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Veröffentlicht am 19.09.2019

Ein ungewöhnlicher, packender Mix aus Horror- und Historischem Roman.

Die Träne der Zauberschen
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Nachdem ich vor zwei Jahren schon das Vergnügen hatte, durch die beiden Romane "Fünf Minuten - Ein Tagebuch" und "In Ewigkeit" des Autors mit Fragen nach dem Sinn des Lebens konfrontiert zu werden, insgesamt ...

Nachdem ich vor zwei Jahren schon das Vergnügen hatte, durch die beiden Romane "Fünf Minuten - Ein Tagebuch" und "In Ewigkeit" des Autors mit Fragen nach dem Sinn des Lebens konfrontiert zu werden, insgesamt aber leider nicht überzeugt werden konnte, starte ich mit Ian Cushings neustem Werk nun einen zweiten Versuch. Und durch "Die Träne der Zauberschen" ist es tatsächlich vollbracht: ich wurde vom "Lieblings-Nicht-Fan" zu einem echten Fan!


"Was bedeutet schon die Träne einer Zauberschen?"


Als ersten Punkt auf meiner Liste muss ich dieses bezaubernde Cover loben. Wie seine Vorgänger ist auch dieser Band in einem einheitlichen Schwarz gehalten, kunstvoll durchbrochen durch den weißen Titel und das goldene Motiv. Wieder hat der Künstler Karmazid, von dem die Illustration stammt, ein wirkliches Kunstwerk geschaffen. Die Zweiteilung in Vergangenheit und Jetzt, Schönheit und Abscheulichkeit, Leben und Tod, Unversehrt und Verbrannt umschlungen von Flammen, wallenden Haaren und einzelnen Sternen verdeutlicht die Ambivalenz und die Gegensätze, die im Roman immer wieder gegenübergestellt werden. Auch der Titel in Form einer Träne passt wunderbar ins Bild und macht neugierig. Einzig die starken Schnörkel, die die Leserlichkeit des Titels stark schmälert könnte man an der rundum gelungenen Gestaltung anprangern. Was ich ebenfalls noch hervorheben möchte ist, dass mein Printexemplar in passendem (!) Geschenkpapier, signiert und mit allerlei Goodies wie beispielsweise das Lesezeichen bei mir ankam. An dieser Stelle ein riesiges Lob an den Selfpublisher-Autor für das professionelle Auftreten, die zauberhafte Gestaltung und das qualitativ hochwertige Lektorat.


Erster Satz: "Sie treibt schwerelos in einem Ozean allumfassender vollkommener Dunkelheit, die es ihr unmöglich macht zu erkennen, ob sie ihre Augen geöffnet oder geschlossen hat und doch sieht sie immer wieder Bilder und Szenen aus dem Leben anderer Menschen."


Mit diesen Worten steigen wir in einen kleinen Prolog ein bevor wir im ersten von 17 Kapiteln den ersten Handlungsstrang des Romans nähergebracht bekommen. Wir lernen die herzensgute, wunderschöne und fromme Barbara kennen, die mit ihrem Mann Friederich und ihrer sechsjährigen Tochter Grete in Pfüeln im Jahr 1611. Die Bäckerfamilie lebt glücklich und genügsam in dem kleinen Dorf bis der Teufel in der Haut von Bannrichter Justus Arbiter Einzug hält und Zwietracht sät. Die kluge Barbara mit ihrem Kräuterwissen wird schnell zur Zielscheibe für Anschuldigungen, sie sei eine Hexe und als sich dann auch noch eine Freundin gegen sie stellt, wird der unschuldigen Frau einen grausamen Scheinprozess gemacht. So müssen wir zusehen, wie sie durch Verleumdung und Verrat vom rechten Weg abkommt...


"Vielleicht sind die Kinder näher an der Wahrheit als die Erwachsenen."


Was das mit den drei Freunden Dirk, Marcus und Jan zu tun hat, die in der Gegenwart im beschaulichen Pfuhlenbeck leben, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Je besser wir die drei Familienväter jedoch kennenlernen, desto mehr Parallelen tauchen auf und als dann auch noch eine geisterhafte Erscheinung Rache für 400 Jahre alte Willkür und Grausamkeit fordert, wird klar, worauf die Geschichte hinauslaufen wird. Das scheinbar vorhersehbare Grundgerüst wird dann jedoch durch etliche spannende Details und Überraschungen aufgepeppt, sodass keine Langweile aufkommt. Der Beginn zieht sich zwar durch die ausführliche Einführung in Barbaras Leben im 17 Jahrhundert und die detaillierte Beschreibung der jeweiligen Lebensumstände von Jan, Dirk und Marcus (auch genannt "der Verstand, das Herz und die Hand") ein wenig hin, die Einteilung in kurze Unterkapitel und die ständig wechselnden Erzählperspektiven halten Spannung und das Tempo jedoch hoch.


"Wann?", hauchte er. "Wer weiß?", lautete ihre lakonische Antwort und als würde der Wind die Asche eines heruntergebrannten Lagerfeuers in alle Himmelsrichtungen verteilen, verlor sich ihre Gestalt in einem Wirbel aus Asche und Funken.
Unglauben. Gewissheit. Fantasie. Wahrheit. Nun wusste Jan endlich, was Angst bedeutet."


Auch die Sprache Ian Cushings kann wieder überzeugen. Er schreibt ruhig und niveauvoll und schildert nicht etwa blumig oder ausschweifend sondern sehr sachlich, klar, direkt und realistisch die Geschehnisse. Über die leichte Distanz, die sich durch den eher kühlen Stil ergibt, war ich angesichts der teilweise sehr brutalen und schonungslosen Szenen sehr froh. Ansonsten umrahmen intelligente Anspielungen und innovativen Sprachbilder diese Geschichte, die so viel in ihren knapp 500 Seiten beinhaltet: Drama, Philosophie, Mystery, Grusel und Thriller-Elemente - die Geschichte ist facettenreich und so wird sie auch präsentiert. Durch die geschickte Verknüpfung der beiden Handlungsstränge erhalten wir einen Roman, der sowohl historischer Roman als auch Gruselgeschichte ist. Es geht um Vorurteile, Hetze und Verfolgung von Hexen, es geht jedoch auch um drei Familienväter, die ihre Frauen und Kinder gegen eine unheimliche Geistererscheinung verteidigen müssen, um eine Freundschaft, die über Generationen verbindet. Dabei wird der ältere Handlungsstrang keineswegs nur dazu verwendet, den jüngeren zu erklären sondern steht ihm gleichwertig gegenüber und dient vor allem dazu, uns die tragische Figur Barbaras näherzubringen. Mit jedem Zeitwechsel wechselt Barbara vom Held zum Antiheld und wieder zurück, werden Sympathie und Mitleid angesichts ihres Leids und Angst und Unverstehen angesichts ihrer Taten gegenüber gestellt, bis man als Leser irgendwann versteht, dass diese Kategorien hier eigentlich gar nicht so wichtig sind.

Und das ist die wahre Stärke des Romans: die ambivalenten, authentischen Figuren, mit denen man einfach mitfiebern muss - damals wie heute. Es geht nicht so sehr um gruselige Effekte und große Dramatik, hier stehen die Charakterstudie und die Hintergründe des Handelns der Figuren im Vordergrund. Dieser Roman ist gruselig ohne blutrünstig zu sein, nachdenklich ohne ins lahm philosophierende abzurutschen und spannend ohne unnützes Drama zu benötigen. Und so schreibt sich Ian Cushing mit dieser tragischen Geschichte von Ungerechtigkeit und Vergeltung an der breiten Leserschaft vorbei, direkt in mein Herz.


"Engel, Geister, Seelen, die in unsere Welt eindrangen. Oder vielleicht immer in unserer Welt um uns waren. All das wollte er für möglich halten. Warum nicht? Sehr lange war die Menschheit fest davon überzeugt gewesen, dass die Erde eine Scheibe wäre. Und genauso gut konnte man sich in der Annahme irren, dass es keine Spiritualität gab."


Besonders interessant ist auch der geheimnisvolle Dialog, zwischen zwei sich liebevollstreitenden Instanzen, die das Geschehen kommentieren. Damit regt der Autor zum Nachdenken an, ohne die "großen" Fragen nach Gott oder Teufel, Gut oder Böse oder andere Kategorien klar zu beantworten. Lenkende Mächte, das Schicksal, Gerechtigkeit, Rache, Magie, Historie, Vergebung, Liebe, Hass, Frieden und Angst - der ungewöhnliche, packende Mix, der entsteht, lässt sich nur schwer einem genauen Genre zuordnen.
Das Ende überrascht und bricht erstmal aus dem erwarteten Muster aus. Der hinten angestellte Epilog dreht das Szenario dann aber nochmal, sodass ich mir wünschte, die Geschichte hätte einfach zehn Seiten früher geendet - mit Hoffnung und nicht mit einem mulmigen Gefühl. Alles in allem trübte also nur der recht langsame Beginn das Bild.




Fazit:


Ian Cushing schreibt sich mit dieser tragischen Geschichte von Ungerechtigkeit und Vergeltung an der breiten Leserschaft vorbei, direkt in mein Herz. Drama, Philosophie, Mystery, Grusel und Thriller-Elemente - hier entsteht ein ungewöhnlicher, packender Mix aus Horror- und Historischem Roman.

Veröffentlicht am 12.07.2019

Originell, kurzweilig, temporeich erzählt und vor allem: erfrischend anders!

Userland – Berlin 2069
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Vom Kurzgeschichten-Experte Uwe Hermann bin ich bislang schon in den Genuss der Kurzgeschichtensammlung "Der Raum zwischen den Worten" gekommen, welche mich uneingeschränkt überzeugen konnte. Als er mit ...

Vom Kurzgeschichten-Experte Uwe Hermann bin ich bislang schon in den Genuss der Kurzgeschichtensammlung "Der Raum zwischen den Worten" gekommen, welche mich uneingeschränkt überzeugen konnte. Als er mit einem brandneuen Science-Fiction-Thriller bei mir anklopfte, musste ich natürlich zusagen. Und wieder war das eine gute Entscheidung: "Userland - Berlin 2069" entpuppte sich als rasanter Thriller voller verrückten Ideen, kurzweiliger Action, wendungsreichen Handlungssträngen und leiser Ironie.

Das Cover ist ganz in düsteren Violett- und Blautönen gehalten und zeigt eine futuristische Version Berlins aus der Vogelperspektive. Dichte Wolken hängen unheilschwanger über den Spitzen der Wolkenkratzer und aus einer Explosion erhebt sich ein Kopter im Vordergrund. Grundsätzlich ist die Gestaltung was Motive und Stimmung angeht sehr passend gewählt. Leider sieht es für mich viel zu sehr nach Trash-Sci-Fi aus, sodass ich mir nicht sicher bin, ob ich in einer Buchhandlung danach gegriffen hätte. Auch beim Titel bin ich nicht zu Hundert Prozent zufrieden. Vor "Userland", welches zwar futuristisch klingt, sich mir aber die direkte Bedeutung für die Handlung nicht erschließt, wären mir mindestens 5 passendere Titel eingefallen. Ich hätte die Geschichte wohl eher nach einem der wichtigen Schlagworte wie "Sphäre" oder "Goliath" genannt. Ansonsten sammelt die Gestaltung durch die Liste der vorkommenden Personen im Anhang deutlich Pluspunkte und auch die kurzen Kapitel mit der einheitlichen Formatierung haben mir gut gefallen.

Erster Satz: "Noah Lloyd klammerte sich an seine Bierflasche und sah den zwei gewaltigen Brüsten zu, die im Schein greller Neonlichter unentwegt vor seinem fenster auf und ab wippten."

Aha, dachte ich nach diesem ersten Satz. Aha, wie sympathisch. Noah Lloyd, der in einem abgewrackten Appartement in einer üblen Wohngegend im heruntergekommenen Berlin des Jahres 2069 lebt, hat seit seine Frau im Dienst erschossen wurde, niemanden mehr, wenn man von Yin und Yang absieht (das sind die zwei Brüste, die in riesiger Videoprojektion vor seinem Fenster schweben um Kunden für einen Nachtclub anzulocken). Nach dem Transfer seiner Frau in die sogenannte Sphäre - eine perfekte, virtuelle Kopie der Stadt, in der Menschen als 3D-Projektionen weiterleben können - fehlt ihm das Geld, um ihr nachfolgen zu können und so begnügt er sich mit dem Ausblick aus seinem Fenster und billigem Bier. Doch als ihm nach einem Anschlag auf seine Arbeitsstelle Goliath mehrere Morde angehängt werden, verliert er selbst das letzte Bisschen Normalität und muss vor einer Verschwörung fliehen, deren Wurzeln tiefer in der Realität und in der Sphäre verankert sind, als er es sich vorstellen kann...

Schon von Beginn an legt Uwe Hermann ein haarsträubendes Tempo vor und wirft den Leser in das dystopische Berlin, das vom Klimawandel, Kriminalität, Drogen, Prostitution und vor allem dem Wunsch nach einem Neuanfang, dem Neuanfang in der Sphäre, gezeichnet ist. Hier gibt es fliegende Autos, man bleibt durch Empathiephones in Verbindung, schaut auf Multimediatapeten Nachrichten, bezahlt mit Eurobits und die Stadtwerke regeln (wenn auch nicht besonders zuverlässig) das Wetter. Die interessanteste Neuerung im Jahre 2069 ist jedoch die Sphäre, die von den Gründern Salomon Engel und Armin Zeidler entworfen wurde und seitdem Hunderttausenden Menschen ein neues Leben abseits von Krankheit und Kriminalität ermöglicht hat. Zumindest sagen das die Werbekampagnen. Da die Regierung der Stadt den Transfer von sogenannten Essenzen in die Sphäre sowie der Kontakt über Twin-Cafés verboten hat, lässt sich das nicht mehr überprüfen und so wissen die hoffenden Hinterbliebenen nichts von Softwarefehlern, -ausfällen und der strikten Eintönigkeit der Computer-generierten Welt. Durch die Augen von Noah Lloyds Frau Rena dürfen wir einige Kapitel dieser haarsträubenden Geschichte in der Sphäre verbringen und die "Fehler in der Matrix" (an einigen Stellen musste ich tatsächlich immer wieder an diesen Science-Fiction-Schinken denken) hautnah erleben.


"Die werden uns töten." Jannes sagte kein Wort, aber sein Gesicht spiegelte seine Angst wider. "Was machen wir jetzt?", flüsterte Lloyd. Nathan zuckte mit den Schultern. "Na was schon? Wir versuchen zu überleben."


Leider bleibt uns auf den knapp 300 Seiten nicht viel Zeit um mehr als einen kurzen Blick auf das Berlin 2069 und das Leben in der Sphäre zu erhaschen. Uwe Hermann hat es aber geschafft, sein Setting zu mehr als nur einer spannenden Kulisse zu machen und die Absurditäten seiner Welt mit leisem Humor in den Mittelpunkt seiner Geschichte zu stellen. Besonders gut gefallen hat mir, dass der typische Humor seiner Kurzgeschichten die eher ernste Geschichte durchzieht wie ein leises Schmunzeln und immer wieder kleine Insiderwitze und kecke Ironie durchblitzen. Beispielsweise ist im Jahr 2069 der Berliner Flughafen immer noch nicht fertig gestellt und eine gewaltige Herde Einhörner des Computer-Spiels "World of Unicorns" spielt eine tragende Rolle. Ein weiteres Highlight bilden die abgefahrenen Kapitelüberschriften, die immer wieder Lust machen, gleich zum nächsten Kapitel zu greifen. Auch sonst schreibt er zielstrebig, flüssig und mit leisem Witz, sodass die Seiten nur so dahin fliegen.

Wunderbar ist auch, dass neben wilden Verfolgungsjagden, heftigen Explosionen und gefährlichen Schießereien auch spannende Geheimnisse, Verschwörungen und erstaunlich gut durchdachte Wendungen die Spannung einheizen. Vor allem in der letzten Hälfte des Buches, wo die Überlagerungen von Sphäre und Realität ein ums andere Mal meine Vorstellungskraft überstieg, nimmt jedoch der sehr cineastische Showdown überhand und es gibt kaum eine Seite auf der keine Roboter-Einheit herumballert, keine Schaltfläche brennend abstürzt oder eine Handgranate explodiert. Umso spannender sind die Auflösung am Ende und das Finale, welches absichtlich einige Fragen ungeklärt lässt.


"Scheint draußen immer noch zu regnen"; sagte er mit einem Blick auf ihre durchnässte Kleidung.
Nathan verzog das Gesicht. "Als stünde eine Sintflut bevor"
"Zeit wer es. Diese Welt ist im Arsch: Umweltverschmutzung, korrupte Politiker, Massenarbeitslosigkeit, Kriege und ein immer noch nicht fertiggestellter Flughafen."


Wer mich leider nicht wirklich überzeugen konnte war der Protagonist Noah Lloyd. Leider wird er in all dem Handlungsdurcheinander und im futuristischen Berlin nur recht oberflächlich gezeichnet und auch wenn man mit ihm mitfiebert, konnte ich ihn nicht wirklich ins Herz schließen. Besser behagt haben mir da seine ungleichen Begleiter, die sich im Laufe seiner Flucht um ihn scharen: eine katzenliebende Sekretärin, ein virtuelles Squad-Team, ein Millionär im falschen Körper, ein schmächtiger Hacker, ein riesiger Polizist, eine südkoreanische Großfamilie und ein Nachtclubbesitzer werden zu den heimlichen Helden dieser abstrusen Geschichte.



Fazit:


Ein rasanter Science-Fiction-Thriller voller verrückter Ideen, kurzweiliger Action, mit einem wilden Haufen an Protagonisten, wendungsreichen Handlungssträngen und leiser Ironie.
Originell, kurzweilig, temporeich erzählt und vor allem: erfrischend anders!

Veröffentlicht am 11.07.2019

Ein Thriller der Extraklasse: atmosphärisch, beklemmend, vielschichtig und subtil spannend!

Das Haus am Rand der Klippen
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Auch wenn ich schon mehrere ihrer Bücher verschenkt habe, hatte ich bislang noch nicht das Vergnügen eines von Lucy Clarkes Büchern selber zu lesen. Das sollte sich ändern, als der Piper Verlag mir als ...

Auch wenn ich schon mehrere ihrer Bücher verschenkt habe, hatte ich bislang noch nicht das Vergnügen eines von Lucy Clarkes Büchern selber zu lesen. Das sollte sich ändern, als der Piper Verlag mir als Sommeraktion ein Exemplar ihres neusten, fünften Romans zuschickte. Es handelt sich hier um die Geschichte einer einsamen, verlorenen Frau, die durch eine Kette von Halbwahrheiten und unglücklichen Ereignissen in ein Leben geschlittert ist, das sich wie eine Schlinge um sie zuzieht und ihren größten Traum langsam zum Albtraum werden lässt.


"Er hält inne. Nur das Rauschen der Wellen und des Regens ist zu hören. "Das Meer gibt mir immer das Gefühl winzig klein zu sein. Es ist einfach da, diese gewaltige Wassermasse. Man hört oft, das Meer sei schön, aber das kann ich nicht erkennen. Es ist heimtückisch."


Die Gestaltung ist mit den gedämpften Farben und den scharfen Kontrasten der Klippen weitaus düsterer als die sommerlichen Cover ihrer vorherigen Thriller, dennoch ist die deutsche Ausgabe mit ihren bau-weißen Streifen deutlich freundlicher als die englische Originalausgabe. Zusehen ist eine Frau im mittleren Alter, welche mit wehendem Mantel über einen einsamen Strand geht. Mit dem Strand-Motiv und der Verlorenheit der abgebildeten Person passt das Cover wunderbar zur Geschichte. Auch am Titel ist grundsätzlich nichts auszusetzen. "Das Haus am Rand der Klippen" hat aber gegenüber dem englischen Originaltitel "You Let Me In" deutlich an Aussagekraft verloren.

Erster Satz: "Ich möchte Ihnen einen Rat geben."

Wir steigen nach einem kurzen Prolog in das gemächliche Leben der berühmten Schriftstellerin Elle Fielding ein, welches auf den ersten Blick traumhaft perfekt wirkt. Sie hat einen internationalen Bestseller verfasst, lebt in einem Traumhaus direkt auf den Klippen Cornwalls und ein ganzes Verlagsteam und eine riesige Fangemeinde erwarten ihren neuer Roman mit Spannung. Doch was sie auf den sozialen Medien über sich und ihr Leben preisgibt ist nichts mehr als eine sorgsam gewahrte Fassade, eine Lüge. Denn eigentlich ist ihre Ehe zerbrochen, sie steht mit sämtlichen Rechnungen in Verzug und der Druck des Verlags und ihre Schlaflosigkeit haben sie in eine schwierige Schreibblockade getrieben. Und ausgerechnet während der alles entscheidende Abgabetermin näher rückt, fühlt sie sich beobachtet, verfolgt und eine Reihung abstruser Zufälle lässt darauf schließen, dass jemand in ihr Haus eingedrungen ist und ihr größtes Geheimnis entdeckt hat...


"Es bleibt nicht bei einem Wort. Noch vier andere Wörter stehen darüber.
ICH
BIN
IN
DEINEM
HAUS"


Schon bald wird klar, dass die Geschichte vielschichtig, aus verschiedenen Handlungssträngen auf unterschiedlichen Bedeutungs- und Zeitebenen aufgebaut ist. Zum Einen verfolgen wir Elle, die im Präsens von ihren unheimlichen Erfahrungen in ihrem Haus am Rand der Klippen erzählt. Dies ist jedoch eng mit den Gedanken des Eindringlings verbunden, welche wir durch kleine Schnipsel unter der Überschrift "Vorher" erfahren. Die dritte Handlungsebene umfasst Elles Studienjahre 2003/2004, in denen wohl etwas vorgefallen ist, was sie für ihr Leben stark geprägt hat. Was genau dieser Vorfall war, wird dem aufmerksamen Leser zwar sehr schnell klar, dennoch bleiben genügend Geheimnisse im Leben der Schriftstellerin zu ergründen, sodass es nicht langweilig wird.


"Ich bin kein Eindringling, rufe ich mir in Erinnerung. Du hast mich hereingelassen."


Dadurch dass sich Lucy Clarke im Aufbau ihrer Geschichte sehr viel Zeit lässt, können wir uns intensiv in ihre Protagonistin Elle einfühlen und in die beklemmende Atmosphäre der Geschichte eintauchen. Leider ist gerade das erste Drittel der Geschichte von vielen Wiederholungen geprägt, sodass der Mittelteil etwas vor sich hin plätschert, während sich die einzelnen Handlungsstränge gemächlich und ruhig entwickeln. Erst in der letzten Hälfte wechseln sich kurze Spannungsspitzen mit packenden Rückblenden und Einschüben ab, die subtil auf das Ende hindeuten. Dabei führt die Autorin den Leser mehrmals auf falsche Fährten und verwirrt geschickt, sodass man die überraschende Wendung am Ende nicht kommen sieht.


"Ich höre Flynns Ärmel, die am Stoff reiben, das Knirschen des Sands unter meinen Stiefeln, das Rauschen der ablaufenden Wellen und das Rollen der Kiesel und Muscheln, die das Wasser mit sich nimmt, das Zischen der weißen Schaumkronen. Angesichts dieser so überwältigenden Schönheit wird mir schmerzlich bewusst, dass irgendetwas gründlich schief gelaufen ist. Mein Leben hätte erfüllt sein sollen, von dem, was mich in diesem Moment umgibt: Flynn, das Meer, die Schriftstellerei. So wie jetzt hätte es nicht sein sollen. Überhaupt nicht. Die Nadel ist von der Platte gehüpft und spielt das falsche Lied, und niemand im Raum ist es aufgefallen. Alle tanzen weiter, und ich stehe mittendrin und warte, dass jemand - die anderen - bemerkt, dass mein Lächeln gekünstelt ist."


Dass es trotz des gemächlichen Tempos nicht langweilig wird, haben wir vor allem dem teils poetisch-bildhaften, ausgefeilten Schreibstil der Autorin zu verdanken. Sie kreiert durch kleine Details und Andeutungen eine bedrohliche Stimmung und reißt durch subtile Spannung mit, auch wenn die Geschichte kein Pageturner ist. Die wundervolle Kulisse Cornwalls, das einsame Haus am Meer, der kleine Fischerort, eine Kiste voller Rätsel und Geheimnisse, eine dunkle Vergangenheit und ein heimlicher Eindringling... - hier kommen spannende Elemente zusammen und so hält dieser Roman, was die an jedem Kapitelanfang vorangestellten Schreibtipps von Elle versprechen: ein geschickt erzählter Roman mit atmosphärischer Spannung. Super gefallen hat mir auch, dass sie sich ausgiebig mit der Schriftstellerei, Schreibblockaden und Inspiration beschäftigt, sodass ich selber beim Lesen wieder Lust bekommen habe, zu schreiben.


"LÜGNERIN. Bin ich das?
Das ist es, was man mir vorgeworfen hat.
Das ist es, was ich geworden bin."


Die Protagonistin bleibt für den Leser trotz intensiver Charakterstudie unnahbar und verloren. Vor allem da es für eine lange Zeit offen bleibt, ob man ihren Beobachtungen als Erzählerin überhaupt trauen kann, oder ob sie sich tatsächlich alles nur einbildet, ist es schwer, Nähe zu ihr aufzubauen. Nichtsdestotrotz leidet man mit ihr mit, wenn sie nächtelang nicht schlafen kann, sich in ihrem eigenen Haus nicht mehr sicher fühlt und ihr langsam die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt. Und so erfüllt sie ihren eigenen Tipp, den Elle an ihre Leser richtet mit Bravour: "Deine Leser müssen sie (die Charaktere) nicht mögen oder ihnen gar vertrauen, aber sie müssen mit ihnen mitfiebern."
Durch die geschickte Verwischung zwischen Realität und Fiktion, Traum und Albtraum, Wahrheit und Lüge, ist man sich bis zum Ende nicht ganz sicher, mit welcher Art von Geschichte man es hier zu tun hat. Dass die Geschichte einige autobiografische Elemente und Parallelen zum Leben der Autorin enthält tut dabei sein Übriges und es wird das Gefühl von Ruhelosigkeit, Ratlosigkeit und Einsamkeit hinterlassen.


"Das Leben sollte nicht auf gefilterte Bilder und Kommentare reduziert werden, oder? Es geht um Geburt und Tod und die wunderschöne, grausame Zeit dazwischen."



Das Ende kommt erfrischend schlicht aber gleichzeitig mit einer mitreißenden Auflösung daher. Eigentlich hatte ich es schon seit Elles Schreibtipp zum Thema Antagonist ("Wenn du einen Bösewicht entwirfst, denk an das alte Sprichwort: "Meist ist es jemand aus dem Bekanntenkreis." Die Aufgabe eines Autors ist es, zu erkunden, wie gut sein Protagonist besagte Person wirklich gekannt hat." geahnt, die Art und Weise wie die Autorin am Ende jedoch die losen Enden der Handlung verknüpft und die verschiedenen Ebenen geschickt miteinander in Verbindung bringt, fand ich klasse. Die besondere Gänsehaut-Enthüllung kommt dann aber erst im Epilog und was da auf den Leser zukommt setzt die Geschichte nochmal auf eine ganz andere Ebene.



Fazit:


Eine verlorene Frau, ein einsames Haus am Meer, ein kleiner Fischerort vor der malerischen Kulisse Cornwalls, eine Kiste voller Rätsel und Geheimnisse, eine dunkle Vergangenheit und ein heimlicher Eindringling...

Lucy Clarke erzählt atmosphärisch, beklemmend, vielschichtig und subtil spannend die Geschichte einer Frau, deren größter Traum zum Albtraum wird. Auch wenn der Roman kein Pageturner ist, machen die unterschwellige Bedrohung, der poetisch-bildhafte, ausgefeilte Schreibstil der Autorin und die Gänsehaut-Enthüllung am Ende die Geschichte zu einem Thriller der Extraklasse.

Veröffentlicht am 11.07.2019

Ein Thriller der Extraklasse: atmosphärisch, beklemmend, vielschichtig und subtil spannend!

Das Haus am Rand der Klippen
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Auch wenn ich schon mehrere ihrer Bücher verschenkt habe, hatte ich bislang noch nicht das Vergnügen eines von Lucy Clarkes Büchern selber zu lesen. Das sollte sich ändern, als der Piper Verlag mir als ...

Auch wenn ich schon mehrere ihrer Bücher verschenkt habe, hatte ich bislang noch nicht das Vergnügen eines von Lucy Clarkes Büchern selber zu lesen. Das sollte sich ändern, als der Piper Verlag mir als Sommeraktion ein Exemplar ihres neusten, fünften Romans zuschickte. Es handelt sich hier um die Geschichte einer einsamen, verlorenen Frau, die durch eine Kette von Halbwahrheiten und unglücklichen Ereignissen in ein Leben geschlittert ist, das sich wie eine Schlinge um sie zuzieht und ihren größten Traum langsam zum Albtraum werden lässt.


"Er hält inne. Nur das Rauschen der Wellen und des Regens ist zu hören. "Das Meer gibt mir immer das Gefühl winzig klein zu sein. Es ist einfach da, diese gewaltige Wassermasse. Man hört oft, das Meer sei schön, aber das kann ich nicht erkennen. Es ist heimtückisch."


Die Gestaltung ist mit den gedämpften Farben und den scharfen Kontrasten der Klippen weitaus düsterer als die sommerlichen Cover ihrer vorherigen Thriller, dennoch ist die deutsche Ausgabe mit ihren bau-weißen Streifen deutlich freundlicher als die englische Originalausgabe. Zusehen ist eine Frau im mittleren Alter, welche mit wehendem Mantel über einen einsamen Strand geht. Mit dem Strand-Motiv und der Verlorenheit der abgebildeten Person passt das Cover wunderbar zur Geschichte. Auch am Titel ist grundsätzlich nichts auszusetzen. "Das Haus am Rand der Klippen" hat aber gegenüber dem englischen Originaltitel "You Let Me In" deutlich an Aussagekraft verloren.

Erster Satz: "Ich möchte Ihnen einen Rat geben."

Wir steigen nach einem kurzen Prolog in das gemächliche Leben der berühmten Schriftstellerin Elle Fielding ein, welches auf den ersten Blick traumhaft perfekt wirkt. Sie hat einen internationalen Bestseller verfasst, lebt in einem Traumhaus direkt auf den Klippen Cornwalls und ein ganzes Verlagsteam und eine riesige Fangemeinde erwarten ihren neuer Roman mit Spannung. Doch was sie auf den sozialen Medien über sich und ihr Leben preisgibt ist nichts mehr als eine sorgsam gewahrte Fassade, eine Lüge. Denn eigentlich ist ihre Ehe zerbrochen, sie steht mit sämtlichen Rechnungen in Verzug und der Druck des Verlags und ihre Schlaflosigkeit haben sie in eine schwierige Schreibblockade getrieben. Und ausgerechnet während der alles entscheidende Abgabetermin näher rückt, fühlt sie sich beobachtet, verfolgt und eine Reihung abstruser Zufälle lässt darauf schließen, dass jemand in ihr Haus eingedrungen ist und ihr größtes Geheimnis entdeckt hat...


"Es bleibt nicht bei einem Wort. Noch vier andere Wörter stehen darüber.
ICH
BIN
IN
DEINEM
HAUS"


Schon bald wird klar, dass die Geschichte vielschichtig, aus verschiedenen Handlungssträngen auf unterschiedlichen Bedeutungs- und Zeitebenen aufgebaut ist. Zum Einen verfolgen wir Elle, die im Präsens von ihren unheimlichen Erfahrungen in ihrem Haus am Rand der Klippen erzählt. Dies ist jedoch eng mit den Gedanken des Eindringlings verbunden, welche wir durch kleine Schnipsel unter der Überschrift "Vorher" erfahren. Die dritte Handlungsebene umfasst Elles Studienjahre 2003/2004, in denen wohl etwas vorgefallen ist, was sie für ihr Leben stark geprägt hat. Was genau dieser Vorfall war, wird dem aufmerksamen Leser zwar sehr schnell klar, dennoch bleiben genügend Geheimnisse im Leben der Schriftstellerin zu ergründen, sodass es nicht langweilig wird.


"Ich bin kein Eindringling, rufe ich mir in Erinnerung. Du hast mich hereingelassen."


Dadurch dass sich Lucy Clarke im Aufbau ihrer Geschichte sehr viel Zeit lässt, können wir uns intensiv in ihre Protagonistin Elle einfühlen und in die beklemmende Atmosphäre der Geschichte eintauchen. Leider ist gerade das erste Drittel der Geschichte von vielen Wiederholungen geprägt, sodass der Mittelteil etwas vor sich hin plätschert, während sich die einzelnen Handlungsstränge gemächlich und ruhig entwickeln. Erst in der letzten Hälfte wechseln sich kurze Spannungsspitzen mit packenden Rückblenden und Einschüben ab, die subtil auf das Ende hindeuten. Dabei führt die Autorin den Leser mehrmals auf falsche Fährten und verwirrt geschickt, sodass man die überraschende Wendung am Ende nicht kommen sieht.


"Ich höre Flynns Ärmel, die am Stoff reiben, das Knirschen des Sands unter meinen Stiefeln, das Rauschen der ablaufenden Wellen und das Rollen der Kiesel und Muscheln, die das Wasser mit sich nimmt, das Zischen der weißen Schaumkronen. Angesichts dieser so überwältigenden Schönheit wird mir schmerzlich bewusst, dass irgendetwas gründlich schief gelaufen ist. Mein Leben hätte erfüllt sein sollen, von dem, was mich in diesem Moment umgibt: Flynn, das Meer, die Schriftstellerei. So wie jetzt hätte es nicht sein sollen. Überhaupt nicht. Die Nadel ist von der Platte gehüpft und spielt das falsche Lied, und niemand im Raum ist es aufgefallen. Alle tanzen weiter, und ich stehe mittendrin und warte, dass jemand - die anderen - bemerkt, dass mein Lächeln gekünstelt ist."


Dass es trotz des gemächlichen Tempos nicht langweilig wird, haben wir vor allem dem teils poetisch-bildhaften, ausgefeilten Schreibstil der Autorin zu verdanken. Sie kreiert durch kleine Details und Andeutungen eine bedrohliche Stimmung und reißt durch subtile Spannung mit, auch wenn die Geschichte kein Pageturner ist. Die wundervolle Kulisse Cornwalls, das einsame Haus am Meer, der kleine Fischerort, eine Kiste voller Rätsel und Geheimnisse, eine dunkle Vergangenheit und ein heimlicher Eindringling... - hier kommen spannende Elemente zusammen und so hält dieser Roman, was die an jedem Kapitelanfang vorangestellten Schreibtipps von Elle versprechen: ein geschickt erzählter Roman mit atmosphärischer Spannung. Super gefallen hat mir auch, dass sie sich ausgiebig mit der Schriftstellerei, Schreibblockaden und Inspiration beschäftigt, sodass ich selber beim Lesen wieder Lust bekommen habe, zu schreiben.


"LÜGNERIN. Bin ich das?
Das ist es, was man mir vorgeworfen hat.
Das ist es, was ich geworden bin."


Die Protagonistin bleibt für den Leser trotz intensiver Charakterstudie unnahbar und verloren. Vor allem da es für eine lange Zeit offen bleibt, ob man ihren Beobachtungen als Erzählerin überhaupt trauen kann, oder ob sie sich tatsächlich alles nur einbildet, ist es schwer, Nähe zu ihr aufzubauen. Nichtsdestotrotz leidet man mit ihr mit, wenn sie nächtelang nicht schlafen kann, sich in ihrem eigenen Haus nicht mehr sicher fühlt und ihr langsam die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt. Und so erfüllt sie ihren eigenen Tipp, den Elle an ihre Leser richtet mit Bravour: "Deine Leser müssen sie (die Charaktere) nicht mögen oder ihnen gar vertrauen, aber sie müssen mit ihnen mitfiebern."
Durch die geschickte Verwischung zwischen Realität und Fiktion, Traum und Albtraum, Wahrheit und Lüge, ist man sich bis zum Ende nicht ganz sicher, mit welcher Art von Geschichte man es hier zu tun hat. Dass die Geschichte einige autobiografische Elemente und Parallelen zum Leben der Autorin enthält tut dabei sein Übriges und es wird das Gefühl von Ruhelosigkeit, Ratlosigkeit und Einsamkeit hinterlassen.


"Das Leben sollte nicht auf gefilterte Bilder und Kommentare reduziert werden, oder? Es geht um Geburt und Tod und die wunderschöne, grausame Zeit dazwischen."



Das Ende kommt erfrischend schlicht aber gleichzeitig mit einer mitreißenden Auflösung daher. Eigentlich hatte ich es schon seit Elles Schreibtipp zum Thema Antagonist ("Wenn du einen Bösewicht entwirfst, denk an das alte Sprichwort: "Meist ist es jemand aus dem Bekanntenkreis." Die Aufgabe eines Autors ist es, zu erkunden, wie gut sein Protagonist besagte Person wirklich gekannt hat." geahnt, die Art und Weise wie die Autorin am Ende jedoch die losen Enden der Handlung verknüpft und die verschiedenen Ebenen geschickt miteinander in Verbindung bringt, fand ich klasse. Die besondere Gänsehaut-Enthüllung kommt dann aber erst im Epilog und was da auf den Leser zukommt setzt die Geschichte nochmal auf eine ganz andere Ebene.



Fazit:


Eine verlorene Frau, ein einsames Haus am Meer, ein kleiner Fischerort vor der malerischen Kulisse Cornwalls, eine Kiste voller Rätsel und Geheimnisse, eine dunkle Vergangenheit und ein heimlicher Eindringling...

Lucy Clarke erzählt atmosphärisch, beklemmend, vielschichtig und subtil spannend die Geschichte einer Frau, deren größter Traum zum Albtraum wird. Auch wenn der Roman kein Pageturner ist, machen die unterschwellige Bedrohung, der poetisch-bildhafte, ausgefeilte Schreibstil der Autorin und die Gänsehaut-Enthüllung am Ende die Geschichte zu einem Thriller der Extraklasse.

Veröffentlicht am 11.07.2019

Ein Thriller der Extraklasse: atmosphärisch, beklemmend, vielschichtig und subtil spannend!

Das Haus am Rand der Klippen
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Auch wenn ich schon mehrere ihrer Bücher verschenkt habe, hatte ich bislang noch nicht das Vergnügen eines von Lucy Clarkes Büchern selber zu lesen. Das sollte sich ändern, als der Piper Verlag mir als ...

Auch wenn ich schon mehrere ihrer Bücher verschenkt habe, hatte ich bislang noch nicht das Vergnügen eines von Lucy Clarkes Büchern selber zu lesen. Das sollte sich ändern, als der Piper Verlag mir als Sommeraktion ein Exemplar ihres neusten, fünften Romans zuschickte. Es handelt sich hier um die Geschichte einer einsamen, verlorenen Frau, die durch eine Kette von Halbwahrheiten und unglücklichen Ereignissen in ein Leben geschlittert ist, das sich wie eine Schlinge um sie zuzieht und ihren größten Traum langsam zum Albtraum werden lässt.


"Er hält inne. Nur das Rauschen der Wellen und des Regens ist zu hören. "Das Meer gibt mir immer das Gefühl winzig klein zu sein. Es ist einfach da, diese gewaltige Wassermasse. Man hört oft, das Meer sei schön, aber das kann ich nicht erkennen. Es ist heimtückisch."


Die Gestaltung ist mit den gedämpften Farben und den scharfen Kontrasten der Klippen weitaus düsterer als die sommerlichen Cover ihrer vorherigen Thriller, dennoch ist die deutsche Ausgabe mit ihren bau-weißen Streifen deutlich freundlicher als die englische Originalausgabe. Zusehen ist eine Frau im mittleren Alter, welche mit wehendem Mantel über einen einsamen Strand geht. Mit dem Strand-Motiv und der Verlorenheit der abgebildeten Person passt das Cover wunderbar zur Geschichte. Auch am Titel ist grundsätzlich nichts auszusetzen. "Das Haus am Rand der Klippen" hat aber gegenüber dem englischen Originaltitel "You Let Me In" deutlich an Aussagekraft verloren.

Erster Satz: "Ich möchte Ihnen einen Rat geben."

Wir steigen nach einem kurzen Prolog in das gemächliche Leben der berühmten Schriftstellerin Elle Fielding ein, welches auf den ersten Blick traumhaft perfekt wirkt. Sie hat einen internationalen Bestseller verfasst, lebt in einem Traumhaus direkt auf den Klippen Cornwalls und ein ganzes Verlagsteam und eine riesige Fangemeinde erwarten ihren neuer Roman mit Spannung. Doch was sie auf den sozialen Medien über sich und ihr Leben preisgibt ist nichts mehr als eine sorgsam gewahrte Fassade, eine Lüge. Denn eigentlich ist ihre Ehe zerbrochen, sie steht mit sämtlichen Rechnungen in Verzug und der Druck des Verlags und ihre Schlaflosigkeit haben sie in eine schwierige Schreibblockade getrieben. Und ausgerechnet während der alles entscheidende Abgabetermin näher rückt, fühlt sie sich beobachtet, verfolgt und eine Reihung abstruser Zufälle lässt darauf schließen, dass jemand in ihr Haus eingedrungen ist und ihr größtes Geheimnis entdeckt hat...


"Es bleibt nicht bei einem Wort. Noch vier andere Wörter stehen darüber.
ICH
BIN
IN
DEINEM
HAUS"


Schon bald wird klar, dass die Geschichte vielschichtig, aus verschiedenen Handlungssträngen auf unterschiedlichen Bedeutungs- und Zeitebenen aufgebaut ist. Zum Einen verfolgen wir Elle, die im Präsens von ihren unheimlichen Erfahrungen in ihrem Haus am Rand der Klippen erzählt. Dies ist jedoch eng mit den Gedanken des Eindringlings verbunden, welche wir durch kleine Schnipsel unter der Überschrift "Vorher" erfahren. Die dritte Handlungsebene umfasst Elles Studienjahre 2003/2004, in denen wohl etwas vorgefallen ist, was sie für ihr Leben stark geprägt hat. Was genau dieser Vorfall war, wird dem aufmerksamen Leser zwar sehr schnell klar, dennoch bleiben genügend Geheimnisse im Leben der Schriftstellerin zu ergründen, sodass es nicht langweilig wird.


"Ich bin kein Eindringling, rufe ich mir in Erinnerung. Du hast mich hereingelassen."


Dadurch dass sich Lucy Clarke im Aufbau ihrer Geschichte sehr viel Zeit lässt, können wir uns intensiv in ihre Protagonistin Elle einfühlen und in die beklemmende Atmosphäre der Geschichte eintauchen. Leider ist gerade das erste Drittel der Geschichte von vielen Wiederholungen geprägt, sodass der Mittelteil etwas vor sich hin plätschert, während sich die einzelnen Handlungsstränge gemächlich und ruhig entwickeln. Erst in der letzten Hälfte wechseln sich kurze Spannungsspitzen mit packenden Rückblenden und Einschüben ab, die subtil auf das Ende hindeuten. Dabei führt die Autorin den Leser mehrmals auf falsche Fährten und verwirrt geschickt, sodass man die überraschende Wendung am Ende nicht kommen sieht.


"Ich höre Flynns Ärmel, die am Stoff reiben, das Knirschen des Sands unter meinen Stiefeln, das Rauschen der ablaufenden Wellen und das Rollen der Kiesel und Muscheln, die das Wasser mit sich nimmt, das Zischen der weißen Schaumkronen. Angesichts dieser so überwältigenden Schönheit wird mir schmerzlich bewusst, dass irgendetwas gründlich schief gelaufen ist. Mein Leben hätte erfüllt sein sollen, von dem, was mich in diesem Moment umgibt: Flynn, das Meer, die Schriftstellerei. So wie jetzt hätte es nicht sein sollen. Überhaupt nicht. Die Nadel ist von der Platte gehüpft und spielt das falsche Lied, und niemand im Raum ist es aufgefallen. Alle tanzen weiter, und ich stehe mittendrin und warte, dass jemand - die anderen - bemerkt, dass mein Lächeln gekünstelt ist."


Dass es trotz des gemächlichen Tempos nicht langweilig wird, haben wir vor allem dem teils poetisch-bildhaften, ausgefeilten Schreibstil der Autorin zu verdanken. Sie kreiert durch kleine Details und Andeutungen eine bedrohliche Stimmung und reißt durch subtile Spannung mit, auch wenn die Geschichte kein Pageturner ist. Die wundervolle Kulisse Cornwalls, das einsame Haus am Meer, der kleine Fischerort, eine Kiste voller Rätsel und Geheimnisse, eine dunkle Vergangenheit und ein heimlicher Eindringling... - hier kommen spannende Elemente zusammen und so hält dieser Roman, was die an jedem Kapitelanfang vorangestellten Schreibtipps von Elle versprechen: ein geschickt erzählter Roman mit atmosphärischer Spannung. Super gefallen hat mir auch, dass sie sich ausgiebig mit der Schriftstellerei, Schreibblockaden und Inspiration beschäftigt, sodass ich selber beim Lesen wieder Lust bekommen habe, zu schreiben.


"LÜGNERIN. Bin ich das?
Das ist es, was man mir vorgeworfen hat.
Das ist es, was ich geworden bin."


Die Protagonistin bleibt für den Leser trotz intensiver Charakterstudie unnahbar und verloren. Vor allem da es für eine lange Zeit offen bleibt, ob man ihren Beobachtungen als Erzählerin überhaupt trauen kann, oder ob sie sich tatsächlich alles nur einbildet, ist es schwer, Nähe zu ihr aufzubauen. Nichtsdestotrotz leidet man mit ihr mit, wenn sie nächtelang nicht schlafen kann, sich in ihrem eigenen Haus nicht mehr sicher fühlt und ihr langsam die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt. Und so erfüllt sie ihren eigenen Tipp, den Elle an ihre Leser richtet mit Bravour: "Deine Leser müssen sie (die Charaktere) nicht mögen oder ihnen gar vertrauen, aber sie müssen mit ihnen mitfiebern."
Durch die geschickte Verwischung zwischen Realität und Fiktion, Traum und Albtraum, Wahrheit und Lüge, ist man sich bis zum Ende nicht ganz sicher, mit welcher Art von Geschichte man es hier zu tun hat. Dass die Geschichte einige autobiografische Elemente und Parallelen zum Leben der Autorin enthält tut dabei sein Übriges und es wird das Gefühl von Ruhelosigkeit, Ratlosigkeit und Einsamkeit hinterlassen.


"Das Leben sollte nicht auf gefilterte Bilder und Kommentare reduziert werden, oder? Es geht um Geburt und Tod und die wunderschöne, grausame Zeit dazwischen."



Das Ende kommt erfrischend schlicht aber gleichzeitig mit einer mitreißenden Auflösung daher. Eigentlich hatte ich es schon seit Elles Schreibtipp zum Thema Antagonist ("Wenn du einen Bösewicht entwirfst, denk an das alte Sprichwort: "Meist ist es jemand aus dem Bekanntenkreis." Die Aufgabe eines Autors ist es, zu erkunden, wie gut sein Protagonist besagte Person wirklich gekannt hat." geahnt, die Art und Weise wie die Autorin am Ende jedoch die losen Enden der Handlung verknüpft und die verschiedenen Ebenen geschickt miteinander in Verbindung bringt, fand ich klasse. Die besondere Gänsehaut-Enthüllung kommt dann aber erst im Epilog und was da auf den Leser zukommt setzt die Geschichte nochmal auf eine ganz andere Ebene.



Fazit:


Eine verlorene Frau, ein einsames Haus am Meer, ein kleiner Fischerort vor der malerischen Kulisse Cornwalls, eine Kiste voller Rätsel und Geheimnisse, eine dunkle Vergangenheit und ein heimlicher Eindringling...

Lucy Clarke erzählt atmosphärisch, beklemmend, vielschichtig und subtil spannend die Geschichte einer Frau, deren größter Traum zum Albtraum wird. Auch wenn der Roman kein Pageturner ist, machen die unterschwellige Bedrohung, der poetisch-bildhafte, ausgefeilte Schreibstil der Autorin und die Gänsehaut-Enthüllung am Ende die Geschichte zu einem Thriller der Extraklasse.