Die Autorin erklärt gleich zu Beginn, dass es ihre Beispiele so gar nicht gab, sondern sie die Geschichten mehrerer Frauen zusammengetragen, zusammengelegt und angepasst hat. Das ist wichtig, um zu verstehen, dass keine realen Frauen hinter den Namen im Buch stehen, sondern stattdessen ganze Gruppen von Menschen. Die Depression einer frisch gebackenen Mutter ist kein Einzelfall, sondern lediglich ein Tabuthema.
Wiegers vier Fälle unterscheiden sich dann auch elementar. Da ist die Mutter, die bereits zwei Kinder hat und nun beim dritten depressiv wird. Sie verliert die Kontrolle. Erst über ihr geregeltes Leben und den Alltag, dann über sich selbst. Ganz anders und doch ähnlich ist es im zweiten Fall, bei dem eine junge, erfolgreiche Frau nach der Geburt des Wunschkindes keine Bindung aufbauen kann. Sie fühlt sich in der Mutterrolle total fehl am Platz und traut sich nicht, sich jemandem anzuvertrauen. Die Erfahrung der Mutterschaft ist für sie etwas völlig Neues und sie kann sich in dieser Rolle schlicht nicht zurecht finden. Die dritte Frau, die die Autorin vorstellt, fällt auch anders etwas aus dem Rahmen. Der Mann ist wesentlich älter, schnell wird klar, dass die Beziehung keinesfalls einen festen Stand hat. Für die junge Frau ist es die Aufgabe der Freiheit, die Verantwortung für ein anderes Wesen, das sie belastet. Sie glaubt, das nicht leisten zu können und versucht, dem endgültig zu entgehen. Die letzte Frau, die Wiegers vorstellt, erzählt eine ganz andere Geschichte. Nach einer künstlichen Befruchtung wird sie zum zweiten Mal schwanger – ein Wunschkind also. Als sie aber erfährt, dass sie diesmal gleich zwei Kinder bekommt, wächst ihr alles über den Kopf. Zwillinge will sie nicht. Die Lage eskaliert aber erst Monate nach der Geburt. Die Frau bekommt Panikattacken, zweifelt daran, drei Kinder großziehen zu können. Aber sie ist auch Ärztin, kennt die Symptome, sucht sich Hilfe.
Hilfe erfahren alle vier Frauen auf unterschiedliche Weise. Mutter-Kind-Einrichtungen etwa ermöglichen es der Frau, die beim dritten Kind depressiv wird, zu lernen, mit dem Kind umzugehen und mit ihm zusammen zu sein. Auch die vierte Frau wählt diese Variante. Ohne Kind geht die junge Mutter, die im dritten Beispiel gezeigt wird, mehrmals in die Klinik. Ihre große Rettung ist schließlich eine Haushaltshilfe. Sehr gut fand ich hier die Szene, in der es zur „Versöhnung“ zwischen Mutter und Kind kommt, weil ein Raum geschaffen wird, in dem die Mutter ohne Angst zu haben, ihrem Kind nicht gerecht zu werden, mit ihm zusammen sein kann.
Besonders gut gemacht ist auch, die Auswirkungen auf die restlichen Familienmitglieder zu zeigen. Natürlich geht eine Depression der Mutter einher mit einer Belastung des Vaters, der anderen Kinder, etc. Auch die Stigmatisierung, die nicht nur die Frau, sondern auch ihre Familie erfährt, ist hier sehr gut gezeigt. Die Entfremdung, die die Frau spürt ist dabei nur insofern etwas Besonders, als wir sie gesellschaftlich nicht anerkennen. Väter erleben diese halbseitige Beziehung zu den eigenen Kindern leider immer noch oft. Der Ansatz wird im Buch aber nicht angesprochen. Aber manche Väter, Verwandte oder Mitmenschen machen den Frauen auch Vorwürfe – es wäre immerhin ihre Aufgabe, eine gute Mutter zu sein.
Ich persönlich fand das Buch sehr lesenswert. Einmal aus der persönlichen Perspektive, denn auch nach drei Kindern kenne ich eine solche Depression nicht, weiß aber, dass es sie gibt und finde es interessant, wie ich mich doch in Ansätzen finden kann. In der Müdigkeit, wenn die Kinder die Nächste durch schreien oder im geradezu mechanischen an- und ausziehen des Kleinen an manchen Tagen. Faszinierend finde ich das Buch aus der Perspektive der Wissenschaftlerin, die sich mit der Mutterfigur in der Gegenwartsliteratur beschäftigt. Denn auch da kommt natürlich die Vorstellung der „idealen“ Mutter zum Tragen. Empfehlen kann ich das Buch eigentlich durchweg, um die Augen zu öffnen, dass eine „Mutter“ zu sein eben gar nicht so selbstverständlich ist. Dadurch, dass das Buch eher Geschichten erzählt, als psychologische Ausführungen zu liefern, ist es durchweg verständlich. Besonders betroffenen Frauen und ihrem Umfeld möchte ich das Buch ans Herz legen, aber vielleicht würde es vielen Frauen bereits vor der Geburt helfen, einen Blick hinein zu werfen und zu wissen, dass es eben nicht immer alles perfekt ist, sobald man das Kind im Arm hält.