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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.11.2016

Im Kleinen wie im Großen

Jugend ohne Gott
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Die Plebejer sind an der Macht, sie feiern den Geburtstag des Oberplebejers und auch sonst folgen sie ganz unkritisch seinen Worten und den Reden seiner Unterstützer, die flächendeckend, das Land durch ...

Die Plebejer sind an der Macht, sie feiern den Geburtstag des Oberplebejers und auch sonst folgen sie ganz unkritisch seinen Worten und den Reden seiner Unterstützer, die flächendeckend, das Land durch das Radio beschallen.

Darin ein Lehrer der verzweifelt eine Nische für sich und seine Ansichten sucht. Auffallen will er um keinen Preis, seinen Schülern aber verkommene Werte vermitteln auch nicht, so windet er sich zwischen den Stühlen und scheitert wohl gerade durch diese Unentschlossenheit am Allermeisten.

Als es auf einem Zeltlager zu einem tragischen Zwischenfall kommt verändert sich nicht nur für den Lehrer das komplette Denken und Handeln.

Aus der Ich-Perspektive des Lehrers werden die Ereignisse geschildert, dabei tritt auch der Charakter dieser Person deutlich zu Tage. Klar und mit umsichtig gesetzten Worten führt uns Horvàth in die Lebenswelt des Protagonisten und macht ihn für uns mit allen seinen Schwächen und den wenigen Stärken, die er sein Eigen nennen mag lebendig.

Mit „Jugend ohne Gott“ legte Ödön von Horvàth einen sozialkritischen Roman vor, der Seinesgleichen sucht. Auf 182 Seiten bemüht der Autor Metapher um Metapher, zitiert die Bibel und andere bekannte Schriften und spart nicht an kritischen und sarkastischen Aussagen.

Kein Wunder, dass der Roman 1938 auf der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ geführt wurde und im gesamten Reichsgebiet eingezogen wurde, zu offensichtlich waren die Vergleiche zum Deutschen Reich und seiner Propagandamaschinerie.

Mehr als nur einmal fragt man sich bei „Jugend ohne Gott“, welche Generation Horvàth wohl gemeint haben mag, die gottlos durch ihr Leben geht. Die damaligen Jugendlichen, oder vielleicht doch die Erwachsenen, denen es nicht gelingt Verständnis für die Jüngeren aufzubringen und damit eine Brücke zu deren Einstellungen zu schlagen?

Am Ende mag ich für mich herauslesen, dass jede Generation gottlos ist und es immer an uns selbst liegt, dies zu ändern oder noch zu verstärken. Im Kleinen wie im Großen.

Veröffentlicht am 17.11.2016

Es lebe die Freiheit!

„Es lebe die Freiheit!“
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Die Geschwister Hans und Sophie Scholl verfassen und verteilen gemeinsam mit StudienkollegInnen 6 Flugblätter, ein siebentes wird nie vollendet. Die Geschwister werden beim Verteilen des sechsten Flugblattes ...

Die Geschwister Hans und Sophie Scholl verfassen und verteilen gemeinsam mit StudienkollegInnen 6 Flugblätter, ein siebentes wird nie vollendet. Die Geschwister werden beim Verteilen des sechsten Flugblattes entdeckt, verhaftet und kurz darauf hingerichtet.

Peter Normann Waage rollt die Geschichte der Weißen Rose erneut auf. Anschaulich beschreibt er Kindheit und Jugend der wichtigsten Mitglieder des Studentenkreises und veranschaulicht auch Einflüsse des Nazi-Regimes auf die sehr jungen Menschen.

Waage wählt einen interessanten Blickwinkel auf die involvierten Personen. Er beschreibt nicht nur sie selbst sondern auch ihre WegbegleiterInnen und MentorInnen, die maßgeblich daran beteiligt sind, dass sich diese jungen Menschen individuell entwickeln können und schließlich das Nazi-Regime hinterfragen und beginnen es zu bekämpfen.

Besonderes Augenmerk legt der Autor hierbei auf Traute Lafrenz, die er mehrere Male persönlich traf und befragte. Ihre Aussagen gibt er wortgetreu wieder und ermöglicht den LeserInnen dadurch einen objektiven Blick auf die Erlebnisse, Wahrnehmungen und Erfahrungen von Traute Lafrenz.

Des Weiteren umreißt er auch die Literatur, mit der die Geschwister Scholl aber auch andere beteilgte Personen in Kontakt kamen und die auch zum Teil in den Flugblättern zitiert wurden. Vor allem russische Autoren standen hierbei im Vordergrund. All diese Einflüsse werden erläutert und helfen dabei ein klareres Bild des Freundeskreises rund um die Weiße Rose zu gewinnen.

Im Anhang sind die Flugblätter selbst nach zu lesen. Ein unverstellter Blick auf diese Schriftwerke ist möglich sind sie doch frei von Kommentaren und Erläuterungen.

Waage schönt nicht und zeigt auch die Schattenseiten der Vereinigung, wie zum Beispiel die Geschichte um Heinz Kucharski, der durch die Denunzierung seiner KollegInnen ein so undurchdringliches Netz spinnen konnte, dass er selbst der Hinrichtung entging, aber für die Verhaftung von vielen anderen Menschen verantwortlich war.

Traute Lafrenz lehnte dieses Vorgehen ab und auch ihre Wahrnehmung und ihr Umgang mit diesen schwierigen Situationen nähert sich der Autor mit sehr viel Taktgefühl aber auch mit dem Anspruch Klarheit zu verschaffen.

Eine gut recherchierte, klar strukturierte und gut aufgebaute Behandlung des Themas, die sich flüssig liest, vor allem durch die vielen Passagen von Gesprächen mit Traute Lafrenz.

Veröffentlicht am 17.11.2016

Voll schön...

Liebe unter Fischen
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Alfred Firneis ist völlig neben der Spur. Zwei seiner Lyrikbände verkauften sich überraschend gut und brachten den kleinen Verlag von Simone Beckmann große wirtschaftliche Erfolge.

Doch genau zu dem Zeitpunkt ...

Alfred Firneis ist völlig neben der Spur. Zwei seiner Lyrikbände verkauften sich überraschend gut und brachten den kleinen Verlag von Simone Beckmann große wirtschaftliche Erfolge.

Doch genau zu dem Zeitpunkt als sie ein neues Buch von ihrem besten Pferd im Stall benötigt, gerät Firneis in die ultimative Krise. Wie bringt frau einen Autor mit depressiver Schreibblokade dazu ein neues Meisterwerk abzuliefern?

Locker und leicht liest sich „Liebe unter Fischen“ auf den ersten Seiten und erinnert zuweilen wirklich an Daniel Glattauers „Gut gegen Nordwind“, geraten doch der E-Mail-Verkehr zwischen Firneis und Beckmann äusserst amüsant.

Doch immer wieder geschickt eingestreute Passagen voller Tiefgang und Ernsthaftigkeit bringen die LeserInnen zum nachdenken und fesseln gleichzeitig.

Vor allem die stille Einkehr im österreichischen Almenland erinnern zuweilen an Marlen Haushofers „Die Wand“. René Freund präsentiert den LeserInnen eine ebenso ungewöhnliche wie gelungene Mischung, die für ein wahrliches Lesevergnügen sorgt.

Erstmals hat mich ein Buch so amüsiert, dass ich mich sogar an einen Liveticker herangewagt hatte.

Veröffentlicht am 17.11.2016

Der große Traum

Ein Lied über der Stadt
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Luise hat einen großen Traum – sie will fliegen. Fliegen um jeden Preis, davon erhofft sie sich die große Freiheit. Ohne zunächst zu begreifen, was hinter ihrem Wunsch steht will sie der Enge ihres Städtchens ...

Luise hat einen großen Traum – sie will fliegen. Fliegen um jeden Preis, davon erhofft sie sich die große Freiheit. Ohne zunächst zu begreifen, was hinter ihrem Wunsch steht will sie der Enge ihres Städtchens entfliehen, frei sein von Zwängen, Kleinbürgertum und starrem Gehorsam.

Gemeinsam mit einem Freund aus Jugendtagen kommt sie auf die Idee, sich kurzerhand selbst ein Flugzeug zu bauen. Viele Stunden und all ihr Erspartes setzen Luise und Georg ein um sich ihren Traum zu erfüllen, um die Welt endlich von oben zu sehen.

Doch das Leben spielt oft anders und das Deutschland der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts steuert unaufhaltsam auf eine Katastrophe zu.

Mit „Ein Lied über der Stadt“ nimmt uns Ewald Arenz mit in eine Vergangenheit, die noch gar nicht so lange zurückliegt und uns dennoch bereits fremd und unwirklich scheint. Wie kein anderer vermag es der Autor, das Lebensgefühl der damaligen Zeit zu transportieren, sodass sich die LeserInnen von der ersten Seite an richtig heimelig in dem Roman fühlen können.

Die Geschichte wird gleichermaßen von den ProtagonistInnen als auch den Nebencharakteren getragen und zu den meisten von ihnen lässt sich ganz schnell eine Beziehung aufbauen. Dadurch werden ihre Handlungen schnell nachvollziehbar und eingehend.

Ewald Arenz sagte im Rahmen der lovelybooks-Leserunde der Arbeitstitel für „Ein Lied über der Stadt“ lautete „Schöner Roman“, nun ein schöner Roman ist dieses Buch wirklich, aber nebenbei noch einer der ganz sacht etwas in den Menschen zum Klingen bringen kann.

Veröffentlicht am 17.11.2016

Alles Tee

Der Teezauberer
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Als sie einschliefen, ineinandergegossen, dachte Marietta: und trotzdem träumst du. Und Jakob: Und trotzdem träume ich. (S. 55)

Jakob ist ein erfoglreicher Tee- und Kaffeehändler, mit seiner Familie führt ...

Als sie einschliefen, ineinandergegossen, dachte Marietta: und trotzdem träumst du. Und Jakob: Und trotzdem träume ich. (S. 55)

Jakob ist ein erfoglreicher Tee- und Kaffeehändler, mit seiner Familie führt er ein beschauliches Leben. Seine Leidenschaft für Tee und Kaffee aus aller Welt erfüllt sein Dasein und er kann Menschen mit einer guten Tasse Tee und seinen Worten auf Reisen schicken.

Doch was er für andere schafft, fehlt ihm selbst immer mehr. Er fühlt sich leer und leerer, schließlich begibt Jakob sich auf eine Suche um seine Sehnsucht nach Wahrheit zu stillen.

Ewald Arenz beschreibt mit wunderschönen Worten die Geschichte eines Mannes, der auf der Suche nach sich selbst sich immer mehr verliert und dabei doch auf den Kern seines ureigensten Seins stößt.

Dabei gelingt es ihm surreale Szenen mit der Kraft von Bildern auszudrücken, sodass die LeserInnen bald meinen selbst mitten in der von Jakob erschaffenen Welt zu stecken.

Mit dem Protagonisten verschmelzen die LeserInnen direkt zu Beginn des Buches und so ist es nicht verwunderlich, dass der Ausstieg aus demselben wiederum schwer fällt und man noch gerne weiter mit Jakob auf Worten reisen und mehr über die Geschichte des Tees erfahren möchte.