Lesehighlight!
Gottes Werk und Teufels BeitragSt. Cloud's ist ein Waisenhaus, in dem Dr. Wilbur Larch bereits seit Jahren wirkt. Larch ist nicht nur für die Kinder da, sondern auch für schwangere Frauen, als Gynäkologe entbindet er sie nicht nur und ...
St. Cloud's ist ein Waisenhaus, in dem Dr. Wilbur Larch bereits seit Jahren wirkt. Larch ist nicht nur für die Kinder da, sondern auch für schwangere Frauen, als Gynäkologe entbindet er sie nicht nur und nimmt die Kinder, die in der Regel unerwünscht sind, direkt nach der Geburt in das Waisenhaus auf, sondern er hilft ihnen auch dabei, unerwünschte Kinder gar nicht erst auf die Welt zu bringen.
Homer Wells ist eines der Kinder, die in St. Cloud's aufwachsen. Während viele der anderen Waisen im Laufe der Zeit adoptiert werden, klappt das bei Homer nicht. Eines Tages jedoch erhält auch Homer die Chance, St. Cloud's zu verlassen und er nutzt sie. Dennoch ist St. Cloud's seine Heimat, und so ganz wird er es nicht los.
John Irving hat auch hier einen epischen Roman geschaffen, der seine Geschichte über Jahrzehnte hinweg erzählt. Der Leser begleitet nicht nur Homers Leben, sondern auch das Dr. Larchs, beginnend noch im 19. Jahrhundert. Besonders Larch ist ein interessanter Charakter, der nicht nur positive Züge trägt, der dem Leser aber dennoch ans Herz wächst. Letztlich erzählt der Roman aber vor allem Homers Leben, das durch Larch stark geprägt wird, der sich aber auch von diesem unabhängig machen kann. Wie bei Irving üblich, verlaufen beider Leben (und nicht nur ihre) tragikomisch.
Überhaupt die Charaktere, sie wecken beim Leser allerhand Gefühle, auch, weil John Irving sie brillant charakterisiert, er lässt sie gleichsam lebendig werden, man sieht sie vor sich, man blickt in ihr Inneres und man kommt gar nicht umhin, sie zu mögen, oder auch nicht, und hin und wieder auch einmal seine Meinung über sie zu ändern. Mir persönlich hat neben Homer und Larch Melony (deren Name ein Schreibfehler ist, eigentlich sollte sie Melody heißen) gefallen, Melony, die ähnlich wie Homer im Waisenhaus übrig geblieben ist, die aber anders als er eine Wut auf die Welt in sich trägt. Für mich ist sie eine der verkanntesten Personen des Romans, ich kann sie ganz gut verstehen und bin der Meinung, dass sie ein gutes Herz hat, auch wenn das kaum einer sieht.
Der Autor hat eine ganze Reihe unvergesslicher Typen entwickelt, die oftmals sehr skurril sind, teilweise aber auch ganz „normale“ Menschen. Alle bekommen eine Hintergrundgeschichte mit, was mich besonders anspricht.
Nicht nur die Menschen, auch viele der Ereignisse sind recht skurril und haben immer wieder einen tragikomischen Touch. Das macht den Roman, auch wenn er hin und wieder kleine Längen hat, lebendig und interessant zu lesen. Auch mit der Thematik hat sich der Autor gut auseinandergesetzt, im Nachwort geht er auf bestimmte Textstellen ein und erklärt, woher er die Ideen hat oder auch, wie der historische Hintergrund dazu aussieht. Eine sehr gelungene Ergänzung, wie ich finde.
Irving beherrscht es perfekt, Tragik und Humor miteinander zu verbinden und hat außerdem ein unglaubliches Erzähltalent, die Beschreibungen der Orte, der Personen und der Ereignisse sind detailliert, aber größtenteils auf den Punkt gebracht. Der Roman packt von Anfang an und lässt einen kaum noch los. Ich persönlich hatte zwar ein bisschen Probleme mit den letzten beiden Kapiteln, aber auch das kenne ich bei Irvings Romanen, er lässt Entwicklungen zu, die mir nicht behagen und die ich schwer akzeptieren kann, doch so ist das Leben und das macht den Roman ja nicht schlechter, im Gegenteil, es bringt einen zum Nachdenken und zum Noch-mehr-Mitempfinden.
Neben den Lebensgeschichten fließt auch ein guter Teil Sozialkriitik mit ein, alleine durch die Frauen, die mit den ungewollten Kindern alleine gelassen wurden und sich manchmal nicht anders zu helfen wussten, als zu Quacksalbern zu gehen und ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Man muss nicht pro Abtreibung sein, um diese Frauen oder auch Wilbur Larch zu verstehen.
John Irving gehört für mich zu den Autoren, die jeder einmal gelesen haben sollte. Und wer eines seiner Bücher liest, wird wahrscheinlich auch Lust auf die anderen bekommen. Von mir erhält der Roman verdiente volle Punktzahl und natürlich eine uneingeschränkte Leseempfehlung. Für mich ist er eines meiner Jahreslesehighlights,