Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist eine Symbolfigur für den deutschen Widerstand gegen die Hitlerdiktatur und man kann allenthalben minutiöse Darstellungen der Ereignisse des 20. Juli lesen, Analysen, Lobpreisungen und Kritik. Es wird meistens eher im Vorbeigehen erwähnt, daß seine Familie im Rahmen der "Sippenhaft" ebenfalls in die Mühlen des menschenverachtenden Unrechtsstaates geriet, und die Ehefrau Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg taucht meistens nur kurz als Name in all diesen Schriften auf. In diesem Buch erzählt nun die Tochter der beiden, Konstanze von Schulthess, die längst überfällige Geschichte ihrer Mutter.
Sie tut dies in einem ausgesprochen angenehmen, hervorragend lesbaren Stil, gleitet nie ab ins Sentimentale oder Pathetische (obwohl das bei einem so engen Familienmitglied absolut verständlich gewesen wäre), während ihre Zuneigung und ihre Hochachtung für beide Eltern, insbesondere für die Mutter, stets spürbar ist. Das macht dieses Buch zu einem hochpersönlichen Bericht. Es beginnt mit den Ereignissen am und nach dem 20. Juli, berichtet von der Verhaftung Nina von Stauffenbergs, ihrer Odyssee durch Gefängnisse und das KZ Ravensbrück. Dann folgt ein Rückblick auf die Jugend, Verlobungszeit und die Ehe, dem Weg zum 20. Juli. Das darauffolgende Kapitel geht in die Familiengeschichte Nina von Stauffenbergs, bis hin ins Zarenreich des 18. Jahrhunderts, bevor dann in den folgenden Kapiteln chronologisch berichtet wird, was nach dem KZ folgte. Diese Kapitelanordnung paßte gut, man beginnt als Leser gleich mit dem Geschehen, das uns bekannt ist, erfährt dann Hintergründe und kann schließlich die Familie auf ihrem Weg durch die letzten Kriegstage bis zum Tode Nina von Stauffenbergs 2006 begleiten.
An mehreren Stellen greift die Autorin auf Aufzeichnungen ihrer Mutter zurück, die diese in den 1960gern in einer Familienchronik auf Bitten ihrer Kinder anfertigte. Diese Aufzeichnungen waren vorab unveröffentlicht und bringen neue und interessante Aspekte ein. Sie sind in einem leichten, amüsanten Stil verfaßt, zeigen Nina von Stauffenberg als eine scharfsinnige, gut beobachtende und unterhaltsame Dame, die sich den Verpflichtungen ihrer Herkunft sehr bewußt war und über eine beeindruckende Stärke verfügte. Sie sind ausgezeichnet in den Erzähltext eingeflochten, reichern diesen an, machen ihn noch lebendiger. Kleine Familienanekdoten wechseln mit berührenden Berichten über die dunkelsten Zeiten. Auch ein Text der Mutter Claus von Stauffenbergs ist enthalten. Konstanze von Schulthess reichert dies auch mit persönlichen Erinnerungen, Berichten aus Gesprächen mit ihrer Mutter an. So stehen uns die Familienmitglieder sehr lebhaft vor Augen, treten aus dem geschichtlichen Hintergrund heraus. Es ist eine Familie mit zahlreichen Persönlichkeiten, die in vielerlei Situation Mut bewiesen, sich nicht haben unterkriegen lassen. Die Grausamkeit der Hitlerdiktatur zeigt sich in vielerlei Details, lakonische Sätze wie "Neunjährig wurde er verhaftet" beleuchten die Absurdität jener Zeit.
Ausgesprochen interessant ist auch, wie Nina von Stauffenberg und andere Familienmitglieder die Kraft fanden, in monatelanger Einzelhaft, Unwissenheit über das Schicksal ihrer Kinder oder anderer Angehöriger, zahlreichen Verhören und anderen leidvollen Situationen zu überleben, bei Verstand zu bleiben, Stärke zu finden. Der Ärger Nina von Stauffenbergs über die Art und Weise, wie ihr Ehemann von Historikern über ihren Kopf hinweg, ohne ihre Einbindung, analysiert und historisch seziert wurde, ist verständlich. Gerade hier ist diese persönliche Sichtweise des Buches so wichtig und Konstanze von Schulthess betont auch, daß ihr der Vater, den sie leider nie kennenlernen durfte, nicht vorwiegend als der Held des Widerstandes vermittelt wurde, sondern als der Papa, der Mensch, so wie er von Nina von Stauffenberg nicht die in die Allgemeinheit übernommene Ikone (oder bei manchen unbelehrbaren Idioten der "Volksverräter") war, sondern ihr Ehemann, mit dem sie eine für jene Zeiten ungewöhnliche und partnerschaftliche Ehe fühlte.
Zahlreiche Fotografien runden dieses vielseitige, berührende Buch ab. Bei einem Bild steht als Unterschrift "'Die Familie Stauffenberg wird ausgelöscht bis ins letzte Glied', so Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, am 3. August 1944. Fast sechzig Jahre später begeht Nina von Stauffenberg mit 43 Nachkommen in Kirchlauter ihren neunzigsten Geburtstag." Eine sehr symbolische, wichtige Bildunterschrift und ebenso anrührend wie das Gedicht, das Nina von Stauffenberg im KZ Ravensbrück über ihren von der Diktatur ermordeten Ehemann schrieb, das Konstanze von Schulthess bei der Beerdigung der Mutter vorlas und welches das Buch abschließt.