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Veröffentlicht am 06.10.2019

Schuldgefühle einer Überlebenden

Wann wird diese Hölle enden?
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Das Buch „Wann wird diese Hölle enden?“ von Mary Berg ist mit dem Untertitel „Das Mädchen, das das Warschauer Ghetto überlebte“ im Orell Füssli Verlag erschienen. Das Tagebuch von Mary Berg wurde in Amerika ...

Das Buch „Wann wird diese Hölle enden?“ von Mary Berg ist mit dem Untertitel „Das Mädchen, das das Warschauer Ghetto überlebte“ im Orell Füssli Verlag erschienen. Das Tagebuch von Mary Berg wurde in Amerika vor Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht und war der erste Augenzeugenbericht über das Leben im Warschauer Ghetto auch heute noch, mehr als 70 Jahre nach Ende des Krieges, berührt das Schicksal der Menschen im Warschauer Ghetto noch immer so, als würde diese Ungerechtigkeit und das Leid in der Gegenwart geschehen. Kaum zu glauben, dass Mary Bergs Tagebuch erst in diesem Jahr erstmalig in deutschsprachiger Buchfassung erschien, ist es doch ein erschütterndes Zeitdokument über die dunkelste Zeit unserer Geschichte.
Mary Berg gelingt es vor der Auflösung des Ghettos mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester zu fliegen. Die Schuldgefühle von Mary Berg als Überlebende sind so eindrücklich beschrieben, dass ich beim Lesen mit den Tränen kämpfen musste: hat sie doch Freunde und Familie zurückgelassen. Ihre Geschichte hat sie in zwölf kleinen Notizblöcken 1944 nach Amerika geschmuggelt. Ich war sehr dankbar, diese Geschichte lesen zu dürfen.
Wie immer bei Zeitzeugengeschichten fällt es mir schwer, eine Bewertung zu schreiben. Kann ich doch das Geschehene kaum in Worte fassen und möchte auch individuelle Geschichten nicht bewerten. „Wann wird diese Hölle enden?“ ist meiner Meinung nach jedoch ein wirklich lesenswertes Zeitdokument, das beim Lesen demütig macht. Wie froh wir sein können, in Frieden zu leben bekommt nach dem Lesen des Tagebuchs wieder eine ganz andere Bedeutung.

Veröffentlicht am 05.09.2019

Der Exodus der Afro-Amerikaner

Ein anderer Takt
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Der Roman „Ein anderer Takt“ von William Melvin Kelley ist als deutsche Ausgabe 2019 im Hoffmann und Campe Verlag erschienen. Die Originalausgabe erschien bereits 1962 unter dem Titel „A Different Drummer“.
„Im ...

Der Roman „Ein anderer Takt“ von William Melvin Kelley ist als deutsche Ausgabe 2019 im Hoffmann und Campe Verlag erschienen. Die Originalausgabe erschien bereits 1962 unter dem Titel „A Different Drummer“.
„Im Juni 1957 verließen aus noch ungeklärten Gründen sämtliche Neger den Staat. Heute ist es der einzige Bundesstaat, unter dessen Einwohnern sich kein einziger Neger befindet.“
Der Farmer Caliban Tucker macht sein Land unfruchtbar und zerstört sein Haus. Ein Exodus der schwarzen Bevölkerung nimmt auf Caliban Tuckers Farm seinen Anfang. Die afro-amerikanischen BewohnerInnen des nicht genannten Bundesstaates im Süden der USA verlassen ihre Häuser und ziehen gegen Norden. Zurück bleibt eine verwirrte, weiße Bevölkerung, die nach Erklärungen für den Exodus sucht.
Es fällt mir schwer einen amerikanischen Klassiker zu bewerten. Dass man „A Different Drummer“, vor allem als afro-amerikanischer Mitbürger lesen muss, sollte allseits bekannt sein. Dass ein Buch, welches 1962 aktuell war, auch noch 2019 an Aktualität kaum zu überbieten ist, lässt mich traurig und nachdenklich zurück. Hervorheben möchte ich, dass „A Different Drummer“ anders als viele Bücher über Rassismus, von einem schwarzen Autor geschrieben wurde, der seine Erzählung aus der Sicht der weißen Bevölkerung schreibt, was das Buch zu etwas ganz Besonderem macht.

Veröffentlicht am 05.09.2019

Grandiose Sozialreportage über das Berliner Lumpenproletariat in der Zwischenkriegszeit

Menschen neben dem Leben
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Der Roman „Menschen neben dem Leben“ von Ulrich Alexander Boschwitz ist 2019 im Klett-Cotta Verlag erschienen. Es handelt sich dabei um den Debütroman des Autors, dessen Namen durch den Roman „Der Reisende“ ...

Der Roman „Menschen neben dem Leben“ von Ulrich Alexander Boschwitz ist 2019 im Klett-Cotta Verlag erschienen. Es handelt sich dabei um den Debütroman des Autors, dessen Namen durch den Roman „Der Reisende“ bekannt sein sollte.
Der Bettler Fundholz, sein durch ein Kindheitstrauma beeinträchtigter Freund Tönnchen und der Kleinkriminelle Grissmann sind die Hauptprotagonisten des Buches, welches Kriegsheimkehrer, Bettler, Prostituierte und Verrückte in den Mittelpunkt stellt. Hautnah erleben die LeserInnen die Gefühlswelt der ProtagonistInnen und deren täglichen Kampf ums Überleben. Abends wollen sie gemeinsam ihre Sorgen vergessen und ein paar freudige Stunden in einer Kneipe verbringen, bis an einem verhängnisvollen Abend im „Fröhlichen Waidmann“ die Frau des blinden Sonnenbergs mit Grissmann tanzt.
Ulrich Alexander Boschwitz hat mit „Menschen neben dem Leben“ ein authentisches Sittenbild über das Berliner Lumpenproletariat der Zwischenkriegsjahre geschaffen, ohne dabei mit erhobenem Zeigefinger zu zeigen oder die ProtagonistInnen ins Lächerliche zu ziehen und zu verurteilen. „Menschen neben dem Leben“ ist eine Hommage an das Heer der Arbeitslosen nach der Weltwirtschaftskrise, den zahllosen „Tipplern“ und „Bettlern“ die das Berliner Stadtbild in den 30er Jahren geprägt haben. Realitätsnah beschreibt er den Alltagskampf der ProtagonistInnen, zwischen der Suche nach der nächsten Mahlzeit und dem abendlichen Pfefferminzschnaps in der Lumpenkneipe und hat damit eine lesenswerte Sozialreportage geschaffen.

Veröffentlicht am 18.08.2019

Ein Reiseführer der Düsterheit

Vergessen & verdrängt
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Das Buch „Vergessen & verdrängt“ von Georg Lux und Helmuth Weichselbraun ist mit dem Untertitel „Dark Places im Alpen-Adria-Raum“ im Styria Verlag erschienen und kann wohl als Reiseführer für „Dark-Tourism“ ...

Das Buch „Vergessen & verdrängt“ von Georg Lux und Helmuth Weichselbraun ist mit dem Untertitel „Dark Places im Alpen-Adria-Raum“ im Styria Verlag erschienen und kann wohl als Reiseführer für „Dark-Tourism“ verstanden werden.
Lost Places machen einen ganz besonderen Reiz aus. Sie erscheinen fast so als würde man in die Vergangenheit eintauchen und Geheimnisse lüften. Georg Lux und Helmuth Weichselbraun zeigen genau solche Orte in Kärnten, Friaul-Julisch-Venetien (Italien), Slowenien und Kroatien auf und entführen uns LeserInnen auf eine düstere Reise in den Alpen-Adria-Raum. Schnell lernt man über Tatorte von noch immer ungeklärten Verbrechen, reist mit Diktatoren in alten Luxuszügen und besucht sogar ein Konzentrationslager, in dem Handy Spielen natürlich verboten ist.
„Vergessen & verdrängt“ ist kein Reiseführer für ausschließlich „Lost Places“, denn viele der beschriebenen Orte sind auch heute noch Museen oder Kulturorte, die man besuchen kann. Im Buch entdeckt man aber sehr viele Orte, abseits der typischen Touristenpfade und lernt so die Region besser kennen. Nach der Lektüre sind auch einige Orte auf meiner Besuchs-Wunschliste dazugekommen, so möchte ich auf meiner nächsten Italienreise gerne das von den Nazis geplante, aber nicht fertig umgesetzte Ossario in Pinzano al Tagliamento, ein Beinhaus, das den Überresten von 30.000 Soldaten, die im ersten Weltkrieg gefallen sind, Platz bieten sollte. Auch die Vajont-Stausee-Katastrophe hat mich betroffen gemacht, vor allem weil man im deutschsprachigen Raum kaum etwas über das „Tschernobyl der Wasserkraft“ von 1963 in Italien weiß.
Besonders hervorheben möchte ich auch die weitere Literatur, die im Quellenverzeichnis aufgelistet wurde. So haben sich tatsächlich ein paar Bücher auf meine Wunschliste geschummelt und einen triestinischen Blog habe ich seit dem Lesen des Buches auf meiner Favoritenliste gespeichert.
„Vergessen & verdrängt“ ist meiner Meinung nach eine absolute Leseempfehlung für geschichtsinteressierte Menschen, die gerne Orte fernab der typischen Pfade besuchen. Ein Reiseführer der Düsterheit.

Veröffentlicht am 07.08.2019

Jugendliche in der Nazizeit

Wo die Freiheit wächst
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Das Jugendbuch „Wo die Freiheit wächst“ von Frank Maria Reifenberg ist 2019 mit dem Untertitel „Briefroman zum Widerstand der Edelweißpiraten“ im Verlag arsEdition erschienen.
Hauptprotagonistin des Romans ...

Das Jugendbuch „Wo die Freiheit wächst“ von Frank Maria Reifenberg ist 2019 mit dem Untertitel „Briefroman zum Widerstand der Edelweißpiraten“ im Verlag arsEdition erschienen.
Hauptprotagonistin des Romans ist Lene Meister, die 1942 16 Jahre alt ist und in Köln lebt. Ihre Heimatstadt wird regelmäßig Ziel von Bombenangriffen, denn es herrscht Krieg. Mitten in den Kriegswirren verliebt sie sie in Erich. Erich ist anders als die anderen Jugendlichen, denn er ist Teil der Edelweißpiraten. Und schnell lernt auch Lene das Regime zu hinterfragen und begibt sich so in Gefahr von der Gestapo entdeckt zu werden.
Der Autor hat es geschafft Jugendlichen, durch authentische Briefe, einen Einblick in die Zeit des zweiten Weltkriegs zu geben. Dabei hat er eine Sprache gewählt, die junge Menschen verstehen. In den Briefen wird über die Zerstörung der Städte, die Judenverfolgung sowie das Leben an der Front geschrieben. Auf emotionale Weise lernt man, wie schnell Kinder und Jugendlichen im Krieg erwachsen werden mussten und wie sehr sich die Naziideologie schon in den Köpfen der Allerkleinsten eingebrannt hat und man hinterfragt selbst, wie man wohl zu dieser Zeit reagiert und gedacht hätte.

„Wo die Freiheit wächst“ ist meiner Meinung nach ein wichtiges Werk, das in Schulen gelesen werden sollte.