Niemand ist bei den Kälbern
Niemand ist bei den KälbernWer kennt sie nicht, die schön aufgemachten Zeitschriften mit den Namen „Landlust“, „Landidee“ oder „Liebesland“, die Monat für Monat vorzugsweise Leserinnen das Landleben auf romantische Art und Weise ...
Wer kennt sie nicht, die schön aufgemachten Zeitschriften mit den Namen „Landlust“, „Landidee“ oder „Liebesland“, die Monat für Monat vorzugsweise Leserinnen das Landleben auf romantische Art und Weise näherbringen möchten? Beim Durchblättern dieser Zeitschriften erhält man glatt den Eindruck, dass das Leben auf dem Land aus perfekt geschnittenen Hecken, schneckenfreien Beeten und einer tagtäglichen Zubereitung von köstlichen Mahlzeiten besteht. Da bekommt man doch sofort Lust aufs Land zu ziehen und sich voll und ganz dieser Idylle hinzugeben.
Doch das echte Landleben ist oft nicht schön und heiter. Es ist häufig mit einer Menge Arbeit, Dreck, Gestank und Schweiß verbunden und alles andere als entspannt. Alina Herbing versucht in ihrem Roman „Niemand ist bei den Kälbern“ genau diese Art von Landleben einzufangen, was ihr meines Erachtens auch sehr gut gelungen ist.
Christin ist Mitte Zwanzig und lebt bei ihrem Freund Jan und dessen Vater und Lebensgefährtin auf einem Bauernhof in einem sehr kleinen Dorf in Nordwestmecklenburg. Hier kennt jeder jeden, hier bleibt nichts geheim und hier passiert auch nichts Weltbewegendes. Es sind immer die gleichen Dorffeste, das triste Dasein und die Ausweglosigkeit, die Christin verrückt machen. Sie sehnt sich nach einem richtigen Job in einem Büro, nach einer besseren Zukunft und ein wenig Zuneigung von Jan, doch all das bleibt ihr verwehrt und spielt nur in Christins Phantasie eine Rolle. In der großen weiten Welt muss es für sie doch noch mehr geben, als Kälber, Felder und jeden Tag die gleichen Gesichter. Ihre Beziehung ist nur noch eine Zweckgemeinschaft, der Alkohol ihr bester Freund und die Dorfbewohner sind zum größten Teil verkorkst. Wahre Freundschaft, Liebe und Wertschätzung scheinen hier Fremdwörter zu sein.
Alina Herbing beschreibt klar, rau, ehrlich und ohne Verschnörkelungen das „andere“ Landleben. Das Landleben, welches sicherlich weit verbreitet ist und nichts von der lieblichen Idylle hat, die man sich unter einem Leben auf dem Land vorstellt. Die Charaktere bleiben auf Abstand, so dass man manchmal nicht weiß, ob man nun Mitleid, Sympathie oder Abscheu ihnen gegenüber empfinden soll. Man wünscht sich, dass Christin aufwacht und tätig wird, doch die Perspektivlosigkeit ist erdrückend und prägt sich durch den hervorragenden Schreibstil bei dem Leser ein.
Die vorherrschende Atmosphäre finde ist unheimlich gut beschrieben. Ja, man riecht die Landluft, spürt die Hitze, hört die Vögel, die Mähmaschine und die Mücken. Beim Lesen kam es mir so vor, als stünde ich selber auf dem Feld.