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Veröffentlicht am 17.02.2020

ein intensiver Roman über Familie, Kunst, Wahrnehmung und Abhängigkeit

Je tiefer das Wasser
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Edith und Mae sind 16 bzw. 14 Jahre alt, als ihr Leben eine rasante Wendung nimmt. Ihre Mutter Marianne wollte sich das Leben nehmen. Edith findet sie mit einem Strick um den Hals. Gerade noch rechtzeitig. ...

Edith und Mae sind 16 bzw. 14 Jahre alt, als ihr Leben eine rasante Wendung nimmt. Ihre Mutter Marianne wollte sich das Leben nehmen. Edith findet sie mit einem Strick um den Hals. Gerade noch rechtzeitig. Und dann wird die alleinerziehende Mutter in eine Nervenklinik eingewiesen. Die beiden Kinder bleiben zurück und müssen nun zu ihrem Vater nach New York. Er ist ein bekannter Schriftsteller und hat die Familie vor etwa 12 Jahren im Stich gelassen. Für Edith bricht die Welt zusammen. Er ist ein Fremder und sie möchte wieder zurück zu ihrer Mutter, ihr helfen und für sie da sein, doch man lässt sie nicht. Der Umzug zu ihrem Vater gleicht für sie einem Verrat und wie sich herausstellt scheint auch er an dieser Situation nicht ganz unschuldig zu sein. Für Mae hingegen ist das alles wie ein Befreiungsschlag. Sie will von ihrer Mutter nichts mehr wissen und geht im Kampf um die Aufmerksamkeit ihres Vaters förmlich auf. Es kommt zum Bruch und die beiden Geschwister schlagen komplett gegensätzliche Wege ein. Edith unternimmt einen Rettungsversuch und gibt alles mögliche um wieder zurück zu ihrer Mutter zu kommen. Und Mae verrennt sich in etwas, das ihr bald noch zum Verhängnis werden soll …

“Ich weiß nicht, wie viel Edie von alldem wusste. Sie sagte immer, ich wäre Moms Liebling, aber das ist nicht wahr. Es war eher so, dass Mom mich als Erweiterung ihrer selbst sah, während Edie die Freiheit hatte, ganz sie selbst zu sein. […] Ich musste so weit wie möglich von ihr wegkommen, sonst hätte sie mich verschlungen.”

Dieser Roman schildert nun die Tragik innerhalb der Familie, teilweise aus verschiedenen Zeiten und Perspektiven. Wir lernen die Gedankenwelt der beiden Kinder kennen, aber auch die Ansichten ihrer Bekannten und Verwandten in Bezug auf die Geschehnisse. Dabei springt die Erzählung zwischen Briefen aus der Kennlernzeit von Marianne und Dennis, dem Jahr des Geschehens und Rückblicken bzw. Anmerkungen und Erinnerungen einzelner Beteiligter aus der heutigen Zeit. Nach und nach setzt sich so ein Bild zusammen, das so einiges erklärt, umreißt, aber auch sehr bewegt. Es ist eine Mischung aus Wirklichkeit und individueller Wahrnehmung, die immer wieder von Kunst, Liebe, Wahn und Inspiration durchbrochen wird. Während des Lesens war es für mich eine Art Achterbahnfahrt, geprägt von der Angst vor dem was kommt und dem Unbedingt-wissen-wollen wie es weiter geht. Katya Apekina liefert hier eine vielschichtige und aus vielen Perspektiven aufbauende Geschichte, deren Protagonisten einiges erleben, aber nicht alles wird auserzählt. Es bleibt sehr viel Spielraum für die eigenen Gedanken und einiges dröselt sich erst im weiteren Verlauf auf. So war ich dann teilweise erstaunt, teilweise überschlagend im Weiterlesen, manchmal mit den Protagonistinnen betrübt, manchmal eher skeptisch und manchmal auch einfach überrascht und puh… Dieses Leseerlebnis war toll und irgendwie habe ich seit langem mal wieder auf so ein durch und durch faszinierendes und begeisterndes Buch gewartet. Und hier ist es nun.

Vom Ablauf her erinnert es mich an ein Verhör bzw. so ein Puzzle aus einzelnen Fragmenten einer Tätergeschichte. Und Täter gibt es sogar zahlreich, denn im Grunde läuft bei allen Beteiligten der Familie so einiges schief – psychisch, traumatisch, zwischenmenschlich. Im Fokus stehen dabei die beiden Mädchen, Edith und Mae. Edith versucht ihr Bild über die Mutter so lange wie möglich aufrecht zu halten, kämpft für die Nähe und Bindung zu ihr und scheint wie mit einem Tunnelblick keine anderen Ansichten und Möglichkeiten zuzulassen. Sie will ihre Mutter wieder haben, bei sich ‘tragen’. Nur von ihrem Vater, der sie vor 12 Jahren einfach so sitzen gelassen hat, will sie so gar nichts wissen. Sie scheint sauer auf ihn zu sein, ähnlich wie auf alle anderen Menschen in ihrem Umfeld. Und bei Mae ist es eben genau anders herum. Man merkt recht schnell, es muss noch irgendetwas anderes vorgefallen sein. Sie verrennt sich immer mehr in einer Art Fanatismus und nimmt im Kampf um die Aufmerksamkeit ihres Vaters nahezu alles in Kauf und dann… nun ja. Dann passiert eben das, wovor alle gewarnt haben. Damals schon. Und als Leser guckt man nun so kopfschüttelnd und fasziniert zu und kann einfach nicht einschreiten, noch im gleichen Moment alles verstehen. Zumindest mir erging es dabei so.

Neben dieser extremen Bindungsgeschichte/diesem Aufmerksamkeitswahn durchdringt diesen Roman dann immer wieder die Kunst, die Literatur, die Fotografie, die Musenhaftigkeit und Inspiration den Gedankenstrom. Teilweise sind es ‘meine’ Abschnitte und Gedanken, die sich in diesen sehr klaren, direkten Zeilen wiederfinden. Die Besonderheit der Fotografie und des ‘Sehens’ zum Beispiel. Hierüber könnte ich stundenlang schwafeln und Apekina schafft es ihre Gedanken in die Geschichte einfließen zu lassen, auf wenige Zeilen zu beschränken und doch den Kern der Essenz zu verdeutlichen. Es ist dabei aber kein hochliterarischer oder gar anstrengender Text. Apekina schreibt wunderbar leicht, normal menschlich und gedanklich voller Spitzen, aufbrausender Wut und Trauer und dennoch lässt sie sehr viel Spielraum für die eigenen Gedanken des Lesers, der nach und nach das Bild hinter dem Puzzle ergründet.

Mich hat dieser Roman begeistert verschlungen und auf eine abwechslungsreiche Reise entführt. Ich hoffe nun, dass ihr zu diesem Buch einen Zugang findet und Ähnliches, Faszinierendes und Tolles entdecken könnt, denn Apekina zeigt hier sehr eindrucksvoll wie kräftezehrend die Kunst, Beziehungen oder gar Egoismus sein können. Eine überraschend große Leseempfehlung, leicht ungewöhnlich und doch absolut toll.

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Veröffentlicht am 03.02.2020

Wenn der Tod zur Sünde wird

Was man sät
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Vor ungefähr zwei Jahren, war Lize Spit mit ihrem düsteren Roman “und es schmilzt” in aller Munde. Viele fanden die Geschichte von Eva sehr verstörend, brutal und faszinierend zu gleich. Und irgendwie ...

Vor ungefähr zwei Jahren, war Lize Spit mit ihrem düsteren Roman “und es schmilzt” in aller Munde. Viele fanden die Geschichte von Eva sehr verstörend, brutal und faszinierend zu gleich. Und irgendwie hat es die belgische Provinz (in der dieser Roman spielt) nach einigen langatmigen Abschnitten ‘hart getroffen’.
Ein ähnliches, beklemmendes Buch ist nun gerade bei Suhrkamp erschienen. Was man sät von Marieke Lucas Rijneveld kommt, wie der Name es vielleicht schon verrät, auch aus dem holländischen Raum und wurde ebenfalls von Helga van Beuningen ins Deutsche übertragen. Auch die Grundvoraussetzungen sind ähnliche und dennoch bringt Rijnevelds Roman eine noch viel düstere und bewegendere Welt zutage.

“Wir haben alle eine alte Seele. Meine ist schon zwölf Jahre alt. Das ist älter als die älteste Kuh des Nachbarn, und die gehört seinen Worten zufolge auf den Schrott, sie gibt nur noch wenig Milch.”

Und genauso fühlt sich Jas. Seit nun zwei Jahren führen sie und ihre Geschwister ein eher sündiges Leben zwischen experimenteller Fantasie, Okkultismus, Sehnsüchten, Angst. Damals waren sie noch eine 6-köpfige Vorzeigefamilie. Es war kurz vor Weihnachten und die Familie freute sich auf die nahenden, besinnlichen Festtage. Doch Jas bemerkte, wie ihr Vater ihrem Lieblingskaninchen immer mehr Aufmerksamkeit schenkte und es mästete. Sie fürchtete schlimmstes und so betete sie zu Gott, er möge es beschützen und lieber ihren ältesten Bruder Matthies zu sich holen… und genau das geschah. Ihr Bruder brach beim Schlittschuhlaufen auf der anderen Seite des Sees durch die Eisdecke und starb. Der Tierarzt überbrachte die Nachricht, als die Mutter Jas und ihre kleine Schwester Hannah badete. Die große Trauer blieb aus, jeder machte sich einzeln Vorwürfe, Weihnachten wurde vor die Tür gesetzt und das Unausgesprochene fraß sich seinen Weg.

“Später dachte ich manchmal, dass hier die Leere begann: dass nicht der Tod schuld war, sondern die beiden Weihnachtstage, die in Töpfen und leeren Husarensalatschachteln weggegeben wurden.”

Ihre Mutter hört auf zu essen und wird immer dünner. Ihr Vater kümmert sich um den Hof, das Vieh und begibt sich immer mal wieder alleine mit dem Fahrrad zum See. Ihr Bruder Obbe, sie und ihre Schwester leben irgendwie weiter, suchen ihren Weg und treiben in ihren Gedanken. Und vor allem Jas macht sich Vorwürfe, die Schuldige an Allem zu sein. Sie hat Angst vor dem Tod, zieht ihre Jacke nicht mehr aus, trägt allerhand Krimskrams in ihren Taschen mit sich, nur um zu sein, um Erinnerungen zu haben und weiter zu leben. Die Kinder probieren sich aus, erkunden sich sexuell, fügen sich Schmerzen zu, lassen Tiere sterben… Es ist als wären sie abgetrennt von der Außenwelt. Ihre eigene Welt, ihre eigenen Gesetze und vor allem Jas scheint irgendwo dazwischen stecken zu bleiben, zwischen Gott und Tod, Angst und Schmerz…

“Im Verlust finden wir uns selbst und sind, wer wir sind: verletzliche Wesen wie gerupfte Starenjunge, die ab und an nackt aus dem Nest fallen und hoffen, dass sie wieder aufgesammelt werden. Ich weine um die Kühe, ich weine um die drei Könige, aus Mitleid, und dann um das lächerliche, in eine Jacke der Angst gehüllte Selbst, die Tränen rasch wieder wegzukriegen.”

In diesem Zusammenhang zu sagen, dass es ein großartiges Buch ist, klingt irgendwie falsch und doch hat mich Rijneveld komplett in eine andere Welt katapultiert. Dieser so wahnsinnig düstere, abgrundtiefe Roman hat eine enorme Bildhaftigkeit und lässt den Schmerz, die Trauer, die Angst von Jas beinahe hautnah erleben. Und dabei entwickelt sich mit jeder Seite eine große Sogwirkung, ohne, dass es sich hierbei um einen Krimi handelt und doch denkt man nur: Was mag als nächstes passieren? Wer wird sterben? Wird wer sterben? Warum tun sie das? Warum merkt das denn niemand? Hilfe! Und das wühlte mich bis zur letzten Seite sehr auf und hat mich noch lange darüber hinaus beschäftigt.
Zwar ist das Ende nicht gerade das, was man sich zu Anfang erhofft und doch hat dieses Buch so etwas in sich Abgerundetes, das ich es einfach nur toll finden kann. Lize Spit selbst sagt: “Rijneveld erschafft eine finstere Welt voll wunderschöner Bilder.” und da merkt man wieder, wie ähnlich die beiden Autorinnen literarisch ‘unterwegs’ sind, denn genau so, wie “Und es schmilzt” endet, ist dieser ganze Roman. Fesselnd, bedrückend, tragisch, faszinierend, menschlich, wow. Also wer in Sachen Romanen einiges ab kann und Lize Spits Geschichte ebenso begeistert gelesen hat, der ist mit diesem Buch wunderbar bedient. Und zu allen anderen würde ich sagen: “Es ist wie der grausigste November. Lest mal vorsichtig rein und lasst dabei vielleicht das Licht an.”

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Veröffentlicht am 02.02.2020

“Vater, Mutter, Kim” und diese Lücke, die bleibt.

Vater, Mutter, Kim
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“Vater, Mutter, Kim” von Eivind Hofstad Evjemo habe ich nun schon vor einer Weile gelesen und habe nach wie vor das Gefühl, diesem Roman hier nicht gerecht werden zu können. Evjemo erzählt nämlich nicht ...

“Vater, Mutter, Kim” von Eivind Hofstad Evjemo habe ich nun schon vor einer Weile gelesen und habe nach wie vor das Gefühl, diesem Roman hier nicht gerecht werden zu können. Evjemo erzählt nämlich nicht nur eine einfache Geschichte. Sie ist viel tiefgründiger und greift ganz andere Gedankenebenen an. Es geht mehrfach um den Verlust und die Trauer. Es geht um eine Familie, die ein Kind adoptiert. Es geht um Anteilnahme, um Menschlichkeit, Zurückhaltung und …

“Dieses unmittelbare Gefühl, wenn ein Damals und ein Jetzt zusammenfallen, dass etwas Unveränderliches, ja Ewiges, zwischen dem Anwesenden und dem Verlorenen entsteht. Für sie ist es wohl das, was einem Glauben am nächsten kommt. Wenn sie es fühlt, dann existiert es auch und kann nicht angezweifelt werden, denkt sie, und der Gedanke verschwindet sofort…”



Sella und Arild leben in einem kleinen Haus. Es scheint ein ruhiger, ereignisloser Tag zu sein und dann erblickt Sella das Auto ihrer Nachbarn, wie sie langsam durch die Siedlung fahren. Nach einer Woche Abwesenheit kehren sie nun endlich zurück und damit zunächst auch Sellas Hoffnung. Doch die Familie ist nicht vollständig. Ein Platz ist leer, der ihrer Tochter, die einem Terroranschlag auf Utoya zum Opfer fiel. Sella möchte ihnen ihre Anteilnahme zeigen, ihnen etwas backen. Waffeln vielleicht? Später wird sie diese in den Brotkasten legen und diese Geste immer wieder hinauszögern. Sella und Arlig kennen das Leid, die Trauer, den Verlust. Auch sie haben vor Jahren ihren Adoptivsohn Kim verloren. Sein Platz ist leer, wird es immer sein und doch lassen die Gedanken ihn nie verschwinden, geschweige denn Normalität einkehren. Rückblicke ermöglichen einen Einblick in ihr früheres Leben, den Kummer kein Kind zu bekommen, die Schwierigkeit ein Fremdes zu adoptieren, mit dessen Eigenarten fertig zu werden, gar Gewalt auszuüben und ihm doch ein zuhause und Liebe zu schenken, auch wenn dies oftmals einseitig erscheint. Und dann, dann ist da diese große Lücke, die ihr, aber auch anderen geblieben ist.



Es ist ein eher ruhiges, klares, teilweise gar beklemmendes Bild, das Evjemo hier zu Tage bringt. Aber es ist eben kein Roman, der sich mit einem turbulenten Plot brüsten kann, und das ist auch gut so, denn sonst würde es dieses feine, leicht Philosophische und Tiefgründige nur unnötig aufwirbeln, gar zerstören und den Fokus auf die Handlung lenken. Die Menschlichkeit und der Umgang mit dem Verlust steht hier im Vordergrund und das macht Evjemo sehr geschickt. Zumindest gefiel es mir sehr, dass das Hauptaugenmerk eben nicht auf diesen Anschlägen beruht, sondern die Gedanken der Protagonisten einfängt. Es ist eigentlich eher Sellas Geschichte, die hier präsent wird und ein sehr großes emotionales Abbild von Vertrauen, Liebe, Hoffnung über Trauer, Schmerz, Verzweiflung und Hilflosigkeit bereithält. Als Leser wird man hierzu zwischen den einzelnen Kapiteln bzw. Jahresausschnitten etwas hin und her geworfen und doch ist gerade dieses ‘Spiel’ wichtig um sich näher mit den einzelnen Protagonisten und ihrer Geschichte zu befassen. Und natürlich ist man zunächst etwas verwirrt, vielleicht sogar enttäuscht weil augenscheinlich kaum etwas passiert, im Text heißt es sogar: “Von oben gesehen, könnte man denken, es sei gar nichts passiert.” und doch sind diese 273 Seiten recht gewaltig, aber eben nur auf den zweiten, emotionaleren Blick.
In diesem Zusammenhang fällt mir dann auch Sarah Kuttners Roman “Kurt” ein und doch kann man beide nur bedingt miteinander vergleichen. In beiden geht es um Trauer und den Verlust. Kuttner, beschreibt eher die Verarbeitungszeit, das Tief, die Hilflosigkeit ihrer Protagonisten. Kurt ist unglücklich vom Klettergerüst gefallen und sein Vater scheint in der Welt aus Trauer gefangen. Seine Freundin versucht ihm eine Stütze zu sein und doch schaffen sie es nur gemeinsam Schritt für Schritt sich zu verstehen, sich wieder anzunähern und sich dem Leben neu zu wappnen.
Bei Evjemo ist diese Verarbeitungszeit bereits geschehen. Es ist eher die ständig mitschwingende Trauer und Erinnerungen, die noch danach aufkommen und das Leben begleiten. Der Schicksalschlag der Nachbarn, weckt die Unsicherheit, den Schmerz von damals und doch versuchen sie ihr Leben aufrecht zu halten. Vor allem Sella beschäftigt dies sehr. Und dann ist da noch die Anteilnahme am Verlust der anderen, die Skepsis, die Frage nach dem Wann. Wann ist der richtige Zeitpunkt auf die Betroffenen zuzugehen? Was werden sie denken? Und wie wäre der richtige Weg? Sella backt gerade hierfür häufiger Brötchen oder Waffeln, die sie den Nachbarn gerne vorbeibringen möchte, es ist ihre Form/Geste der Nähe und Aufrichtigkeit. Doch sie zögert den Weg hinüber zu gehen stets aufs Neue hinaus. Und diese tiefen Gedankengänge liebe ich an diesem Roman. Man fühlt sich in die Protagonistin hinein, begleitet sie, schaut, wie sie sich ihr Leben aufbaut und einiges wieder verliert, Menschen kennenlernt und verschwinden lässt. Man nimmt ihren Kummer, den Schmerz, ihre Liebesbemühungen auf, möchte eine Stütze sein, doch einem bleiben nur die Beobachtung und die Gedanken.
Das Leben kommt immer anders als man sich das selbst erhofft, manchmal unvorhergesehen schnell, manchmal ist es Arbeit, manchmal wird sie geschätzt, manchmal auch nicht und manchmal bleibt einem nur der Blick zu den ‘anderen’ und die Überwindung der eigenen Gedanken. Eivind Hofstad Evjemo – eine großartige Stimme aus Norwegen mit einem großen, unaufgeregten Roman voller Wärme, Einsamkeit und Leid.

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Veröffentlicht am 04.12.2019

Philosophie, Gedankenansätze, Afrika - ein entschleunigtes Leben für Dich, deine Gedanken und die Welt.

The Wonderful Wild
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Wer regelmäßig Nachrichten guckt, Zeitungen liest oder einfach den Blick durch die Socialmedia-Netzwerke streifen lässt, kommt eigentlich nicht mehr an den großen Problemen der heutigen Zeit vorbei. Klimakatastrophen, ...

Wer regelmäßig Nachrichten guckt, Zeitungen liest oder einfach den Blick durch die Socialmedia-Netzwerke streifen lässt, kommt eigentlich nicht mehr an den großen Problemen der heutigen Zeit vorbei. Klimakatastrophen, Umweltschutz, Unzufriedenheit, Demonstrationen... die Liste an gesellschaftlichen Konflikten, Meinungsverschiedenheiten, Reaktionen der Natur ist wahnsinnig lang geworden und gerade da ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und Menschen für gewisse Themen zu sensibilisieren. Und natürlich gibt es da gerade extrem viele tolle Ideen, Verbote, Vorschriften. Man kann tausende Dinge tun, sollte alles mögliche beachten, klimaneutral leben, dies, das, jenes und doch kann man es am Ende eigentlich eh nie jemandem Recht machen. Irgendwer würde sich immer darüber aufregen, dass du einen Plastikstrohhalm verwendest, den du vielleicht bereits vor Jahren gekauft und noch im Schrank gefunden hast, auch wenn du sonst alles mögliche für die Umwelt und Gerechtigkeit tust. Menschen werden sich auch immer angegriffen fühlen, wenn du ein falsches Wort 'benutzt' oder vielleicht einfach eine andere Meinung hast... Und was hilft? Richtig, wenn es nach der heutigen Gesellschaft geht: Vorschriften, Regeln, Verbote. Einerseits wollen wir alle die Freiheit, andererseits fürchten wir gerade jene und beschränken die Freiheit anderer. Und dabei ist dies einfach der falsche Weg, denn einen in der Wildnis lebenden Tiger, kann man zwar auch zurückdrängen und einschränken, doch er wird damit nie ein glückliches Leben leben. Ein Käfig aus Vorschriften, Regeln und Verboten gleicht die fehlende Empathie nicht aus, doch genau das ist es, woran gerade in der Welt, der Politik, dem Verlangen einzelner getüftelt wird.
Daher bin ich sehr dankbar, dass ich über Gesa Neitzels Buch "The Wonderful Wild - Was ich von Arikas Wildnis fürs Leben lerne" gestolpert bin. Und nein, es ist jetzt kein Ratgeber, der die Taten der Menschheit generell gut heißt oder sagt "weiter so", aber es ist ein Buch, das vieles erklärt, auf das Wesen der Menschheit und Tierwelt eingeht und einem vor Augen führt, wie fragil, kostbar und schön die unberührte Natur und die Erde im Allgemeinen ist. Gesa Neitzel erklärt ihre Sicht auf die Dinge, beschreibt ihre Beobachtungen in der Natur und ihre Anwendung auf die komplexe Welt. Man merkt mit jeder einzelnen Seite, dass sie trotz des großen Tohuwabohus und der Veränderungen der Welt angekommen scheint und ihre Mitte in sich und der Umwelt gefunden hat. In diesem Buch lässt sie uns nun an ihren Gedanken und Beobachtungen teilhaben.
Es reicht aus, wenn jeder etwas Gutes tut, doch dies gelingt eben nur, wenn es jedem Helfenden auch selbst gut geht und es ist einfach nicht möglich eine generelle, weltübergreifende Lösung für alle Dinge zu finden. Und nur weil der eine es sich leisten kann z.B. vegan zu leben, heißt es noch lange nicht, dass eben auch andere aus der Umgebung, der Stadt oder gar anderen Kontinenten dies umsetzen können, müssen oder sollten. Einem jeden sollte eher bewusst werden, warum es sich lohnt die Natur und das Zwischenmenschliche zu bewahren und dafür sein Bestes zu tun und nicht rein nach Vorschriften und Co zu leben und zu handeln. Und wenn du eben am Existenzminimum lebst, versuche erst, dir selbst zu helfen, bevor du anderen hilfst. Denn nur wem es selbst gut geht, kann auch Gutes verteilen und dabei ist es dann beinahe egal, ob du für dein persönliches Glück einen Ferrari brauchst oder eine Villa. Sofern es dir selbst hilft und dich glücklich macht, ist es etwas Gutes und du kannst dein Glück mit anderen teilen und der Welt helfen, sie ein Stück besser machen... Und gerade diesen Gedanken, finde ich sehr toll und ich habe mich über ihre, im Vergleich, sehr weltoffene, über den Tellerrand blickende und verständnisvolle Art sehr gefreut. Gesa Neitzel hat es sogar geschafft, mich etwas aus der alltäglichen Überforderung zu holen, mich zu beruhigen und irgendwie mir die Hand zu reichen und zu sagen 'das was du bereits für die Umwelt machst ist ok'. Und dafür liebe ich diesen Ratgeber, abseits der Du-musst-und-sollst-Bewegung, wirklich sehr. Ich könnte nun auf jeder Seite ein tolles Zitat finden, doch möchte ich gerne dieses allem voran stellen:

"Es gibt viele Filme, Bücher und Geschichten über die Zukunft unseres Planeten. Die meisten erzählen vom Ende der Welt, vom Krieg und Zerstörung und, wenn es gut läuft, von neuen Zivilisationen auf anderen Planeten. Und so spannend und visionär all diese Szenarien auch sein mögen, so erzählen sie selten vom guten Ausgang unserer Geschichte. Vielleicht können wir da ansetzen und anfangen..."

Vielleicht, sollten wir uns auch erst einmal mit uns selbst befassen und auseinandersetzen, bevor wir anderen und der Welt vorschreiben, wie sie zu leben haben. Und leider sind es auch nicht nur Filme und Bücher, die uns mit reichlich Negativem und Katastrophen zuschütten. Wir sind es selbst. Wir und die Medien. Wir und unsere Gedanken. Doch das ist nicht gerade vorteilhaft, denn so gehen wir stets vom Schlimmsten aus, bauen Druck auf, hören auf zu verstehen oder Dinge zu beobachten und rennen los, wollen handeln oder eben auch verbieten, nur um unserem Drang zu handeln gerecht zu werden. Doch ist gerade diese 'Hummel im Arsch' sinnvoll? Sollten wir nicht erst zuhören? Die Welt besser verstehen, schrittweise auf sie eingehen und empathisch handeln?
An diesem Punkt sollte man nun vielleicht erwähnen, dass ich Gesa Neitzels Vorgängerroman, also ihre Geschichte bzw. ihren Weg zur Rangerin in Afrika schon vor einigen Jahren sehr gerne gelesen habe und sie bereits da als Person sehr inspirierend fand. Dieses Buch kann man nun irgendwie als Weiterführung betrachten, aber eben auch als reine Beobachtung, der aktuellen Lage. Gesa ist in Afrikas Wildnis angekommen, lebt mit der Natur und den Tieren, weiß ihren persönlichen 'Luxus' zu schätzen und kann damit sich, ihren Mitmenschen und der Natur auch sehr viel zurückgeben. In "The Wonderful Wild" beschreibt sie dies nun auf ihre lockere Art und Weise und wer vielleicht den ein oder anderen ihrer Talkshowauftritte bereits gesehen hat, hört sie hier von ihrem Alltag und ihren Gedanken erzählen. Vielleicht ist dieses Buch für den einen etwas spirituell, doch gerade die Empathie macht es aus und in ihr liegt wahrscheinlich auch die Zukunft der Welt. Die Logik und das wirtschaftliche Denken, hat uns an diesen Punkt gebracht, doch die technologischen Fortschritte stagnieren allmählich und es wird Zeit andere Wege zu gehen und das Fühlen, die Empathie, die Nähe, das Familiäre wieder wachsen zu lassen. Die Welt, auf der wir leben, ist das schwächste Glied. Wir trampeln tagtäglich auf ihr herum und gerade deshalb sollten wir sie schützen und wie unser eigenes Kind behandeln - alleine, aber auch gemeinsam mit den Menschen um uns herum Gutes bewirken. Es wird noch ein langer Weg, doch ich bin mir sicher, wenn jeder aus diesem Buch auch nur ansatzweise einen Gedanken mitnimmt, wäre uns allen bereits ein großes Stück geholfen.
Tatsächlich sind auf den gerade einmal 252 Seiten sehr viele Gedankenanstöße, wundervolle Beobachtungen, aber auch entsprechende Erklärungen vorhanden. Gesa beschreibt Zusammenhänge, geht auf das 'Ticken' der Menschen und Tiere ein, setzt sie ins Verhältnis, gibt Anregungen, wie wir der Klimakatastrophe, der Müllflut, dem Rassismus und Co begegnen könnten und bietet dabei sehr viel Wärme und Offenheit. Also mir persönlich hat dieses Buch sehr viel gegeben, mich gestärkt und ich hoffe einfach, dass es noch sehr viele Menschen erreichen wird... denn es lohnt sich die Welt zu schützen, nachsichtiger miteinander umzugehen und nicht einfach alles und jeden in einen Käfig oder eine Schublade zu stecken, in der man selbst nie eingesperrt werden möchte.

"Wir werden in Zukunft Gewaltiges stemmen, wenn wir zusammenhalten. Selbst wenn du dich anderer Dinge annimmst als ich, selbst wenn wir scheinbar nichts gemeinsam haben - eines werden wir immer teilen.
Unser Zuhause."

Veröffentlicht am 27.09.2019

Auf Reisen mit einer ganz besonderen Familie

Mit anderen Augen
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"Mit anderen Augen - wie ich durch meine Tochter lernte, die Welt neu zu sehen" von Fabian Sixtus Körner eine Biografie oder besser gesagt ein Lebensausschnitt, der wesentlich von der Geburt seiner Tochter ...

"Mit anderen Augen - wie ich durch meine Tochter lernte, die Welt neu zu sehen" von Fabian Sixtus Körner eine Biografie oder besser gesagt ein Lebensausschnitt, der wesentlich von der Geburt seiner Tochter Yanti geprägt wurde. Sie ist nämlich nicht dieses "normale" Bilderbuchkind wie es unsere heutige Gesellschaft gerne hätte ...

"Downsyndrom ist, was es ist, und in den meisten Fällen nichts Schlechtes. Das eigentliche Problem sind wir, die das Privileg haben, ohne Auffälligkeiten und Behinderungen zur Welt zu kommen und durchs Leben zu gehen."

Schon alleine diese Erkenntnis macht für mich dieses Buch zu etwas ganz Besonderem. Man könnte meinen Fabian würde mit beinahe jeder Herausforderung klar kommen, er hat sich schließlich beruflich wie privat schon ganz anderen Dingen gestellt. Selbst als seine Frau schwanger war und sie in Berlin 'sesshaft' sein mussten, begab er sich auf die Suche nach etwas Aufregendem, sich selbst Herausforderndem, doch die eigentliche Herausforderung stand den beiden erst noch bevor.

Wie geht man damit um, wenn sich bei der Geburt herausstellt, dass sein Kind eine Behinderung hat und sich das ganze Leben plötzlich umkrempelt? Dieses Buch handelt von der anfänglichen Wut, Trauer, Enttäuschung bis hin zu der Erkenntnis: "Wir haben einen kleinen Menschen geschenkt bekommen, der uns so wahnsinnig glücklich macht, vielleicht glücklicher als jedes normale Kind." umrahmt vom unbeschwerten Leben und Surfen, über Krankenhausaufenthalte und dem neuen Alltag mit Yanti.

Es ist dieses Ineinandergleiten von Gefühlen, Gedanken, Erlebnissen und einfachen Berichten, die mich in diesem Fall sehr fasziniert haben. Es ist die gedankliche Entwicklung und das Meistern eines neuen, anfangs nicht einfachen 'Problems', welches sich zur schönsten Bereicherung des Lebens entwickelt. Die beiden zusätzlichen Bildstrecken zwischen den Kapiteln unterstützen die bildliche Greifbarkeit des Gelesenen und gerade damit baut Fabian eine starke Nähe zu den Lesern auf. Ein Tagebuch voller Gedanken und Erinnerungen quasi, das zusätzlich auch noch etwas Aufklärungsarbeit in Sachen Downsyndrom leistet und generelle Berührungsängste Unbeteiligter infrage stellt.

Desweiteren finde ich an dieser Stelle die optische Stringenz und Anlehnung an das Vorgängerbuch "Journeyman" erwähnenswert. Da alles vom Design über das Geschriebene und die Gedanken selbst aus einer Hand kommen, ist "mit anderen Augen" ein sehr persönliches Buch, das wörtlich und visuell ineinander greift und berührt. Umklammert wird dies vom Editiorial-Look des Covers, das bereits eine gewisse Freiheit, Unbeschwertheit und Harmonie erahnen lässt und neugierig auf die Geschichte und damit die Besonderheit der familiären Beziehung im Umgang mit dem Downsyndrom macht.
Mein einziger Kritikpunkt wäre, dass die Subline den Fokus auf die persönliche Entwicklung des Autors durch die Geburt und das Wachstum seiner Tochter lenkt, dafür inhaltlich allerdings das Thema "Reisen und Surfen" einen fast schon zu großen Bereich einnimmt. Hab ich was vergessen? Nein! Lieblingsbuch.