald oberhalb des Möhnesees und kehrte allein wieder zurück" mit diesem Satz beginnt ...
"An einem Morgen im November 1976, kurz nach meinem elften Geburtstag, nahm meine Mutter mich zu einem Ausflug mit in den Wald oberhalb des Möhnesees und kehrte allein wieder zurück" mit diesem Satz beginnt der Debütrooman von Charlott Kliemann.
Dieses Kind ist Martin, den dieses Ereignis schwer traumatisiert. Was muss das für eine Mutter sein, die ihrem Kind so etwas antut? Und wie verkraftet das ein Kind?
Genauso wie Claudia, deren Lebensgeschichte Martin auf einem Laptop aus einer Verlassenschaft liest, schleppt Martin seine Belastungen mit sich herum. Zwei Traumatisierte, die versuchen, so etwas wie eine Beziehung einzugehen.
Der Roman spielt auf drei Zeitebenen, 1941 und folgende Jahre, 1976 und 2008. Das macht ihn interessant und zugleich ein wenig unübersichtlich.
Leider bin ich den Figuren nicht näher gekommen. Zwischen der Kindheit von Rubina (Martins Mutter), die als Angehörige der Roma in der Nazi-Zeit der Verfolgung ausgesetzt war, und der Episode im Wald, klaffen Lücken, die nicht geschlossen werden. Um Verständnis für Rubina, die nun in der Psychiatrie lebt, zu entwickeln, hätten diese geschlossen werden müssen.
Auch Claudias Herkunft, der Vater ist ein strammer Nazi, die Mutter eine Jüdin, ist problematisch. Die Mutter hat Claudia verlassen als diese ein Kind war und leitet in Indien ein Waisenhaus. Claudia kann nicht verstehen, warum die Mutter ein Kind, nämlich sie, Claudia verlassen hat, um fremde Kinder zu betreuen. Ich kann diese Beweggründe ehrlich gesagt auch nicht nachvollziehen. Alles mit den Kriegsereignissen erklären zu wollen, erscheint mir nicht stichhaltig.
Zum Schreibstil: Mit dem konnte ich mich nicht so recht anfreunden. An manchen Stellen soll er wohl poetisch sein, klingt aber ein wenig seltsam.
„Ich suchte nach Claudias Geruch, dem Geruch nach gerösteten Mandeln, auf den ich gestoßen war, nachdem das Tutti-Frutt-Aroma ihres Parfums dem intensiven Gebrauch ihrer Leiblichkeit nicht standgehalten hatte, gewissermaßen abgewischt worden war.“
„Intensiver Gebrauch der Leiblichkeit“? denkt so ein liebender Mann nach einer Nacht voller Zärtlichkeiten?
Sowohl Martin als auch Claudia scheinen sich wie Ertrinkende aneinander zu klammern und den jeweils anderen in den eigenen Abgrund zu ziehen. Vielleicht wäre professionelle Hilfe eine Lösung?
Von den Charakteren bin ich am ehesten Rubina nahe gekommen. Die Geschichte ihrer Kindheit ist für mich gut nachvollziehbar. Letztlich bleiben mehr Fragen offen als beantwortet werden. Daher kann ich leider nur 2 Sterne vergeben.