In "Die Stunde der Räuber" geht Udo Weinbörner das ambitionierte Projekt an, uns Schillers frühe Jahre in Romanform zu schildern. Ich kann vorweg schon sagen, daß das Projekt gelungen ist.
Wir lernen Schiller als Schuljungen kennen, kurz vor seinem erzwungenen Eintritt in die "militärische Pflanzschule" Karlsschule des despotischen Herzogs Carl Eugen. Das Erste Kapitel wirkt ein wenig verwirrend, aufgrund der Vielfalt der Namen und des nur vage erklärte Geschehens, in das wir hineingeraten. Ich habe beim Lesen an manchen Stellen gedacht, daß das Buch ohne ein wenig Hintergrundwissen sicher öfter schwer zu verstehen ist. Auch während Schillers Zeit in der Karlsschule erfolgt plötzlich ein Zeitsprung von drei Jahren, der nicht erwähnt wird, so daß man sich über das nicht altersgemäße Verhalten von Schiller und seinen Schulkameraden ziemlich wundert, bis man sich allmählich aus Hinweisen den Zeitsprung zusammenreimt. Gerade am Anfang des Buches wären hier und da ein paar Hintergrundinformationen hilfreich gewesen. Wenn man sich aber erst einmal eingefunden hat, kann man eine ganz ausgezeichnet recherchierte und lebhaft erzählte Reise durch Schillers Jugend und frühe Erwachsenenjahre genießen.
Der Schreibstil ist überwiegend sehr angenehm, der Zeit angemessen. Vokabular und auch Dialoge sind historisch korrekt, die Beschreibungen des Umfelds, der Kleidung und zahlreiche weitere Details lassen das späte 18. Jahrhundert vor unseren Augen farbig aufleben. Ich konnte mich beim Lesen hervorragend in diese Zeit hineinversetzen und freute mich an diesem fundierten historischen Hintergrund, den ich in manchen historischen Romanen vermisse. Wie bereits erwähnt, ist die Recherche außergewöhnlich gut und genau (auch hier könnten sich manche anderen Autoren einen Beispiel nehmen). Manchmal wird die Erzählweise für meinen Geschmack ein wenig zu detailfreudig, ein paar wenige Szenen sind dafür etwas zu vage, an zwei Stellen gibt es fast wortgleiche Wiederholungen, aber allgemein liest sich das Buch erfreulich und konnte mich bannen.
Bemerkenswert ist auch, wie lebensecht die Charaktere gestaltet sind. Schiller ist hier der Mensch Schiller, mit alle seinen Stärken und Schwächen, mit den weniger sympathischen Seiten, dem hochemotionalen Wesen, dem unzerstörbaren Drang nach Freiheit. Genau so habe ich ihn mir vorgestellt, er ist meines Erachtens hervorragend getroffen. Aber auch seine Familie, seine Freunde und Kollegen, sowie weitere Menschen seines Umfelds gewinnen hier an Kontur, werden von aus Biographien bekannten Namen zu echten Menschen. Über den kurzen Auftritt meines verehrten Goethe habe ich mich natürlich sehr gefreut, und auch er ist in der kurzen Szene mit wenigen Worten hervorragend getroffen.
Besonders genossen habe ich die wundervoll geschilderten Szenen zwischen Schiller und seinen Freunden, zuerst im beklemmend-diktatorischen Umfeld der Schule, später in der Wildheit der zumindest teilweise erlangten Freiheit, dann bei der bemerkenswerten Unterstützung für Schiller in der Zeit seiner ersten Erfolge und Mißerfolge, die teilweise Hand in Hand gehen.
Auch Schillers Innerstes, seine Motivation, sein Leiden erfahren wir Leser unmittelbar und nachvollziehbar. Die Willkür des Herzogs, der sein Land ausblutete, um im Prunk zu leben, wird auf jeder Seite deutlich; das Leid, das seine Untertanen durch seine Macht- und Prachtgier durchleben mußten, wird uns schmerzlich bewußt, ebenso wie die Sprengkraft von Schillers Worten.
In diesem ohnehin erfreulichen Buch stechen dann einige Szenen durch ihre Intensität noch hervor. Schiller, der die erste Aufführung seiner Räuber erlebt - ich hatte das Gefühl, ich wäre dabei, so gut ist dies beschrieben. Der Besuch beim zehn Jahre lang eingekerkerten Dichter Schubart verströmt eine bemerkenswerte Mischung aus Gebrochenheit und Ungebrochenheit, aus Düsternis und Hoffnung.
Es hat Spaß gemacht, Schiller über diese Jahre hinweg zu begleiten, Udo Weinbörner hat Emotionen geweckt, Schiller lebendig gemacht, seine Welt für uns auferstehen lassen.