Profilbild von Dreamworx

Dreamworx

Lesejury Star
offline

Dreamworx ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Dreamworx über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.11.2016

Ihre Liebe war der Tanz

Die Schwester des Tänzers
0

1939. Bronislawa „Bronia“ Nijinska, inzwischen bereits 48 Jahre alt, ist mit einem Schiff auf den Weg nach New York. Während der langen Reise hat sie Zeit genug und schreibt ihre Lebensgeschichte auf. ...

1939. Bronislawa „Bronia“ Nijinska, inzwischen bereits 48 Jahre alt, ist mit einem Schiff auf den Weg nach New York. Während der langen Reise hat sie Zeit genug und schreibt ihre Lebensgeschichte auf. Ihr ganzes bisheriges Leben und das ihrer Familie drehten sich in St. Petersburg nur um das Ballett. Bereits die Eltern mit polnischer Abstammung sind als Tänzer am Ballet Russes, so ist ihren Kindern das Tänzergen bereits in die Wiege gelegt worden. Bronias Bruder Waslaw Nijinsky ist der ehrgeizigste der drei Geschwister und ein absolutes Naturtalent für den Tanz. Es ist, als könne er fliegen, er lebt und atmet den Tanz mit einer ungezügelten Leidenschaft. Bronia dagegen muss hart arbeiten, nur um feststellen zu müssen, dass sie nie so gut sein wird, wie ihr Bruder. Trotzdem unterstützen sich die Geschwister gegenseitig, denn sie eint die Liebe zum Tanz, welches sie nach einer harten Schule an der kaiserlichen Ballettakademie an viele weltberühmte Bühnen der Welt bringt.

Eva Stachniak hat sich in ihrem Buch „Die Schwester des Tänzers“ mit den realen Balletkünstltern Bronia und Waslaw Nijinsky beschäftigt und gibt dem Leser einen sehr interessanten und spannenden Einblick in die harte Welt des Tanzes, der fast schon autobiographisch wirkt. Der Schreibstil ist flüssig und trägt den Leser an den Anfang des 20. Jahrhunderts nach Russland, wo die besten Tänzer der Welt durch eine harte Schule gehen müssen, bis sie Engagements auf den Bühnen der Welt bekommen und die Rolle ihres Lebens tanzen dürfen, sei es nun Schwanensee, die Giselle oder Onegin. Erzählt aus der Sicht von Bronia in Tagebuchform erlebt der Leser einen ehrgeizigen, aber auch schonungslosen Einblick in ein entbehrungsreiches und auch schmerzhaftes Arbeitsleben, alles nur für den Augenblick der Anerkennung des Publikums.

Die Charaktere sind sehr liebevoll ausgearbeitet, bewegen sich aber wohl durch akribische Recherche der Autorin auch hart an der Realität. Sie wirken durchweg authentisch und sehr lebendig, ebenfalls werden die Gedanken und Gefühle sehr schön übermittelt, Niederlagen schmerzen den Leser fast ebenso wie die Protagonisten und auch die Freude über den Erfolg teilt man mit ihnen. Bronia ist eine sehr ehrgeizige Frau, die ihren Bruder Vaslaw liebt, ihn aber auch um sein Talent beneidet. Doch sie versteht rechtzeitig, dass sie zwar eine gute Tänzerin ist, doch nie die Ausstrahlung und die Kraft ihres Bruders haben wird. So stellt sie selbstlos ihre eigene Karriere eher in den Hintergrund, um ihren hochbegabten Bruder zu unterstützen. Vaslaw lebt in seiner eigenen Welt des Tanzes, er schlüpft mit Leichtigkeit in die Rollen und verwandelt sich bei seinen Darbietungen immer wieder in ein neues Geschöpf.

„Die Schwester des Tänzers“ ist ein eindringlicher historischer Roman mit autobiographischen Zügen, die dem Leser eine harte und erbarmungslose Kunst näher bringen, die auf der Bühne so leicht und unbeschwert wirkt. Nie macht man sich Gedanken darüber, was Balletttänzer alles an Schmerzen und Training auf sich nehmen, weil sie ihr Leben der Bühne und dem Ausdruck des Tanzes gewidmet haben. Ein sehr schönes Porträt über einen der besten Tänzer des vergangenen Jahrhunderts und dessen Familie. Eine absolute Leseempfehlung für alle, die das Ballett lieben oder sich näher damit beschäftigen möchten.

Veröffentlicht am 11.11.2016

Endlich zuhause...

Das Land der roten Sonne
0

1898 Australien. Die kleine Leonora wurde von ihrem Vater mitten in der Wüste ausgesetzt, wo sie unter einem Baum von dem Wanderarbeiter Ghan in letzter Sekunde gefunden wird. Ghan bringt das schwer kranke ...

1898 Australien. Die kleine Leonora wurde von ihrem Vater mitten in der Wüste ausgesetzt, wo sie unter einem Baum von dem Wanderarbeiter Ghan in letzter Sekunde gefunden wird. Ghan bringt das schwer kranke Mädchen in die nächste Stadt zum Doktor, bei dessen Ehefrau das Kind erst einmal bleibt. Doch leider kann Leonora dort auf Dauer nicht bleiben, sie kommt in ein Waisenhaus, dass von einem Priester geleitet wird und trifft dort auf James. Schon bald sind sich die beiden Kinder eng verbunden. James lebt schon seit seiner Geburt im Waisenhaus und kennt seine irischen Eltern nicht. Als ein Brief aus Irland eintrifft und seine Verwandten nach Australien kommen, verlässt James das Waisenhaus, um bei ihnen zu leben. Dabei verliert er Leonora aus den Augen, denn die wird von einem reichen Unternehmerehepaar adoptiert und reist mit ihnen nach Amerika, wo sie fortan leben wird. Erst als verheiratete Frau betritt Leonora wieder australischen Boden und fühlt sich endlich wieder zuhause, nachdem sie sich in den USA nie heimisch gefühlt hat. Das sollte ihre eigentliche Entschädigung sein für eine Ehe mit einem Mann, den sie nicht liebt. Aber nach all den Jahren steht plötzlich James vor Leonora, denn er arbeitet für ihren Ehemann. Die alte Verbundenheit zwischen den beiden bricht sich Bahn und schon bald flackert das Feuer der Liebe zwischen ihnen. Doch sie haben Alexander vergessen, Leonoras Ehemann…

Harmony Verna hat mit ihrem Buch "Das Land der roten Sonne" einen wunderschönen und spannenden historischen Roman vor der exotischen Kulisse des australischen Kontinents vorgelegt. Der Schreibstil ist wunderbar flüssig und bildhaft, der Leser taucht mit der ersten Seite in die Handlung ein und begleitet als Schatten das Leben von Leonora von Kindheit an. Die Handlung wird aus einigen Perspektivwechseln erzählt, die die Geschichte dadurch komplexer und noch intensiver werden lassen. Der Spannungsbogen wird gleich in den ersten Seiten gut aufgebaut, steigert sich aber im Verlauf der Handlung immer weiter. Die Autorin versteht es mit ihrer bildhaften und lebendigen Sprache, dem Leser einen wunderbaren Eindruck über die Landschaft und die gesellschaftlich verschiedenen Lebensformen aufzuzeigen. Beim Lesen läuft regelrecht ein Kinofilm im Kopf ab und der Leser befindet sich in einer anderen Welt. Oftmals geht einem das Setting von "Jenseits in Afrika" durch den Kopf, was als Kompliment gemeint ist.

Die Charaktere wurden von der Autorin wunderbar in Szene gesetzt, sehr fein und liebevoll ausgestaltet. Neben ihren Ecken und Kanten stecken auch Grausamkeit, Mitleid, Missgunst und andere menschliche Eigenschaften in ihnen, so dass sie sehr lebensecht und authentisch wirken und man mit ihnen mitfühlen kann bzw. sie auch oftmals zum Teufel wünscht. Leonora ist eine sehr sympathische Frau, die schon einige schwere Schicksalsschläge in ihrem Leben hinnehmen musste. Zu Beginn wirkt sie wie ein verängstigtes kleines Mädchen, doch je älter sie wird, umso mehr gewinnt sie an Stärke. Bei einigen Situationen wächst sie sogar über sich hinaus. Leonora ist mitfühlend, zurückhaltend, empathisch und liebevoll. Sie macht keine Unterschiede zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten. James ist ein toller Mann, der zupacken kann und ein gutes Herz in sich trägt. Er behält seine Sehnsüchte für sich und geht einen Schritt nach dem anderen. Er ist eher der schweigsame Typ, doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen, denn er ist stets zur Stelle, für die Menschen einzustehen, die ihm wichtig und ans Herz gewachsen sind. Alex ist ein Blender und Egoist, selbstherrlich und brutal, er denkt nur an sich selbst und dass die Menschen um ihn herum ihm zu Willen sind. Ghan ist ein alter Wanderarbeiter, der oftmals abgebrüht wirkt, allerdings ein weiches Herz hat. Auch die anderen Charaktere sind wunderschön in Szene gesetzt und tragen mit ihren kleinen Episoden zur spannenden Geschichte bei.

"Das Land der roten Sonne" ist ein opulenter, wunderschön erzählter historischer Roman, der einen tief im Inneren berührt. Alle, die zauberhaft geschriebene Liebes- und Lebensgeschichten mögen, werden mit diesem Buch ein wirkliches Highlight in den Händen halten. Absolute Leseempfehlung! Chapeau, besser geht es nicht!

Veröffentlicht am 06.11.2016

Eine Liebe gegen alle Konventionen

Zu keiner anderen Zeit
0

Anfang des 20. Jh. Bei einer Reise nach Wien lernen sich die Amerikanerin Helena Schmitz und der attraktive Leutnant Graf Karl August von Greiffenwalde einen Tag vor Ausbruch des 1. Weltkrieges kennen ...

Anfang des 20. Jh. Bei einer Reise nach Wien lernen sich die Amerikanerin Helena Schmitz und der attraktive Leutnant Graf Karl August von Greiffenwalde einen Tag vor Ausbruch des 1. Weltkrieges kennen und verlieben sich ineinander. Schnell wird geheiratet und das Paar zieht nach Mähren auf das Gut Solmeritz. Während ihr Ehemann in den Krieg ziehen muss, bleibt die Verwaltung des Gutes in den Händen von Helena, die von ihrer Schwägerin Natalia dabei unterstützt wird. In der Zeit großer Entbehrungen und harter Arbeit lernen sich die beiden Frauen immer besser kennen und kommen sich auch näher, was für die herrschenden Moralverhältnisse als völlig unmöglich und verboten gilt. Als ihr vermeintlich toter Ehemann Karl August mit schweren Verletzungen aus dem Krieg zurückkommt, dauert es nicht lange, bis er das Geheimnis zwischen Helen und Natalia entdeckt. Karl August verweist Natalia vom Hof. Doch was wird nun aus Helen? Wird sie bei ihrem Ehemann bleiben und die Farce einer Ehe aufrechterhalten?

Barbara Martina Strebel hat mit ihrem Buch „Zu keiner anderen Zeit“ ihr Debüt vorgelegt, einen sehr spannenden historischen Roman vor der Kulisse des 1. Weltkrieges, dessen Handlung an interessanten Schauplätzen wie Wien und einem Gut in Mähren stattfindet. Der Schreibstil ist flüssig und fesselnd, schnell wird der Leser in die vergangene Zeit katapultiert, um den Kriegsausbruch ebenso mitzuerleben wie das Schicksal von Helen. Der Spannungsbogen wird gemächlich aufgebaut, steigert sich aber innerhalb der Geschichte immer mehr, was durch die häufigen Wechsel der Perspektiven sowie durch die besondere Erzählweise der Autorin noch unterstützt wird. Der historische und politische Hintergrund sowie die gesellschaftlichen Konventionen wurde von der Autorin akribisch recherchiert und wunderbar mit der Handlung verwoben, so dass der Leser bei der Lektüre das Gefühl hat, alles hautnah mitzuerleben und wie ein unsichtbarer Beobachter zu agieren.

Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet mit ihren Schwächen und Eigenheiten, wodurch sie sehr authentisch und recht lebendig wirken. Helen ist eine sympathische Frau, die aus einer wohlhabenden Familie stammt und der man bisher jeden Wunsch erfüllt hat. Dabei wirkt sie keinesfalls verwöhnt, dafür intelligent und zupackend, eine starke Persönlichkeit. Das ist auch nötig, denn durch den Krieg wird sie gezwungen, sich durchzubeißen und ihrem Leben eine eigene Richtung zu geben, ihren Überzeugungen zu folgen und auf ihr Herz zu hören, auch wenn es anderen nicht gefallen sollte. Karl August ist ein Mann seiner Generation, auf Zuverlässigkeit und Verantwortung gedrillt, den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Er legt mehr Wert auf die Außenwirkung und bringt wenig Verständnis für Andersdenkende auf. Natalia ist ebenfalls eine sehr sympathische Protagonistin, die sich vor Verantwortung und harter Arbeit nicht scheut, die ihre Gefühle aber auch nicht verstecken will, selbst wenn es dem Zeitgeist von damals nicht gefällt.

„Zu keiner anderen Zeit“ ist ein wundervoller und spannungsgeladener historischer Roman über Freundschaft, Liebe, den Krieg und die Auflehnung an damalige moralische Vorstellungen. Alle Historienliebhaber, die gut recherchierte Geschichten lieben und einem ungewöhnlichen Handlungsverlauf nicht abgeneigt sind, werden mit diesem Buch wunderbar unterhalten. Absolute Leseempfehlung für ein echtes Highlight!

Veröffentlicht am 05.11.2016

Der Lebensbaum

Das Marillenmädchen
0

Bereits seit ihrer Kindheit lebt die alte Elisabetta Shapiro in einem alten Haus in Wien, wo im Garten ein Marillenbaum steht, den ihr Vater gepflanzt hat und von dessen Früchten ihre Mutter Marmelade ...

Bereits seit ihrer Kindheit lebt die alte Elisabetta Shapiro in einem alten Haus in Wien, wo im Garten ein Marillenbaum steht, den ihr Vater gepflanzt hat und von dessen Früchten ihre Mutter Marmelade machte, die auch heute noch eine Versuchung ist, da Elisabetta die Tradition des Marmeladekochens übernommen hat. Die Marmelade weckt Erinnerungen in Elisabetta und umhüllt sie wie eine warme Decke. Während des 2. Weltkrieges blieb nur sie von ihrer jüdischen Familie übrig und konnte der Deportation nach Dachau entkommen. Um nicht ganz in ihrer Einsamkeit und in Gedanken an die Vergangenheit zu versinken, vermietet Elisabetta Zimmer. Als eine junge deutsche Tänzerin namens Pola bei ihr einzieht, begegnet ihr Elisabetta aufgrund ihrer eigenen Familiengeschichte zuerst mit Ablehnung. Doch mit zaghaften Schritten lernen sich die beiden unterschiedlichen Frauen kennenlernen und schon bald zeigen sich mehr Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, als sie gedacht hätten.

Beate Teresa Hanika hat mit ihrem Buch „Das Marillenmädchen“ einen wunderschönen, gefühlvollen Roman vorgelegt, dem der Zauber der Vergangenheit und der Gegenwart innewohnt und diese auf wunderbare Weise miteinander verbindet. Der Schreibstil ist poetisch, teilweise melancholisch und anrührend, die Autorin bedient sich einer bildgewaltigen Sprache, die vor dem inneren Auge des Lesers einen Film ablaufen lässt. Die Geschichte ist in zwei Handlungsstränge unterteilt, der eine erzählt von Elisabetta und ihren Erinnerungen, der andere schildert das Leben von Pola. Sehr geschickt versteht es die Autorin, beide Stränge miteinander zu verflechten und dem Leser mit behutsamer Hand die ganze Trauer und die schmerzhaften Erinnerungen zu vermitteln. Stück für Stück entblättert Beate Teresa Hanika die ganze Geschichte und wirbt um Vergebung und einen Neuanfang ohne Altlasten.

Die Charaktere sind sehr liebevoll ausgearbeitet und wirken aufgrund ihrer Eigenheiten sehr authentisch und lebensecht. Elisabetta hat in ihrem Leben schon so viel durchgemacht und einmal zu oft Abschied nehmen müssen, so dass sie nun eher zurückgezogen lebt und etwas schrullig und unnahbar wirkt. Sie lebt in ihrer Vergangenheit, hält leise Zwiegespräche mit ihren Schwestern. Elisabetta hält ihre Familie und ihre Lieben in Gedanken am Leben und zehrt davon, um nicht von ihrer Einsamkeit verschlungen zu werden. Die junge Pola stammt aus München und war mit Elisabettas Enkelin Rahel eng befreundet, verdankt ihr sogar zum Teil ihre Ballettkarriere. Pola ist ebenfalls eher zurückhaltend, trägt sie doch eine Schuld mit sich herum, deren Offenbarung sie fürchtet. Auch die Protagonisten, die die Vergangenheit Elisabettas füllen sowie in Polas Leben eine Rolle spielen, sind sehr intensiv ausgearbeitet und unterstützen diese doch so bittersüße und melancholische Stimmung des Romans.

„Das Marillenmädchen“ ist ein sehr gelungenes Buch über ein einsames Leben in der Vergangenheit, dem Aufarbeiten von schlimmen Erfahrungen und dem Vorausschauen auf ein glücklicheres Leben. Es geht um Verzeihen und das Handausstrecken, um die Seele zu erleichtern und endlich Frieden zu finden. Alle, die sich vor anspruchsvollen Büchern nicht scheuen, werden hier auf wunderbare Weise unterhalten und einiges mit in den eigenen Alltag nehmen. Ein Roman, den man nicht so schnell vergisst. Absolute Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 05.11.2016

Gut oder Böse?

Die Guten
0

Helen, die aus einem ungeliebten Elternhaus stammt, kümmert sich nach der Scheidung von Ehemann Dwight liebevoll um ihren kleinen Sohn Oliver und schlägt sich mit Catering-Jobs und als freie Fotografin ...

Helen, die aus einem ungeliebten Elternhaus stammt, kümmert sich nach der Scheidung von Ehemann Dwight liebevoll um ihren kleinen Sohn Oliver und schlägt sich mit Catering-Jobs und als freie Fotografin durch. Doch sie ist mit der Situation überfordert und fängt an, jeden Tag abends ein Glas Wein mehr zu trinken. Bei einer Autofahrt auf dem Weg ins Krankenhaus, weil es Oliver schlecht geht, wird sie von der Polizei angehalten. Da sie unter Alkoholeinfluss stand, wird ihr das Sorgerecht für Oliver entzogen, der nun bei seinem Vater und dessen neuer Familie leben wird. Helen hat das Gefühl, ihr Leben ist in einer Abwärtsspirale, als sie auf einer Party, bei der sie wieder beim Catering aushilft, das reiche und hundeverrückte Ehepaar Ava und Swift Havilland kennenlernt. Ava nimmt Helen sogleich unter ihre Fittiche und päppelt sie wieder auf. Schon bald geht Helen im Hause Havilland ein und aus, übernimmt Aufgaben, die Ava ihr zuträgt und fotografiert die Hunde, Freunde und Bekannte. Die Großzügigkeit der Havillands kennt keine Grenzen, sie wollen Helen sogar dabei unterstützen, das Sorgerecht für Sohn Oliver zurück zu bekommen, nachdem sie ihn kennengelernt haben. Auch Oliver ist von Swift begeistert und nähert sich auch seiner Mutter wieder an. Aber dann kommt der schicksalhafte Tag, an dem alles in die Brüche geht. Alles?

Joyce Maynard hat mit ihrem Buch „Die Guten“ einen wirklich sehr interessanten und unterhaltsamen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig, der Leser erlebt alles aus der Sicht von Helen und möchte oftmals eingreifen, eine Warnung ausstoßen oder Helen einfach nur den Kopf waschen. Aber leider kann sie einen ja doch nicht hören! Die Autorin versteht es wirklich, den Spannungsbogen von Seite zu Seite minimal zu steigern und die Neugier des Lesers zu wecken, was sich wohl hinter verschiedenen Verhaltensweisen verbirgt und wie sich alles entwickelt. Der Roman gleicht einer Charakterstudie und hält dem Leser einmal mehr den Spiegel vor mit der Frage „Wie würdest Du reagieren, wie würdest Du entscheiden, hättest Du das geahnt?“

Die Charaktere sind sehr unterschiedlich angelegt und sehr interessant ausgearbeitet. Helen ist eine eher zurückhaltende Frau, geprägt von einer unglücklichen Kindheit und einer ebenso verkorksten Ehe, auf sich allein gestellt und fast am Rande der Gesellschaft. Sie wirkt oftmals naiv und leicht zu manipulieren. Helen nimmt sich andere nicht nur zum Vorbild, sie ordnet sich ihnen regelrecht unter. Für die Freundschaft mit Ava und Swift lässt sie alte und auch neu gewonnene Freunde im Stich, denn ihre Welt dreht sich nur noch um das Ehepaar und ihren Sohn. Sehr schön zu beobachten ist ihre Entwicklung im Laufe der Handlung, denn zu Beginn wirkt Helen wenig sympathisch, da sie eher apathisch und kraftlos wirkt. Ava sitzt im Rollstuhl und ist völlig abhängig von ihrem Ehemann Swift. Dabei tritt Ava sehr selbstbewusst auf und ist großzugig bei allem und jeden in ihrem Umfeld. Swift ist ein Lebemann, laut, dröhnend, wie ein großes Kind, das ständig in Aktion ist und alles nachholen muss, was es im Leben eventuell verpasst hat. Er versteht sich hervorragend mit Helens Sohn Oliver und lockt den Jungen aus seiner Starre heraus zurück ins Leben. Auch die anderen Protagonisten sind sehr gut ausgestaltet und tragen ihren Teil dazu bei, der Handlung mehr Spannung und Leben einzuhauchen.

„Die Guten“ ist ein sehr eindringlicher Roman, der einmal mehr zeigt, wie geschickt Manipulation sein kann und wie stark man sein muss, sich dieser zu entziehen. Die Frage „Was ist wirklich wichtig?“ kann man als Leser kaum ausblenden. Alle, die gern gesellschaftskritische Romane lesen und auch Charakterstudien mögen, werden dieses Buch auf jeden Fall mögen. Auf jeden Fall eine Leseempfehlung!