Profilbild von Viv29

Viv29

Lesejury Star
offline

Viv29 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Viv29 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.09.2019

Geruhsam erzählte Reise zu sich selbst

Gestern ist ein ferner Ort
3

"Gestern ist ein ferner Ort" hat mich durch Klappentext und Leseprobe gleich interessiert. Wir lernen Celia kennen, die nach einem Schlaganfall im Koma lag und nun unter partieller Amnesie leidet. Celia, ...

"Gestern ist ein ferner Ort" hat mich durch Klappentext und Leseprobe gleich interessiert. Wir lernen Celia kennen, die nach einem Schlaganfall im Koma lag und nun unter partieller Amnesie leidet. Celia, das erkennen wir sofort, ist eine energische und intelligente Dame, die bislang offenbar selbstbestimmt und erfolgreich gelebt hat. Nun von ihrer Umwelt, insbesondere ihrer Tochter Paula, wie eine Invalidin behandelt zu werden, geht ihr verständlicherweise gegen den Strich. Sehr schön wird uns im ersten Teil des Buches geschildert, wie Celia und Paula umeinander herumschleichen, beide nicht so recht wissen, wie sie mit der neuen Situation und ihrer neuen Beziehung miteinander umgehen sollen. Paula verpaßt Celia eine ganze Reihe an Vorschriften und wie der Klappentext schon verrät: sie verschweigt ihrer Mutter etwas und hat auch Celias Umfeld sogfältig instruiert. So rennt Celia ständig gegen Wände, als sie nach ihren Erinnerungen sucht.

Es werden zahlreiche Andeutungen gemacht, daß es ein dunkles Geheimnis gibt und daß Celia in den Jahren vor ihrem Schlaganfall eine ganz andere Person war, als wir sie nun erleben. Eine mysteriöse Jugendfreundin wird erwähnt, ein seltsam abwesender Sohn, Familienzwiste und noch vieles mehr. Gebannt begab ich mich mit Celia auf diese Reise und wurde mit jeder Andeutung gespannter, was sich da alles aufdecken würde.

Vorweg muß ich schon sagen, daß ich am Ende dieser Reise doch ein wenig enttäuscht war. Die meisten der Andeutungen verpuffen im Laufe der Geschichte und viele Punkte, zu denen ich gerne wesentlich mehr erfahren hätte, werden nicht weiter erwähnt oder nur im Vorbeigehen behandelt.

Letztlich geht es nämlich gar nicht so sehr um diese Geheimnisse, um Celias vorheriges Selbst, sondern das Buch ist eine Art innerer Reise Celias zu sich selbst, zu ihrer Vergangenheit, zu ihr wichtigen Menschen. Hier hat mich der Klappentext leider etwas in die Irre geführt und meine Erwartungen nicht völlig getroffen.

Die Sprache des Autors ist ausgezeichnet. Klar, wohlformuliert, oft poetisch. Auch die Übersetzung ist gut. Celia als Charakter ist gelungen, glaubhaft und vielschichtig, auch wenn mir leider am Ende noch zu große Lücken bzgl. ihrer vorherigen Persönlichkeit bleiben. Die anderen Charaktere sind wesentlich blasser als sie, kamen mir nur teilweise nahe.

Umgebungen und Atmosphäre sind hervorragend beschrieben. Man sieht die Terrasse, die Meeratmosphäre, die staubigen Landstraßen richtiggehend vor sich und spürt oft die herrschende Stimmung. Das zeugt von einem guten Blick für Details. Diese Detailliebe führt aber zugleich auch zu stilistischen Komponenten, die mir nicht zugesagt haben. Für mich nebensächliche Dinge werden ausführlich und wiederholt beschrieben. Die Bestandteile jeder Mahlzeit, teils banale Alltagsunterhaltungen und andere Dinge nehmen sehr viel Raum ein und konnten mein Leseinteresse nicht bannen. Celia entdeckt über ihre Enkelin ein Social Media Farmspiel, was als Idee an sich gut ist, um die Verbindung zwischen Celia und ihrer Enkelin, sowie Celias Möglichkeit, sich so in eine routinierte Beschäftigung zu finden, darzustellen. Allerdings wird das Spiel und dessen einzelne Schritte dann ständig viel zu ausführlich beschrieben - das wäre zum Vermitteln der Botschaft nicht notwendig gewesen.

Auf ihrer Reise zu sich selbst besucht Celia mehrere Menschen aus ihrer Vergangenheit. Das ist teilweise recht interessant, gerade wenn wichtige Punkte aus der Vergangenheit zur Sprache kommen, oder sie nach Jahrzehnten einen ihr wichtigen Menschen neu entdeckt. Oft bestehen diese Besuche aber aus Alltäglichem, aus vielen Details, die für mich für die Geschichte nicht notwendig waren. Diese Menschen erscheinen und verschwinden dann größtenteils wieder.

Während diese Dinge viel Raum bekommen, bleiben viele Punkte unerklärt oder kaum erklärt. Nachdem Celia relevante Themen aufdeckt, habe ich gespannt darauf gewartet, was nun geschieht, wie sie reagiert, wie sie sich fühlt. Es ging weiter mit Mahlzeiten, Farmspielen, Alltagsroutinen. Mir fehlte hier einfach sehr viel. Dafür werden einige neue "Baustellen" aufgemacht, deren Sinn sich mir nicht erschloß. Am Ende war ich enttäuscht, wie viele Andeutungen mich neugierig gemacht hatten und dann einfach in der Geschichte verschwunden sind. Die Gewichtung war nicht mein Fall.

Es kommt hier wirklich sehr darauf an, was man erwartet. Wer Wert auf stimmungsvolle Szenen, behutsames Erzähltempo, eine innere Reise teilweise ohne Antworten legt, wird dieses Buch genießen, denn es ist in dieser Hinsicht ausgezeichnet konzipiert und geschrieben. Mein Geschmack war es aufgrund der erwähnten Punkte leider nicht ganz, wobei ich doch froh bin, es kennengelernt zu haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Emotionen
  • Thema
Veröffentlicht am 15.09.2019

Schön erzählt, aber leider zu distanziert

Die Dame hinter dem Vorhang
0

Der Einband ist ein Traum, hochwertig gestaltet, wie überhaupt das Buch eine visuelle und haptische Freude ist. Solche liebevoll gestalteten Bücher sind wirklich etwas Besonderes und hier ist alles, bis ...

Der Einband ist ein Traum, hochwertig gestaltet, wie überhaupt das Buch eine visuelle und haptische Freude ist. Solche liebevoll gestalteten Bücher sind wirklich etwas Besonderes und hier ist alles, bis hin zu Muster auf dem Vorsatzblatt, wirklich gelungen.

Das interessante Konzept dieses Buches ist es, daß uns das Leben der Lyrikerin Edith Sitwell durch ihr - fiktives - Dienstmädchen Jane und deren Mutter Emma erzählt wird. Eine 1964 in den letzten Tagen Edith Sitwells spielende Rahmenhandlung führt durch das Buch, in diversen Rückblicken reisen wir dann durch Teile von Edith Sitwells Leben, ebenso wie durch das Leben von Jane und Emma. Die Rahmenhandlung empfand ich leider als sehr zäh - wenn Rahmenhandlungen eine eigene Handlung fehlt, kommt das schnell vor, denn hier beschränkt sich die Autorin nicht auf das Wesentliche, sondern ergeht sich in zahlreichen Details und belanglosen Dialogen. Diese Szenen waren für mich die große Schwäche des Buches.

Wudervoll dagegen ist der erste Teil der Buches, der Emmas Geschichte berichtet. Der Schreibstil liest sich leicht, beschreibt gut, gerade in diesem Abschnitt kann Veronika Peters eine herrliche "Upstairs Downstairs"-Atmosphäre hervorrufen und das englische Landsitzleben farbig beschreiben. Die Sitwells kommen hier nur am Rande vor, der Fokus liegt hier auf dem Leben der Dienstboten, was der Geschichte keineswegs schadet, fast im Gegenteil. Das ist richtig interessant und mir hat das Lesen hier viel Spaß gemacht. Wir erleben diese Welt durch Emmas zu Beginn noch kleinkindliche Augen und somit aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Wenn Ediths Eltern die Szenerie betreten, kommt einerseits ein neuer Reiz in die Geschichte, da wir reichlich Andeutungen erhalten, daß diese beiden - höflich ausgedrückt - ihre charakterlichen Besonderheiten haben. Andererseits merkt man aber auch schon den Nachteil der gewählten Erzählperspektive: wir erfahren nur das, was Emma oder Jane wissen und das ist, was alle Sitwells betrifft, nicht besonders viel. Emma und Jane betrachten von draußen, ausschnittsweise. So bleiben viele Fragen offen, viele interessante Aspekte unerzählt. Ein gutes Beispiel sind die sehr schön formulierten Sätze über Edith: "Sie kämpfte wie eine Löwin. Meistens gegen sich selbst. Aber auch darin war sie auf erschreckende Weise großartig." Das liest man, nimmt es zu Kenntnis und wünscht sich, es doch auch durch die Handlung unmittelbar zu erfahren. Ja, es gibt hier und da einige Hinweise, aber sie sind zu spärlich.

Das zieht sich leider durch das ganze Buch. Die 20er Jahre werden fast völlig übersprungen, obwohl es dort so viel zu berichten gegeben hätte. Wir erfahren über die Zeit zwischen Ediths Kindheit und ihrem 40. Lebensjahr nur kurz etwas in Anmerkungen, was ausgesprochen schade ist. Ab 1927 plätschert dann Janes Leben als Edith Sitwells Dienstmädchen recht unaufgeregt dahin. Die Gewichtung sagte mir oft nicht zu - viel Nebensächliches wird detailliert berichtet, viel Interessantes nur gestreift, gerade, was das Leben Edith Sitwells betrifft. Über 15 Seiten werden zB den ersten beiden Tagen Janes in Ediths Diensten gewidmet, davor wurde schon ihre Anreise nach London in genauen Details und auf mehreren Seiten geschildert. Wir sind bei einem Rundgang dabei, auf dem Jane allerlei alltägliche Informationen über Geschäfte, Einkäufe und Händler erhält. Diese Anreise und die o.e. 15 Seiten Haushaltsinformationen nehmen insgesamt genau so viel Platz ein wie die Jahre des Zweiten Weltkrieges, über die ich gerne viel mehr gelesen hätte. So ging es mir beim Lesen ständig - für mich wenig Relevantes wurde ausführlich beschrieben, die Kleidung und der Schmuck Ediths immer wieder detailliert aufgelistet, aber Dinge, über die ich gerne mehr gelesen hätte, werden für meinen Geschmack zu kurz gefaßt. Die Atmosphäre wird einigermaßen, aber nicht wirklich überzeugend eingefangen. Es ist alle recht anekdotisch und bleibt leider für mich zu sehr an der Oberfläche. Hinzu kommt, daß wir manche Ereignisse nicht direkt erfahren, sondern Jane uns berichtet, was ihr jemand berichtete. Das ist angesichts der gewählten Erzählperspektive wohl nicht anders machbar, aber dadurch bleibt die Distanz. Janes hingebungsvolle Verehrung Edith Sitwells konnte ich nicht nachvollziehen, da wir hier hauptsächlich eine dramatisch gekleidete Dame kennenlernen, die Unverschämtheit mit Orginalität verwechselt und sich für einzigartig hält. Inwieweit das begründet ist, erfahren wir kaum, denn Edith Sitwells Werk, ihre Kämpfe, ihre Gedanken erlesen wir erneut nur am Rande und per zweiter oder dritter Hand.

Angenehm ist der Schreibstil, der sich durchweg gut lesen läßt. Auch über Edith Sitwell und ihre Familie habe ich einiges erfahren, wenn auch weniger, als ich erwartet hatte. Die Vermischung des Schicksals von Emma & Jane sowie von Edith führte dazu, daß letztlich keiner der beiden "Seiten" genug Beachtung widerfuhr. Symptomatisch war hier für mich auch das Ende, an dem noch rasch und nebenbei eine Art Familiengeheimnis aufgedeckt wird, das für mich zur Geschichte überhaupt nichts beitrug. Insofern bot mir das Buch ein leider nur gemischtes Lesevergnügen.

Veröffentlicht am 13.08.2019

Zäher und negativer als gedacht, teilweise aber interessant

Tagebuch eines Buchhändlers
0

Von "Tagebuch eines Buchhändlers" habe ich mir schon aufgrund meiner eigenen Erfahrung als Buchhändler einiges versprochen, insbesondere hinsichtlich skurriler Kunden. Von der sehr minutiösen und oft repetitiven ...

Von "Tagebuch eines Buchhändlers" habe ich mir schon aufgrund meiner eigenen Erfahrung als Buchhändler einiges versprochen, insbesondere hinsichtlich skurriler Kunden. Von der sehr minutiösen und oft repetitiven Darstellung war ich letztlich ein wenig enttäuscht.

Der Einband ist ansprechend, die erleuchteten Fenster des dort gezeigten Buchladens wirken einladend und man findet auch im Buch erwähnte Details, wie die Buchsäulen vor dem Eingang dort wieder. So pittoresk wie auf dem Einband sieht der Laden allerdings - wenn man nach Fotos auf der Facebookseite und Beschreibungen im Buch geht - nicht aus. An manchen Stellen, die den Laden beschreiben, war ich schon etwas befremdet. Ich mag uralte verwinkelte Antiquariate, aber ob sich eine in einen Skianzug gewandete Verkäuferin an der Verkaufstheke dann unbedingt die Zähne putzen oder ein gegrilles Käsesandwich verzehren muß... Im Buch und wohl auch sonst wird die Karte "Wir sind ungewöhnlich, skurril und zudem unfreundlich" ziemlich oft ausgespielt. Unfreundlichkeit als USP - ja, das machen auch urige Kölsch- oder Ebbelwoikneipen ganz gerne. Getreu dieses Mottos blickt uns der Autor hinten im Umschlag dann auch recht resigniert-misanthropisch an.

Diese sorgfältig gepflegte Unfreundlichkeit ging mir im Buch ziemlich auf die Nerven. Der Autor ist vom Großteil seiner Kunden genervt, ebenso wie von seinen Angestellten und noch von diversen anderen Menschen. In manchen Fällen ist das durchaus verständlich. Einige der im Buch beschriebenen Kunden sind tatsächlich von unglaublicher Impertinenz, und das ist, wie ich aus Erfahrung sagen kann, gar nicht mal weit hergeholt. Aber der Autor ist auch von ganz normalen Menschen genervt. Er mokiert sich an einer Stelle, daß man ihm immer wieder die gleichen Fragen stellt, zB wie viele Buchläden es in der Buchstadt Wigtown gibt. Seine Empörung darüber, daß verschiedene Leute es wagen, über Jahre hinweg die gleiche Frage an ihn zu stellen, wirkt reichlich arrogant. Auch über Unwissen zu Autoren mokiert er sich gerne, erwähnt aber kurz danach, daß er über die meisten in seinen Regalen vertretenen Autoren kaum etwas weiß. Irgendwann stellt der Autor fest, daß er seine Mitmenschen eventuell nicht so schnell vorverurteilen soll. An dieser Stelle habe ich kräftig genickt, denn die ständige "alle blöd, außer ich"-Einstellung des Autors ist beim Lesen wirklich unangenehm.

Das Buch selbst liest sich recht leicht weg. Zwischen dem 5. Februar 2014 und dem 4. Februar 2015 hat fast jeder Tag einen Eintrag. Der Eintrag beginnt stets mit einer Angabe der Onlinebestellungen und davon gefundenen Bücher, endet mit einer Angabe des an dem Tag eingenommenen Geldes und der Anzahl der Kunden, die etwas gekauft haben. Das ermöglicht schon einen kleinen Blick hinter die Kulissen und es war interessant, daß jemand seine Zahlen so offen legt. Die Berichte zu den Tagen bieten ein recht weitgefächertes Spektrum aus Kundenbegegnungen, Erlebnissen mit Angestellten, Bekannten oder weiteren diversen Menschen, die in dem Laden ein und aus gehen. (Ich war teilweise überrascht, wer da so alles ein- und ausgeht und übernachtet). Dazu kommt ab und an eine launige Bemerkungen über einen ungewöhnlichen Buchtitel, das Wetter, die Ladenkatze und vieles mehr. An mehreren Stellen erfahren wir auch lokale Hintergrundinformationen und ein wenig zu dem Konzept des Buchdorfes und des Buchfestivals. Das liest sich am Anfang kurzweilig, gerade wegen der Vielfalt der Themen. Nach etwa der Hälfte des Buches stellt sich aber eine gewisse Langeweile ein. Dadurch, daß wirklich zu jedem Tag etwas berichtet wird, auch zu denen, zu denen es nichts zu berichten gibt, finden sich im Buch viele Wiederholungen, zähe Stellen und zum Thema völlig Irrelevantes. Wenn der Autor mit seiner Freundin ins Kino geht oder irgendwo mit Freunden ausgeht und uns extra berichtet, daß x und y - die weder vorher noch nachher je wieder erwähnt werden - auch anwesend sind, wenn wir stets erfahren, wann er seine Freundin zum Zug gebracht oder dort abgeholt hat, dann ist das für den Leser nicht interessant und hat mit dem Buchhandel nichts zu tun. Es hat schon seinen Grund, daß Tagebücher bei Veröffentlichung oft gekürzt werden.

Auch den Buchladenalltag hatte ich mir abwechslungsreicher vorgestellt. Es ist natürlich einerseits schön, daß wir einen umfassenden Einblick bekommen, der eben auch Routine umfaßt. Aber von den interessanten Kundenbegegnungen, auf die ich gehofft hatte (und denen es im Buchladenalltag reichlich gibt, darunter übrigens auch viele positive), wird wenig geschrieben, viele wiederholten sich. Der Fokus lag hier sehr auf "Kunde will weniger bezahlen, Kunde vergleicht Preise mit Amazon, Kunde räumt Bücher nicht wieder ein". Das ist ein sehr kleiner Teil des weiten Kundenspektrums, außerdem wurde überwiegend von unerfreulichen Kunden berichtet. Auch muß die Routine nicht unbedingt derart detailfreudig und repetitiv dargestellt werden. Die Bücherankäufe sind etwas interessanter und endlich auch einmal positiver. Hier gab es durchaus berührende Geschichten und ich habe mich auch immer gefreut, wenn von in Büchern gefundenen Notizen, Briefen uä berichtet wurde. Leider gab es auch sehr viel "Ich habe die Bücher durchgesehen, viel war nicht dabei, ich nahm x Kisten mit und bezahlte y Pfund dafür." Das liest sich nicht unbedingt interessant.

Darüber, wie so ein Buchladen nun zurechtkommt, erfahren wir leider auch wenig. Ein paar interessante Ideen sind dabei, aber angesichts der hohen Preise, die der Autor für Bücher, die ihn nicht begeistern, ständig bezahlt und angesichts des obskuren Sortierungssystems, aufgrund dessen sehr viele online bestellte Bücher nicht gefunden werden (= keine Einnahmen, dafür schlechte Bewertungen) bin ich schon überrascht, daß der Laden noch besteht. Der Autor ärgert sich zwar über das ganze Buch hinweg über seine Angestellten (die er fast durchweg inkompetent und respektlos findet, aber brav weiter beschäftigt), nimmt aber die Fehler, die ihn Einnahmen kosten, phlegmatisch hin. Das mag alles zum Unfreundlichkeits-Marketing gehören, aber auch hier hat der Leser beim Lesen irgendwann genug. Überhaupt merkt man Shaun Bythell wenig Freude am Beruf und auch nur vereinzelt Liebe für Bücher an. Er berichtet ab und an, was er gerade liest, kommentiert aber nur in zwei Fällen, wie ihm das Gelesene zusagt. Alles wirkt ein wenig lustlos, ein wenig trist.

Nachdem der mittlere Teil zäh und enttäuschend war, hat es der letzte Teil, mit einigen unterhaltsameren Informationen und Einblicken, manche sogar mal positiv, für mich wieder rausgerissen. Insgesamt las sich das Buch als netter Einblick mit breiter Themenvielfalt gut weg, wird keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Eine Kürzung der repetitiven und zähen Stellen, dazu mehr über Bücher und weniger über Paketepacken und herumliegende Schuhe, hätten das Lesevergnügen erheblich erhöht. So sind es ganz knappe 3,5 Sterne geworden.

Veröffentlicht am 01.08.2019

Geruhsamer Poirotfall mit amüsanten Charakteren

Das Böse unter der Sonne
0

In "Das Böse unter der Sonne" fahren wir mit Hercule Poirot in den Urlaub auf eine winzige Insel mit Hotel. Was Hercule Poirot, der weder dem Meer noch dem sich-Sonnen etwas abgewinnen kann, dort möchte, ...

In "Das Böse unter der Sonne" fahren wir mit Hercule Poirot in den Urlaub auf eine winzige Insel mit Hotel. Was Hercule Poirot, der weder dem Meer noch dem sich-Sonnen etwas abgewinnen kann, dort möchte, erschließt sich nicht ganz, aber seine entsprechenden Äußerungen zum Seegang uä sind wieder einmal typisch Poirot und durchaus amüsant.

Die anderen Hotelgäste sind eine ebenfalls amüsante Mischung, wenn auch ziemlich stereotype Abziehbilder ihrer selbst. Das gehört bei Agatha Christie aber auch irgendwie dazu und man muß ihr zugestehen - sie beschreibt diese Stereotype einfach herrlich.

Es läßt sich gemütlich an und nachdem der unvermeidliche Mord geschieht, geht es auch ausgesprochen gemütlich weiter. Ich mag diese klassischen Whodunits, nur hier wurden Verhöre und Unterhaltungen recht detailliert geschildert, und wenn immer wieder die gleichen Fragen gestellt werden, dann wird das auf Dauer etwas zäh. Das hätte man durchaus anders gestalten können, als den Leser mehrfach den gleichen Dialog mit wechselnden Gesprächspartnern lesen zu lassen.

Es gibt reichlich falsche Fährten und dann eine doch eher unerwartete und originelle Auflösung des Verbrechens. In bewährter Manier sammelt Poirot alle Anwesenden um sich und erläutert seine Überlegungen. Der Mordplan, den er hier aufdeckt ist, wie gesagt, originell, allerdings beruht er auf so vielen unsicheren Komponenten, daß man an der Plausibilität doch sehr zweifeln kann.

So ist "Das Böse unter der Sonne" ein gerade im Mittelteil ziemlich zähes Buch, dem es mE auch allgemein ein wenig an Spannung mangelte. Auf der erfreulichen Seite stehen dafür unterhaltsame Charaktere, herrlich britische Befindlichkeiten und eine originelle Auflösung.

Veröffentlicht am 06.07.2019

Heiterer anspielungsreicher Blick auf unsere Klassikergrößen im Jahre 2019

Unsterblichkeit ist auch keine Lösung
0

Der Gedanke, zu sehen wie mein verehrter Goethe in der heutigen Zeit zurechtkommt, ist sehr reizvoll und daß es eine hervorragende Buchidee ist, habe ich in "Anna und der Goethe" bereits erfreut bemerkt. ...

Der Gedanke, zu sehen wie mein verehrter Goethe in der heutigen Zeit zurechtkommt, ist sehr reizvoll und daß es eine hervorragende Buchidee ist, habe ich in "Anna und der Goethe" bereits erfreut bemerkt. Christian Tielmann geht diesen Gedanken von einem originellen Blickwinkel an - Goethe und Schiller machen keine Zeitreise, sondern sind einfach nicht gestorben und leben deshalb 2019 als rüstige Herren von 270 bzw 260 Jahren. Warum das so ist und warum manche Gefährten (die Ehefrauen, Cotta, Eckermann ua) ebenfalls noch leben, andere dafür nicht, wird leider nicht erklärt. Letztlich ist es aber auch nicht wirklich wichtig, man muß sich eben auf diese Idee einfach mal einlassen.

Und so begegnet uns Goethe zu Buchanfang auf dem Bahnsteig von Weimar, wo er auf den Regionalexpress und Schiller wartet. Ein gelungener Einstieg, der uns gleich in die Geschichte hineinführt und die notwendigen Hintergrundinformationen gut vermittelt. Wie dann Schiller in letzter Minute erscheint und wie unterschiedlich die beiden Geistesgrößen ihre Bahnreise angehen, das ist unterhaltsam und gut geschildert. Genau so könnte ich es mir vorstellen. Überhaupt hat Christian Tielmann meines Erachtens sowohl Schiller wie auch Goethe gut in die neue Zeit transportiert, die meisten Verhaltensweisen erscheinen mir absolut nachvollziehbar, oft habe ich innerlich mit dem Kopf genickt und gedacht: "Ja, genau so würde Goethe das heute angehen." Einige nette Text- und Zitatanspielungen finden sich auch immer wieder, und gerade Goethefans werden einige schöne Stellen finden. Schiller kam im Buch leider weniger vor, als ich es von einem "Goethe-Schiller-Desaster" (so der Untertitel des Buches) erwartet hätte. Wir erleben alles aus Goethes Sicht, das paßt auch gut, aber Schiller kommt irgendwie nur am Rande vor. Ich hätte mir viel mehr Interaktionen zwischen den beiden gewünscht.

Der Schreibstil ist eingängig und läßt sich sehr leicht lesen. Ich hatte das Buch als Geschenk einer lieben Freundin im Urlaub als Abendlektüre dabei und es war dafür auch genau richtig - von Stil und Inhalt her heiter-leicht, zum Lesen sehr entspannend. An wenigen vereinzelten Stellen fand ich einige Formulierungen ziemlich holprig, wie zB auf Seite 174: "Schiller stand auf: 'Wir sehen dich dann nachher bei der Lesung,' schlug Schiller vor." Dies sind aber wirklich nur Ausnahmen. Nicht so gut gefiel mir, daß es manchmal etwas platt wurde, so finde ich den Gag, daß Goethe von Kohlensäure rülpsen muß, einfach zu flach, versehentliche Rülpser waren vielleicht in den 1970ern noch etwas, was das Publikum zu Lachen brachte, und die dreimalige Verwendung von "Schiller, die Sau" war mir ebenfalls zu flach und wäre außerdem nichts, was Goethe (noch dazu wiederholt) sagen würde. Da hätten die Eigenheiten unserer Klassikerfreunde doch wesentlich geistvolleren Humor ermöglicht.

Interessant ist die Begegnung von Goethe und Schiller mit ihrem größtenteils jugendlichen Publikum in einer Welt, in der diese beiden Autoren (leider!) nicht mehr die Bedeutung haben, die ihnen früher zuteil wurde. Beide gehen im Buch ganz anders damit um, und auch hier habe ich innerlich oft genickt und mir gedacht, daß es sehr gut ausgearbeitet ist und ihren Persönlichkeiten entspricht. Man sieht an vielen Stellen, daß Christian Tielmann tiefgehendes Wissen über Goethe und Schiller hat und sich sorgfältige Überlegungen zu ihren Reaktionen und Gedanken gemacht hat. Es sind viele originelle Szenen enthalten. Die Lesungsszenen (unsere beiden Weimarer Größen sind auf einer Lesungstour) wiederholen sich leider manchmal doch ein wenig und an manchen Stellen hatte ich mir etwas mehr erwartet, aber ich habe an keiner Stelle das Interesse verloren und war immer gespannt, was ihnen als nächstes widerfährt und wie sie damit zurechtkommen. Auch die teils trostlose Welt der Kleinstädte, der veralteten Pensionen und oft desinteressierten Lesungsgastgeber war richtig gut einfangen.

Das Ende hat mir leider überhaupt nicht gefallen. Nachdem das Buch sich durch Humor und Leichtigkeit auszeichnete, war mir dieses Ende für den allgemeinen Tenor einfach zu viel, zu heftig. Es ging so weit weg von der Ausrichtung des Buches, daß es leider eben auch die Wertung stark beeinflußt hat. Die letzten Zeilen des Buches sind dagegen wieder sehr passend. Insgesamt kann ich das Buch durchaus empfehlen, weil man sich auf eingängige Art mit Goethe und Schiller beschäftigen kann, die Anspielungen und kleinen Zitate Spaß machen und unsere zwei Klassiker gut in die heutige Zeit transportiert wurde.