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Veröffentlicht am 07.09.2019

Eine Reise durch die Zeit mit einem kleinen Dorf in der DDR und seinen Bewohnern

Kastanienjahre
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Elise betreibt eine Boutique in Paris und freut sich auf den Besuch ihrer Freundin Marina aus Deutschland. Doch diese hat schlechte Nachrichten dabei: Ihr gemeinsames Heimatdorf Peleroich in der Nähe der ...

Elise betreibt eine Boutique in Paris und freut sich auf den Besuch ihrer Freundin Marina aus Deutschland. Doch diese hat schlechte Nachrichten dabei: Ihr gemeinsames Heimatdorf Peleroich in der Nähe der Ostsee soll in Kürze komplett abgerissen werden. Dieser Nachricht folgt ein anonymer Brief: Der Absender bittet Elise, schnellstmöglich nach Peleroich zu kommen, denn er trage die Schuld am Tod ihres Vaters und dem Verschwinden ihres Freundes Jakob und möchte endlich reinen Tisch machen. Elise und Marina brechen sofort auf. In Rückblicken auf die Zeit von 1950 bis 1995 erfährt man unterdessen mehr über die Vergangenheit des Dorfes, in dem nicht nur Elise, sondern auch schon ihre Eltern Karl und Christa groß geworden sind und das die DDR kommen und gehen sah.

Mir hat „Kranichland“, der erste Roman von Anja Baumheier, sehr gut gefallen, weshalb ich auf dieses zweite Buch sehr gespannt war, im dem erneut die DDR eine zentrale Rolle spielt. In der Gegenwart begegnet der Leser Elise, die sich von Paris aus auf dem Weg in ihre Heimat in Ostdeutschland macht. Deutlich mehr Raum nehmen jedoch die Rückblicke ein, die in Peleroich spielen und im Jahr 1950 beginnen.

In den 1950er Jahren ist die DDR noch jung und erste neue Maßnahmen wie die Bildung von Genossenschaften wurden beschlossen. Das findet jedoch nicht jeder gut, zum Beispiel Karls Mutter, die lieber weiterhin selbst über ihren Betrieb entscheiden möchte. Der Bürgermeister möchte Peleroich jedoch zu einem sozialistischen Vorzeigedorf machen und überredet auch den letzten Zweifler, zum 1. Mai die Fahne herauszuhängen.

Mit jedem Kapitel springt das Buch ein oder mehrere Jahre weiter und nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise. Die Autorin fängt das Alltagsleben in dem kleinen DDR-Dorf gelungen ein. Sie lässt den vom Sozialismus überzeugten Bürgermeister ebenso zu Wort kommen wie Zweifler und solche, die mit Politik eigentlich nichts am Hut haben wollen. Doch auch letztere kommen unfreiwillig mit ihr in Berührung, zum Beispiel Karl, der seinen geliebten Hochstand in der Nähe der Grenze abbauen muss. Während die Dorfbewohner durch Höhen und Tiefen gehen scheint es einige zu geben, die ein Geheimnis haben.

Die Geschichte gibt interessante Einblicke ins Leben in der DDR, indem sie die fiktiven Schicksale mehrerer Familien erzählt. Zur besseren Übersicht findet sich ganz vorn im Buch ein Personenverzeichnis. Durch die vielen Zeitsprünge kann man auf den gut 400 Seiten die DDR kommen und gehen sehen. Mir ging vieles dadurch aber zu schnell, emotionale Momente entstehen und liegen wenige Seiten später schon mehrere Jahre zurück. Mein Verhältnis zu den Charakteren blieb dadurch eher distanziert.

In der Gegenwart konnte ich Elises völlig überstürztes Aufbrechen nicht ganz nachvollziehen. Im Nu ist sie in Peleroich und sieht, wie stark sich das Dorf verändert hat. Dieser Handlungsstrang bildet eine Grundlage, zu der die Geschichte immer wieder kurz zurückkehrt, bevor man wieder in die Vergangenheit abtaucht. Das Schicksal dieses fiktiven Dorfes steht exemplarisch für das vieler ehemaliger DDR-Dörfer, die es tatsächlich gibt und gegeben hat. Etwas Spannung kam durch die Frage auf, wer denn nun hinter dem anonymen Brief steckt und was damals wirklich geschehen ist. Der Schwerpunkt liegt aber auf atmosphärischen Einblicken ins Dorfleben zur DDR-Zeit und kurz nach der Wiedervereinigung.

„Kastanienjahre“ nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die Jahrzehnte und die Geschichte der DDR am Beispiel eines kleinen Dorfes, dessen Bewohner man auf ihrem Weg begleitet. Diese lernt man immer besser kennen, durch das hohe Tempo ziehen wichtige Momente in ihren Leben aber sehr schnell vorbei. Ein Buch für alle, die sich für Einblicke in diese Zeit interessieren, die Deutschland nachhaltig geprägt hat.

Veröffentlicht am 31.08.2019

Bruchstellen, die mit Gold repariert werden

Kintsugi
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Ein ruhiges Wochenende in ihrem Haus am See schwebt Max und Reik vor, die seit zwanzig Jahren ein Paar sind. Eingeladen sind nur Tonio, ein guter Freund der beiden, mit dem Reik als Teenager zusammen war, ...

Ein ruhiges Wochenende in ihrem Haus am See schwebt Max und Reik vor, die seit zwanzig Jahren ein Paar sind. Eingeladen sind nur Tonio, ein guter Freund der beiden, mit dem Reik als Teenager zusammen war, und Pega, seine zwanzigjährige Tochter, welche die drei quasi gemeinsam großgezogen haben. Doch ruhig wirkt die Situation nur nach außen hin, denn in allen vieren brodelt etwas. Den Archäologen Max beschäftigt die Frage, was er im Leben noch erreichen kann, während Reik als Künstler schon lange erfolgreich ist und sich mit seinem wachsenden Kinderwunsch auseinandersetzt. Tonio ist mit seinen Gedanken bei einer neuen Frau, von der er seiner Tochter noch nichts erzählt hat. Und Pega steht vor einigen Herausforderungen, die mit dem Erwachsenwerden verbunden sind.

Auf dem Cover von „Kintsugi“ sieht man vier Menschen, die an einem See stehen. Dieser glänzt golden und spielt damit auf den Titel an. Dieser beschreibt eine japanische Handwerkskunst, bei der zerbrochenes Porzellan mit Gold repariert wird. Mit jedem der vier Charaktere wird der Leser sich während des Wochenendes, das sie miteinander verbringen, ausführlich auseinandersetzen.

Ein kurzes Intro schildert das Ankommen von Max und Reik, am nächsten Morgen treffen auch Tonio und Pega ein. Danach besteht das Buch hauptsächlich aus vier langen Kapiteln, die jeweils einen Charakter zu Wort kommen lassen. Den Anfang macht Max, der sich mit der Frage beschäftigt, warum die beiden nicht verheiratet sind, obwohl das inzwischen möglich ist. Er lässt die Beziehung der beiden Revue passieren, in der die Rollen klar verteilt waren und ein Ungleichgewicht spürbar ist.

Die Autorin hat eine intensive Sprache, mit der sie mich hinter die Fassade der Charaktere schauen ließ. Von jedem Protagonisten hat sie ein sorgfältiges Psychogramm entworfen. Ich habe jedem der Vier einen eigenen Lesetag gegönnt, um mich in Ruhe mit ihren Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen. Die Atmosphäre ist melancholisch, denn es gibt viele Rückblicke und es wird klar, dass manches sich verändern wird. Immer wieder mischt sich ein hoffnungsvoller Ton hinein, denn auch Neuanfänge liegen in der Luft.

Das Tempo der Geschichte ist ruhig und der Blick der Erzählenden stark nach innen gerichtet. Demensprechend bewegt sich in jedem einzelnen sehr viel, während in der Interaktion miteinander wenig passiert, diese Szenen aber richtungsweisend sind. Ich hätte mir noch mehr Dialoge gewünscht, um mehr Einblicke in den Umgang miteinander zu erhalten.

Der Titel „Kintsugi“ ist überaus passend, denn vieles zerbricht in diesem Roman, sowohl im eigentlichen als auch im übertragenen Sinne. Es muss neu zusammengesetzt werden, wobei die Bruchstellen deutlich zu sehen sind und das Ergebnis in seiner Unperfektheit wertgeschätzt wird. Eine eindringliche Erzählung über vier ganz verschiedene Charaktere, die auseinanderdriften und dennoch zusammenhalten, um ihren Weg zu finden.

Veröffentlicht am 26.08.2019

Neues aus dem Grishaverse - Nikolai, Zoya und Nina rücken in den Fokus

King of Scars
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Nikolai Lantsov ist der Zar von Rawka, doch er hat ein dunkles Geheimnis. In einigen Nächten verwandelt er sich in ein geflügeltes Ungeheuer, das der Bevölkerung gefährlich werden könnte. Die mächtige ...

Nikolai Lantsov ist der Zar von Rawka, doch er hat ein dunkles Geheimnis. In einigen Nächten verwandelt er sich in ein geflügeltes Ungeheuer, das der Bevölkerung gefährlich werden könnte. Die mächtige Grisha Zoya, die als eine der wenigen sein Geheimnis kennt, kettet ihn deshalb Abend für Abend an sein Bett. Doch das Monster wird mächtiger, und der Frieden in Rawka steht auf wackligen Füßen. Große Festaktivitäten mit den Verbündeten sollen ihn weiter sichern. Doch kann Nikolai seine dunkle Seite kontrollieren, während er im Mittelpunkt steht?

Nina Zenik ist unterdessen als Agentin Rawkas in Fjerda unterwegs und hilft Grisha dabei, außer Landes und in Sicherheit zu fliehen. Aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten hört sie Stimmen, die sie in den Ort Gäfvalle führen, wo Mädchen verschwinden und das Wasser vergiftet ist. Was passiert wirklich in der gut bewachten Fabrik auf dem Berg? Sie ist fest entschlossen, das herauszufinden.

Ich bin ein großer Fan des Grishaverse, weshalb „King of Scars“ für mich ein Must Read war. Es ist der erste Band einer neuen Dilogie, in welcher Nikolai Lantsov im Mittelpunkt steht, den Leser der anderen Bücher bereits kennen. Auch mit Zoya Nazyalensky und Nina Zenik gibt es ein Wiedersehen. Ein Neueinstieg ins Grishaverse ist mit diesem Buch möglich, jedoch versteht man die Charaktere ohne Vorwissen nicht so gut.

Gleich zu Beginn der Geschichte begegnet man Nikolai in seiner Monstergestalt. Er hat es wieder einmal geschafft, aus dem Palast zu entkommen und auf die Jagd zu gehen. Zoya kann ihn mit ihren Fähigkeiten immer wieder aufspüren, doch die Gefahr ist groß, dass sie irgendwann zu spät kommen wird und er einen Menschen getötet hat. Nikolai lässt die Sicherheitsvorkehrungen immer weiter erhöhen, doch das Monster in ihm erstarkt mit beunruhigendem Tempo. Gleichzeitig ist die politische Situation heikel und diplomatische Beziehungen müssen gepflegt werden. Doch wie kann das bewerkstelligt werden, ohne Nikolais Geheimnis zu lüften?

Schnell konnte ich mich in das Dilemma hineindenken, vor dem Nikolai steht. Die politische Lage wird gut verständlich gemacht und ebenso die Gefahr, die von dem Monster in Nikolai ausgeht. Er ist sich seiner Verantwortung bewusst und hat gleichzeitig eine herrlich selbstironische Art, die ich sehr sympathisch finde. Bald nimmt er gemeinsam mit Zoya und einigen weiteren Vertrauten eine gefährliche Reise auf sich, durch welche die Spannung ansteigt.

Ein zweiter Handlungsstrang im Buch dreht sich um Nina Zenik, die in Fjerda unterwegs ist. Sie lenkt sich mit der Rettung von Grisha von ihrer Trauer ab. Ihr Beschluss, das Geheimnis der Fabrik in Gäfvalle zu lüften, macht einen umfassenden Plan erforderlich, der Geduld und Vorsicht erfordert. Schade fand ich, dass ihr Handlungsstrang und der rund um Nikolai zwar zeitlich parallel geschehen, sie sich aber nicht kreuzen. Ich hoffe, dass sie im zweiten Teil zusammengeführt werden - ich hätte zumindest eine Idee, was dazu passieren könnte...

Nach der grandiosen Krähen-Dilogie waren meine Erwartungen an das nächste Buch hoch. Das Wiedersehen mit einigen bereits bekannten und liebgewonnenen Charakteren hat mir sehr gefallen. Indem sie in den Vordergrund rücken erfährt man viel Neues über sie und ihre Vergangenheit. Das Buch stellt die Charaktere vor so manche Herausforderung und konnte mich unterhalten. In Sachen Tempo und Spannung reicht es aber nicht ganz an die Vorgänger heran. Die letzten Seiten stellen die Weichen für den zweiten Band, der verspricht, in dieser Hinsicht eine Steigerung zu bieten. Fans des Grishaverse sollten sich das Buch nicht entgehen lassen!

Veröffentlicht am 21.08.2019

Mein Miroloi muss ich mir selber singen

Miroloi
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Auf einer abgeschiedenen Insel lebt eine Dorfgemeinschaft nach ihren eigenen strengen Regeln, die der Ältestenrat basierend auf der heiligen Khorabel vorgibt. Frauen dürfen nicht lesen und schreiben lernen, ...

Auf einer abgeschiedenen Insel lebt eine Dorfgemeinschaft nach ihren eigenen strengen Regeln, die der Ältestenrat basierend auf der heiligen Khorabel vorgibt. Frauen dürfen nicht lesen und schreiben lernen, Männer dürfen nicht kochen und singen. Moderne Geräte gibt es nur wenige, denn der Rat entscheidet, welche vom Händler gebrachten Waren auf der Insel bleiben dürfen. Auch dass die junge Frau, die einst vom Bethaus-Vater gefunden wurde, keinen Namen haben darf, wurde von ihm bestimmt. Die Dorfgemeinschaft grenzt sie aus und lässt sie ihre Verachtung spüren, denn sie soll Unglück bringen. Doch ihre Neugier ist groß und sie beginnt heimlich, die Regeln zu brechen.

Der Roman ist aus der Sicht namenlosen Frau geschrieben, die beim Bethaus-Vater aufgewachsen ist. Ihre Tage sind angefüllt mit harter Arbeit: Felder müssen bestellt, Gärten gepflegt, Holz gesammelt, Gerichte gekocht und Kleider genäht werden. Sie gibt dem Leser zahlreiche Einblicke in das Dorfleben, das an die Amish People erinnert, denn jeglicher Fortschritt wird abgelehnt. Zudem besteht der Ältestenrat nur aus Männern und die Gesetze unterdrücken die Frauen auf verschiedenste Weise.

Die Dorfbewohner kennen kein anderes Leben, denn es ist nicht gestattet, die Insel zu verlassen. Die Erzählerin ist gefangen in einem Leben als Außenseiterin. Sie wird beschimpft, beschuldigt und immer wieder abgewiesen. Und es bleibt nicht immer bei Worten, das musste sie schon vor Jahren schmerzlich erfahren. In ihre Welt einzutauchen und sie zu begleiten tut weh und brachte mich als Leser ins Nachdenken über Recht und Ungerechtigkeit.

Die Frau gibt jedoch nicht auf, denn sie ist klug und neugierig und hat zum Glück einige wenige Menschen, die sie nicht abweisen. Der Bethaus-Vater als ihr Finder lässt sie bei sich wohnen, versucht sie zu schützen und teilt heimlich verbotenes Wissen mit ihr. Das gleiche gilt für Mariah, die für den Bethaus-Vater kocht. Offene Gespräche mit ihnen sind immer wieder kleine Hoffnungs-Inseln im Alltag der Protagonistin.

Das Dorfleben wird ausführlich beschrieben. Für mich hätten einige Parts straffer erzählt sein können, da ich mir das Leben in solch einer Gemeinschaft bald gut vorstellen konnte. Was sich hingegen schleichend ändert ist das Leben der Erzählerin. Neues Wissen und eine überraschende Begegnung lassen sie immer stärker die Regeln hinterfragen. Sie lehnt sich still und immer umfassender auf, während Ereignisse im Dorf die Situation weiter verschärfen. Wie lange kann das noch gut gehen?

„Mein Miroloi muss ich mir selber singen“, das sind die Worte der Protagonistin. Denn sie will nicht auf ihren Tod warten, nach dem die Hinterbliebenen üblicherweise das Leben des Verstorbenen besingen. Und wer sollte das dann schon für eine Namenlose tun? Deshalb legt sie in Form dieses Romans ein Miroloi für sich selbst vor. Ihre Sprache ist einfach und gleichzeitig sehr poetisch und berührend. Das steht in Kontrast zu den beklemmenden Ereignissen im Dorf. Ich bangte mit der Erzählerin und meine Wut wuchs immer weiter, denn was passiert ist nicht fair und lässt sich trotzdem nicht aufhalten. Ein wichtiger Roman über Ausgrenzung, Feindseligkeiten und Unterdrückung ebenso wie Mitgefühl, Zusammenhalt und Auflehnung.

Veröffentlicht am 04.08.2019

Die Geschichte einer Außenseiterin, weit draußen im Marschland

Der Gesang der Flusskrebse
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North Carolina, 1969: Im Marschland lebt Kya Clark allein in einem abseits gebauten Haus. Als sie sechs war, hat ihre Mutter ihren gewalttätigen Ehemann und die Kinder ohne ein Wort verlassen, kurz darauf ...

North Carolina, 1969: Im Marschland lebt Kya Clark allein in einem abseits gebauten Haus. Als sie sechs war, hat ihre Mutter ihren gewalttätigen Ehemann und die Kinder ohne ein Wort verlassen, kurz darauf folgten alle vier Geschwister. Zurück blieb nur Kya, die von ihrem Vater gerade genug Geld für die allernötigsten Lebensmittel erhielt, während er den Rest in Alkohol investierte. Inzwischen ist die Mittzwanzigerin seit vielen Jahren auf sich selbst gestellt. Die Flora und Fauna des Marschlandes kennt sie besser als jeder andere. Als Chase Andrews, der beste Quarterback der Stadt, tot am Fuß des Feuerwachturm gefunden wird, tappt die Polizei zunächst im Dunkeln. Ist er allein vom Turm gefallen oder wurde er gestoßen? Bald bringt jemand das Marschmädchen ins Spiel, das häufiger mit Chase gesehen wurde. Ist nicht gerade die Abwesenheit jeglicher Spuren ein Beweis dafür, dass sie den Mord verübt hat?!

Das Cover zeigt ein Mädchen im einem Boot, das durch eine weitläufige Landschaft fährt und der dabei nur die Vögel Gesellschaft leisten. So sieht das Leben von Kya Clark aus, auf die man als Leser zum ersten Mal trifft, als ihre Mutter gerade die Familie verlässt. Einfühlsam wird beschrieben, wie Kya sich durch ihren Weggang fühlt. Auch ihre älteren Geschwister halten es nicht länger zu Hause aus, sie alle suchen anderswo ihr Glück, wo sie nicht vom Vater geschlagen werden.

Zurück bleibt eine Siebenjährige, die sich und ihren Vater mit einem verschwindend geringen Geldbetrag versorgen soll. Schließlich steht ihr nicht einmal der mehr zur Verfügung. Doch vor der Vorstellung, irgendwo anders untergebracht zu werden, graut es ihr. Sie ist entschlossen, um ihre Unabhängigkeit zu kämpfen. Hilfe erhält sie nur von wenigen Menschen. Zum einen von Jumper, einem Schwarzen, der ihr Muscheln gegen Benzin und Lebensmittel abkauft. Zum anderen von Tate, einem ehemaligen Freund ihres Bruders, der selbst oft im Marschland unterwegs ist und der von Kyas Wesen fasziniert ist.

Ich wurde mitgenommen in die 1950er und 1960er Jahre, in denen ich Kya aufwachsen sah. Es war interessant, ihre Entwicklung zu verfolgen. Sie ist eine soziale Außenseiterin, die nie irgendwo dazugehört hat und stark davon geprägt wurde, immer wieder verlassen zu werden. Ich konnte gut verstehen, dass sie hin- und hergerissen ist, ob sie Tate wirklich vertrauen kann. Hat er dabei Hintergedanken oder ist er wirklich nur freundlich? Gleichzeitig zeichnet sie ihre Klugheit und Naturverbundenheit aus. Sie lässt sich in ihren Entscheidungen von ihrem Instinkt und dem leiten, was die Natur ihr zeigt, denn gesellschaftliche Normen sind ihr fremd. Ihre Beobachtungen sind dabei überaus treffend, denn sie ist alles andere als auf den Kopf gefallen. Die Beschreibungen von Kyas Streunen durch das Marschland werden intensiv und sehr atmosphärisch beschrieben, sodass ich tief in die Geschichte eintauchen konnte.

Die Kapitel rund um Kyas Erwachsenwerden wechseln sich ab mit solchen aus dem Jahr 1969, in denen es um den Tod von Chase Andrews geht. Zwei Polizisten nehmen hier die Ermittlungen auf, wobei nichts eindeutig darauf hindeutet, dass es sich wirklich um Mord handelt. Bald werden Stimmen laut, die Kya für verdächtig halten. Das es das Marschmädchen war, an dessen Tür zu klopfen früher als Mutprobe galt und mit der Chase eine Zeit lang etwas hatte, erscheint vielen plausibel.

Während mir der Coming of Age-Part des Romans sehr gut gefallen hat, zogen sich die Ereignisse rund um den Tod von Chase Andrews für mich zunehmend in die Länge. Sie dominieren vor allem das letzte Drittel des Buches mit einem ausführlichen Ausflug ins amerikanische Rechtssystem. Das Ende konnte mich überraschen, lässt mich aber mit einigen Fragezeichen zurück.

Insgesamt überzeugt „Der Gesang der Flusskrebse“ mit einer besonderen Protagonistin, die als Außenseiterin um Unabhängigkeit, Sicherheit und Erfüllung kämpft. Kya ist eins mit der Natur des Marschlandes, das durch die gelungenen Beschreibungen der Autorin greifbar wird. Ein gelungener Entwicklungsroman, den ich gerne weiterempfehle!