Von Traurigkeit und Zuversicht zwischen Begegnungen.
"Willkommen in Berlin!" bzw. eigentlich leben die Protagonisten in Matthias Nawrats Roman "Der traurige Gast" alle schon eine Weile dort und sind trotzdem nie so wirklich angekommen. Aufgrund einer gefundenen ...
"Willkommen in Berlin!" bzw. eigentlich leben die Protagonisten in Matthias Nawrats Roman "Der traurige Gast" alle schon eine Weile dort und sind trotzdem nie so wirklich angekommen. Aufgrund einer gefundenen Visitenkarte meldet sich der Ich-Erzähler bei einer Architektin und möchte mit ihr seine Wohnung renovieren. Er selbst hat gerade erst geheiratet, hat noch keine Kinder und doch hat er in dem Moment den Wunsch nach Veränderung. Aber dazu kommt es scheinbar nie, denn ihre Treffen schweifen oftmals in die persönlichen Erzählungen der ehemals aus Polen stammenden Architektin ab. Und so hört er sich stets ihre Erlebnisse, Verluste, Geschichten an, bis dann keine Zeit mehr bleibt und sie ein erneutes Treffen vereinbaren müssen. Aber er spricht nicht nur von ihr, sondern auch von seiner Begegnung mit einem alten Mann in einem polnischen Lokal, von der Verkäuferin in dem polnischen Laden oder von den Gesprächen mit einem ehemaligen Kommilitonen von der Universität und von Dariusz, der Tankstelle und dessen Leben. Einem jedem schenkt er Raum und Aufmerksamkeit und stellt damit ein faszinierendes Bild verschiedenster Stadien einer immigrierten Gesellschaft her. Menschen, die alles aufgeben und verlassen, um anzukommen und es doch nie so wirklich schaffen.
Zugegeben, dieser Roman war für mich keine einfache Hürde. Nawrat schafft insgesamt eine eher bedrückte Atmosphäre, die dann Seite für Seite zunimmt und scheinbar auf ihn überspringt. Willkommen und Abschied. Aufbruch, Veränderung und Stagnation. Der traurige Gast ist in diesem Fall wahrscheinlich Nawrat selbst. Er, der wie der Mann ohne Namen ursprünglich auch aus dem polnischen Opole stammt und als Kind nach Deutschland/Berlin migrierte. So schildert er sehr eindrucksvoll einzelne Treffen mit alten 'Vertrauten' bzw. eigentlich lernt er seine Gesprächspartner erst kennen und dennoch herrscht zwischen ihnen bereits eine Verbindung. Ihre Vergangenheit schweißt sie zusammen und doch sind sie eher einsam. Sie teilen mit ihm ihre Geschichten und Eigenarten, ihren Verlust und Schmerz... Am Ende entsteht ein recht eigenartig düsteres, harmonisches, graues Bild, das den Leser mit nimmt, überrascht, aber auch deprimiert zurücklässt. Ich kann es wirklich nur ganz schwer in Worte fassen... es herrscht dieses beklemmende, bedrückende Gefühl in Verbindung mit Hoffnungslosigkeit und doch geht es irgendwie immer weiter oder endet teilweise so ganz plötzlich und abrupt. Und gerade das in Kombination mit dieser Nähe und Menschlichkeit... Puh, ich bin beeindruckt; also nicht mal wirklich so wahnsinnig von der Geschichte begeistert, denn das schafft anspruchsvolle Literatur eher selten, aber dafür so aufs Tiefste berührt und melancholisch mitgerissen. Und daher möchte ich in diesem Fall auch mit eine, wie ich finde, sehr passenden Zitat enden:
"... Menschen können ohne Zuversicht nicht leben. Ohne Zuversicht beginnen sie zu hassen. Und schließlich, über kurz oder lang, fangen sie an, sich für diesen Mangel an Zuversicht zu rächen. Ihre Wut lenkt um [...] Dabei ist die Zuversicht, so scheint es mir, eine Entscheidung. Jeder kann in jedem Moment von heute auf morgen entscheiden, zuversichtlich zu sein. Und damit wenigstens hier, in diesem konkreten Welt jetzt, das Schlimmste verhindern."