Scheisse, das könnte passieren!
Die Hungrigen und die SattenDeutschland, in eventuell ein paar Jahren: Deutschland hat die Obergrenze für Flüchtlinge eingeführt und Europa hat sich komplett abgeschottet, um keine Flüchtlinge mehr aufnehmen zu müssen. Nur noch sehr ...
Deutschland, in eventuell ein paar Jahren: Deutschland hat die Obergrenze für Flüchtlinge eingeführt und Europa hat sich komplett abgeschottet, um keine Flüchtlinge mehr aufnehmen zu müssen. Nur noch sehr wenige können sich die wahnsinnig hohen Kosten für die Schlepper leisten, und so gibt es viele große, elende Flüchtlingslager und unzählige Menschen ohne Perspektive. Einer dieser Flüchtlinge, er nennt sich Lionel, hat in einem der größten Lager eigentlich nichts außer Zeit, und so kommt ihm eine Idee. Was wäre, wenn man einfach zu Fuß nach Europa, genauer gesagt Deutschland, läuft?
Als dann ein Trash – TV – Fernsehteam mit einer vollkommen schrillen und überzeichneten Moderatorin, Nadeche Hackenbusch, in ebendieses Camp kommt, um dem deutschen Fernsehzuschauer das Elend vorzuführen, kommt Lionel durch ein Casting als ihr Begleiter ins Fernsehen und wird mit ihr Zusammen zum Publikumsliebling. Als die beiden dann, auch über sehr amüsant dargestellte Verständigungsprobleme hinweg, ein Paar werden, ist seine Chance gekommen. Er schlägt ihr seine Idee vor, und sie ist begeistert. So macht sich bald eine riesige Flüchtlingskaravane auf den Weg nach Deutschland, und schnell wird die gut geplante Reise zu einer Gelddruckmaschine für einige. Bald fragen sich auch die Politiker und Menschen in Deutschland, ob das nicht wirklich klappen kann. Und ob das so gut wäre. Und ob man etwas dagegen tun muss. Und während sich viele Leute viele Fragen stellen, kommt die Karavane immer näher. Ein dramatisches Ende kündigt sich an.
Stil, Machart, Meinung
Wer vielleicht schon „Er ist wieder da“ gelesen oder gesehen hat, der weiß: Bei Timur Vermes gibt es knallharte Satire, gleichzeitig böse, komisch, überspitzt, radikal und auch irgendwie aktuell. So ist es auch hier, denn dem Leser wird schnell klar: So komisch die Geschichte beginnt und so überspitzt die handelnden Personen auch sind – das alles ist von der Realität nicht so weit entfernt, wie man es gern hätte. Es könnte irgendwie tatsächlich passieren.
Durch viele Perspektiven erzählt der Autor seine Geschichte. Da wäre der Flüchtling Lionel, das extravagante TV – Sternchen Nadeche, die von sich sehr überzeugte Klatschreporterin Astrid, der clevere Innenminister, der schwule Staatssekretär und die Frau vom Innenminister. Zwischen den Perspektiven gibt es immer mal die Artikel in der Klatschpresse, die total überzogen das Geschehene auf typischem Niveau berichten.
Alle diese Perspektiven haben so ihre Eigenheiten, alle sind komisch aber auch mit diesem bekannten wahren Kern, der einem schnell bewusst wird. Als Leser wird man wohl fast keinen dieser Charaktere so richtig mögen. Die Sympathie gehörte in meinem Fall eher der Organisation dieser riesigen Sache und den realen Hintergründen, die man hinter der Satire ausmachen konnte.
Damit man so richtig den Überblick behält und die Satire erkennt, sollte man in den Bereichen Politik und Allgemeinbildung einigermaßen fit sein. Ich denke, ohne dieses Hintergrundwissen sowie Interesse in diesen Bereichen wird man keinen Spaß an der Lektüre haben. Es dürfte auch etwas mehr Spaß machen, wenn man etwas Englisch kann (die Moderatorin spricht ein furchtbares Englisch, was ganz witzig ist). Es ist also gehobene Satire, die wohl nicht für jeden etwas sein wird. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei, wie man sich wohl schon denken kann, auf der Flüchtlingspolitik. Je näher man als Leser dem Ende kommt, desto mehr Gedanken macht man sich über die ganze Sache.
Ich will das Ende nicht spoilern, aber ich sage Folgendes: Es ist krass! Man weiß schon von Anfang an, dass am Ende eine Konfrontation steht. Die Spannung steigt. Ich habe jedoch niemals erwartet, was der Autor dann einfach getan hat. Und der Schock saß verhältnismäßig tief. Ich habe das Buch jetzt schon seit ein paar Wochen beendet, brauchte aber etwas Zeit, um den Inhalt vor einer Rezension erst einmal sacken zu lassen. Es ist nicht nur Unterhaltung und Satire, es macht etwas mit dem Leser und es ist irgendwie erschreckend nah an der Realität. In den letzten Tagen musste ich oft an dieses Buch denken, als ich von der Karavane der Mexikaner in Richtung der USA las.
Fazit
Ich musste lange überlegen, wie ich dieses Buch überhaupt finde. Heute gibt es nach dieser reiflichen Überlegung 5 Sterne von mir. Das Buch wird nicht für jeden so gut sein, viele werden sich vielleicht angegriffen fühlen oder mit dem Humor nicht zurechtkommen. Ich jedoch weiß, dass mir dieses Buch sehr lange in lebhafter Erinnerung bleiben wird. Beim Lesen habe ich einige Emotionen durchlebt, es war lustig, radikal, erschreckend und am Ende verflucht real. Die überspitzte Darstellung der verschiedenen Charaktere und das dramatische Ende, an dem dann der Humor auch versiegt, zeigt einem auch im Nachhinein noch vieles auf. Es ist ganz anderes und kann wohl auch mehreren Genres zugeordnet werden. Ungewöhnliche, gute Unterhaltung und (das habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben!) sogar der Mut, eine Lösung der Flüchtlingsproblematik vorzustellen!