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Veröffentlicht am 21.09.2019

Mehr gesellschaftskritischer Roman als Krimi

Die einzige Zeugin
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Auf dem Gelände der ehemaligen Nervenheilanstalt Beckomberga in Stockholm ist eine moderne Wohngegend entstanden, in der auch der Consultant Svante Levander mit seiner Freundin ein Haus bezogen hat. Svantes ...

Auf dem Gelände der ehemaligen Nervenheilanstalt Beckomberga in Stockholm ist eine moderne Wohngegend entstanden, in der auch der Consultant Svante Levander mit seiner Freundin ein Haus bezogen hat. Svantes Ex-Frau Eva hat noch Gefühle für ihn und sucht des Öfteren die Nähe des Hauses. Eines Abends kommt es dabei zu einem fatalen Aufeinandertreffen mit verbaler Auseinandersetzung zwischen Eva und Svante, welches damit endet, dass Eva nach einer Phase der Bewusstlosigkeit im Krankenhaus aufwacht und dort erfährt, dass Svante ermordet wurde. Eva wird beschuldigt, hierfür verantwortlich zu sein und sieht sich plötzlich in der Situation, ihre Unschuld beweisen zu müssen. Die einzige Person, die dies bezeugen könnte, ist eine rumänische Bettlerin, die das Geschehen beobachtet hat.
Um diese aufzuspüren taucht Eva zunächst in die Bettlerszene Stockholms ein und macht sich anschließend auf die lange Reise nach Rumänien, begleitet von ihrem rebellischen Sohn Filip.
Währenddessen geschehen in der Wohngegend in Beckomberga weitere seltsame Zwischenfälle und unter den Bewohnern geht die Angst um…

Der Einstieg ins Buch gelingt aufgrund der eben beschriebenen Geschehnisse schnell, auch ein in der Vergangenheit spielender Prolog macht Neugier auf die weitere Geschichte. Tove Alsterdal eröffnet zeitgleich viele parallel verlaufende Handlungsstränge, denen der Leser aufgrund ihres erzählenden, klaren Schreibstils gut folgen kann. Auch zeigt die Autorin Perspektiven verschiedenster Figuren auf, was an sich ein spannendes Stilmittel ist, angesichts der Vielzahl an Personen droht der Leser jedoch den Überblick zu verlieren.

Leider konnte ich persönlich nur wenig Sympathie für die – meist sehr egoistisch wirkenden – Figuren entwickeln. Eine Identifikation mit ihnen war gar nicht möglich und so konnten deren Handlungen und Entscheidungen weder nachvollzogen noch gutgeheißen werden. Lediglich die Krankenschwester Ulla konnte als Sympathieträgerin überzeugen, sie spielt aber erst sehr spät im Buch eine Rolle. Die Ermittlungsarbeit der Polizei wird im Buch nur nebenbei angerissen, über den Verlauf der Ermittlungen erfährt man fast nichts. Das finde ich für einen skandinavischen Krimi ungewöhnlich und auch sehr schade.

Die Mitte des Buches zieht sich in die Länge: Die Lebensumstände von Bettlern in Stockholm und Rumänien werden en detail beschrieben, dazu geschichtliche Hintergründe dargestellt. Diese sind tragisch und von der Autorin gut recherchiert, letztendlich aber irrelevant, um die Story voranzutreiben. Hier kommt leider keinerlei Spannung auf und der Leser fragt sich im Nachhinein, weshalb dieser Teil der Geschichte so ausführlich dargestellt werden musste.

Insgesamt betrachtet ist die Lesespannung während des gesamten Buches nur teilweise vorhanden, lediglich eine gruselige Szene des Nachts auf einem verlassenen Waldstück der ehemaligen Klinik lässt das Adrenalin nach oben schießen. Leider war es das dann auch schon. Erst kurz vor Schluss kommt mit Krankenschwester Ulla die Protagonistin aus dem Prolog wieder zurück, löst – beinahe im Alleingang – das Rätsel und verbindet die Geschichte der alten Nervenheilanstalt mit der Gegenwart.

Das Ende wirkt konstruiert und unrealistisch, ist zugegebenermaßen aber doch überraschend, wenn auch moralisch zweifelhaft. Der Leser hätte durch Miträtseln während des ganzen Buchverlaufes gar nicht auf die Lösung kommen können. Auch bleiben am Ende noch offene Fragen, manche Erzählstränge werden einfach nicht weiter verfolgt – schade, ich als Leser hätte mir eine vollständige Aufklärung aller begonnenen Handlungsstränge gewünscht.
Tove Alsterdals Ansatz, ihre Geschichte auf dem ehemaligen Klinikgelände spielen zu lassen, ist spannend, wird aber leider viel zu kurz und oberflächlich behandelt. Auch fehlt insgesamt der Bezug aufs Wesentliche, das Behandeln vieler unterschiedlicher – davon die detaillierte Beschreibung gesellschaftskritischer – Themen geht zulasten des roten Fadens.

Der Titel des Buches ist meiner Meinung nach etwas irreführend gewählt, da die einzige Zeugin nicht die Schlüsselfigur des Buches darstellt und nicht maßgeblich zur Lösung des Falles beiträgt. Ebenso passt der Klappentext nicht zum Hauptgeschehen.

Leider kommt keine richtige Spannung auf, das Buch endet in großer Ernüchterung. Ich kann es deshalb keinen spannungssuchenden Krimifans weiterempfehlen, wer über das gesellschaftspolitische Problem der Flüchtlinge und Bettler in Europa lernen möchte sei „Die letzte Zeugin“ von Tove Alsterdal allerdings ans Herz gelegt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Figuren
Veröffentlicht am 24.07.2021

Anspruchsvolle und anstrengende Charaktere

Schicksal
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Die Geschichte zweier Frauen in Israel, die indirekt miteinander verbunden sind: Atara sucht nach dem Tod ihres Vaters, zu dem sie kein gutes Verhältnis hatte, nach dessen geheimnisvoller erster Frau. ...

Die Geschichte zweier Frauen in Israel, die indirekt miteinander verbunden sind: Atara sucht nach dem Tod ihres Vaters, zu dem sie kein gutes Verhältnis hatte, nach dessen geheimnisvoller erster Frau. Über Rachel durfte nicht gesprochen werden und alles was Atara über sie herausfand war rätselhaft. Als es Atara schließlich gelingt, Rachel aufzuspüren verläuft die Begegnung ganz anders als verhofft. Und dann schlägt das Schicksal zu und schafft Verbindungen zwischen den Frauen und ihren ewig andauernden Schuldgefühlen.
Das Cover von „Schicksal“ ist schlicht gehalten und zeigt eine Frau, die melancholisch und geheimnisvoll auf mich wirkt. Das Cover ist stimmig zur Geschichte, in der es ja auch primär um Atara geht, ansonsten mag ich allerdings keine Gesichter auf Covern, da ich mir die Personen lieber selbst vorstelle. Gut gefällt mir allerdings die Farbgebung, das Gelb im Kontrast zum Schwarz-weißen wirkt eindrucksvoll. Seltsam erscheint mir lediglich, dass der Autorenname in Größe und Farbe den Buchtitel doch sehr stark überstrahlt.
Die Sprache des Buches ist sehr besonders und herausfordernd. Sie ist sehr literarisch, beinahe poetisch und voll von Metaphern – mal passend, mal weniger nachvollziehbar. Ich fand das Buch an vielen Stellen zäh und mühselig zu lesen. Viele Satzkonstruktionen waren kompliziert. Keine leichte Lektüre war es zudem, da über der gesamten Geschichte ein melancholischer Nebel aus Trauer, Sehnsucht, Ohnmacht, verpassten Chancen und verbrauchtem Leben hängt. Es hat mich schon etwas schwermütig werden lassen. Gut fand ich, dass ich als Leser nebenher etwas über die israelische Geschichte lernen konnte, insbesondere durch das Glossar zu verschiedenen Begrifflichkeiten im Anhang.
Im Buch wird abwechselnd aus zwei Perspektiven erzählt, der von Atara und der von Rachel. Innerhalb dieser Kapitel wird aber auch des Öfteren unvermittelt zwischen den Zeiten sowie Erleben und Reflexion gesprungen, so dass es mir an manchen Stellen schwer fiel den Kontext einzuordnen und die Handlung zu erfassen. Noch dazu wird sehr viel Nebensächliches bis ins kleinste Detail beschrieben, dass es meiner Meinung nach nicht gebraucht hätte. Am meisten gestört hat mich allerdings, dass unglaublich wenig passiert. Das Buch hat sich sehr gezogen und die vielen (unnötigen) Geheimnisse voreinander, Streitigkeiten und die traurige Stimmung haben es mir nicht ermöglicht, mich wirklich auf das Buch einlassen zu wollen.
Was mich aber am meisten gestört hat war die Protagonistin selbst: Atara hat mich in ihrer Art unheimlich abgestoßen! Ständig kreist sie nur um sich selbst, bemitleidet sich und ist in unendlicher Reflexion und Aufarbeitung. Alles andere gerät ihr dabei völlig aus dem rein selbstbezogenen Blick. Sie ist sprunghaft, streitlustig und ruhelos, verlangt Dinge von anderen, die sie selbst nicht umsetzt. Diese Lebenskrise war mir zu ausgeschlachtet, ihr Selbstmitleid zu überbordend und ich wollte irgendwann einfach nichts mehr von ihrer Charakterstudie hören. Auch sämtliche andere Charaktere waren mir unsympathisch und wurden primär durch ihre negativen Eigenschaften charakterisiert.
Insgesamt empfand ich das Buch als ungemein anstrengend und Atara als die unsympathischste Protagonistin seit langem. Ich kann verstehen, dass anderen Leser sicherlich die Wortgewandtheit der Autorin und ihr literarisch-sprachliches Können gut gefallen, meinen Geschmack hat sie dabei leider aber überhaupt nicht getroffen. Schade, der Kern der Geschichte hatte Potenzial, aber die Ausführung konnte mich alles andere als überzeugen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.06.2021

Historisch interessant, als Krimi enttäuschend

Lange Schatten über der Côte d'Azur
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Kommissar Léon Duval steht vor einem Rätsel: Auf dem Friedhof „Le Grand Jas“ in Cannes wurde die Leiche eines jungen Mannes entdeckt, der über einem Grabstein zusammengebrochen ist. Duval forscht – entgegen ...

Kommissar Léon Duval steht vor einem Rätsel: Auf dem Friedhof „Le Grand Jas“ in Cannes wurde die Leiche eines jungen Mannes entdeckt, der über einem Grabstein zusammengebrochen ist. Duval forscht – entgegen der Anweisung seiner Vorgesetzten – zu dem Grab, der sich als ein Gedenkstein für Opfer des Nationalsozialismus in Cannes herausstellt. Und er findet tatsächlich einen Zusammenhang zu dem Ermordeten und den Personen, denen auf dem Stein gedacht wird. Kommissar Duval glaubt nicht an einen Zufall und begibt sich deshalb, unterstützt durch seine Lebensgefährtin Annie, auf eine Reise in Cannes traurigstes Kapitel der Vergangenheit.

„Lange Schatten über der Côte d´Azur“ ist bereits der achte Band der Autorin Christine Cazon rund um Kommissar Léon Duval. Ich habe bisher keinen Vorgängerband gelesen und deshalb fehlen mir auch einige Vorkenntnisse, die im Buch angedeutet, aber leider nicht vollständig erklärt werden. Diese haben mich zwar neugierig gemacht und teilweise etwas unbefriedigt hinterlassen, der Ermittlung an sich aber keinen Abbruch getan. Der Titel des Buches ist mir persönlich zu sperrig, aber das Cover hat mich überzeugt: Das Bild des Friedhofes vor Meereskulisse wird direkt im ersten Kapitel des Buches aufgegriffen und passt so gut zur Handlung.

Christine Cazons Schreibstil lässt sich aufgrund seiner Einfachheit gut lesen. Die Dialoge sind teilweise so schlicht und unaufgeregt gehalten, dass sie fast trivial wirkten. An anderen Stellen sind sie hingegen oftmals in lange Monologe ausgeartet, die beinahe wie Zitate aus einem Geschichtslehrbuch und dementsprechend anstrengend und alles andere als authentisch waren. Das hat mir den Lesefluss erschwert und nicht besonders gut gefallen. Was mir jedoch am meisten gefehlt hat, da das meine primäre Erwartung an das Buch war, ist der Lokalkolorit. Leider ist es dem Buch nicht gelungen, südfranzösisches Flair zu versprühen und die dort so typische Atmosphäre aufzubauen. Die Beschreibungen von Örtlichkeiten, Landschaften und Stimmungen waren mir einfach zu wenig, so dass mich das Buch leider gedanklich nicht an die Côte d´Azur entführen konnte – schade!

Die Geschichte an sich betrachte ich zwiespältig: Einerseits gab es den Handlungsstrang rund um die Geschehnisse in Südfrankreich zur NS-Zeit. Die Themen hier waren eher schwere Kost, da das Buch tief ins Historische und dort in besonders schlimme Ereignisse eintaucht. Wie bereits erwähnt geschah dies auf etwas sperrige Art und Weise in Form sehr unglaubwürdiger „Dialoge“. Christine Cazon scheint sehr ausführlich recherchiert zu haben und dem Leser ein breites Hintergrundwissen mitgeben zu wollen. Dies war zwar interessant, aber in dieser Ausführlichkeit nicht alles von Belang für die Krimihandlung. Die deutsch-französische Geschichte wurde teilweise sehr belehrend ausgerollt und rückte stark in den Fokus. So sehr, dass ich teilweise die eigentliche Geschichte um den Mord fast vergessen hatte. Emotional war der Hintergrund von Jakob Silberstein das einzige am Buch, was mich emotional berührt hat, aber die Verknüpfung von historischen Ereignissen mit der aktuellen Mordermittlung ist meines Empfindens nach leider nicht gelungen. Der zweite Handlungsstrang konnte ebenfalls nicht überzeugen. Die Ermittlung lief gefühlt eher nebenher, da neben ausführlichen Geschichtsstunden auch Duvals Privatleben ausgiebig thematisiert wurde. Dieses hat weder ihn, noch seine Frau Annie in einem besonders sympathischen Licht dastehen lassen, ich empfand deren Dialoge als aggressiv und wenig wertschätzend. Insgesamt war es mir viel zu viel breit ausgewälztes Privatleben, das zulasten der Kriminalgeschichte ging. Sowieso ist diese so stark in den Hintergrund gerückt, dass man das Buch schon fast nicht mehr als Krimi bezeichnen könnte. Für meinen Geschmack hätte dafür mehr Ermittlungsarbeit geschildert und Spannung aufgebaut werden müssen. Die Auflösung des Falles empfand ich dann als sehr unkreativ. Es ging dann plötzlich ganz schnell und nach all den Verwicklungen war das Motiv hinter dem Mord einfach nur enttäuschend.

Insgesamt hat mir das Buch leider nicht besonders gut gefallen. Bis auf Jakob Silberstein habe ich alle Personen als überempfindlich oder unsympathisch wahrgenommen. Die ergreifende historische Geschichte des alten Mannes hat der eigentlichen Story absolut den Rang abgelaufen, so dass das Buch sehr stark von der Krimihandlung abgedriftet ist. Vieles wirkte konstruiert und unglaubwürdig, es fehlte mir komplett an Spannung. Auch habe ich mir einen Krimi mit "Urlaubsflair" versprochen, von dem ich kaum etwas gespürt habe. Mich hat das Buch nicht besonders zufrieden hinterlassen und ich werde deshalb wohl auch keinen weiteren Fall von Duval mehr lesen. Schade.

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Veröffentlicht am 25.04.2021

Von Dora bleibt ist die Distanz

Was von Dora blieb
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Isa geht es gerade gar nicht gut: Sie hat herausgefunden, dass ihr Mann sie betrügt, die Kinder sind aus dem Haus und werden schmerzlich vermisst und sie weiß nicht wirklich viel mit sich anzufangen. Da ...

Isa geht es gerade gar nicht gut: Sie hat herausgefunden, dass ihr Mann sie betrügt, die Kinder sind aus dem Haus und werden schmerzlich vermisst und sie weiß nicht wirklich viel mit sich anzufangen. Da kommt ihr der Auftrag ihrer Mutter recht, sich nach Familientradition mit einer ihrer Vorfahren zu beschäftigen – mit ihrer rätselhaften Großmutter Dora. In einem Haus am Bodensee taucht Isa in Doras Vergangenheit ein und lernt ihre unbekannte Verwandte mithilfe von alten Briefen und Tagebüchern ganz neu kennen. Diese nimmt Isa auf eine Reise durch ihr Leben: Von der Kunsthochschule über ein verworrenes Liebesdreieck bis hin zur erfolgreichen Unternehmergattin, die im Nationalsozialistischem Staat um die Zukunft ihrer Söhne bangt. Isa dringt immer tiefer, auch in die dunklen Jahre, ihrer Familiengeschichte ein und lernt somit viel über Dora und über sich selbst.
„Was von Dora blieb“ ist der Debütroman der freien Journalistin Anja Hirsch. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Schwierigkeit der Kriegsenkelgeneration auf der Suche nach und im Umgang mit ihren Wurzeln zu thematisieren. Das Cover ist recht minimalistisch gehalten, die türkisene Grundfarbe gefällt mir sehr gut. Eher auf den zweiten Blick bemerkt man eine junge Frau mit Zylinder, die vor dem pyramidenartigen, sehr groß geschriebenen Titel hervortritt. Definitiv ein interessantes und eher ungewöhnliches Titelbild.
Anja Hirschs Schreibstil ist an sich angenehm, allerdings empfinde ich ihn für meinen Geschmack als etwas zu sachlich und nüchtern. Dadurch bleibt mir die Geschichte seltsam fern, ich fühle mich, als würde ich permanent auf Distanz gehalten, als wäre ich lediglich als außenstehender Beobachter akzeptiert. Deshalb ist es mir nach starken Startschwierigkeiten bis zum Schluss leider nicht gelungen, einen echten Bezug zu Isa oder zu Dora aufzubauen. Das Lesen war anstrengend und hat nicht unbedingt Freude gemacht.
Auch inhaltlich hatte ich mir mehr versprochen. Die Story springt zwischen Isas Sicht in der Gegenwart und Doras Sicht der Vergangenheit hin und her, unverhofft kommt dann auch noch Isas Vater Gottfried zu Wort. Zu Beginn des Buches geht es nach kurzer Einführung von Dora als Großmutter primär um ihre Kindheit, Jugend und die Zeit als junge Erwachsene. Es geht um viel alltägliches, politische Ereignisse stehen eher zurück, da sich Dora nicht wirklich für sie interessiert. Später verschiebt sich der Schwerpunkt Richtung Gottfried und dessen verwirrende Jugend zwischen Napola und lyrischer Selbstvergessenheit. Am Ende verschiebt sich der Fokus auf Isa, die zwischen Erinnerung, Perspektive und Gedanken zu ihrem Leben hin- und herspringt. Dora geht immer mehr in Vergessenheit, bis sie ganz am Ende noch einmal in einem Kapitel kurz vor ihrem Tod auftaucht, dass alles bisher von ihr erfahrende irgendwie wieder durcheinanderwirbelt. Selten habe ich mir so schwer getan, am Ball zu bleiben. Insgesamt ein sehr verwirrender Handlungsaufbau, etwas mehr Struktur hätte dem Buch gut getan.
Sowieso hätte ich mir mehr konkrete Informationen zu den spannenden Zeiten gewünscht, die Dora durchlebt. Der auf dem Klappentext groß angekündigte Inhalt bezüglich der Napola-Schule war genauso schnell abgehandelt wie Doras künstlerische Berufsaussichten. Die Fragen und Ankündigungen dort, die mich neugierig auf das Buch machten, wurden nicht beantwortet – ich blieb enttäuscht zurück. Dafür wurde vieles detailliert beschrieben, was ich als eher nebensächlich wahrgenommen hatte. Diese Nebenstränge waren für mich nicht nur langweilig und zäh zu lesen, sondern wurden teilweise auch nicht mal mehr aufgelöst. Des Weiteren nimmt die Autorin bereits vieles vorweg, was mich als Leser zusätzlich frustriert hat.
Auch konnte ich keinerlei Bindung zu den Figuren aufbauen. Gerade Dora und Isa blieben mir leider fern, ich habe sie als unsympathisch und flach empfunden und gerade Isa hat mich irgendwann nur noch genervt. Ihre Geschichte hat mich nicht besonders interessiert und ich konnte auch ihre Gedanken und Handlungen nicht nachvollziehen. Ja, sie ist der Aufhänger dafür, dass Doras Leben nochmals Revue passiert wird, aber so richtig nahe gekommen bin ich ihr noch nicht.
Insgesamt hat mich das Buch leider überhaupt nicht gepackt. Ich hatte mir fundiertere Informationen zu den angekündigten Themen des Klappentextes, insbesondere der Napola-Schulen gewünscht. Auch hat mir der distanzierte Schreibstil nicht gefallen, viele Zeitsprünge und Nebenhandlungen haben mich verwirrt und den roten Faden verlieren lassen. Ich bleibe nach der Lektüre ratlos und unbefriedigt zurück und kann das Buch deshalb leider nicht weiterempfehlen.

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Veröffentlicht am 18.01.2021

Von der Perspektivlosigkeit junger Menschen in Frankreich

Fehlstart
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Aurélie hat gerade ihr Abitur beendet und erlebt zum ersten Mal wie es ist, verliebt zu sein. Doch ihr gelingt es nicht, glücklich zu werden, zu perspektivlos erscheint ihr das Leben: Die Beziehung zu ...

Aurélie hat gerade ihr Abitur beendet und erlebt zum ersten Mal wie es ist, verliebt zu sein. Doch ihr gelingt es nicht, glücklich zu werden, zu perspektivlos erscheint ihr das Leben: Die Beziehung zu Alejandro geht in die Brüche, ihr Jura-Studium ödet sie zunehmend an und das Kleinstadtleben der Arbeiterfamilie engt sie ein. Also zieht Aurélie von Grenoble nach Paris, nur um vom Regen in die Traufe zu geraten: Orientierungslos schlägt sich mit einem langweiligen Mindestlohn-Job durch die Tage, die Wohnungssuche entpuppt sich als unmöglich und Aurélie fühlt sich trotz der tausenden Menschen um sich herum einsam. Die pessimistische Geschichte eines jungen Menschen, der im ungerechten Bildungssystem Frankreichs untergeht und von seiner Hauptstadt geschluckt wird.

Das Cover von „Fehlstart“ hat meine Neugier geweckt, es wirkt kraftvoll und impulsiv und verrät dabei nichts über den Inhalt des Buches. Im Nachhinein verkörpert es für mich nicht nur aufgrund der Farbgebung der französischen „Tricolore“, sondern auch aufgrund des Chaos und der Anarchie des Strichemusters die angeprangerten Zustände im modernen Frankreich.

Mit Marion Messinas Schreibstil bin ich leider nicht wirklich warm geworden. Er ist sehr gewöhnungsbedürftiger, dabei durchaus intellektuell und subtil aber auch etwas fad, fast schon langweilig. Dies passt natürlich perfekt zum beschriebenen lethargischen, trost- und perspektivlosen Leben Aurélies, für mich als Leser hat es aber viel Konzentration gekostet, beim Lesen zu bleiben. Auch die Redundanz und Dichte der Sprache war sehr anstrengend zu lesen. Teilweise war sie mir etwas zu vulgär, dann aber auch wieder sehr philosophisch und fast schon weise. Auch war es schwer, einen Lesefluss zu entwickeln, da berichtartig ohne jegliche Emotionen oder Dialoge erzählt wurde und plötzliche Zeit- und unklare Personensprünge das Lesen zusätzlich erschwert haben.

Insgesamt findet leider sehr wenig Handlung statt, Aurélies Geschichte wirkt mehr wie eine Zustandsbeschreibung. Dementsprechend langatmig zieht sich der Inhalt hin – und das bei gerade einmal 166 Seiten. Bereits der Einstieg geschieht sehr plötzlich mit einer Person, die nicht Protagonist ist, was mich verwirrt und mir den Beginn des Buches zusätzlich erschwert hat.

Die Atmosphäre ist durchgängig schwer, alles ist schlecht, die Sicht auf das Leben in jeglicher Hinsicht negativ und pessimistisch. Ein Buch, das mich runterzieht und betrübt. Natürlich war diese melancholische Grundstimmung von der Autorin gewünscht, die Beschreibung von Trostlosigkeit und Banalität gelingt ihr ausgesprochen gut, sie deprimiert aber eben auch. Definitiv keine leichte Kost und nichts was man lesen sollte, um sich zu entspannen. Überspitzt zeichnet Marion Messina ein desillusionierendes Bild der aktuellen Situation in Frankreich, das eine orientierungs- und perspektivlose Generation hervorbringt. Gesellschaft, Bildungssystem, Wohnungs- und Arbeitsmarkt, Paarbeziehungen – nichts befriedigt den jungen Menschen im modernen Frankreich. Die Protagonistin Aurélie erhofft sich zunächst noch sozialen Aufstieg, kann aber nicht den notwendigen Antrieb aufbringen, um etwas aus ihrem Leben zu machen. Sie lässt sich treiben, gibt anderen bzw. „den Umständen“ und ihrer Herkunft banal die Schuld an ihrer Situation und lebt nur vor sich hin. Ich empfand sie als Protagonistin unheimlich anstrengend und nicht besonders sympathisch. Ihre Kritik an allem, ihre Motivationslosigkeit und der permanente Selbstmitleid aufgrund der eigenen Opferrolle haben mich irgendwann nur noch genervt.

Insgesamt mag „Fehlstart“ vielleicht eine kritisch-zynische Personen- oder Milieustudie sein, aber mir war das gesamte Buch einfach zu negativ. Man könnte meinen, Paris sei die Hölle auf Erden und so etwas wie Lebensfreude existiert in der jungen Generation Frankreichs nicht. Die dargestellte absolute Perspektiv- und Antriebslosigkeit empfand ich zu übertrieben und wahnsinnig ermüdend.

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