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Veröffentlicht am 02.01.2021

Ein Buch für Denkanstöße, aber nicht für allumfassende Antworten

Ungezähmt
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Wie Glennon Doyle ihren persönlichen Weg von der Selbstverleugnung zur Selbstverwirklichung gefunden hat, beschreibt sie in "Ungezähmt". Der Moment, der alles verändert, ist die erste Begegnung mit ihrer ...

Wie Glennon Doyle ihren persönlichen Weg von der Selbstverleugnung zur Selbstverwirklichung gefunden hat, beschreibt sie in "Ungezähmt". Der Moment, der alles verändert, ist die erste Begegnung mit ihrer zukünftigen Frau Abby, zu der sie sich auf den ersten Blick hingezogen fühlt. Zu dem Zeitpunkt lebte die Autorin noch ein eher traditionelles Leben mit ihrem (fremdgehenden) Ehemann und den drei Kindern.

Das Narrativ ist daher nicht wirklich neu: Eine große Liebe sorgt dafür, dass sich die Autorin selbst findet, ihr Leben hinterfragt und erkennt, dass sie sich von den Meinungen anderer zu sehr beeinflussen lässt.

"Selbstlose Frauen ermöglichen, zwar eine effiziente Gesellschaft, aber keine, die schön ist, wahrhaftig oder gerecht." (S.87)

"Ungezähmt" lässt sich wunderbar leicht lesen, denn Glennon Doyle pflegt einen humorvollen Schreibstil, der von Metaphern geprägt ist, die vor allem ihre Gefühle greifbar machen. Die große Stärke der Autorin ist ihr Erzähltalent, das mitreißt und begeistert. Ihre Botschaften und Erkenntnisse verpackt Glennon Doyle in kurze Geschichten. Sie erzählt von persönlichen Erlebnissen, die verdeutlichen, wie sie zu der jeweiligen Erkenntnis oder Meinung gekommen ist. Oft verpackt sie ihre Weisheiten auch in Dialoge, sodass sie die Leser:innen nicht direkt anspricht und belehrt. So ein Gespräch liest sich auf jeden Fall lockerer und weniger aufdringlich, als wenn sie dieselbe Botschaft einfach nur im Fließtext mit direkter Ansprache untergebracht hätte.

Dadurch schafft es die Autorin ziemlich geschickt, dass ihr Buch nicht zu sehr nach Selbsthilfe-Ratgeber klingt. Als Leser:in kann man Episoden, mit denen man weniger zustimmt, leichter als Geschichten und weniger als Belehrung lesen. Dem pathetischen Tonfall typisch amerikanischer "selfhelp books" entkommt sie aber nicht ganz, immer mal wieder springen einem esoterisch-übertriebene Ratgeber-Formulierungen entgegen.

Glennon Doyle behandelt große Themen wie Feminismus, Rassismus, Glauben, Erziehung und Selbstbild aus ihrer persönlichen Perspektive. Religion nimmt dabei einen ziemlich großen Teil ein, schließlich ist sie gläubige Christin. Das war mir streckenweise zu viel. In anderen Passagen habe ich mich jedoch wiedergefunden, habe Probleme wiedererkannt und musste das ein oder andere Mal schlucken. Durch die große Bandbreite der Themen denke ich, dass fast jede Frau sich und ihre Zweifel, Probleme, Ängste in dem Buch wiederfindet. Die große Themenmenge und die kurzen Kapitel sorgen allerdings dafür, dass vieles an der Oberfläche bleibt. Man sollte das Buch also eher als Denkanstoß und nicht als allumfassende Ausführung betrachten.

Problematisch finde ich ihre Aussage , dass sie Menschen ohne Ängste und Depressionen "nicht besonders interessant" findet (S.296). Dieses Romantisieren psychischer Krankheiten muss endlich aufhören. Leiden ist nicht schön oder interessant, es schränkt viele Menschen unfassbar ein.

Bisschen merkwürdig auch, dass sie in einem Kapitel etwas melodramatisch erzählt, dass sie außer ihrer Schwester keine Freund:innen hat (und sie das als Introvertierte nicht problematisch findet), und in späteren Kapiteln dann z.B. von einem Anruf ihrer Freundin Martha berichtet. Leser:innen sollten nicht alles wortwörtlich nehmen.

Wer Denkanstöße für das eigene Leben sucht, aber nicht erwartet, alle Antworten zwischen zwei Buchdeckeln zu finden, sollte "Ungezähmt" definitiv lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.10.2019

Unterhaltsame schülerische Wissenslücken

Nenne drei Streichinstrumente: Geige, Bratsche, Limoncello
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Kurzweilig und unterhaltsam, wenn auch nicht tiefschürfend. Ich habe das Buch hauptsächlich früh in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit gelesen, als ich noch nicht vollkommen wach war, und da hat es mich ...

Kurzweilig und unterhaltsam, wenn auch nicht tiefschürfend. Ich habe das Buch hauptsächlich früh in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit gelesen, als ich noch nicht vollkommen wach war, und da hat es mich gut unterhalten. Die beiden Autorinnen haben hier zum dritten Mal skurrile und lustige Antworten von Schülern zusammengetragen, die ihre Lehrer an Spiegel Online geschickt hatten. Sie sind thematisch nach Fächern sortiert, wobei die Autorinnen zwischen den einzelnen – stets sehr kurzen – Schülerantworten kurze Verbindungstexte geschrieben haben. Die haben meistens für einen guten Lesefluss gesorgt und manchmal ein bisschen Wissen vermittelt, waren manchmal aber auch etwas inhaltsleer. Eine reine Aneinanderreihung der Zitate wäre allerdings ermüdend gewesen. Angereichert wird das Buch zudem mit kleinen Karikaturen sowie am Ende mit der Revanche der Schüler, denn hier wurde bizarres Lehrerverhalten gesammelt. Für mich kein Buch, das ich am Stück durchlesen würde, aber super für zwischendurch.

Veröffentlicht am 23.09.2019

Faszinierend unperfekte Gespräche

Gespräche mit Freunden
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Ja, eigentlich ist die Handlung von „Gespräche mit Freunden“ arg überschaubar. Es geht um die verworrenen und wechselnden Beziehungen zwischen den beiden Freundinnen und ehemaligen Liebhaberinnen Frances ...

Ja, eigentlich ist die Handlung von „Gespräche mit Freunden“ arg überschaubar. Es geht um die verworrenen und wechselnden Beziehungen zwischen den beiden Freundinnen und ehemaligen Liebhaberinnen Frances und Bobbi, beide Anfang 20, und dem Ehepaar Nick und Melissa, beide in ihren 30ern. Sie verbringen mal zu viert, mal zu zweit oder dritt Zeit miteinander, sie lieben, streiten, zweifeln und reden. Diese Gespräche finden mal persönlich, mal per E-Mail oder Messenger statt. Das fühlt sich ziemlich authentisch an, denn statt gestelzter Dialoge liefert die Autorin Gespräche, bei denen die Beteiligten manchmal aneinander vorbeireden, sich manchmal missverstehen und manchmal ihre wahren Gefühle krampfhaft vor dem Gegenüber zu verstecken versuchen. Das empfand ich als ziemlich faszinierend zu lesen. Es geht hier sowohl um das, was gesagt wird, als auch um das, was nicht gesagt wird.
Frances bleibt als Ich-Erzählerin merkwürdig schwer zu greifen, was zu ihrer Unsicherheit passt. Die junge Studentin und Autorin hat keine Pläne für die Zukunft, ist in vielen Situationen gehemmt und unehrlich, obwohl sie geschätzt und geliebt wird. Sie verschleiert ihre Gefühle und Wünsche, tritt nach außen oft eher emotionslos auf, aber verletzt sich dann insgeheim selbst. Die Menschen in ihrem Umfeld nehmen sie teilweise ganz anders wahr als sie sich selbst.
Leider haben sich einige Klischees bei der Personenzeichnung eingeschlichen. Nick ist Schauspieler und natürlich umwerfend attraktiv. Melissa, die ein Portrait über Frances und Bobbi schreibt, kann für den kurzen Artikel mehrere Fotosessions mit den beiden durchführen, was für einen Freiberufler finanziell völlig unrealistisch ist. Und Frances mit ihrem destruktiven Verhalten ist natürlich Scheidungskind mit einem alkoholkranken Vater.
Abgesehen davon lohnt sich „Gespräche mit Freunden“ schon allein wegen des großartigen Schreibstils und dem Talent der Autorin, alltägliche Szenen und Gespräche so präzise einzufangen.

Veröffentlicht am 18.03.2019

Was ist Realität, was Fantasie?

Der Brief
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Die Prämisse des Romans "Der Brief" hat mich begeistert: Die freie Journalistin Marie wird überraschend aus ihrem Alltag gerissen, als sie einen Brief ihrer alten Schulfreundin Christine erhält. Er ist ...

Die Prämisse des Romans "Der Brief" hat mich begeistert: Die freie Journalistin Marie wird überraschend aus ihrem Alltag gerissen, als sie einen Brief ihrer alten Schulfreundin Christine erhält. Er ist an Marie adressiert, jedoch steht darauf eine Pariser Adresse, obwohl Marie in Hamburg lebt. Der Inhalt ist ähnlich mysteriös: Laut dem Brief ist Marie mit einem Mann namens Victor liiert, obwohl sie in Wahrheit eine glückliche Beziehung mit ihrer Freundin Johanna führt. Zudem schreibt Christine über eine angebliche Krankheit Maries - doch die ist kerngesund. Kurz darauf erhält Christine einen ähnlich verwirrenden Brief mit falschen Behauptungen, der angeblich von Marie geschrieben wurde. Beide verdächtigen sich zunächst gegenseitig, doch dann begibt sich Marie auf Spurensuche, die sie unter anderem nach Paris, Berlin und in ihren Heimatort führt.

Die zentrale Idee gefällt mir sehr gut. Die beiden Frauen erhalten mehrere Briefe, die immer verwirrender werden. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, doch keiner scheint besonders wahrscheinlich. Dadurch fiebert der Leser mit.

Gleichzeitig handelt es sich bei dem Buch um einen Roman und nicht um einen Thriller. Daher entsteht keine atemlose Spannung. Neben den Briefen und den Untersuchungen zu deren Ursprung widmet sich die Autorin zudem intensiv Maries Beziehung zu ihrer Freundin, zu mehreren Freunden und zu ihren Eltern. Dadurch zeichnet sie ein sehr komplexes und interessantes Bild von Marie und ihrem Umfeld. Allerdings fällt dabei immer wieder die Spannung ab, da zwischen den einzelnen Briefen und dem Fortgang dieses Handlungsstrangs teils große Lücken klaffen. Manchmal wirken die Alltags-Themen neben dem faszinierenden Brief-Mysterium etwas belanglos.

Der Roman hat mich gut unterhalten und ich habe ihn relativ schnell an drei Nachmittagen ausgelesen. Leider ist weder emotional noch intellektuell viel hängen geblieben. Ich habe die Lektüre durchaus genossen, aber sie hat mich nicht besonders tief berührt.

Veröffentlicht am 18.03.2019

Clever und interessant, aber kein Actionthriller

Das Einstein Enigma
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Als ich diesen Wälzer ausgepackt habe, war ich zunächst ziemlich erschrocken. Mit reichlich 600 eng bedruckten Seiten hat "Das Einstein Enigma" einen ziemlich großen Umfang. Letztendlich habe ich den Roman ...

Als ich diesen Wälzer ausgepackt habe, war ich zunächst ziemlich erschrocken. Mit reichlich 600 eng bedruckten Seiten hat "Das Einstein Enigma" einen ziemlich großen Umfang. Letztendlich habe ich den Roman jedoch schneller durchgelesen als erwartet. Es handelt sich um ein sehr ambitioniertes und respektables Projekt. Man merkt, wie intensiv der Autor J.R. Dos Santos recherchiert hat und mit welcher Liebe zum Detail er seine Story aus den vielen wissenschaftlichen Fakten und spirituellen Theorien zusammengepuzzelt hat.

Prinzipiell handelt es sich um ein vielversprechendes Konzept, das der Autor teilweise sehr spannend umsetzt. Sein Protagonist, der portugiesische Kryptanalyst Tomás Noronha, wird als unfreiwilliger Doppelagent für den Iran und die CIA in eine dramatische Entschlüsslung eines Geheimdokuments von Albert Einstein verwickelt.

Die Handlung an sich ist ziemlich überschaubar, denn ein Großteil der Seiten wird mit Theorien rund um Einsteins Gottesformel gefüllt. Tomás reist zwischen Portugal, dem Iran und Tibet hin und her, um das Rätsel zu lösen. Dabei trifft er viele Charaktere, die anscheinend gerne Vorträge halten. Sie erklären Tomás (und damit gleichzeitig dem Leser) viele spannende Themen, die von der Relativitätstheorie über die Stringtheorie bis hin zum Buddhismus reichen. J.R. Dos Santos gelingt es in den meisten Fällen, diesen theoretischen Teil interessant zu erzählen und organisch in die Handlung einzufügen. Er besitzt das Talent, selbst komplexe Theorien leicht verständlich aufzubereiten.

Gleichzeitig entsteht bei diesem theorielastigem Ansatz ein Problem, für das ich einen Stern abziehe: Während der seitenlangen Diskurse reduziert sich das Erzähltempo extrem. Die eigentliche Handlung lässt sich ziemlich kurz zusammenfassen, selbst dramatische Ereignisse wie Tomás' Gefängnisaufenthalt im Iran werden ziemlich schnell abgehandelt, ohne das dramatische Potential voll auszuschöpfen. Auch die Liebesbeziehung zwischen Tomás und der Iranerin Ariana wirkte auf mich erzwungen, zu knapp abgehandelt und wenig authentisch.

Sobald der Protagonist eine neue Person trift, geht dasselbe Spiel von vorne los: Tomás stellt eine Frage und sein Gesprächspartner erklärt eine wissenschaftliche Theorie. Die Handlung kommt dadurch mehrfach fast zum Stillstand, was bei so einem langen Buch anstrengend sein kann. Meist fängt sich der Autor relativ schnell wieder oder schafft es, die Theorien so lebendig wiederzugeben, dass man trotzdem weiterliest.

Im Laufe des Romans muss Tomás zwei Rätsel entschlüsseln. Das erste, ein Gedicht, löst er relativ schnell. Nur die zweite Chiffre bereitet ihm Probleme. Die Lösung findet er nach einigen Umwegen ganz am Ende des Buches. Nach all den Theorien, die darauf hinlaufen, fand ich des Rätsels Lösung allerdings etwas einfach und damit antiklimatisch.

Dazu kommt, dass der Autor immer wieder ungelenke und umständliche Formulierungen verwendet. Beispiel: "Die Melodie, die aus seiner Hosentasche klang, kündete von einem Anruf auf seinem Handy." (S.39) oder "Vögel zirpten niedlich in den Zweigen, flatternd und sorglos,..." (S.410). Dass Tomás mit Ariana teilweise ziemlich herablassend redet ("Braves Mädchen.", S.133), gefiel mir ebenfalls nicht. Es bleibt letztendlich unklar, ob diese merkwürdigen Formulierungen an der Übersetzung oder der Unerfahrenheit des Autors liegt.

"Das Einstein Enigma" ist ein Mammutwerk. Wer trotz des reißerischen Klappentexts keinen spannungsgeladenen Actionthriller erwartet und sich für komplexe wissenschaftliche Ideen interessiert, ist mit dem Roman gut beraten. Das Buch ist unterhaltsam und gleichzeitig clever.