Subtile Spannung bis in die Haarspitzen!
Worüber wir schweigenDas Debüt von Michaela Kastel „So dunkel der Wald“ habe ich leider noch nicht gelesen. „Worüber wir schweigen“ konnte ich mir aber nicht entgehen lassen.
Nina kehrt in ihren Heimatort zurück, den sie ...
Das Debüt von Michaela Kastel „So dunkel der Wald“ habe ich leider noch nicht gelesen. „Worüber wir schweigen“ konnte ich mir aber nicht entgehen lassen.
Nina kehrt in ihren Heimatort zurück, den sie zwölf Jahre lang gemieden hat. Ihre damaligen Freunde Tobi und Mel wissen nicht, was ihre Rückkehr zu bedeuten hat. Man merkt ihnen die Anspannung direkt an, die Ninas plötzliche Anwesenheit erzeugt. Finstere Erinnerungen und Geheimnisse stehen zwischen der Clique von damals. Nina selbst scheint jedoch auch in dunkle Gedanken gehüllt. Was hat sie vor?
Die Handlung wird durch drei verschiedene Erzähler wiedergegeben: Nina, Tobi und Gregor (Ninas Vater). Dabei erstreckt sich die Handlung auf die Jahre 1997 bis 2019. Durch Zeitsprünge und verschiedene Perspektiven deckt man beim Lesen nach und nach einzelne Puzzleteile auf und offenbart das tragische Gesamtbild der damaligen Ereignisse. Jede Figur verbirgt dabei etwas vor den Anderen. Jede Kleinigkeit in diesem Roman war bedeutsam und hatte die Macht das Gesamtbild in ein anderes Licht zu rücken. Großartig. Die Zeit- und Perspektivenwechsel wirkten einfach stimmig und gaben dem Buch das gewisse Etwas. Ich persönlich mochte den Stil sehr und hatte keinerlei Probleme mich in der Handlung zurechtzufinden.
Ich mochte auch die einzelnen Erzähler alle – egal wie kaputt sie waren. Jeder wirkte auf eine eigene Art und Weise faszinierend auf mich.
Nina, die schon immer bekam, was sie vorgab zu wollen. Die krankhaft abhängige Freundschaft zwischen Mel und ihr: Trotz der negativen Energie wirkte ihr Band unheimlich stark. „Wie soll ich denn gut ankommen, wenn du mir die Show stiehlst? Noch deutlicher wäre es höchstens, wenn du gleich mit einem Free-Fucks-Schild durch die Gegend läufst!“ S. 117 (Mel zu Nina)
Tobi: nie richtig wahrgenommen und von allen oft unterschätzt, seit Kindheitstagen emotional zwischen diese beiden Frauen. „Ständig bin ich irgendwo dazwischen – dümple mit Halbmast wehender Loser-Flagge zwischen den Gezeiten umher und finde kein Ufer, das mich anlegen lässt“. S. 95 (Tobis Gedanken)
Gregor, der in einer kaputten Ehe lebt, unfähig ist, sich aus ihr zu befreien, unfähig seiner Tochter zu helfen, die wenigstens ein Elternteil als Anker gebraucht hätte. Das Buch ist einfach voll von schicksalhaften Begegnungen und falschen Entscheidungen.
Michaela Kastel hat in „Worüber wir schweigen“ ein unglaubliches Talent dafür bewiesen, durch die Gefühlswelten ihrer Protagonisten eine subtile Spannung zu erzeugen. Allein in ihrer Schreibweise schwingt immer etwas Düsteres und Bedrückendes zwischen den Zeilen, das jedoch kaum zu greifen ist. Es sind die vielen kleinen Puzzleteile, die Andeutungen, die die Autorin gut zu platzieren weiß, die dieses Buch spannend machen. Ein Thriller, frei von Blut vergießen oder jeglichen Gewaltdarstellungen. Allein durch das Aufzeigen von menschlichen Abgründen schafft sie es eine Gänsehaut zu erzeugen.
Ich war also – wie man sieht – vollends begeistert von diesem Buch und habe es in zwei Tagen durchgelesen. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es Leser/innen gibt, die das Buch nicht als Thriller einstufen würden. „Worüber wir schweigen“ enthält viel Dramatik, viel Tragik, aber wenig Action und (wie bereits erwähnt) keine Gewalt. Von mir gibt es aber eine klare Leseempfehlung für diesen Roman über Eifersucht, Hass, mentale und körperliche Abhängigkeiten, kaputte Beziehungen, Liebe und Rache. Wer in menschliche Abgründe abtauchen möchte, wird hier bestens unterhalten.