Ein ereignisreicher Roman, ein geschichtsträchtiges Haus und eine tragische Freundschaft
Das ErbeNachdem mir Ellen Sandbergs Roman "Die Vergessenen" vor einem Jahr noch so unglaublich gut gefallen hat, war "Der Verrat" für mich einfach eine große Katastrophe. Also das heißt nun nicht, dass man ihren ...
Nachdem mir Ellen Sandbergs Roman "Die Vergessenen" vor einem Jahr noch so unglaublich gut gefallen hat, war "Der Verrat" für mich einfach eine große Katastrophe. Also das heißt nun nicht, dass man ihren zweiten Roman nicht lesen dürfte oder er nun schlecht geschrieben wäre, aber für meinen Geschmack war es einfach zu viel Kitsch, Herzschmerz, Familienstreit, komische Vorfälle, ARD und ZDF der große Spielfilm am Abend lassen grüßen. Nun erschien vor einiger Zeit “Das Erbe”, ein wieder etwas geschichtsträchtigerer Roman, und da dachte ich, er könnte wieder mehr mit ihrem ‘ersten’ Roman mithalten, doch nun ja…
“In diesem Haus … Wie soll ich es sagen? Es steckt nichts Gutes darin. Neid, Hass, Gier. Verrat. […] Es ist so viel Leid damit verbunden. Ich habe mein Auskommen und wollte eigentlich nur herausfinden, was aus meiner Großmutter wurde. Und plötzlich bin ich zu einem Teil Jude. Das beschäftigt mich.”
Also in diesem Roman gibt es drei Handlungsstränge, die sich nach und nach vereinen und dann in zwei verschiedene Richtungen fortlaufen. Zum einem wäre da die Geschichte von Mona Lang. Im Spätsommer 2018 erfährt sie, dass ihre Großtante Klara sie als Alleinerbin einsetzte, allerdings kannten sie sich kaum. Mona wohnt seit mehreren Jahren mit ihrem Mann/Freund in Berlin und hat sich eigentlich so gut es geht von ihrer Familie abgekapselt. Seit einem tragischen Unfall, den sie überlebte, hat sich vieles angestaut, Hass und Wut dominieren ihr Verhältnis und Mona ist das schwarze Schaf der Familie. Als sie nun in München das Haus der Großtante erbt, spitzt sich vieles zu. Ihr Partner hat eine neue Liebe gefunden. Und ihre Mutter hat bereits fest mit dem Erbe und damit einem sehr teuren Gemälde gerechnet, doch das Vermögen ist um einiges größer und entfacht damit auf ein Neues Gier, Missgunst und Leid. Doch was alle bis dato nicht ahnen… dieses prunkvolle und heute 12 Millionen teure Anwesen ist aus nicht ganz freien Stücken in die Hände ihrer Familie gelangt und soll noch für einige Überraschungen sorgen.
Der zweite Handlungsstrang spielt im Jahre 1938 und blickt somit zurück auf Klara, ihre Eltern, ihre jüdische Freundin und den Vermieter Jakob Roth. Als die Unruhen beginnen und die Nationalsozialisten anfangen die Juden nach und nach zu schikanieren und zusammenzutreiben, wollen die Roths nach Amerika auswandern, doch alles kommt am Ende so ganz anders als geplant.
Und dann gibt es da noch die arbeitslose Sabine und ihre Familie aus Hamburg Harburg. Bisher blieb ihr der große Reichtum verwehrt, aber sie träumt bereits vom großen Vermögen. Und als dann noch ihre an Alzheimer erkrankte Oma in ein Pflegeheim überführt wird, macht Sabine eine Entdeckung, die ihr ganzes Leben verändern wird… Surprise.
“Weißt du was? Ich glaube, dein wahres Erbe sind die Geschichten, die sie [Klara] dir hinterlassen hat. Die Geschichte von Mirjam, ihren Eltern und einer wahren Freundschaft zwischen zwei Männern. Auf deinen Roman.””Und auf das Leben.”
Und ja, man kann es sich nun vielleicht schon denken wie alles zusammengehört, aber in diesem Buch findet noch viel, viel mehr statt. Und gerade das hat mich ja schon bei Der Verrat so furchtbar aufgeregt. In diesem ‘Teil’ geht es nun um das Erbe, den Blick in die Vergangenheit, eine zufällige Parallele zur gleichen Zeit und mehrere Menschen suchen plötzlich in ihrem Stammbaum nach Antworten. Natürlich spielen dann auch wieder eine Romanze, eine Liebesbeziehung, das Fremdgehen, Lug, Betrug und Co mit rein. Ein (versuchter) Mord, Drohungen, verschiedene Dilemmas ‘runden’ dann das Gesamtbild ab und irgendwie schafft Sandberg alias Inge Löhning auch wieder alles miteinander zu verweben und kein Detail einfach so unter den Tisch fallen zu lassen. Aber es ist einfach zu viel, durch die zahlreichen Wiederholungen und Beschreibungen der einzelnen Personen und Zusammenhänge, wird die eigentliche Geschichte so ein bisschen vom Ganzen erdrückt bzw. Löhning hat durch die ganzen plötzlichen Zwischenfälle und ‘neue spannende Ideen’ den Fokus so ein bisschen aus den Augen verloren. So ist es ein netter Unterhaltungsroman, den man auch weglegen und irgendwann wieder ergreifen und weiterlesen kann, ohne dass das Verständnis beeinträchtigt wird, schließlich passiert ja ständig was neues und so kann man immer wieder mit den Augen rollen oder gespannt durch die Seiten fliegen. Vielleicht ist dieses Viele und die Aufdröselung der ganzen Vermutungen vom Anfang auch gerade der Trick, der einen durch diesen Roman treibt, denn man hat binnen kürzester Zeit eine Idee vom Ende, wird dann mehrfach in andere Richtungen geschubst, um am Ende doch wieder bei dem zu landen, was man anfangs dachte… wenn man nun versteht was ich meine.
Ohne jetzt auf weitere, fragliche Details einzugehen zu wollen oder noch mehr zu verraten, empfehle ich diesen Roman nun jenen, die bereits Der Verrat toll fanden, wenig Zeit haben, aber trotzdem nebenbei irgendetwas spannendes und ‘liebendes’ lesen möchten oder sonst eher in diesem Liebe/Vertrauen/Verrat-Themen zuhause sind. Und alle anderen, die etwas gut recherchiertes und spannendes von Ellen Sandberg lesen möchten, greifen dann doch lieber zu Die Vergessenen, denn diese Geschichte verbindet etwas gekonnter gegenwärtige Spannung mit fraglich, moralischen Konflikten der Vergangenheit.