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Veröffentlicht am 27.09.2019

Intensiv, vielschichtig, melancholisch, aber auch hoffnungsvoll und tiefgründig

Der Geschmack unseres Lebens
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Julia Fischers neuer Roman ist von Beginn an ein Buch, das auf der Zunge zergeht. Das liegt an all den beschriebenen Köstlichkeiten, die unsere Sinne ansprechen, wie auch an dem unvergleichlichem poetischen ...

Julia Fischers neuer Roman ist von Beginn an ein Buch, das auf der Zunge zergeht. Das liegt an all den beschriebenen Köstlichkeiten, die unsere Sinne ansprechen, wie auch an dem unvergleichlichem poetischen Schreibstil der Autorin, der einem sofort gefangen nimmt.
Aber nicht nur die Süße begleitet uns in der Geschichte rund um Ella Donati, sondern auch der bittere Geschmack des Lebens, der von persönlichen Verlusten und psychischen Krankheiten erzählt. Trotzalledem schwelgt man im intensiven und wohl persönlichsten Roman der Autorin, den man sicherlich nicht so schnell vergisst.

Als Leser begleiten wir Ella, eine junge Frau, die mit fünf Jahren ihre Mutter verloren hat. Ihr Bruder Danilo verlässt die Familie nach einem großen Streit mit dem Vater und verpflichtet sich zum Militär. Ella steht kurz vor ihrer Hochzeit, als ihr Vater an Krebs erkrankt und ihr Verlobter ein Jobangebot in den USA bekommt und annimmt. Ella soll nachkommen, doch sie fühlt sich verpflichtet den Vater zu pflegen. Nach seinem Tod muss die Haselnussplantage, die in jahrzehntelangem Familienbesitz war, verkauft werden. Ein neuerlicher herber Verlust für Ella. Ihren Traum eine eigene Chocolateria zu eröffnen, hat die mittlerweile alleinerziehende Mutter von Zwillingen aber nie aufgegeben. Im kleinen Städtchen Alba im Piemont, unweit ihrer alten Heimat, eröffnet sie im historischen Stadtkern ihre kleine, aber exquisite Chocolateria "La Cuccagna" (= Schlaraffenland). Und genau so fühlt man sich auch, wenn man ihr Geschäft betritt und einem der Duft von Schokolade in die Nase steigt. 32 Pralinensorten hat Ella in ihrem Sortiment, die gleiche Anzahl ihrer Lebensjahre und die ihrer Mutter, als diese starb. In der Bäckerei gegenüber hat Ella einstmals gelernt, jedoch sind die Barberis alles andere als gut auf Ella und Maresh, dem Besitzer des indischen Restaurents nebenan, zu sprechen und machen beiden das Leben schwer.
Als der neue Besitzer der Haselnussplantage ihrer Eltern, Michele Mariani, ihr ein geschäftliches Angebot macht und ihr Bruder Danilo wieder nach Hause zurückkehrt, gerät Ellas Leben erneut aus den Fugen. Während Danilo bei Mariani zu arbeiten begonnen hat und beim alten Trüffelsucher Salvatore wohnt, holt Ella die Vergangenheit ein....

Was nach einem leichten Frauenroman aussieht, ist eine gefühlvolle Geschichte mit Tiefgang, die nicht nur die angenehmen Seiten des Lebens aufzeigt. Julia Fischer spricht Themen wie Trauerverarbeitung, Trennung, Verluste und psychische Krankheiten an. Trotzdem gibt es auch hoffnungsvolle und humorvolle Stellen, vorallem wenn von den "Neun vom Stadtplatz" die Rede ist. Diese illustre Runde alter Herren hat es faustdick hinter den Ohren und beeinflussen das Leben in Alba und ihrer Einwohner mehr als man denkt.

Bildgewaltig hat Julia Fischer auch den historischen Umzug mit dem Eselrennen in Alba beschrieben. Bei der Leserunde gab es zusätzlich jede Menge Fotos der Landschaft, dem Mittelalterfest, zur Pralinenherstellung und den Sehenswürdigkeiten der Umgebung. Ein Fest nicht nur für die Sinne, sondern auch fürs Auge. Neben der Schokolade und den Haselnüssen ist auch der Trüffel und die Trüffelmesse ein Thema.

Wie schon im Vorgängerroman wird auch in "Der Geschmack unseres Lebens" aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Dazwischen gibt es kurze Rückblenden in die Vergangenheit. Man erfährt mehr über Ellas Mutter und ihr Leben mit Depression, über Salvatores große Liebe Gianna und ihr gemeinsamer Kampf als Mitglied bei den Partisanen während des Zweiten Weltkrieges, man bekommt ebenso Einsichten in Danilos Kämpfe im Irak und in Afghanistan und sein Leben in der Abgeschiedenheit des Mairatales. Ein weiterer Rückblick in Form von Briefen geht zurück ins 18. Jahrhundert zur Zeit der Besetzung durch die Franzosen. Diese sind in kursiver Schrift geschrieben, um sich vom Rest anzuheben. All diese Informationen geben interessante Einblicke und führen schlussendlich zur Lösung des Familiengeheimnisses.
Ein Thema ist im Roman allerdings allgegenwärtig und zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht: Die Geschichte vom Zauberer von Oz.

Schreibstil:
Julia Fischers Schreibstil ist einnehmend, gefühlvoll und atmosphärisch, die Geschichte vielschichtig undvoller Tiefgang.
Die Charaktere sind sehr lebendig, warmherzig und facettenreich. Die Gefühls- und Gedankenwelt der Figuren wird sehr anschaulich dargestellt und man fiebert und lebt mit ihnen mit.
Die 43 eher kurzen Kapitel verführen zum "ein Kapitel geht noch" lesen ;)
Im Inneren der Klappbroschur findet man das Rezept für Haselnusstrüffel La Cuggana.

Fazit:
Ein Roman der leisen Töne, der die Sinne anspricht und einiges italienisches Flair verbreitet. Intensiv, vielschichtig, melancholisch, aber auch hoffnungsvoll und tiefgründig. Dieser Roman hat einfach alles, was man sich wünschen kann. Julia Fischers bisher persönlichstes und bestes Buch - ich empfehle es gern weiter!

Veröffentlicht am 08.09.2019

Wunderschöne Naturstudien - ein gelungener Debütroman

Der Gesang der Flusskrebse
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Der Debütroman der 70jährigen Delia Owens ist momentan in aller Munde. Selbst Reese Witherspoon hat bereits die Filmrechte für sich beansprucht, nachdem sie den Roman selbst gelesen hat. Und ich muss sagen, ...

Der Debütroman der 70jährigen Delia Owens ist momentan in aller Munde. Selbst Reese Witherspoon hat bereits die Filmrechte für sich beansprucht, nachdem sie den Roman selbst gelesen hat. Und ich muss sagen, eine Verfilmung würde zu diesem atmosphärischen Buch wirklich hervorragend passen.

Im Prolog, der im Jahre 1969 spielt, wird Chase Andrews, beliebter Quarterback und Frauenheld, der die Autowerkstätte seinen Vaters übernommen hat, tot aufgefunden. Die Einwohner von Barkley Cove sind entsetzt. Aufgrund fehlender Spuren geht der Sheriff von Mord aus. Der Verdacht fällt sehr schnell auf das eigenartige Marschmädchen, zu dem Chase einige Zeit in die Salzwiesen und Sandbänke vor Ort rausgefahren ist. Die Vorverurteilung greift rasch um sich....

Danach sind wir im Jahre 1952 und lernen die erst fünfjährige Catherine Danielle Clark, genannt "Kya", kennen. Ihre Mutter hat eben erst die Familie verlassen. Bald folgen ihr Kyas wesentlich älteren Geschwister. Das kleine Mädchen bleibt mit ihrem Vater in ihrem kargen Zuhause ohne Strom und fließend Wasser im Marschland von South Carolina zurück. Der Trinker und gewalttätige Mann kümmert sich weder um seine Tochter, noch um Vorräte, damit Kya etwas zu Essen hat. Als sie schulpflichtig wird, holt sie die Schuldirektorin ab, doch der erste Schultag wird zum Desaster und das Marschmädchen, wie die Einwohner der kleinen Stadt Kya nennen, wird noch mehr zur Außenseiterin. Nur umgeben von Marschland, ohne Geld, versucht sie zu überleben. Trost sind ihr die Vögel und die Natur, die sie umgibt. Sie sammelt Federn und Muscheln, lebt mit der Natur im Einklang und legt eine kleine Sammlung ihrer Errungenschaten in der Hütte an.
Das Motorboot ihres Vaters dient ihr schlussendlich zur Fortbewegegung. Bis sie es lernt zu steuern dauert es etwas, doch dabei stößt sie auf Tate, der in den Sümpfen angelt. Früher, als ihre Mutter noch zuhause wohnte, war Tate öfters zu Besuch und spielte mit Kya. Im Laufe der Zeit versucht er ihr zu helfen und lernt Kya lesen und schreiben. Um Nahrung zu bekommen verkauft sie Muscheln an den afroamerikanischen Ladenbesitzer Jumpin'. Er wird gemeinsam mit seiner Frau Mabel zu ihrer einzigen Bezugsperson neben Tate werden, vorallem nachdem dieser zum Studium in die nächste größerer Stadt aufbricht. Kya wird wiederum verlassen, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünscht als Freundschaft und Liebe. Sie möchte keine Außenseiterin mehr sein.

In zwei Zeitebenen, die sich nach und nach annähern, lesen wir zuerst von Kya als Kind und später als erwachsene Frau, wobei es immer wieder Rückblenden in die Vergangenheit gibt. Kya wächst isoliert, nur umgeben von der Natur auf. Sie zieht sich immer mehr von den Menschen zurück, die nur selten ins Marschland kommen und diese verabscheuen. Die Ausgrenzung, der Kya ausgesetzt ist, tat mir beim Lesen richtig weh. Doch Kya ist nicht die Einzige, denn in den 1960iger Jahren in den USA ist die Zweiklassengesellschaft zwischen Weißen und Schwarzen noch sehr ausgeprägt.

Die Entwicklung von Kya zur Frau wird sehr gefühlvoll und einfühlsam beschrieben. Delia Owens versteht es das Marschland bildhaft und eindringlich darzustellen. Man hat das Gefühl gemeinsam mit Kya anwesend zu sein. Die einzigartigen Naturschilderungen, Flora und Fauna, spielen im gesamten Roman eine große Rolle. Später kommen noch kriminalistische Elemente und eine Gerichtsverhandlung hinzu. Der Roman hat einen Sog, den man sich kaum entziehen kann und der sich von der Masse abhebt. Man könnte noch so viel zu dieser Geschichte sagen, aber dann würde diese Rezension noch länger werden.

Einen kleinen Kritikpunkt habe ich aber trotzdem. Obwohl ich offene Enden nicht mag, wäre für mich der Roman kurz nach der Gerichtsverhandlung zu Ende gewesen. Doch die Autorin erzählt im Schnellverlauf das weitere Geschehen bis hin zum Tod der Protaginistin. Das wäre für mich nicht notwendig gewesen und zerstörte etwas die Atmosphäre.

Schreibstil:
Die Charakter- und Naturstudien wurden von der Autorin in ihrem Debütroman einfach einzigartig dargestellt. Der wunderbare poetische Schreibstil lässt einem in der Handlung versinken. Die Geschichte fesselt ungemein. Aber auch die Entwicklung von Kaya vom Kind zur Frau, ihre Gefühle und Beobachtungen, sowie der Wunsch dazuzugehören, sind immer gegenwärtig und spürbar.
Dazwischen gibt es auch Zitate und Gedichte, die in die Handlung miteingebracht wurden.
Am Anfang findet man eine Karte der Region zur besseren Übersicht.

Fazit:
Ein Roman, der sich aus der Masse abhebt, dessen Inhalt nachdenklich stimmt und in Erinnerung bleibt.
Wunderschöne Naturstudien und ein malerisch poetischer Schreibstil machen diesen Debütroman (!) zu etwas ganz Besonderem. Auch wenn ich das Ende nicht ganz gelungen fand, vergebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 05.09.2019

Noch bedrückender, aber tolle Gesellschaftskritik

Wir gegen euch
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Fredrik Backman´s Bücher sind meiner Meinung sehr unterschiedlich ausgefallen. "Ein Mann namens Ove" und "Britt-Marie war hier" sind amüsante Romane mit schrulligen Protagonisten und haben mir gefallen. ...

Fredrik Backman´s Bücher sind meiner Meinung sehr unterschiedlich ausgefallen. "Ein Mann namens Ove" und "Britt-Marie war hier" sind amüsante Romane mit schrulligen Protagonisten und haben mir gefallen. "Oma lässt grüßen und sagt es tut ihr leid" mochte ich hingegen gar nicht. "Kleine Stadt der großen Träume", Teil 1 der "Beartown-Reihe", war bereits anders und hat von mir die volle 5 Sterne-Anzahl bekommen. Die Geschichte war gesellschaftskritisch und bot vorallem eine unvergleichliche Atmosphäre. Zusätzlich hat mir Backman noch das Eishockey näher gebracht.
Kaum hatte ich die ersten des neuen Buches Seiten gelesen, fühlte ich mich wieder in Björnstadt angekommen. Wer Teil Eins nicht kennt, sollte keinerlei Schwierigkeiten haben in den Roman zu finden, denn der Autor geht auf die wichtigsten Ereignisse nochmals ein. Und wer tatsächlich einiges vergessen hat, der wird sich sehr bald wieder an viele Begebenheiten zurückerinnern....

In der Fortsetzung wird es um einiges bedrückender. Nach den schrecklichen Zwischenfällen im ersten Band wollen die Menschen in Björnstadt wieder zusammenfinden, doch dann soll der Eishockey-Club geschlossen werden. Eine Katastrophe, wo doch der Eishockeysport für die Menschen in der kleinen Stadt das Lebensexelir ist. Obwohl ich noch immer kein Eishockeyfan bin, fand ich das Thema, welches sich wieder wie der rote Faden durch die Geschichte zieht, auch diesmal wieder spannend erzählt. Denn eigentlich bewirkt der Autor mit seinem Roman etwas ganz anderes: Es geht es um das Zwischenmenschliche. Obwohl Backman die Handlungen aus großer Distanz beleuchtet, sind es keine aufeinanderfolgenden Geschehnisse, sondern man lebt mit allen Figuren mit. Man verspürt genauso Wut, Trauer, Hass, Verzweiflung, Vergebung, Mut und Liebe. Und genau das kann Fredrik Backman so lebendig und gefühlvoll beschreiben, dass man sich nicht als Beobachter fühlt, sondern einfach mit den Figuren alles durchlebt, was in der Kleinstadt passiert. Da wird gemobbt, gekämpft, geschmiert und getrauert.

Die komplexe Handlung ist keine leichte Kost und die tragischen Augenblicke überlagern den Roman. Trotzdem konnte mich die Geschichte wieder emotional packen. Die schnellen Perspektivwechsel und einige Cliffhanger lassen einem das Buch kaum aus der Hand legen.
Trotz der vielen Charaktere hat man keine Probleme diese auseinander zu halten oder das Gefühl zu haben, man wäre auf zu vielen "Baustellen". Viele Figuren kennt man bereits aus dem ersten Band, wie Maya, Peter, Ana, Bobo, Amat oder Benji. Zwei sehr facettenreiche Neuzugänge sind Elisabeth Zackell, die neue Trainerin und der schmierige Politiker Richard Theo. Konfliktsituationen sind somit vorprogrammiert.

Hass und Gewalt dominieren in vielen Teilen und verbreiten manchmal auch eine Hoffnungslosigkeit, die die Stimmung öfters regelrecht drückt. Trotzdem gelingt es Backman immer wieder mit einer Prise Hoffnung oder witzigen Szenen, wie z. Bsp. in Ramonas Lokal "Bärenpelz", diese auszugleichen.
Regelrecht gefangen nahmen mich die tiefgründigen Zitate und Metaphern, die diesen Roman einfach unvergleichlich machen.
Mit einem hoffnungsvollen Ende versöhnt der Autor sich mit dem Leser, den er auf diesen 544 Seiten durch eine Achterbahn der Gefühle geschickt hat. Grandios!

Fazit:
Fredrik Backmann erzählt nicht nur die Geschehnisse, er beleuchtet sie aus großer Distanz, philosophiert und schildert seine Gedanken und Eindrücke auf hohem Niveau. Der Schreibstil ist einzigartig und man würde am liebsten den Bleistift zücken und alle tiefsinnigen Zitate niederschreiben. Ich bin auch von Teil zwei von "Beartown" begeistert und gebe eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 13.08.2019

Tritt ein in die Welt von Erebos

Erebos
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Nachdem Ursula Poznanskis erstes Jugendbuch schon einige Zeit auf meinem SuB schlummert, habe ich die Gelegenheit ergriffen bei der lieben Petrissa vom Blog Hundertmorgenwald bei ihrer Blogger Leserunde ...

Nachdem Ursula Poznanskis erstes Jugendbuch schon einige Zeit auf meinem SuB schlummert, habe ich die Gelegenheit ergriffen bei der lieben Petrissa vom Blog Hundertmorgenwald bei ihrer Blogger Leserunde zum Buch mitzumachen. Wir waren ein buntes Gemisch aus Erstleser und Wiederholungstätern =) Und in zwei Wochen wird es zum zweiten Teil wieder eine Leserunde geben, an der ich ebenfalls wieder teilnehmen werde, denn ich habe mir Erebos 2 bereits vorbestellt.
Ich bin mir sicher, dass die Meisten von euch bereits die Geschichte rund um Nick und dem geheimnisvollen Computerspiel Erebos kennen werden. Ich habe nur immer wieder gehört, dass es Poznanskis bestes Buch sein soll und dem kann ich nun zustimmen. Ich habe bereits einige Jugendbücher von ihr gelesen und auch zwei Thriller aus der Kaspary & Weninger Reihe. Die neue Thrillerreihe werde ich nicht lesen...da habe ich reingelesen und irgendwie wurde ich schon vo0n der Leseprobe nicht angesprochen. Die Bewertungen zu ihrer neuen Thrillerreihe sind leider auch alles andere als gut.

Ich muss zugeben, dass ich vom Buch bald genauso gefangen genommen war, wie Nick von seinem neuen Computerspiel, das er in der Schule zugesteckt bekommen hat. Dieses wird von Hand zu Hand weitergegeben und verändert die Schüler zusehends, nachdem sie damit begonnen haben. Die strengen Regeln verbieten über das Fantasy Rollenspiel zu sprechen oder preiszugeben welcher Mitschüler sich hinter den fantasievollen Namen und Figuren verstecken. Gemeinsam mit Nick trat ich ein in eine Welt, die voller Orks, Barbaren, Elfen, Zwergen oder Magier, ähnlich World of Warcraft, war. Da ich keine Bücher aus diesem Fantasy-Genre lese und auch kein World of Warcraft spiele, war es für mich eine komplett neue Welt, die mich in Poznanskis Roman allerdings sofort mitgerissen hat. Der Roman hat eine Sogwirkung, der man sich schwer entziehen kann. Auch ich rätselte, wer hinter welchen Figuren stecken könnte und wozu die Aufgaben dienen, die die Spieler als Aufträge erhielten. Schon bald bemerkt man, wie die Schüler manipuliert werden und vollkommen übernächtigt in den Unterricht kommen, denn Erebos bestimmt selbst, wann das aktuelle Spiel zu Ende ist und man Pause machen "darf". Die Aufgaben werden immer gefinkelter und das wirkliche Leben und das Spiel verschmelzen geradezu ineinander. Als Nick jedoch einen Auftrag erhält, der in der realen Welt einem Menschenleben schadet, kommen auch ihm langsam Zweifel wohin Eerebos führt und was dahinter stecken könnte...

Der ständige Wechsel zwischen der realen und virtuellen Welt erhöhte die Spannung nur noch. Man fiebert darauf hin endlich zu erfahren, was hinter Erebos steckt. Ich muss zugeben, ich hatte Angst, dass es etwas Mystisches oder Übersinnliches sein wird, denn damit komme ich schwer zurecht und hätte mir nicht gefallen. Doch das Ende ist gut gewählt und war eine Überraschung.
Ein klein bisschen gefehlt hat mir der weitere Blick auf die Gegner von Erebos, vorrangig vertreten durch den Englischlehrer Mister Watson und einigen seiner Schüler. Diese scheinen zum Ende hin kaum mehr auf.

Mit Nick hat die Autorin eine glaubwürdige Figur erschaffen, die mitten aus dem Leben gegriffen ist. Auch die Atmosphäre des Rollenspiels und die Faszination, die Erebos auf die Spieler ausübt, wurde großartig eingefangen.
Die soziale Isolation der Spieler und die Konsequenzen daraus sind sehr gut nachvollziehbar. Dabei greift Poznanski aber nicht zum erhobenen Zeigefinger, sondern zeigt jeden Leser auf, wie schnell man sich manipulieren lassen kann oder man einer Sucht verfällt.

Ursula Poznanski hat bereits im Jahr 2011 das Thema künstliche Intelligenz aufgegriffen, während andere Autoren diesen Stoff erst seit den letzten Jahren behandeln. Oder habe ich einfach nicht die richtigen Bücher dazu gelesen?

Schreibstil:
Der Schreibstil ist fesselnd und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Mir ging es bei der Leserunde viel zu langsam, denn ich wollte lesen, lesen und nochmals lesen. Tja, mich hatte der Lesevirus gepackt, während Nick der Spielsucht verfallen ist. Dadurch konnte ich mir (selber habe ich vor Jahren mal SIMS gespielt, aber das war es schon) als Nichtspieler seine Situation wirklich gut vorstellen.

Die Autorin erzählt aus der Sicht von Nick, jedoch in der 3. Person. Man erlebt seine Gedanken- und Gefühlswelt intensiv mit. Im Gegensatz zu einigen ihrer neuen Jugendbücher, wo viele Figuren oftmals blass bleiben, sind Nick und seine Mitschüler sehr realistisch und lebendig beschrieben und sind greifbar.

Fazit:
Auch acht Jahre nach dem Erscheinen von Erebos fesselt dieser Jugendroman, der mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsene. Spannend und fesselnd von der ersten Seite an, konnte ich "Erebos" nicht mehr aus der Hand legen und freue mich schon auf Band 2.
Für alle, die das Buch noch nicht kennen, gibt es von mir eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 23.07.2019

Eine Leseempfehlung!

Mehr als die Erinnerung
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Mein erster Roman der Autorin, obwohl ich noch ihre Romane "Die Stimmlosen" und "Im Lautlosen" auf meinem SuB habe. Lange werden sie dort nicht mehr verweilen, denn "Mehr als die Erinnerung" konnte mich ...

Mein erster Roman der Autorin, obwohl ich noch ihre Romane "Die Stimmlosen" und "Im Lautlosen" auf meinem SuB habe. Lange werden sie dort nicht mehr verweilen, denn "Mehr als die Erinnerung" konnte mich von der ersten Seite an begeistern.

1920. Der Große Krieg ist vorüber und hat viel Leid über die Menschen gebracht. Auf Gut Molenberg leitet Doktor Meinhardt eine Einrichtung für psychisch kranke Menschen. Seine Tochter Friederike von Aaalen unterstützt ihn, wo sie nur kann. Seit ihr Mann Bernhard im Krieg eine schwere Kopfverletzung erlitten hat, ist er selbst Patient und steht laut Dr. Weiß, einem Kollegen aus der Pflegeanstalt, auf dem Level eines etwa fünfjährigen Kindes. Seinetwegen hat Friederike ihr Medizinstudium kurz vor Abschluss abgebrochen, denn Bernhard ist trotz seines Handycaps noch immer ihre große Liebe. Für sie und ihren Vater stehen Menschlichkeit, Achtung und Respekt in ihrer Einrichtung an erster Stelle. Die Patienten versuchen sich nach Möglichkeit selbst zu versorgen und werden als vollständige Menschen anerkannt. Eines Tages steht ein junger Kriegsversehrter mit schlimmen Verbrennungen im Gesicht vor der Tür und bittet um Arbeit auf Gut Molenberg. Seine Papiere sind zweifelhaft, doch Bernhard freundet sich sofort mit dem Mann an. Da geschehen im Umkreis des Gutes zwei Morde und der Verdacht fällt automatisch zuerst auf die Patienten des "Irrenhauses", wie die Bewohner des naheliegendes Ortes die Insassen von Gut Molenberg nennen. Friederike ist fassunglos. Wer könnte von den beiden Morden profitieren? Und wer ist eigentlich Walter Pietsch, den sie erst vor kurzem auf Gut Molenhof eingestellt hat? Welche Rolle spielt Dr. Weiß, der seine eigene Theorie über Menschen mit Beeinträchtigung hat? Friederike ist entschlossen der Sache auf den Grund zu gehen...

Die Aufklärung der Morde werden - wie auch noch heute - durch Vorurteile erschwert. Friederike ist eine toughe junge Frau, die sich für ihre Patienten einsetzt und das Herz auf den rechten Fleck hat. Sie möchte sich von Bernhard nicht scheiden lassen und für ihn da sein, denn die gegenseitige Liebe ist noch immer vorhanden und spürbar. Trotz seiner Beeinträchtigung möchte Bernhard Friedrike seit den Morden beschützen. Doch was versucht er ihr schon die ganze Zeit über zu sagen?

Melanie Mentzenthin schreibt in diesem aufwühlenden Roman über Menschen mit Beeinträchtigung und den Therapieansätzen der damaligen Zeit. Sie ist selbst Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Der Einblick in die damals üblichen Therapiemethoden lassen einem teilweise sprachlos zurück. Einige Methoden kannte ich schon aus anderen Romanen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Der Mensch schreckt jedoch vor Nichts zurück und somit gibt es an Grausamkeiten immer wieder Neues zu entdecken....leider! Einer dieser Menschen ist Doktor Weiß. Er möchte in einer Studie aufzeigen, dass jeder Mensch aufgrund von Schlüsselreizen zum Mörder werden kann. Für ihn sind alle Behinderten Subjekte ohne Seelen und Gefühle. Er ist sicherlich einer jener "Menschen", der noch vor der Erstarkung des Nationalsozialismus perfekt in die SS Maschinerie passt.
Ebenso werden zu dieser Zeit auch gerne Frauen der "Hysterie" bezichtigt, die von ihren Familien aus irgendeinem Grund abgeschoben werden sollen, wie auch Juliane Brunner, die der Familie "Schande bereitet hat".

Wer entscheidet was "normal" ist und was nicht? Dieses sensible Thema hat die Autorin in beeindruckender Weise beschrieben. Sehr interessan fand ich auch die Gegenüberstellung der verschiedenen Denkansätze der damaligen Medizin und ihrer Vertreter, als auch ihre Anwendungen.

Die leichte Kriminote liefert dem historischen Roman noch zusätzliche Spannung. In kleinen Rückblenden erfahren wir, wie es zu der schweren Kopfverletzung von Bernhard gekommen ist, die am Ende des Rätsels Lösung zu sein scheint. Packend und berührend.

Schreibstil:
Der Schreibstil der Autorin lässt sich wunderbar lesen und ich war von Beginn an von der Geschichte gefesselt. Die Figuren sind autenthisch und facettenreich. Das Thema Behinderung wird feinfühlig erzählt. Man erkennt, dass melanie Metzenthin vom Fach ist.
Im Nachwort findet man weitere Erklärungen der Autorin über die damaligen Kliniken und Behandlungsmethoden.

Fazit:
Ein fesselnder Roman, der die unterschiedlichen Behandlungsmethoden von Menschen mit Beeinträchtigung nach dem Großen Krieg beschreibt und für einen menschlichen Umgang plädiert. Das fundierte Wissen der Autorin zu diesem Thema, die grandiose Umsetzung und die leichte Kriminote machen diesen Roman für mich zu einem richtigen Highlight und zu einer Leseempfehlung!