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Veröffentlicht am 15.09.2016

Nah am Tod, auf dem Weg zurück ins Leben

Wo immer du bist
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Erst nach Lesen des Buches wurde mir klar, wie passend das Titelbild ist... Ein junges Mädchen unter Wasser, aufwärtsstrebend und so nah an der Oberfläche- dabei doch so fern. Eine Metapher auf Krankheit ...

Erst nach Lesen des Buches wurde mir klar, wie passend das Titelbild ist... Ein junges Mädchen unter Wasser, aufwärtsstrebend und so nah an der Oberfläche- dabei doch so fern. Eine Metapher auf Krankheit und Genesung? Ihr werdet es verstehen, wenn ihr das Buch lest!

Es geht um den jungen West, der nach einem schlimmen Unfall (mit seinem Fahrrad auf der Halfpipe) im Krankenhaus zu sich kommt. Er ist erst völlig verwirrt und weiß nicht, was los ist - warum ist er am Bett festgeschnallt? Warum tut sein Hals so weh, und warum kann er nicht sprechen? Immer wieder verliert er das Bewusstsein, und jedes Gefühl für Zeit geht ihm verloren. Wenn er Besuch bekommt, kann er nur hilflos daliegen und zuhören - seine Besucher sprechen beinahe mehr mit sich selbst... Und dann taucht Olivia auf, das Mädchen aus dem Zimmer nebenan, und sie sagt ihm ganz unverblümt: "Du hast einen Beatmungsschlauch im Hals. (...) Und übrigens bist du gelähmt, falls dir das noch keiner gesagt hat."

Und damit beginnt eine merkwürdige Freundschaft zwischen Olivia und West, die schnell sehr innig wird, obwohl sich West (zuerst) nur verständigen kann, indem er einmal für ja und zweimal für nein blinzelt. Olivia scheint ihn einfach zu verstehen, und sie errät schnell Dinge über ihn, die nicht einmal seine Freunde wissen. Und sie spricht mit ihm auch über seine grauenhaften Alpträume - beziehungsweise, sie spricht und stellt ihm die richtigen Fragen... Olivia wird in wenigen Tagen zu Wests Rettungsanker in seiner schweren Situation.

Ich fand diese Grundidee sehr originell und faszinierend. Dabei war es für die Autorin sicher eine Herausforderung, diese Idee zu einem spannenden, packenden Buch umzusetzen! Denn zum einen ist der Schauplatz sehr begrenzt: ein Großteil des Buches spielt in Wests Krankenzimmer. Und dann gibt es nur eine begrenzte Anzahl an Charakteren, die wirklich eine Rolle spielen: West, seine Freundin Allie, sein bester Kumpel Mike, seine Mutter, Olivia, die nette Schwester Norris und die fiese Schwester ohne Namen... Aber Cylin Busby erschafft mit diesen begrenzten "Zutaten" eine Geschichte, die berührend ist und einen nicht mehr loslässt.

Ich konnte das Buch einfach nicht mehr weglegen, denn ich wollte immer wissen, wie es mit West weitergeht. Jeden kleinen Sieg, den er erlebt, habe ich gefeiert, und seine Ängste und Hoffnungen haben mich unglaublich mitgenommen.

West ist ein sehr sympathischer junger Mann. Früher war er mal ein Außenseiter, bis ihn Mike eines Tages ganz selbstverständlich akzeptiert und in seine Kreise aufgenommen hat. Er liebt seine Freundin Allie von ganzem Herzen, obwohl sie ihn schon einmal verlassen hat. Er ist ein ganz normaler Teenager, aber seine Gedanken entwickeln in seiner Zeit im Krankenhaus immer mehr Tiefe... Denn er hat ja außer Nachdenken nichts zu tun, und so lernt er sich nach und nach wirklich selber kennen und begreift, was für ihn im Leben wichtig ist.

Allie und Mike bleiben dabei eher am Rand des Geschehens. Allie besucht West nur selten und kann nur schlecht mit der Situation umgehen, aber so richtig lernt man sie als Leser gar nicht kennen. Mike tut sein Bestes: er bringt Musik für West mit und redet mit ihm, und man merkt deutlich, wie wichtig West für ihn ist. West glaubt, Mike habe ihn aus seinem Leben als Außenseiter gerettet, aber so nach und nach wird klar, dass die Freundschaft auch Mikes Leben verändert hat.

Wests Mutter tut ebenfalls ihr Bestes, aber ihre Besuche werden immer kürzer, denn sie hat einfach keine Kraft mehr. Und Wests Vater kann es nicht ertragen, seinen Sohn so zu sehen. Die beiden streiten sich darüber, ob West eine riskante Operation bekommen soll: sie könnte wahnsinnige Fortschritte für ihn bedeuten, aber auch tödlich enden...

Olivia ist neben West der zentrale Charakter. Sie sagt immer klar heraus, was sie denkt, und das wirkt manchmal doch etwas gemein und gedankenlos - wie dieser Kommentar, den ich oben schon erwähnt habe. Aber im Laufe des Buches habe ich ihre Ehrlichkeit schätzen gelernt, und so nach und nach lernt man als Leser auch ihre verletzliche Seite kennen. Sie ist schon eine lange Zeit im Krankenhaus und wird mit Flüssignahrung künstlich ernährt. 38 Kilo habe sie mal gewogen, vertraut sie West bei ihrer ersten Begegnung an.

Allerdings sagt sie manchmal auch Dinge, die ich sehr egoistisch von ihr fand. Aber dazu möchte ich hier noch nicht zu viel sagen, denn das würde einiges verraten! Irgendwie konnte ich sie verstehen, aber irgendwie auch nicht...

Apropros verraten: es gibt gegen Ende eine Enthüllung, die ich kommen sehen habe. Zuerst war ich darüber etwas enttäuscht und habe mir gedacht: hätte die Autorin das nicht besser verstecken können? Aber dann habe ich mich gefragt, ob es wirklich so schlimm ist, diese Sache schon viel früher als West zu begreifen, und die Antwort ist nein. Denn der Reiz der Geschichte lag für mich vor allem im Psychologischen: darin, wie West mit dieser extremen Situation umgeht, und wie die Menschen um ihn herum reagieren.

Liebe spielt eine große Rolle in diesem Buch: die Liebe, die West für die Menschen in seinem Leben empfindet und sie für ihn, und immer mehr auch seine Gefühle für Olivia... Als ich den Klappentext gelesen habe, war ich erst skeptisch: wie kann sich ein Mädchen zu einem Jungen hingezogen fühlen, der nicht mal mit ihr reden kann? Aber es macht Sinn, man kann es nachvollziehen und glauben, und dabei driftet es nicht in zuckersüßen Kitsch ab.

Den Schreibstil fand ich sehr angenehm: West erzählt uns die Geschichte aus seiner Perspektive, und das wirkte auf mich sehr echt und berührend.

Zusammenfassung:
Ein nachdenkliches Jugendbuch der leisen Töne. Der junge West findet nach einem traumatischen Erlebnis nach und nach zurück ins Leben - und dabei eine unerwartete Liebe, die kein bisschen kitschig ist. West und Olivia sind wunderbare Protagonisten, über die ich immer sehr gerne gelesen habe, und das Ende hat mich überrascht: einerseits ein wenig verstörend, andererseits eigentlich das einzige mögliche Ende... Mir hat das Buch sehr, sehr gut gefallen!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Kautokeino, ein blutiges Messer

Einsam und kalt ist der Tod
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Dieser ambitionierte Erstlingsroman des Filmemachers Lars Pettersson wurde von der Schwedischen Krimiakedemie im Jahr 2012 als "Bestes Krimidebüt" ausgezeichnet. Da bin ich natürlich mit hohen Erwartungen ...

Dieser ambitionierte Erstlingsroman des Filmemachers Lars Pettersson wurde von der Schwedischen Krimiakedemie im Jahr 2012 als "Bestes Krimidebüt" ausgezeichnet. Da bin ich natürlich mit hohen Erwartungen an das Buch herangegangen! Und was soll ich sagen - ich bin beeindruckt, denn dieser Krimi ist wirklich etwas Außergewöhnliches.

Das liegt zum einen schon am Schauplatz, denn die Geschichte ist in Nordnorwegen in der Gegend rund um Kautokeino angesiedelt. Dort gehört die Bevölkerung noch überwiegend dem indigenen Volk der Samen an und lebt hauptsächlich von der Rentierzucht. Viele Familien leben nach althergebrachten Werten und tragen nicht nur zu besonderen Anlässen die traditionelle farbenfrohe Kleidung.

Aber dem Autor liegt es fern, eine beschauliche, touristentaugliche Postkartenidylle heraufzubeschwören! Er kennt die Kommune Kautokeino und ihre Menschen gut und beschreibt deren hartes Leben sowohl bildreich-atmosphärisch als auch schonungslos ehrlich.

Die Staatsanwältin Anna Magnusson hat ihre Wurzeln in Kautokeino, denn ihre samische Mutter stammte von dort. Sie selber hat jedoch ihr ganzes Leben in Schweden verbracht und kennt ihre samische Familie und deren Leben nur von kurzen Besuchen in den Sommerferien. Als sie nun zu Hilfe gerufen wird, um ihren Cousin zu verteidigen, der eine Frau vergewaltigt haben soll, rechnet sie damit, den Fall schnell abschließen zu können. Aber schon bald wird ihr klar, dass weit mehr hinter der Geschichte steckt...

Außerdem fühlt sie sich immer mehr gezwungen, sich mit ihrer entfremdeten Familie und deren Erwartungen auseinander zu setzen. Sie hat von ihrer Mutter sozusagen Schuldgefühle geerbt - dafür, dass sie das harte Leben ihrer Familie hinter sich gelassen und somit "verraten" hat, denn eigentlich wird jedes Familienmitglied auf der Winterweide dringend gebraucht.

Für mich ist Anna ein sehr interessanter Charakter! Sie ist sehr verwurzelt in ihrem modernen Rechtsempfinden und reagiert daher mit Fassungslosigkeit und Zorn darauf, dass ihre Familie von ihr erwartet, die Verbrechen ihre Cousins möglichst unter den Teppich zu kehren.

Nach dem ersten Kulturschock erwacht in ihr der Kampfgeist, und sie stürzt sich mit Hingabe in einen Fall, den außer ihr eigentlich niemand aufgeklärt sehen will. Ich habe ihren Mut und ihre Entschlossenheit sehr bewundert! Man merkt auch immer wieder, dass sie sich trotz allem der samischen Kultur doch noch zugehörig fühlt, wenn auch widerwillig.

Auch die anderen Charaktere fand ich interessant, aber oft sehr schwer zu begreifen, so fremd waren mir ihre Wertvorstellungen. Aber das ist sicher durchaus beabsichtigt, denn als Leser kann man so viel eindringlicher nachempfinden, wie fehl am Platz und entwurzelt sich die Protagonistin in Kautokeino fühlt!

"Einsam und kalt ist der Tod" ist kein typischer Krimi. Viel der Spannung entsteht gar nicht aus dem Kriminalfall, sondern eben aus diesem scheinbar unüberbrückbaren Konflikt zweier Kulturen. Viele der Samen in diesem Buch haben ihr ganz eigenes Verständnis von Moral und Gerechtigkeit und nur wenig Vertrauen in die norwegischen Gesetze, die so wenig mit ihrem täglichen Leben zu tun haben.

In meinen Augen macht gerade diese Mischung den Roman so originell und spannend. Man rätselt nicht nur darüber, wer denn nun was verbrochen hat oder nicht, sondern man wirft vor allem einen Blick in eine gänzlich fremde Kultur, in all ihrer Schönheit und ihrer oft gnadenlosen Härte.

Den Schreibstil fand ich wunderbar. Der Autor beschwört das Leben der Samen mit allen Sinnen herauf. Man hört das Polarlicht knistern und den Schnee knarzen, man riecht und schmeckt das brutzelnde Rentierfleisch und sieht die leuchtenden Augen der Schlittenhunde in der Nacht...

Fazit:
Es geht um Vergewaltigung, um Viehdiebstahl, Raubschlachtung... Und Mord. Aber vor allem geht es um den Konflikt zwischen der archaischen Lebensweise der Samen und den modernen Vorstellungen von Recht und Moral. Man sollte ein reges Interesse an fremden Kulturen mitbringen, aber dann ist das Buch wirklich sehr lohnend und spannend!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Kiss & Crime, die Erste

Kiss & Crime 1 - Zeugenkussprogramm
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Es gibt Bücher, die machen einfach unheimlich viel Spaß, und man fühlt sich pudelwohl auf dem Lesesofa, während man die Seiten verschlingt, als wären sie Kartoffelchips. Sie lesen sich locker-leicht runter, ...

Es gibt Bücher, die machen einfach unheimlich viel Spaß, und man fühlt sich pudelwohl auf dem Lesesofa, während man die Seiten verschlingt, als wären sie Kartoffelchips. Sie lesen sich locker-leicht runter, die Charaktere findet man direkt super sympathisch, und man ertappt sich beim Lesen oft bei einem Lächeln.

"Zeugenkussprogamm" ist für mich so ein Buch!

Die Grundidee fand ich richtig witzig und süß. Emmy, ein Mädchen aus der Großstadt Berlin gerät mitten hinein in einen verwickelten Kriminalfall, und im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes werden sie und ihre Familie dann auch noch in ein winziges Kaff irgendwo in der Wallapampa verpflanzt. Kontakt zu den alten Freunden ist streng verboten, Facebook und andere soziale Medien sind tabu, für den Gebrauch des Handys gibt es auf einmal tausend Verhaltensregeln - zum Beispiel sind Selfies jetzt ein absolutes No-Go. Das einzige Highlight ist der Personenschützer Pascal, der Emmys Herz schnell zum Flattern bringt, aber auch das ist verboten.

Emmy mochte ich von der ersten Seite an sehr gerne. Sie ist witzig, clever und einfach nett. Ok, zwischendurch benimmt sie sich mal wie eine kleine Zicke, aber da sie da gerade schwer unter Druck steht und auch noch an ihren Gefühlen für Pascal rumknabbert, fand ich das verständlich und verzeihlich! Sie hat mich oft zum Lachen gebracht.

Auch Pascal hat mir gut gefallen. Auf mich wirkte er erfreulicherweise gar nicht so machohaft, wie das im Klappentext angedeutet wird! Absolut kein Bad Boy, in meinen Augen. Er hat einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, was er als Personenschützer wohl auch muss, und ist noch sehr jung, weil er in der Schule dank seines fotographischen Gedächtnisses ein paar Klassen übersprungen hat.

Die Liebesgeschichte zwischen den beiden fand ich richtig niedlich!

Auch die anderen Charaktere fand ich schön geschrieben und interessant. Mein absoluter Lieblings ist Emmys Oma, die als Bestsellerautorin den lieben langen Tag heiße Liebesromane in ihr Diktiergerät spricht - und das oft in den unpassendsten Situationen. Einfach kostbar! Eins steht fest, Emmy muss niemand mehr aufklären...

Das Buch ist ein Krimi - aber ein harmloser, den man in meinen Augen auch jüngere Teens lesen lassen kann. Oft geht es mehr um Emmys Gefühlschaos als um den Kriminalfall, aber ich fand die Mischung aus Liebesgeschichte, Jugendbuch und Krimi sehr gelungen und auch spannend zu lesen. Mit dem Ende konnte mich die Autorin dann auch nochmal überraschen!

Den Schreibstil fand ich sehr ansprechend und gut zu lesen. Die Geschichte wird uns von Emmy erzählt, locker und in saloppen Worten, und ich fand das sehr gelungen und sie klang für mich auch überzeugend wie ein echter Teenager.

Der Humor ist einfach großartig. Ich könnte hier unzählige Stellen zitieren!

ZITAT:
Mit einem verunglückten Lachen wandte sie sich an mich. 'War das erste Mal, das jemand auf mich geschossen hat. Ich glaube, ich habe mir gerade vor Angst in die Hose gepinkelt.'
'Ich auch', sagte ich.
'Ist doch super', meinte Sarah. 'Damit haben wir jetzt für den Rest unseres Lebens was gemeinsam.'

Fazit:
Ein witziger Jugendkrimi mit ordentlich Humor, ein bisschen Liebe und vielen bunten, liebenswerten Charakteren - für mich das ideale Sommerbuch für die Hängematte, auch für ältere Leser!

Veröffentlicht am 12.09.2019

Originell, frech, abgründig

Hinterhaus
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Im zarten Alter von 18 Jahren geht die hübsche Caro wegen ihrer chronischen Rückenschmerzen zum Orthopäden. Sie hat sich mit ihrer hässlichsten Unterwäsche gewappnet, dem fiesen alten Mann mal wieder begegnen ...

Im zarten Alter von 18 Jahren geht die hübsche Caro wegen ihrer chronischen Rückenschmerzen zum Orthopäden. Sie hat sich mit ihrer hässlichsten Unterwäsche gewappnet, dem fiesen alten Mann mal wieder begegnen zu müssen – stattdessen sieht sie sich Jens gegenüber, seinem attraktiven jungen Nachfolger. Kurze Zeit später sind sie zusammen. Caro schmeißt die Schule und richtet sich bequem in einem Luxusleben als Prämie am Arm von Jens ein.

Sie hat keinen Schulabschluss. Sie hat keine Bildung. Sie hat keine Ambitionen. Sie fällt aus allen Wolken, als sie 16 Jahre später vom Yoga nachhause kommt und feststellen muss, dass Jens die Wohnung in ihrer Abwesenheit komplett ausgeräumt und sich aus dem Staub gemacht hat. Kurze Zeit später ist sie auch noch ihren Minijob los.

In ihrer Verzweiflung kommt Caro bei einer Nachbarin unter, die sie eigentlich gar nicht kennt: Mandy aus dem Hinterhaus. Wenige Tage später verwüstet jemand Mandys Bad – und Caro findet in den Trümmern den Schädel eines Jugendlichen, der seit 20 Jahren vermisst wird.

Caro ist eine echte Antiheldin.

Als Leser kann man manchmal nur den Kopf schütteln. Es ist allzu offensichtlich, dass Caros Gehirn nach vielen Jahren der Stagnation in einem bequemen Leben geradezu eingerostet ist. Wie sie spricht, wie sie handelt, wie sie andere Menschen betrachtet – das ist oft so primitiv, dass man schmerzlich berührt zusammenzucken will.

Kacke (wird 19 Mal erwähnt) und Kotze (47 Mal!) und Pisse (5 Mal). Für mich hätte man die unappetitlichen Verdauungsvorgänge gerne auch mal verschweigen können.

Eigentlich ist Caro ganz und gar nicht bewundernswert. Eigentlich wehrt sich sich nach Kräften dagegen, sich zu ändern. Dennoch funktioniert sie als Protagonistin, irgendwie – ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht mit ihr. Und irgendwann erreicht sie endlich den Punkt, an dem sie anfängt, nachzudenken.

„Ich bin es satt, nichts zu wissen. Nichts zu verstehen von dem, was um mich herum geschieht.“
(Zitat)

Dabei behilflich ist ihr Adrian, der während ihrer abrupt beendeten Karriere als Radiostimmchen ihr Recherche-Assistent war – allerdings nur widerwillig und keineswegs ohne Hintergedanken. Er hat Ambitionen, sich mit einem Bericht über diesen rätselhaften Mordfall als Journalist zu etablieren.

Caro und er können sich gegenseitig nicht ausstehen, aber beide wollen den Mordfall aufklären und raufen sich daher zusammen. Adrian ist ein großartiger Charakter, gerade weil er das genaue Gegenteil von Caro ist: nicht sonderlich gutaussehend, aber intelligent und ehrgeizig.

Und nein, das läuft erfreulicherweise nicht auf eine Liebesgeschichte zwischen den beiden hinaus.

Nach und nach begegnet man den anderen Bewohnern des Hauses und stellt fest: wirklich normal ist da keiner, und mehr als einer hat Geheimnisse. Henry zum Beispiel, Caros beste Freundin, die mit einem selbsternannten Guru zusammenlebt und sehr unerfreuliche Dinge verschweigt.

Es gibt immer mehr Handlungsstränge, von einer geordneten Ermittlung kann keine Rede sein. Manchmal verheddert sich der rote Faden irgendwo. Kein Krimi, wie man ihn gewohnt ist – und ist es überhaupt ein Krimi, oder eher eine Milieustudie? Merkwürdig faszinierend ist es so oder so.

Es wird immer schräger, und das schreibt die Autorin in einem großartigen, einmaligen Stil. (Obwohl ich, wie gesagt, auf die Fäkalsprache hätte verzichten können.)

Aufgrund von Caros mangelnder Bildung und ihrer rüden Art ist natürlich auch der Schreibstil nicht hochliterarisch. Aber genauso, wie Caro für mich als Protagonistin funktioniert, funktioniert auch ihre Art und Weise, alles ungefiltert von sich zu geben. Das zieht den Leser mitten hinein in ihre Welt und man merkt: so dumm, wie sie manchmal wirkt, ist sie gar nicht. Sie spricht durchaus mit Witz und Selbstironie, auch wenn sie das oft wieder zunichte macht mit einer sehr unbedachten Aussage.

Manchmal haben ihre Gedanken lichte Momente, in denen die Sätze eine starke Prägnanz entwickeln:

„Und während ich noch wach werde, auf der Luftmatratze in Henrys kleiner Küche, während das Morgengrau durch das vergitterte Fenster kriecht und der Kühlschrank brummt, während ich noch versuche, zu verstehen, wo ich bin, was geschehen ist, während ich eigentlich noch ganz leicht schwebe zwischen Schlaf und Erwachen, kommt die Erinnerung. Sie ist eine Keule, die mich niederschlägt. Ein einziger Rumms, und der Schmerz ist da. So groß.“
(Zitat)

Sehr interessant fand ich, dass auch ernste Themen angesprochen werden, wie Wochenheime in der DDR oder Alkoholismus und zerüttete Familien.

FAZIT

Caro hat sich bequem eingerichtet in ihrem Leben als Freundin eines heißen jungen Orthopäden. Sonst hat sie nichts: keine Ausbildung, nicht mal einen Schulabschluss – und nicht die geringste Absicht, das zu ändern. Dann ist sie jedoch Freund, Wohnung und Luxusleben mit einem Schlag los, kommt bei der geheimnisvollen Mandy im Hinterhaus unter und findet in deren Badezimmer einen mumifizierten Schädel.

Das ist unglaublich schräg, und Caro ist eine Antiheldin, wie sie mehr Anti kaum sein könnte. Auch die Sprache ist derb und spart nicht mit Fäkalsprache. Aber das Buch entwickelt auf mich trotz allem eine ungeheure Sogwirkung, und über eine Fortsetzung als Reihe würde ich mich sehr freuen.

Veröffentlicht am 17.07.2018

Familiengeheimnis, Buchhändlerfehde und Liebesgeschichte

Die Frauen von Ballycastle
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Dieser Roman ist nicht nur was fürs Herz, sondern einfach maßgeschneidert für Vielleserinnen

Fina Ramsay ist eine Heldin, mit der man als Bücherwurm nur mitfiebern kann.

Bücher sind ihr ein und alles, ...

Dieser Roman ist nicht nur was fürs Herz, sondern einfach maßgeschneidert für Vielleserinnen

Fina Ramsay ist eine Heldin, mit der man als Bücherwurm nur mitfiebern kann.

Bücher sind ihr ein und alles, die eigene Buchhandlung war seit jeher ihr Lebenstraum. Man kann ihren Zorn und ihre Verzweiflung daher nur allzu gut verstehen, als die Kunden reihenweise abwandern in den lieblosen ‘Buch-Supermarkt’ schräg gegenüber.

Aber sie hat nicht vor, sich kampflos geschlagen zu geben, und so schreibt sie dem Filialleiter Liam McClary eine gepfefferte Email nach der anderen, auf die er mit gelassenem Amüsement reagiert – was sie erst recht auf die Palme bringt. Und so witzig das oft ist, desto traurig ist der Grund für den herrlichen Schlagabtausch.

Leider ist es im echten Leben ja oft so, dass die inhabergeführte Kleinbuchhandlung einfach nicht mithalten kann mit den großen Ketten, die zehnmal so viele Bücher vorrätig haben können.

An dieser Stelle ein Appell: gebt kleinen Buchhandlungen eine Chance!

Jedenfalls ist Fina eine großartige Heldin: eine starke Frau, die für ihren Traum kämpft, die aber auch Schwächen hat, die sie menschlich und glaubhaft machen. Die größte davon ist sicher, dass sie sich gemütlich eingerichtet hat in ihrem Leben und weder Spontanität noch Abenteuer in irgendeiner Form zulässt. Außerdem fällt sie manchmal sehr schnell Urteile und lässt dann verbohrt lange nicht davon ab!

Auch ihr Gegenspieler Liam ist ein wunderbarer Charakter, der natürlich nicht vollends Finas Feindbild entspricht. In manchem hat sie allerdings recht: ihm fehlen Finas Herzblut und ihre Leidenschaft für die Literatur. Gerade deswegen sind die beiden aber sehr interessante Protagonisten, die sich gegenseitig dazu bringen, eine große persönliche Entwicklung durchzumachen.

Es geht jedoch nicht nur um den Kleinkrieg zwischen Fina Ramsay und Liam McClary.
Die Geschichte nimmt Fahrt auf und wird spannend, als Fina in den Sachen ihrer Alzheimer-geplagten Großmutter einen rätselhaften, unvollständigen Brief findet. Klar ist nur, es muss ein Geheimnis geben, das die Familien Ramsay und McClary miteinander verbindet – ausgerechnet. 1970 ist in Nordirland irgendetwas passiert, und Fina ist sich sicher: das muss der Grund sein, warum ihre Großmutter immer so unglücklich wirkte…

Fina fasst den Entschluss, das Geheimnis aufzudecken, um ihrer Großmutter für ihren Lebensabend möglicherweise noch etwas Glück zu schenken.

Die Beziehung zwischen Großmutter und Enkelin ist so herzerwärmend wie tragisch, denn immer öfter erkennt die alte Frau Fina gar nicht mehr. Die Autorin nimmt sich des Themas Alzheimer mit viel Feingefühl an, und so gesellt sich zu Spannung (und später Romantik) auch ein gewisser Tiefgang.

Apropos Romantik: die Liebesgeschichte fand ich sogar als bekennender Romantikmuffel richtig schön.

Gerade durch die Mischung zwischen Spannung, Humor und ernsten Themen wird es in meinen Augen nie zu kitschig. Überhaupt fand ich den Schreibstil sehr angenehm, locker-flockig und flüssig zu lesen, dabei aber nicht platt oder klischeehaft.

Sehr interessant und spannend fand ich auch die Einblicke in das Leben in Irland zu Beginn der ‘Troubles’, der gewalttätigen Konflikte des großen Nordirlandkonflikts. (Am Ende des Buches findet man dazu noch weitere Informationen!)
Auch dieser Hintergrund trägt zum Tiefgang der Geschichte bei und rundet die Liebes- und Familiengeschichte ab.

FAZIT
Was als witzige Fehde zwischen zwei Buchhändlern beginnt (Fina: Inhaberin einer unabhängigen Buchhandlung, Liam: Filialleiter einer großen Kette), stellt sich schnell als Geschichte eines Familiengeheimnisses heraus, das zurückführt ins Jahr 1970 in Nordirland – und damit die eskalierende Gewalt des Nordirlandkonflikts.

Trotz des zeitgeschichtlichen Hintergrunds und anderer ernster Themen wie Alzheimer ist “Die Frauen von Ballycastle” auch ein echtes Wohlfühlbuch mit einer schönen Liebesgeschichte.