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Veröffentlicht am 12.09.2019

Galicische „Buddenbrooks“

ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL
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Warum ich diesen Roman mit dem großen Klassiker von Thomas Mann vergleiche? Nun ja, es ist ein opulentes Familiendrama, das die spanische Autorin Dolores Redondo hier zu Papier gebracht hat und es geht ...

Warum ich diesen Roman mit dem großen Klassiker von Thomas Mann vergleiche? Nun ja, es ist ein opulentes Familiendrama, das die spanische Autorin Dolores Redondo hier zu Papier gebracht hat und es geht wie bei Mann um den neuzeitlichen Verfall einer Familie, die auf eine lange Tradition zurückblickt. Anders als bei dem Lübecker Nobelpreisträger geht es hier aber nicht um einen Kaufmannsclan, der der protestantischen Ethik verpflichtet ist, sondern um eine tief im katholischen Glauben verwurzelte Adelsfamilie, die gräflichen Muniz de Davila. In diese Familie hat der erfolgreiche Madrider Schriftsteller Manuel Ortigosa – ohne sein Wissen – eingeheiratet, sein Mann war der aktuelle Graf Alvaro. Alvaro lernt der Leser aber nur in der Reflektion der anderen Romanfiguren kennen, da er kurz vor Beginn der Handlung bei einem Autounfall ums Leben kommt…

Das Buch ist ein Krimi, der gleichzeitig Familienroman sowie Bildungs- und Entwicklungsroman ist. Es geht gewissermaßen um die Selbstfindung der Hauptfigur Manuel, die auch der fiktive Autor auf der Metaebene ist. In der Welt des Romans schreibt er das Buch, das wir gerade lesen. Die Geschichte um den vermeintlichen Verrat seines Ehemannes, der ein geheimes Doppelleben als Manager seiner Adelsfamilie führte, wird zur Geschichte seines Lebens, zum Roman von dem Alvaro wusste, dass er ihn schreiben könne, ohne natürlich von der Handlung zu wissen, die ohne seinen Tod nicht dieselbe wäre. Das ist die Tragik der Geschichte, denn erst durch die Aufarbeitung des Schicksals und Lebens von Alvaro, findet Manuel zu sich selbst und wieder zum Schreiben.

Die Erzählweise ist flüssig, die Sprache bildlich, die Charaktere geschliffen. Einzig die Handlung ist in mancher Hinsicht etwas überfrachtet und manche Personen, wie z.B. die alte Gräfin, sehr klischeehaft dargestellt. Es passiert bzw. passierte dieser adeligen Familie einfach so viel, dass so manch eine südamerikanische Telenovela vor Neid erblassen würde. Dass dies die Lesbarkeit des Romans aber in keinster Weise beeinträchtigt, spricht für die Qualität der Autorin und ihre Fähigkeiten, den Leser für die Geschichte einzunehmen. Ich habe mich bis zum Schluss unterhalten gefühlt – auch wenn ich manchmal ein Auge ob der Soaphaftigkeit der Handlung zudrücken musste.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Ein richtig schöner irischer Schmöker!

An und für dich
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Ich muss vorweg sagen dass ich dieses Buch sehr gern gelesen habe und das obwohl ich während des Lesens von Zahnschmerzen und den Folgen einer anschließenden Zahn-OP geplagt wurde – und das will was heißen. ...

Ich muss vorweg sagen dass ich dieses Buch sehr gern gelesen habe und das obwohl ich während des Lesens von Zahnschmerzen und den Folgen einer anschließenden Zahn-OP geplagt wurde – und das will was heißen. „An und für dich“ reiht sich ein in die Galerie von Liebesromanen irischer Autorinnen, die es fabelhaft verstehen Melancholie, Gefühl, einen sanften Humor und die Huldigung der irischen Landschaft zu einem süffigen Panorama zu verbinden, aus dem man als Leser nur allzu ungerne wieder auftaucht. Ich denke da an Autorinnen wie Cecilia Ahern, Marian Keyes und Maeve Binchy mit denen sich der Stil von Ella Griffin vergleichen lässt.

Es geht in diesem Roman um vier „Mittdreißiger“ in Dublin und ihr Leben: die Hauptperson Saffy und ihren Freund Greg sowie deren Freunde Connor und Jess. Saffy, die eigentlich den selbst für manche Iren unaussprechlichen gälisch-mythologischen Namen Sadbh trägt, arbeitet in einer Werbeagentur. Im Job hat sie vor 6 Jahren den attraktiven Greg kennengelernt, der mittlerweile eine kleine Berühmtheit und Darsteller in einer populären irischen Soap ist. Dass Greg ziemlich oberflächlich ist wird dem Leser sehr schnell klar, denn statt sich mit Saffy zu verloben zieht es ihn auf neuen Karrierewegen nach Amerika. Saffys Gedanken und Gefühle auch nur annähernd zu verstehen – dafür ist er nicht der richtige Mann und man fragt sich, warum sie so lang zusammen geblieben sind.
Die Beschreibung Gregs hat mich manchmal an den ebenfalls irischen „Märchenprinz“ von Marian Keyes erinnert: außen hui, innen, naja, grenzwertig. Dennoch: irgendwie hat er einen halbwegs guten Kern und eine manchmal geradezu liebenswerte Naivität an sich. Das ist wohl auch der Grund warum sein langjähriger Freund Connor, der so ganz anders ist, immer noch mit ihm befreundet ist. Die Freundschaft wird durch verschiedene Ereignisse im Lauf des Buches auf mehrere harte Proben gestellt. Connor hat neben denen von Greg auch noch eigene Probleme: die achtjährige Beziehung zu seiner Freundin Jess, die wiederum Saffys beste Freundin ist, ist nicht mehr so innig wie sie mal war seit er angefangen hat einen Roman zu schreiben. An der Schule, an der er unterrichtet läuft es suboptimal und der Hamster seiner Kinder hat nichts als ein paar mit Marmelade verklebte Haare an einem Briefumschlag hinterlassen. Connor und Jess‘ achtjährige Zwillinge Luke und Lizzie sowie der Hamster Brendan sind liebenswerte Nebenfiguren, die der Handlung eine familiäre Realität verleihen. Aber zurück zu Saffy. Sie ist das uneheliche Kind ihrer Mutter Jill mit einem verheirateten Mann, der sie beide verlassen hat als sie zwei war, um zurück zu seiner Frau zu gehen. An dieser Tatsache hat Saffy noch heute zu knabbern und sie zieht sich leitmotivisch durch den Roman: was verheimlicht ihre Mutter? Wie ist es um ihre eigenen Beziehungen zu Männern bestellt oder ist sie gar Beziehungsunfähig? Sind eigene Kinder vielleicht doch gar nicht so eine schlimme Vorstellung? Und wo kriegt man so schnell einen Engel her, wenn man mal einen für eine Werbekampagne – oder evtl. für sein Leben – braucht?

An dem Buch mochte ich so vieles. Die Karikatur der sich selbst viel zu ernst nehmenden und selbstbeweihräuchernden Werbebranche und die Postersprüche an Ants Tür haben mir den ein oder anderen Lacher hervorgelockt. Auch das Themen „zerbrochene Familie“ und „alleinerziehend“ werden einfühlsam angefasst, man hat nie das Gefühl dass etwas aufgebauscht oder übertrieben wird. Die Geschichte an sich, die abwechslungsreiche Erzählweise mit unterschiedlichen Perspektiven und der entspannte Erzählstil haben mich gefesselt. Und schließlich die irische Herzlichkeit, die aus jedem Wort zu tropfen scheint, das war schon toll. Ich kann das Buch also allen empfehlen die eine gute Prise von der Tragikomik des Lebens zu schätzen wissen – und ein Ende, das vielleicht nicht perfekt, aber lebensecht und für den Leser befriedigend ist.
Natürlich ist der Roman literarisch nicht sehr anspruchsvoll und manche Figuren (Greg, leider auch Saffy) sind etwas eindimensional gezeichnet, also bekommt es auch keine fünf Sterne. Aber für Unterhaltungsfaktor, den Schmökerkoeffizienten und das „Ich-will-nicht-dass-es-endet“-Gefühl gibt es satte 4. Außerdem hat es mich hervorragend von meinem Zahnweh abgelenkt, also eine 4 plus!

Veröffentlicht am 06.09.2019

Lebendig-düsteres Spätmittelalter

Die Hurenkönigin (Die Hurenkönigin ermittelt 2)
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Ursula Neeb hat die Doppelbegabung, die Autoren von historischen Romanen zwingend benötigen damit ihre Romanstoffe lebendig werden und nicht zur drögen Geschichtsvorlesung oder zum unglaubwürdigen Spektakel ...

Ursula Neeb hat die Doppelbegabung, die Autoren von historischen Romanen zwingend benötigen damit ihre Romanstoffe lebendig werden und nicht zur drögen Geschichtsvorlesung oder zum unglaubwürdigen Spektakel verkommen: sie kann schreiben und sie kann recherchieren. Beide Talente führen in Vereinigung dazu, dass der Leser eine unterhaltsame, kurzweilige Lektüre erlebt und gleichzeitig faktisch etwas lernt.

Im Fall der „Hurenkönigin“ lernt der Leser vor allem etwas über den Umgang mit Prostitution im Frankfurt des frühen 16. Jahrhunderts. Es gibt eine Gildemeisterin der Huren, im Buch ist es Ursel Zimmer, die „Hurenkönigin“. Ihr untersteht das „Frauenhaus“, was in der damaligen Zeit nichts anderes als „Bordell“ bedeutete. Die Prostitution wurde als notwendiges Übel geduldet, gleichzeitig waren die Huren aber gesellschaftlich nicht anerkannt und mussten unter den „anständigen“ Leuten ein gelbes Schandgewand tragen. Bigotterie ist ein großes Thema dieses Buches, in dem es viel um falsche Vorstellungen von Moral und eine pervertierte Religiosität geht. Viel mehr will ich über die Handlung nicht verraten als: Ursel Zimmer, die zum Zeitpunkt der Handlung im Sommer 1511 seit 14 Jahren selbst keine „Hübscherin“ mehr ist, aber dem Hurenhaus als Ansprechpartnerin, Freundin und Arbeitsgeberin der Frauen vorsteht, bittet ihre Hure Rosi den letzten Freier des Tages noch anzunehmen bevor sie die verdiente Nachtruhe antritt. Rosi willigt ein – kurze Zeit später wird sie tot und verstümmelt aufgefunden. Die Zimmerin ist untröstlich und muss sich trotz dem Halt, den sie durch ihren Lebenspartner, den Privatgelehrten Bernhard von Wanebach und die anderen Huren erfährt mit der Wahrheit konfrontieren: ein verrückter Mörder bedroht die Frauen. Als noch andere Mädchen verschwinden und die „Lustseuche“ in Frankfurt umgreift steht ihr Etablissement vor dem Aus. Sie will den Mörder um jeden Preis finden.

Die Handlung ist kurzweilig und unterhaltsam, geht aber manchmal sehr an die Schmerzgrenze was Grausamkeit betrifft. Eigentlich nichts für mich, aber hier hat es hineingepasst und man hatte teilweise beim Lesen das Gefühl einen Film vor sich ablaufen zusehen. Die Handlung ist also sehr dramatisch angelegt. Auch der Vorgängerroman von Ursula Neeb, „Die Totenmagd“ kommt im Buch zur Sprache, leider wird ein bisschen zu sehr auf den Ausgang der Handlung von diesem Buch eingegangen, was für alle Leser die es noch nicht kennen natürlich schlecht ist. „Die Hurenkönigin“ und „Die Totenmagd“ spielen also chronologisch nacheinander im selben fiktionalen Universum.

Die Charakterzeichnung der Figuren fand ich sehr ansprechend: Ursel Zimmer ist einem durch ihre aufgeklärte, bodenständige und freundliche Art durchweg sympathisch, durch ihre Schwächen wird sie dreidimensional und menschlich. Die Widersacher und Täter werden durchweg durchtrieben dargestellt, was natürlich auch ins Bild passt.

Ursula Neeb ist eine sehr talentierte, bildgewaltige und realistisch erzählende Autorin, die ich sehr schätze und der ich es auch gerne mal verzeihe wenn die Handlung zu gruselige Züge annimmt.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Großartiger Gesellschaftsroman

Kapital
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„Kapital“ kommt einem von seiner Struktur her vor wie einer der großen englischen Gesellschaftsromane. „Vanity Fair“ und andere sind von daher sicher als Vorbild für diesen „Wälzer“ zu sehen, der nichts ...

„Kapital“ kommt einem von seiner Struktur her vor wie einer der großen englischen Gesellschaftsromane. „Vanity Fair“ und andere sind von daher sicher als Vorbild für diesen „Wälzer“ zu sehen, der nichts anderes will als den Makrokosmos London anhand des Mikrokosmos „Pepys Road“ darstellen. Der Name ist natürlich symbolisch und eine Referenz an den großen Chronisten und Politiker Samuel Pepys, dessen Tagebuchaufzeichnungen unser Bild vom England des 17. Jahrhunderts entscheidend geprägt haben. Vielleicht versteht sich John Lancaster in seiner Tradition als Chronist der Londoner „Nuller-Jahre“, die mit der Finanzkrise eines ihrer großen Themen hatten, das sich bis in die Gegenwart zieht. Eine Straße namens „Pepys Road“ gibt es übrigens wirklich im Südwesten Londons.

Die Haupthandlung von „Kapital“ (im englischen „Capital“, was Hauptstadt bedeutet, gegenüber dem deutschen Titel also eine Bedeutungsverschiebung markiert) spielt zur Zeit der beginnenden Wirtschaftskrise, beginnend Dezember 2007-endend November 2008.
Wir lernen mehrere Menschen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Herkunft kennen, die erst einmal nur eint, dass sie in der Südlondoner Straße „Pepys Road“ leben, arbeiten oder sonst mit ihr in Verbindung gebracht werden können.
Ihre Geschichten werden abwechselnd weitergesponnen und manche laufen über Kreuz. Da ist die zweiundachtzigjährige Frau Petunia Howe, die in der Pepys Road geboren wurde und vermutlich auch dort stirbt. Sie steht für die alten Werte, die Traditon, wenn man so will auch für das „alte Geld“, das nach und nach seine Kraft verliert und keine Relevanz mehr für die Zukunft hat. Ihre Familie lernen wir kennen, vor allem ihre Tochter Mary, die auf dem Land lebt und ihren Enkel Graham, der sein Geld als Künstler verdient. Dann gibt es die neureiche Familie Yount, bei der Roger Yount für den modernen kapitalistischen Aktienmenschen steht, der viel zu viel arbeitet, viel zu viel verdient und dennoch ein viel zu falsches Leben führt. Seine Frau Arabella ist sich trotz Hausfrauentums zu schade ihre zwei kleinen Söhne selbst aufzuziehen und gibt stattdessen das von Roger verdiente Geld mit vollen Händen für Botox, Fitesstrainer und Klamotten aus. Auch seine geschäftliche Umwelt wird präsentiert und mit ihr Neid- und Missgunst, die im Bankenwesen an der Tagesordnung sind (u.a. verkörpert von Mark, der sich für besser als Roger hält (es wahrscheinlich auch ist) und deshalb seinen Job will.)
Es gibt den jungen Fußballprofi aus Afrika, Freddy Kamo, der mit seinem Vater Patrick erst vor kurzem in die Straße gezogen ist. Außerdem gibt es den polnische Hilfsarbeiter Zbigniew, das ungarische Kindermädchen Matya und die afrikanische Politesse Quentina (die illegal in England ist), die pakistanische Verkäuferfamilie Kamal (drei Brüder, einer verheiratet mit zwei Kindern, die anderen beiden noch auf der Suche nach ihrem Platz im Leben), die sich in England etwas aufgebaut haben und doch immer wieder auf ihre Herkunft reduziert werden.
Zusammengenommen stehen alle für das weltoffene (manchmal mehr, manchmal weniger) England der Zuwanderung und des Multikulturalismus. Sie alle hoffen auf ein besseres Leben in dieser Milch-und-Honig-Stadt London. Ihr Problem ist die Diskrepanz zwischen Hoffnung auf eine Veränderung und Verzweiflung über die Entwurzelung und Heimatlosigkeit in der Fremde.
Dann gibt es da plötzlich eine namenlose Bedrohung, die alle betrifft und die sich sowohl real als auch im Medium Internet eine Plattform und damit Gehör verschafft: „Wir wollen was ihr habt“ – künstlerische Installation oder gieriges Symptom der Neidgesellschaft?

Geld spielt eine große Rolle im Roman, Gentrifizierung und Globalisierung sind die anderen großen Themen. Wo Menschen sind da ist auch Liebe, Tod und Hoffnung. Diese Eckpfeiler und Menschheitsthemen sind die Folie für „Kapital“ oder „Capital“, das von den neuen Themen so vereinnahmt wird dass die großen Fragen oft zu einer Nebensächlichkeit verkommen, aber sich natürlich nicht zurückdrücken lassen: trotz Finanzkrise und Immobilienmarkt: Liebe und Tod sind weiterhin das, was die Welt im Innersten zusammenhält – auch in der Pepys Road.

Das Buch hat einen erzählerischen Reichtum der in dieser Form seinesgleichen sucht. Er lebt vor allem von den Charakterschilderungen, die in ihrer Summe ein perfektes Panorama Londons und seiner Bewohner abgibt, die natürlich fiktiv sind, aber irgendwie für Typen stehen, die das Bild der englischen Hauptstadt genau so prägen.

Der Gesellschaftsroman – er ist wieder da! Aktuell, stark , erbarmungslos und unterhaltsam. So soll es sein!

Veröffentlicht am 06.09.2019

Frühneuzeitliches Roadmovie in Buchform

Das Sündenbuch
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Das frühneuzeitliche Europa des Jahres 1618 in dem der Roman „Das Sündenbuch“ spielt war eine Zeit der Umbrüche. Dank der Reformation haben sich einige Länder bereits vom „alten“ Glauben abgenabelt, in ...

Das frühneuzeitliche Europa des Jahres 1618 in dem der Roman „Das Sündenbuch“ spielt war eine Zeit der Umbrüche. Dank der Reformation haben sich einige Länder bereits vom „alten“ Glauben abgenabelt, in anderen schwelten die Konflikte. Prag ist auch so eine vom Glauben „entzweite“ Stadt gewesen. In dieser Stadt lebt die junge Jana, die – ungewöhnlich für diese Zeit – in der Apotheke ihres Onkels Karel eine Ausbildung machen darf. Dass der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten zu einem vorläufigen Höhepunkt (mit dem Prager Fenstersturz im Mai 1618 als Auslöser des darauffolgenden Dreißigjährigen Krieges) gelangt ist wird im Buch deutlich. Der Religionskonflikt ist immer präsente Hintergrundhandlung, vor der sich das Schicksal Janas abspielt. Sie ist Protestantin, ihre Tante und zukünftige Schwiegermutter (sie soll ihren Sohn Tomek heiraten-was Jana überhaupt nicht behagt) Radomila setzt aber auf die Kaufkraft der katholischen Bevölkerung um die Apotheke wirtschaftlich über Wasser zu halten. Alle in der Handlung vorkommenden Figuren werden sofort mit dem Etikett „Katholik“ oder „Protestant“ versehen, erst nach und nach kommt ihr wahrer Charakter jenseits der Konfession zum Vorschein.
Während Jana in Prag ist lehrt ihr Vater Marek in Heidelberg an der Universität. Der Wissenschaftler bekommt von einem betrunkenen Seefahrer ein wertvolles Manuskript und ein dazugehöriges Amulett verkauft, welches angeblich mit einem Fluch belastet sein soll. Der Seefahrer stirbt und Marek studiert das Buch, will mehr erfahren und andere Wissenschaftler darüber in Kenntnis setzen. Auch Marek fällt dem „Fluch“ zum Opfer während das Buch und das Amulett auf dem Weg zu Jana nach Prag sind. Doch was soll eine junge Frau mit einem verklausulierten alten Buch anfangen, dessen Sprache und Information sie nicht versteht. Da kommt ihr der Arzt Doktor Conrad Pfeiffer aus Wien gerade recht: er soll ihr helfen zu entschlüsseln was es mit dem Buch auf sich hat…
Die weitere Handlung des Romans erinnert an ein Roadmovie in Buchform. Jana und Pfeiffer brechen zu einer abenteuerlichen Reise durch Tschechien, Deutschland, Spanien und Frankreich zu den Klöstern nach Dijon und Bordeaux auf, wo die beiden anderen Teile des Manuskripts angeblich aufbewahrt werden. Natürlich darf auch eine katholische Geheimgesellschaft nicht fehlen, die Jana und Pfeiffer das Leben schwer macht. Und zu allem Überfluss verfolgt sie auch noch Tomek mit seinem Freund, dem Jesuitenmönch Jendrik. Tomek will zurück was vermeintlich ihm gehört: seine Verlobte.
In dem Roman geht es im Wesentlichen um das Konfliktfeld Wissenschaft vs. Religion und das absolute Streitverhältnis in dem diese beiden Welterklärungsmodelle zur Zeit der frühen Neuzeit noch standen. Entweder man war gläubig oder dem – nach Ansicht der (katholischen) Kirche – Irrglauben Wissenschaft verfallen. Gott durch andere Erklärungsmuster infrage zustellen galt als Sünde und deswegen der Titel „Das Sündenbuch“. Nebenbei werden noch andere gesellschaftliche Themen wie Homosexualität, die Emanzipation der Frau, medizinische Versorgung etc. verarbeitet. Alles vor dem Hintergund dieser interessanten Umbruchszeit.
Beate Maly ist ein spannender historischer Wissenschaftsroman (Krimi oder Thriller wäre trotz einiger Toter doch wahrscheinlich die falsche Genrebezeichnung) gelungen, der vielleicht zum Schluss etwas zu theatralisch wird und dabei ein gewissermaßen offenes Ende hat. Der Weg ist in diesem Roman das Ziel, eine Botschaft die ja auch zum Thema der immerwährenden Suche nach Erkenntnis passt.