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Veröffentlicht am 12.09.2019

Gablé ohne Waringhams

Das Haupt der Welt
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Rebecca Gablé hat sich wieder einmal aus ihrer "comfort zone" - den Waringham-Romanen - begeben und sich einem neuen Sujet zugewandt: den Ottonen bzw. Liudolfingern, einem sächsischen Adelsgeschlecht, ...

Rebecca Gablé hat sich wieder einmal aus ihrer "comfort zone" - den Waringham-Romanen - begeben und sich einem neuen Sujet zugewandt: den Ottonen bzw. Liudolfingern, einem sächsischen Adelsgeschlecht, das von 919 bis 1024 deutsch-östfränkische Könige bzw. deutsche Kaiser hervorbrachte. Für mich war diese Dynastie in den Nebel einer sehr fernen Geschichte eingetaucht, ich hatte mich nie wirklich mit dieser Zeit befasst. Umso gespannter war ich natürlich was Frau Gablé daraus machen würde. Ihr gelingt es ja immer hervorragend fiktive Figuren in den Dunstkreis von historischen Persönlichkeiten einzubetten und so die Geschichte erzählerisch aufzupeppen. In diesem Fall sind die rein fiktiven Figuren nur im Bereich der Nebenfiguren zu finden, die Protagonisten haben tatsächlich alle historisch gelebt. Das Fiktive findet sich hier wie so oft bei historischen Figuren vor allem in den Charakterprofilen, die Gablé ihren Figuren zuschreibt. Gerade im Fall von Otto I. gibt es wohl viele unterschiedliche Sichtweisen, Gablé sagt sogar dass über kaum einen anderen Herrscher "so viel Blödsinn" (S. 853) geschrieben wurde wie über ihn.
Sein Antagonist und gleichzeitig Pendant ist der slawische Fürstensohn der Heveller, Tugomir, ebenfalls eine historisch existente Figur, über die allerdings nur sehr wenig bekannt ist. Er ist die Hauptfigur des Romans.
Am Anfang der Geschichte stehen das Massaker an den Daleminzern (den Slawen des ostfränkischen Reiches), die Affäre von Tugomirs Schwester Dragomira mit Otto, die dynastischen Überlegungen Heinrichs I. zu seiner Nachfolge, die Gefangennahme bzw. Geiselnahme Tugmomirs und sein Dasein als Heiler der feindlichen Sachsen - eine bizzare Situation, mit der die Autorin auch wunderbar spielt. Die Figuren entwickeln sich im Laufe des Romans, kommen in Konfliktsituationen, verlieben sich (natürlich vor allem in Personen, in die sich sich eigentlich nicht verlieben dürfen), leben mit Aufstieg und Verlust - ein Schema wie es fast jeden Gablé-Roman auszeichnet. Dabei zentriert sich alles um Tugomir und sein Leben in der Gefangenschaft der Sachsen.
Ich finde das historische Setting gut - es bringt einem die Zeit um 900 n. Chr. nahe, die Glaubenskämpfe zwischen Christen und Heiden, die Sitten und Bräuche und Glaubensansichten der Letzteren. Wo wenige Jahrhunderte später das Christentum sich in seiner Aufspaltung untereinander bekämpft sind, sehen wir hier eben die Auseinandersetzung zwischen denen die an einen christlichen Gott glauben und denen die es eben nicht tun. Die Heiden sind die, die bekehrt werden müssen - was im Buch auch eine ganz große Rolle spielt. Die christlichen Figuren schwanken dabei zwischen intoleranten Glaubenskämpfern und Figuren wie Otto, die zwiegespalten sind wie sie mit dem Heidnischen umgehen. Am Beispiel von Tugomir wird gezeigt wie die Christen und vor allem ihre royalen Vertreter immer wieder von ihm als gelehrtem Heiden und seinen medizinischen Kenntnissen profitieren. Er ist der Heiler schlechthin und als Person sicher am Interessantesten - wie es sich eben für einen Protagonisten gehört. Das Christentum ist für ihn zunächst eine lächerliche Religion, die die heidnischen Stämmen ausrottet. Außerdem sind die biblischen Geschichten für ihn absurd. Tugomir wartet darauf dass ihm der christliche Gott - sofern es ihn denn gibt - beweist, dass er allmächtig ist...
Die Story an sich und die erzählte Handlung im Ganzen - nun ja, ich finde sie sehr durchwachsen. Starke Charaktere, ja, die schafft Frau Gablé auch dieses Mal. Tugomir und Otto sind zwei Figuren, die ihre Stärken und Schwächen haben und dennoch etwas besonderes sind. Auch Personen wie Dragomira und Thankmar, Wilhelm und Editha etc. pp. sind von ihren Persönlichkeiten her spannend - keine Frage!
Die Bösewichte Gero und Henning (einer der Brüder Ottos) sind durch und durch böse - und das kommt in der Handlung auch immer wieder zum Vorschein. Meines Erachtens hat Frau Gablé hier etwas zu viel Gewalt ins Spiel gebracht - aber das ist Geschmacksache.
Im Großen und Ganzen ist die Geschichte an sich meiner Meinung nach etwas zu schwach um die Länge des Buches zu tragen. Ich hatte bei nur wenigen Passen das Gefühl dass die Story mich fesselt. Teilweise ist es mir schwer gefallen dran zu bleiben, obwohl ich wie gesagt das Personal des Romans spannend fand und auch den historischen Hintergrund. Zum Schluss nimmt die Geschichte dann noch einmal etwas an Fahrt auf - aber wie gesagt, es ist schwer über den sehr langen und nur mäßig spannenden Mittelteil zu kommen.
Dass Rebecca Gablé hier wieder mal einen perfekt recherchierten und gut erzählten historischen Roman abgeliefert hat ist ununmstitten, allerdings rechtfertigt sich hier die Länge von 864 Seiten angesichts der nicht richtig ausgewogenen Story nicht wirklich.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Von Engeln und Männern

Für immer und eh nicht
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Die Idee ist für mich nicht neu, dass die Protagonistin in einem Frauenroman mit ihrem Traummann und der damit verbundenen Realisierung ihrer kühnsten Träume zu konfrontieren. Das hat bereits Alexandra ...

Die Idee ist für mich nicht neu, dass die Protagonistin in einem Frauenroman mit ihrem Traummann und der damit verbundenen Realisierung ihrer kühnsten Träume zu konfrontieren. Das hat bereits Alexandra Potter in "Be careful what you wish for" (dt. "Träumst du noch oder küsst du schon?") gemacht. Bei Heike Wanner kommt der besagte Traummann aber nicht aus dem Nichts wie bei Potter, sondern aus dem Himmel und hat damit eine quasi göttliche Legitimation, den Segen "von oben". Dies bringt allerlei heitere Situationskomik mit sich: das himmlische Organisationskommitee, dessen Mitglieder nur allzu menschliche Charakterzüge haben, die (moderne) Kommunikation (per Mobiltelefon) des Engel-Mannes mit diesem etc.

Die Protagonistin Theresa erlebt in diesem Roman, wie fatal es sein kann wenn Wünsche, an deren Erfüllung man doch nie geglaubt hat, plötzlich Realität werden und wie schön es doch ist ein bisschen Menschlichkeit in einem Mann verkörpert zu sehen. "Nobody is perfect und das ist auch gut so" könnte die Botschaft lauten, die dieser heitere Frauenroman - den man übrigens flugs durch hat - zu vermitteln sucht.

Der Verlauf der Geschichte ist ziemlich vorhersehbar: Theresa trifft in einem Südafrikaurlaub den Mann, der ganz allein für sie mit himmlischer Macht konzipiert wurde: Raphael von Hohenstein (39), Graf, Millionär, Schloss- und Pferdebesitzer, der dazu auch noch höllisch gut aussieht - und das obwohl es sich hier um einen Engel handelt (das weiß Theresa zu Anfangs natürlich nicht). Das Interesse wächst und Theresa fühlt sich mit diesem Mann wie in ihren eigenen Traumvorstellungen...dass das alles doch nicht das Gelbe vom Ei ist, dass ein bisschen Eigenständigkeit, Witzigkeit und Charakter bei einem Mann durchaus attraktiv sein können merkt sie, als sie Harald, den Polizistenkollegen ihres Bruders bei der Umbauhilfe im Haus ihrer Elter näher kennenlernt. Plötzlich ist es nicht mehr Raphael, der durch seine Perfektion glänzt sondern der "echte" Mann Harald, zu dem sie sich hingezogen fühlt...

Wie das Ganze ausgeht lässt sich zwar erahnen, aber es macht trotzdem Spaß Theresa auf ihrem Weg zum (wahren) Glück zu begleiten. Ab und an hätte ich mir ein bisschen mehr witzige Begebenheiten mit Raphael gewünscht. Seine plötzliche Obsession für das Pokern habe ich auch nicht verstanden, denn wenn er Theresa für ihren Nenn-Onkel versetzt verhält er sich ja alles andere als perfekt, aber naja. Ich gebe für diesen vergnüglichen Sommerroman dennoch 4 Sterne, denn er hat mich gut unterhalten-wie es sein soll.

Veröffentlicht am 06.09.2019

"Murmeltier" mal anders!

Die Insel der besonderen Kinder
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Jakob ist ein ganz normaler amerikanischer Teenager, der ein wenig schüchtern ist und sich ansonsten wenig Sorgen um die Zukunft machen muss, weil er durch die Drogeriemarkt-Dynastie seiner Familie finanziell ...

Jakob ist ein ganz normaler amerikanischer Teenager, der ein wenig schüchtern ist und sich ansonsten wenig Sorgen um die Zukunft machen muss, weil er durch die Drogeriemarkt-Dynastie seiner Familie finanziell abgesichert ist und dies auch wahrscheinlich immer sein wird. Sein Leben gerät aus den Fugen als sein 85jähriger Großvater Abraham, genannt Abe, auf geheimnisvolle und brutale Weise ums Leben kommt und ihm als Vermächtnis seine geheimnisvollen letzten Worte hinterlässt: er soll den Vogel suchen, hinter dem Grab, die Schleife, 3. September 1940.

Nach vielen Psychotherapien beschließt Jacob mit seinem Vater – der Hobby-Ornithologe ist – auf eine kleine Insel neben Wales aufzubrechen, auf der sein Großvater als polnischer Flüchtling vor den Nazis Teile seiner Jugend verbracht haben soll. Dort nehmen die Ereignisse ihren Lauf: Jacob trifft auf Miss Peregrine und ihre Flüchtlingskinder, die aussehen wie die mysteriösen Kinder mit besonderen Fähigkeiten auf den Fotografien seines Großvaters. Sie sind in einer Zeitschleife gefangen und erleben den 3. September 1940 immer und immer wieder, um nicht den Bomben der Deutschen zum Opfer zu fallen. Immer mehr gerät Jacob in ihren Sog und erfährt bald, dass auch er etwas „Besonderes“ ist…

Nach der Lektüre des Klappentextes hatte ich erwartet Schauer und Grusel zu empfinden beim Lesen des Romans. Diese Erwartung hat sich nur sehr bedingt bestätigt. Das Buch spielt zwar mit Fantasyelementen (Zeitreise, außergewöhnliche Begebenheiten etc.), ist aber vom Gruselfaktor her kein Stephen King-ähnlicher Roman. Er changiert gekonnt zwischen dem sachlichen Erzählstil des Ich-Erzählers und dem Eindruck der bizarren Geschichte, die dieser erlebt. Wie Jacob aus seinem eintönigen Leben wird auch der Leser aus der Geschichte rausgerissen, um einen Blick auf die Fotos zu werfen, dieselben Fotos, mit denen auch Jacob konfrontiert ist. Dies schafft eine enge Verbindung zwischen Leser und Ich-Erzähler, mit dem er quasi gemeinsam auf die Suche nach den „besonderen Kindern“ und ihrer Betreuerin geht. Das macht den Roman multimedial, man kann ihn sowohl visuell als auch durch den Text begreifen. Intertextuell ist er durch die Referenz auf die Werke Ralph Waldo Emersons, die Jacob helfen, den Sinn der letzten Worte seines Großvaters nachzuvollziehen.

Alles in allem ist dieses Buch spannend, mystisch und gelegentlich auch beunruhigend, weil es den Leser dazu herausfordert, Schein und Sein nicht als Entsprechungen zu sehen. In der Welt, in die Jacob eintritt ist nichts wie es scheint, nicht mal auf die Konstante „Zeit“, die bisher berechenbar schien, ist mehr Verlass.

Im Roman geht es auch um die Angst und ihre Etikettierung sowie um die Frage: Heilt die Zeit alle Wunden oder eben doch nicht? Bei Abraham, der noch im hohen Alter von den „Monstern“ aus seiner Vergangenheit verfolgt wurde, scheint dies nicht der Fall zu sein, während die Kinder von Miss Peregrine durch ihr „Immer-wieder-erleben“ des gleichen Tages mit der Zeit abgestumpft sind und den Bombenangriff nur noch als alltägliches Schauspiel erleben. Auch Emmas Gefühlen, die in Abraham Zeit ihres Lebens verliebt gewesen ist, scheint die Zeit nichts anzuhaben-im Gegenteil: durch Jacobs Erscheinen wird alles wieder aufgewühlt.

Ich finde diesen Roman sehr spannend und empfehle ihn allen, die gerne den Dingen auf den Grund gehen, nichts für selbstverständlich nehmen und als Leser abenteuerlustig sind. Dieses Buch und seine Geschichte(n) kann man nicht so schnell vergessen und man fragt sich beständig: kann es eine Parallelwelt in der Zeit wirklich geben. Werden Zeitreisen irgendwann möglich sein- oder: sind sie es etwa längst?

Zum Schluss ist noch zu sagen, dass der Roman wohl in erster Linie jugendliche Leser ansprechen soll. Nicht nur der Protagonist und die im Titel erwähnten „Kinder“ sind jung, sondern auch der Sprachstil ist einfach zu erfassen und somit für junge Leser besonders geeignet. Es ist eine „Coming-of-Age“-Initiationsgeschichte, die hier erzählt wird.

Veröffentlicht am 06.09.2019

Facetten der Paarbeziehung vor Meereskulisse

In diesem Sommer
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Romane die am Meer spielen haben immer ein besonderes Flair, sie sind symbolisch und metaphorisch aufgeladen, wobei es meistens irgendwie um Erinnerung, Vergessen und Veränderung, aber auch um die Fixpunkte ...

Romane die am Meer spielen haben immer ein besonderes Flair, sie sind symbolisch und metaphorisch aufgeladen, wobei es meistens irgendwie um Erinnerung, Vergessen und Veränderung, aber auch um die Fixpunkte im Leben geht. Das Meer bietet eine perfekte Folie für den doch meist sehr ohnmächtigen Menschen, der sich angesichts dieser natürlichen Übermacht der Konstanz den Veränderungen des Lebens nicht entziehen kann.

Auch in „In diesem Sommer“ von Veronique Olmi ist das nicht anders. Der Fixpunkt ist in diesem Fall ein Datum und ein Ort: der 14 Juli, der französische Nationalfeiertag, den Denis und Dominique seit 16 Jahren mit ihren Kindern und Freunden in ihrem Ferienhaus in der Normandie, in einem kleinen Ort am Meer feiern.

Drei Paare werden dem Leser vorgestellt und diese drei Paare befinden sich in jeweils anderen Stadien ihrer Beziehung. Die Besitzer des Hauses, Denis und Delphine, beide um die Fünfzig, sind gerade dabei ihre Liebe ad acta zu legen – sie werden sich trennen. Trotz dem Reichtum, den sie im Laufe ihrer Ehe angehäuft haben, sind sie miteinander nicht mehr glücklich. Sie wissen beide, dass sie sich neu orientieren werden und müssen.

Marie und Nicholas (ebenfalls im selben Alter – Nicholas war mit Denis auf der Schule) hingegen lieben sich nach wie vor wie in jungen Jahren und das obwohl Marie in ihrem Job als Schauspielerin nur noch Großmutterrollen angeboten bekommt und der fünfundfünfzigjährige Nicholas Hüftprobleme hat wie ein alter Mann und von Depressionen geplagt wurde.

Lola, eine ehemalige Kriegsberichterstatterin, ist jedes Jahr mit einem anderen Mann zu Gast – dieses Mal mit Samuel, der mit 26 fünfzehn Jahre jünger ist als sie: dieses Paar repräsentiert die frische, die junge & euphorische Liebe und auch die, die von der Gesellschaft eben nicht als konventionell akzeptiert wird.

Dann gibt es noch Jeanne und Alex, die Kinder von Denis und Dominique, die im Teenageralter sind und ihre Freunde mitgebracht haben sowie Dimitri, einen Zwanzigjährigen, den Samuel in den Dunstkreis der Freunde eingeführt hat und der Nicholas bedrohlich und unangenehm bekannt vorkommt…

Ich habe dieses Buch geradezu verschlungen, man kann es an einem Stück „weglesen“, denn es hat einen ganz besonderen Rhythmus: wie das Meer. Man fühlt sich beim Lesen als würde man die leise schwankenden Bewegungen der Protagonisten wie Wellen schwappen hören, ihre Gedanken und Gefühle vor sich hin plätschern. Ich finde es faszinierend dass die Sicht der einzelnen Personen abwechselnd wiedergegeben wird. So wird das Wellen-Meeres-Feeling noch etwas unterstrichen.

Es werden in diesem Roman ganz existentielle Fragen gestellt: was ist Glück, was bedeuten Freundschaft, Geld und Liebe? Was bedeutet es für ein Leben Eltern, Freund oder Lebenspartner von jemandem zu sein?

Die Nacht spielt auch eine große Rolle im Roman. Sie ist die Zeit, in der man sich ausruhen oder feiern sollte und in der die Konflikte und Probleme des Tages eine viel größere Wirkung entwickeln. In der Nacht passiert dann auch das, was man in dem Buch den Handlungskatalysator nennen könnte – kurz vor Schluss hört das Plätschern auf und – metaphorisch gesprochen – ein „Sturm“ zieht auf über dem Meer, der Szenerie, die bisher vor allem von den leisen Problemen der Protagonisten bespielt wurde.

Dieses Buch ist einfach ein wundervoller Roman voller Gefühl und Menschlichkeit, der die Enttäuschungen, aber auch die Freuden und den Mehrwert des Lebens wie ein Bild auf Leinwand festhält.

Veröffentlicht am 27.01.2021

Die Leiden des jungen Timurs

Die Erfindung des Dosenöffners
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Eine westfälische Kleinstadt unserer Gegenwart: Der frische “Twen” Timur Aslan hat es nicht leicht. Der zwanzigjährige Deutschtürke möchte Journalist im großen Stil werden, sitzt aber in der ...

Eine westfälische Kleinstadt unserer Gegenwart: Der frische “Twen” Timur Aslan hat es nicht leicht. Der zwanzigjährige Deutschtürke möchte Journalist im großen Stil werden, sitzt aber in der Lokalredaktion des "Westfälischen Anzeigers" fest, das Volontariat in der Hauptredaktion in der benachbarten größeren Stadt scheint unerreichbar. Eine große Story muss her, um seinem langweiligen Heimatort Steinfeld und dem Elternhaus, das nach dem Tod der Mutter nur noch aus ihm und seinem nach Autos verrückten Vater besteht, den Rücken zu kehren. Die Geschichte der Seniorin Annette, die von sich behauptet den Dosenöffner erfunden zu haben, soll sein Sprungbrett werden. Doch ihre Begegnung mit der älteren Dame löst etwas in Timur aus und er wird nachdenklich: Ist beruflicher Erfolg wirklich alles im Leben?

Die Probleme, die ein junger Mensch Anfang zwanzig in unserer modernen Welt der unendlichen Möglichkeiten hat, werden anhand des Protagonisten Timur exemplarisch dargestellt. Er stellt sich die Frage, die sich wahrscheinlich fast alle seiner Altersgenossen stellen: Wohin mit mir und meinen Fähigkeiten und was sind diese überhaupt? Der selbstverständliche Umgang mit den sozialen Medien und die das Selbstbewusstsein - vor allem junger Menschen - gefährdende Eigenschaft derselben werden im Roman thematisiert. Das vermeintlich perfekte Leben der anderen wird zum Richtschwert des eigenen kümmerlichen Daseins. Timur wird im Laufe der Handlung feststellen, dass nicht alles echtes Gold ist, was in den sozialen Medien so vor sich hin glänzt.

Humortechnisch hat mir der Einstieg in das Buch sehr gut gefallen. Wie der Alltag in der kleinen Redaktion beschrieben wurde und die Daseinsberechtigung des Lokaljournalismus, die auf tönernen Füßen steht, das hat bei mir für einige Schmunzler gesorgt. Auf die Dauer der Handlung hin gesehen konnte das Buch aber meines Erachtens den Humor-Standard des Anfangs nicht halten. Überhaupt plätscherte die Handlung vor sich hin und blieb an einigen Punkten sehr vage. Ich mag es zum Beispiel überhaupt nicht, wenn in einem Roman nicht erwähnt wird welchen Monat oder zumindest welche Jahreszeit wir haben. Aber das ist vielleicht ein persönlicher Spleen von mir. Der groß angekündigte Roadtrip mit Annette war eher ein “Tripchen”. Wobei wenn ich gewusst hätte, dass es in diesem Buch wieder einen “generationenübergreifenen Roadtrip” gibt, hätte ich es nicht gelesen. Das Thema ist nämlich für mein Empfinden ausgelutscht bis zum Gehtnichtmehr.

Man sollte dieses Buch also lesen, wenn…

...man Anfang 20 ist und auf Sinnsuche
...man beim Plot-Element "generationenübergreifende Freundschaft mit Roadtrip" leuchtende Augen bekommt und das Buch "Marianengraben" mochte
...man schon immer mal mehr über Lokaljournalismus wissen wollte
…man sich für die Entstehungsgeschichte des Dosenöffners und seine Unterarten interessiert
...man ein(e) Bekannte(r)/Freund(in)/Verwandte(r) des Autors ist (ich beziehe mich hier auf eine Szene im Buch, in der Timur behauptet dass nur obige Bezugspersonen einer Person, die in einem lokaljournalistischen Zeitungsartikel vorkommt, diesen lesen würden)
...man auf den Humor des Autors steht

Aus allen anderen Gründen würde ich die Lektüre von "Die Erfindung des Dosenöffners" getrost anderen überlassen.

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