Für mich nicht gänzlich überzeugend
Der SprungAuf "Der Sprung" war ich sehr gespannt, weil ich den Gedanken, die Geschichten mehrerer Menschen zu erzählen, sie zusammenfließen, sich kurz zu berühren und sich beeinflussen zu lassen, ganz hervorragend ...
Auf "Der Sprung" war ich sehr gespannt, weil ich den Gedanken, die Geschichten mehrerer Menschen zu erzählen, sie zusammenfließen, sich kurz zu berühren und sich beeinflussen zu lassen, ganz hervorragend finde. Auf wie viele Leben kann ein Geschehnis Einfluß nehmen? Eine spannende Frage.
Das Buch berichtet in kurzen Kapiteln über etwa zwei Tage im Leben diverser Menschen, die in dem Ort Thalbach wohnen, oder ihm anders verbunden sind und deren Schicksale durch eine auf einem Dach stehende, vermeintlich zur Selbsttötung entschlossene Frau Wendungen erfahren. Dies beginnt anschaulich, ich las die ersten Kapitel (jedes ist einem anderen der Charaktere gewidmet) mit Freude. Der Stil ist anschaulich, durchschnittlich, recht gut lesbar. Störend sind die für meinen Geschmack zu häufig verwendeten atemlosen Bandwurmsätze, die ich als ausgesprochen leserunfreundlich empfinde und die stilistisch für mich keinen Mehrwert haben.
Wir lernen die ersten - alle vom Leben irgendwie enttäuschten - Charaktere kennen, Dreh- und Angelpunkt gerade am Anfang ist das Restaurant von Roswitha, die ich herrlich geschildert fand. Einige Geschichten machen gleich neugierig, wie die von Felix mit seiner anstrengenden, wie eine Therapiesitzung sprechenden Freundin. Maren, deren Partner dem Self-Care-Wahn verfallen und zum lieblosen Egozentriker geworden ist. Marens Unsicherheiten und Selbstzweifel, ihre Verletzung waren zu Anfang sehr eindringlich. Winnie, für ihre Schulkameraden nicht dünn und hip genug. Den feinsinnigen Hutkreateur Egon, der ausgerechnet in einem Schlachthof arbeiten muß. Es gibt ein Kaleidoskop von Menschen. Manche sind interessant, man will mehr über sie erfahren. Andere fand ich leider von Anfang an uninteressant und ausgerechnet die Person, die nachher auf dem Dach endet, ging mir von Anfang an gehörig auf die Nerven. So waren diese Kapitel also recht schnell ein gemischtes Vergnügen, was einerseits stark von den jeweiligen Personen abhing, andererseits aber auch von der Tendenz der Autorin, sich hingebungsvoll irrelevanten, teils banalen Details zu widmen. So lesen sich manche Passagen unglaublich zäh und ich fragte mich, warum diese dicke Schicht der unnötigen Detailverliebtheit auf manche Geschichten gekleistert werden mußte. Diese Hingabe ans Unwesentliche machte das Buch dann auch mehr und mehr zur Leseaufgabe anstatt zu Lesevernügen. Wirklich gebannt hat es mich zu keinem Zeitpunkt.
Nach und nach entwickeln sich die Geschichten und auch die Persönlichkeiten dieser Menschen. Dabei erfahren wir im Mittelteil ein gerüttelt Maß an Traumata, traurigen Erinnerungen und ähnlichem. Das war schlichtweg eine zu hohe Schicksalsdichte. Überhaupt ist mir bei diesem Buch gleich einiges zu viel: zu viel (unnötiges) Detail, zu viel "Schicksal", zu viel Kitsch, zu viel aufgesetzte Tiefsinnigkeit. Ja, auch wenn man es am Anfang, als noch erfreuliche Alltäglichkeit bei den gewählten Thematiken herrscht, kaum glauben mag, einige Geschichten gleiten sehr ins Kitschige ab. Allen voran der ohnehin nicht in die Geschichte passende italienische Stardesigner, der für ein arg zuckerwattiges Ende einer der Geschichten sorgt. Auch Maren, so schön kantig am Anfang, liefert uns am Ende eine dieser Szenen, die sich wie ein schlechtes "Nimm Dein Leben in die Hand, Du kannst es!"-Selbsthilfebuch lesen und läßt mich angesichts der "Ich miete mir ein Auto, weil ich nicht mehr Beifahrer sein möchte"-platten Symbolik die Augen verdrehen. Die Absurdität des ganzen Dachgeschehens war mir auch zu übertrieben, wenn die Idee an sich originell war.
Manche Geschichten entwickeln sich interessant weiter, vereinzelte sind anrührend - so zum Beispiel ein altes Pärchen in einem kleinen, von der Zeit überholten Gemischtwarenladen oder jene Dame, die beim Anblick der Frau auf dem Dach die Polizei rief. Es sind auch mehrere Berührungspunkte zwischen den Geschichten gut gelungen, oft ganz beiläufig, manchmal lebensentscheidend. Im Gesamten aber ließ mich das Buch nicht zufrieden zurück, fand ich die Umsetzung der so schönen Idee nicht durchweg gelungen.