Jaron Lanier, Informatiker und Vater des Begriffs “Virtuelle Realität”, hat 2014 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten, weil er die Risiken, die die Digitalisierung für die freie Lebensgestaltung des Menschen birgt, beschrieben hatte. Lanier tritt für einen neuen Humanismus ein, denn Menschen seien etwas Besonderes und mehr als Maschinen und Algorithmen. Als das aktuelle Buche erscheint, ist er Chefstratege bei Microsoft Reseach.
Der Autor fasst Social-Media-Firmen unter dem Akronym BUMMER zusammen: Behaviors of Users Modified and Made into an Empire for Rent.
Typisch für diese Firmen sei….
Arschlochherrschaft
Totale Überwachung
Aufgezwungene Inhalte
Verhaltensmodifikation
Ein perverses Geschäftsmodell
Fake People
Als soziale Wesen ist uns Menschen Status, Zugehörigkeit und Anerkennung wichtig. Diese Gefühle werden von den Firmen ausgenutzt, um uns zu manipulieren.
Als Nutzerin von Instagram möchte ich zwei der oben genannten Punkte herausgreifen.
Fake People:
Bots, die als Menschen getarnt, likes verteilen, Kommentare und Nachrichten schreiben.
Menschen, die vorgeben, alleinstehende rechtschaffene Ärzte, Soldaten o.ä. zu sein, und Frauen anschreiben, um Geld zu erschwindeln.
Trolle, die Spaß daran haben, Chaos zu stiften.
Verhaltensmodifikation:
Wie bei einem Computerspiel versucht man zu Beginn Muster herauszufinden, um seine “Performance” zu verbessern. Das läuft zum Beispiel darauf hinaus, dass man anfängt gegen 19 Uhr zu posten, weil dann die meisten Nutzer online sind.
Das Geschäftsmodell von Social Media ist es, Aufmerksamkeit zu bekommen, um Geld zu verdienen. Und schlechte Nachrichten bekommen mehr Aufmerksamkeit als gute. Und - da müssen wir uns nichts vormachen - wir alle sind unbezahlte Content-Creator für die Social-Media-Firmen. Wir schreiben die Posts, machen die Fotos, um die herum die bezahlte Werbung angezeigt wird.
Laniers Buch hilft dabei, die Phänomene, die man selbst schon beiläufig zur Kenntnis genommen hat, zu verdeutlichen. Man muss ich auch klar machen, dass es hier nicht um einzelne Menschen geht, sondern um Massen, die sich an diese Plattformen anpassen. Was für eine Macht ist das!
Kommen wir nun zu meiner Kritik.
Lanier hat beruflich mit der Job-Plattform LinkedIn zu tun. Diese sieht er jedoch nicht als “böse” Social-Media-Firma.
Dazu schreibt er auf Seite 74: “Der Unterschied bei LinkedIn ist ganz einfach, dass die User dort noch etwas anderes zu tun haben als sozialen Eindruck zu schinden (...). Sie verdient ihr Geld hauptsächlich damit, dass sie Jobkandidaten an Arbeitgeber vermittelt, anstatt Leute zu manipulieren, damit sie etwas kaufen oder ihr Verhalten sonst wie ändern.”
Also, löschen Sie alle Accounts und kommen Sie stattdessen zu LinkedIn?
Dem möchte ich widersprechen.
LinkedIns Geschäftsmodell beruht darauf, um Empfehlungen von Nutzern zu bitten und Kenntnisse zu bestätigen. Also, wenn das nicht aus Ausnutzen sozialer Gefühle von Reziprozität, Abhängigkeit und Anerkennung ist, dann weiß ich auch nicht.
Wie Lanier vorher erklärt hat, ist der Netzwerkeffekt enorm wichtig. Für die Firmen ist entscheidend, dass viele Menschen die Plattform nutzen.
Vordergründig zeigt LinkedIn keine Werbung und verkauft keine Konsumgüter. Doch es ist ein Markt für Jobsuchende und Arbeitgeber. So kostet das “JobSeeker-Paket” 26,17 EUR im Monat und das “Recruiter-Paket” 89,19 EUR.
Dagegen ist auch grundsätzlich nichts zu sagen, abgesehen davon, dass auch LinkedIns Software die menschliche Natur ausnutzt. Wer schon automatische Einladungen von Kollegen zu der Plattform erhalten hat, wird das nachvollziehen können. Auch LinkedIn ist darauf angewiesen, dass die Nutzer möglich viele Daten eingeben.
Außerdem unterstützt Lanier die Entwicklung von Virtual-Reality-Technologien. Ich sehe dies sehr kritisch, da die Firmen darüber noch mehr Daten über uns erhalten können, als sie es jetzt schon über Handys tun.
Trotz meiner Kritik - absolute Leseempfehlung!